Drucksache 18 / 10 814 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Hans-Joachim Berg (AfD) vom 27. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. März 2017) und Antwort Unterstützung von Existenzgründern und Selbstständigen durch Jobcenter Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft teilweise Sachverhalte , die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl um eine sachgerechte Antwort bemüht und hat daher die zuständige Regionaldirektion Berlin-Brandenburg (RDBB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) um Stellungnahme gebeten , die bei der nachfolgenden Beantwortung berücksichtigt ist. 1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden, um als Existenzgründer oder Selbstständiger Unterstützung durch die Berliner Jobcenter zu erhalten („Aufstocker “, Förderung/Unterstützung der Selbstständigkeit). Zu 1.: Unterstützung durch die Jobcenter erhalten Existenzgründer oder Selbstständige bei Aufnahme bzw. Ausübung einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit. Die Förderung muss perspektivisch zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit und zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt beitragen und erforderlich sein. Zudem ist eine positive Beurteilung der persönlichen Eignung der Gründerin/des Gründers und der Tragfähigkeit der Selbstständigkeit erforderlich. Als Förderung können Existenzgründer Einstiegsgeld (ESG) sowie Existenzgründer und Selbstständige Leistungen nach § 16c SGB II erhalten. § 16c SGB II umfasst Zuschüsse/Darlehen für die Beschaffung von Sachgütern sowie die Beratung oder Vermittlung von unternehmerischen Kenntnissen und Fertigkeiten durch Dritte, sofern diese Leistungen zur Ausübung der Selbstständigkeit notwendig sind. 2. Welche Unterlagen müssen von den Antragstellern beigebracht werden? Zu 2.: Durch die Antragstellerinnen und Antragsteller müssen insbesondere beigebracht werden: Antrag ESG bzw. Leistungen nach § 16c SGB II, aussagefähige Beschreibung der Selbstständigkeit, Nachweis über die Geschäftstätigkeit (z. B. Gewerbeanmeldung, Bestätigung Finanzamt), fachkundliche Stellungnahme zur Beurteilung der Tragfähigkeit und/oder der persönlichen Eignung . 3. Wie erfolgt die Glaubhaftmachung der antragsbegründenden Unterlagen? Zu 3.: Die Glaubhaftmachung erfolgt durch die Unterschrift der Antragstellerin bzw. des Antragstellers bzw. durch die eingereichten Nachweise (u.a. Gewerbeanmeldung , fachkundige Stellungnahme). 4. Nach welchen Kriterien werden Unternehmen gefördert oder Anträge abgelehnt? Zu 4.: Neben der Erfüllung der Fördervoraussetzungen ist im Rahmen der Förderentscheidung zu prüfen, ob die beantragten Mittel individuell notwendig und angemessen für die Aufnahme, Fortführung oder den Erhalt der selbständigen Tätigkeit sind. Zudem darf die Selbstständigkeit nicht gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstoßen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 814 2 5. Nach welchen Kriterien wird das zu gründende Unternehmen auf „Tragfähigkeit“ und die „persönliche Eignung“ des Antragsstellers geprüft? Zu 5.: Tragfähigkeit liegt vor, wenn das unternehmerische Handeln auf Gewinn ausgerichtet und prognostisch dazu geeignet ist, die Hilfebedürftigkeit dauerhaft zu beenden. Tragfähigkeit sollte innerhalb eines Zeitraums von grundsätzlich bis zu 24 Monaten erreicht werden. Die Eignung für eine selbständige Tätigkeit wird anhand von persönlichen, fachlichen und unternehmerischen Aspekten beurteilt. Im Zusammenhang mit dem Gründungsprozess umfasst die Eignung insbesondere personale und sozialkommunikative Kompetenzen, Methoden-, Aktivitäts- sowie Umsetzungs-kompetenz. 6. Wieviel Unterstützung zahlen die Berliner Jobcenter an Existenzgründer und oder Selbstständige? (Minimal - und Maximalbeträge sowie Durchschnittssummen je Antrag in den letzten drei Jahren.) Zu 6.: In Berlin wurden zur Unterstützung von Existenzgründern /Selbstständigen im Jahr 2016 3,1 Mio. €, im Jahr 2015 4,2 Mio. € und im Jahr 2014 5,8 Mio. € durch die Jobcenter ausgegeben. Minimal- bzw. Maximalbeträge werden nicht erhoben. Die Dauer und Höhe der Förderung liegt im Ermessen der Jobcenter. Die Dauer der Förderung durch ESG beträgt maximal 24 Monate. Die Höhe wird auf Basis einer bundesweiten Verordnung festgelegt, die eine an den Gegebenheiten des Einzelfalls ausgerichtete Bemessung sicherstellt, die grundsätzlich vergleichbar und für Dritte nachvollziehbar ist. 7. Wie viele Antragsteller sind EU-Bürger? Zu 7.: Entsprechende Erkenntnisse liegen nicht vor. 8. Wie viele sind Staatsangehörige aus Bulgarien und Rumänien? (Bitte in absoluten wie in relativen Zahlen.) Zu 8.: Entsprechende Erkenntnisse liegen nicht vor. 9. Wie hoch ist die Anzahl der erfolgten Bewilligungen (absolut und prozentual) in den letzten drei Jahren? Zu 9.: Eintritte in ESG zur Förderung der Selbstständigkeit : 