Drucksache 18 / 10 835 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 22. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. März 2017) und Antwort Ambulante Pflege Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie lang ist in Berlin die Zeitspanne zwischen dem Bekanntwerden eines leistungsauslösenden Hilfsbedarfs beim Sozialhilfeträger bzw. der Antragstellung nach § 18 SGB XII und der Bewilligung dieses Antrags (Leistungen der Hilfe zur Pflege §§ 61 ff. SGB XII)? Bitte differenziert nach Bezirken. Zu 1.: Dem Senat liegen keine belastbaren aktuellen Zahlen aus den einzelnen Bezirken vor. Laut einer anonymisierten Abfrage aus dem Jahr 2013 lag zwischen dem Bekanntwerden des Bedarfs bei dem Sozialhilfeträger und der Bescheiderteilung ein Zeitraum von: - unter drei Monaten in 2 Bezirken - drei Monate bis unter 6 Monaten in 3 Bezirken - mehr als 6 Monate o (unter 5 % der Gesamtfälle) in 2 Bezirken o (5 % bis unter 10 % der Gesamtfälle) in 3 Bezirken o (10 % bis unter 20 % der Gesamtfälle) in 1 Bezirk o (20 % bis unter 30% der Gesamtfälle) in 1 Bezirk 2. Worauf führt der Senat die unterschiedlichen Bearbeitungsdauern in den Bezirken zurück? 3. Hält der Senat die durchschnittliche Bearbeitungsdauer in den Bezirken angesichts der oft erheblichen Bedarfe und der Tatsache, dass die ambulanten Pflegedienste in der Regel sofort tätig werden und den sozialhilfebedürftigen Kunden pflegerisch versorgen, für angemessen ? Zu 2. und 3.: Wichtig ist, dass Pflegebedürftigen, die auf Leistungen der Hilfe zur Pflege angewiesen sind, zeitnah und bedarfsdeckend die entsprechenden Leistungen zur Verfügung gestellt werden. Hierfür ist es erforderlich , sowohl den pflegerischen als auch den ggf. sozialhilferechtlichen Bedarf festzustellen. Sofern Hilfsmaßnahmen unaufschiebbar erforderlich sind, sind die Leistungsanbieter verpflichtet, den notwendigen Bedarf zu decken. Es ist den Leistungsanbietern zumutbar, insoweit in Vorleistung zu treten. Regelmäßig können diese davon ausgehen, dass angemessene Kosten, die den Leistungserbringern durch notwendige Hilfsmaßnahmen vor Ort entstehen, vom Sozialhilfeträger später auch übernommen werden – sofern der Sozialhilfeträger als Kostenträger verpflichtet ist. Angesichts der hohen Fallzahlen in den Bezirken und aufgrund verzögernder Gründe (bspw. Antragsteller ist vor Ort nicht anzutreffen, Angehörige sind bei der Bedarfsfeststellung erwünscht etc.) sind Bearbeitungszeiten von bis zu sechs Monaten, wie sie im Einzel-fall vorkommen , als vertretbar anzusehen. Für die Bedarfsfeststellung muss berücksichtigt werden, dass das Verwaltungsverfahren bis zur Bescheiderteilung diverse Zwischenschritte erfordert und jeweils Einzelfallprüfungen vorzunehmen sind. Zum einen muss bei jedem Antragsteller der Hilfebedarf festgestellt werden, was jeweils einen Hausbesuch und eine anschließende Auswertung erforderlich macht. Zum anderen kommt bei nicht pflegeversicherten Pflegebedürftigen hinzu, dass eine Begutachtung zur Feststellung des Pflegegrades nicht durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen sondern durch den Sozialhilfeträger durchgeführt und ausgewertet werden muss. Darüber hinaus nimmt auch die Prüfung und Feststellung der finanziellen Bedürftigkeit als Voraussetzung einer Leistungsgewährung durch den Sozialhilfeträger je nach Einzelfall und Ermittlungsaufwand zusätzliche Zeit in Anspruch. Häufig kommen auch die Pflegebedürftigen oder deren gesetzliche Vertreter ihren Mitwirkungspflichten nicht oder nur zeitlich verzögert nach, sodass antragsrelevante Unterlagen oft nicht rechtzeitig vorliegen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 835 2 4. Hält der Senat die Tatsache, dass Leistungen der Pflege zumeist sofort bzw. zumindest ab der gutachterlichen Feststellung des Bedarfs vom Pflegedienst vollumfänglich erbracht werden und der Leistungsanbieter oft erhebliche Summen vorfinanzieren muss, für einen Beitrag zur Verbesserung des ambulanten Pflegeangebots? Zu 4.: Es gilt das zu 2. und 3. Gesagte. Das Interesse der Leistungserbringer an einer kurzfristigen Bedarfsfeststellung und zügigen Kostenübernahme kann nur im Rahmen der gesetzlichen Prüfpflichten des Sozialhilfeträgers berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang finden auf Vertragsebene Abstimmungen zwischen dem Träger der Sozialhilfe und den ambulanten Pflegediensten in Berlin über eine Vereinbarung zu Bearbeitungsfristen und Zahlungsregelungen statt. 5. Wie erklärt sich der Senat den Umstand, dass auffällig viele Bescheide der Sozialämter zur Bewilligung, Kürzung oder Ablehnung des Antrages nach § 18 SGB XII direkt bzw. zeitlich unmittelbar vor der Sechsmonatsfrist für eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG erteilt werden? Zu 5.: Die zu 2. und 3. genannten Gründe führen dazu, dass sich das Verwaltungsverfahren zurzeit im gesetzlich vorgegebenen zeitlichen Rahmen von bis zu 6 Monaten bewegt. 6. In wie vielen Fällen verstarb in den Jahren 2014, 2015 und 2016 der zu Pflegende (zwischen Antragstellung und Bescheiderteilung)? Bitte nach Bezirken differenzieren . Zu 6.: Dem Senat liegen hierzu keine aktuellen Daten vor. 7. Hält der Senat es für angemessen, dass im Falle des Todes des Pflegebedürftigen vor einer Entscheidung im Bezirk der ambulante Pflegedienst, anders als stationäre Einrichtungen nach § 19 Abs. 6 SGB XII, keine Vergütung für seine bereits erbrachten Leistungen erhält? Zu 7.: Der § 19 Absatz 6 SGB XII enthält keine Anspruchsgrundlage für ambulante Pflegedienste auf Erstattung bereits erbrachter Leistungen, wenn der oder die Pflegebedürftige vor der Entscheidung des Sozialhilfeträgers