2014 – 777 Eintritte 2015 – 429 Eintritte 2016 – 389 Eintritte Erkenntnisse zu Ablehnungen liegen nicht vor. 10. Welche Erkenntnisse liegen in den Jobcentern über missbräuchliche Antragstellungen insgesamt und insbesondere von EU-Bürgern aus Bulgarien und Rumänien vor? Zu 10.: Erkenntnisse über vorsätzlich missbräuchliche Antragstellungen liegen nicht vor. 11. Wie werden die Angaben in der Anlage EKS von den Mitarbeitern der Jobcenter geprüft? Ist eine halbjährliche Abgabe gerechtfertigt (Steuererklärungen werden jährlich abgegeben)? Zu 11.: Die in der Anlage EKS getätigten Angaben zu Einnahmen und Ausgaben sind auf Verlangen des Jobcenters von den Leistungsbezieherinnen und Leistungsbeziehern nachzuweisen. Gemäß § 41 Abs. 3 SGB II ist über den Anspruch auf Leistungen in der Regel für ein Jahr zu entscheiden. Die halbjährliche Abgabe ist gerechtfertigt, da dies auch dem gewöhnlichen Bewilligungszeitraum gemäß § 41 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 41a SGB II bei Selbständigen entspricht. Wird über den Leistungsanspruch nur vorläufig entschieden , soll der Bewilligungszeitraum auf sechs Monate verkürzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft (BG) schwankendes Einkommen aus abhängiger oder selbständiger Tätigkeit erzielt wird. Eine halbjährliche Einreichung der Anlage EKS ermöglicht den Jobcentern frühzeitig Risiken aus der Selbstständigkeit zu erkennen und entsprechend entgegenzuwirken (u. a. auch durch Förderung nach § 16c SGB II). So kann unter anderem auch vermieden werden, dass die finanziellen Belastungen bei möglichen Rückzahlungen an die Jobcenter für die Kundeninnen und Kunden zu groß werden. Ein Bewilligungszeitraum über ein Jahr ist nur vorgesehen, wenn davon auszugehen ist, dass die Leistungszahlung über den gesamten Zeitraum gleichbleibt . Bei Betrieben oder Tätigkeiten, deren Eigenart eine jahresbezogene Betrachtung erfordert, ist auch solches Einkommen zu berücksichtigen, das in der Saisonzeit oberhalb der Bedarfsgrenze zur Verfügung stand. In diesen Fällen ist eine jährliche Betrachtung vorzunehmen und der Bewilligungszeitraum ist dann auf zwölf Monate festzulegen. Steuererklärungen/Steuerbescheide von Leistungsbezieherinnen und Leistungs-beziehern können bei der Prüfung und Anrechnung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Entscheidungen nach dem SGB II sind unabhängig vom Steuerrecht zu treffen. Während im Steuerrecht fiktive Ausgaben bspw. durch Abschreibungen zulässig sind, geht es bei der Einkommensermittlung im SGB II nur um tatsächlich erzielte Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 814 3 Einnahmen und tatsächlich erfolgte Ausgaben innerhalb des jeweiligen Bewilligungszeitraumes. Hinsichtlich der Ausgaben ist durch die Jobcenter auch zu prüfen, ob diese Ausgaben im Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit der Art und Höhe nach notwendig und angemessen waren. Anders als im Steuerrecht endet der Bewilligungszeitraum nach dem SGB II in der Regel nicht am 31.12. eines jeden Kalenderjahres. 12. Wie werden die Mitarbeiter der Jobcenter geschult, um die betriebswirtschaftlichen Abläufe hinter den Angaben der Anlage EKS angemessen beurteilen zu können? Zu 12.: Individuelle Schulungsbedarfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden durch die Führungskräfte erhoben und durch die Jobcenter gedeckt. 13. Wie wird der Eingang der abgegeben Unterlagen der Antragsteller, insbesondere der Anlagen EKS, dokumentiert ? Zu 13.: Die Dokumentation ist individuell geregelt und orientiert sich an den organisatorischen Gegebenheiten der Jobcenter. 14. Wie beurteilt der Senat sich häufende Beschwerden über „verloren“ gegangene Anlagen EKS? Ist dem Senat bekannt, dass im Jobcenter Spandau angeblich bis zu 30% der abgegeben Anlagen EKS „verloren“ gegangen sein sollen? Zu 14.: Dem Senat und der RDBB liegen diesbezüglich keine Erkenntnisse vor. 15. Wenn ja, welche Maßnahmen hat der Senat aus dieser Kenntnis gefolgert, wenn nein, welche Maßnahmen beabsichtigt der Senat aus dieser Information zu ziehen? Zu 15.: Beschwerden von Kundeninnen und Kunden der Jobcenter können grundsätzlich bei den zuständigen Stellen vorgebracht werden. Diesen wird nach Prüfung entsprechend nachgegangen. 16. In welcher Art und Weise sind die Jobcenter auch vor dem Hintergrund einer Missbrauchsgefahr durch vermehrte Unterstützungsanträge von EU-Bürgern aus Südosteuropa gehalten, Unterstützungsanträge für Existenzgründer besonders intensiv zu prüfen? Zu 16.: Die Fördervoraussetzungen sind durch die Jobcenter bei jeder Antragstellung gewissenhaft zu prüfen und einem Missbrauchsverdacht ist nachzugehen. Gesonderte Auflagen für Anträge von EU-Bürgerinnen und EU- Bürger aus Südosteuropa existieren nicht. Berlin, den 12. April 2017 In Vertretung Alexander F i s c h e r Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Apr. 2017)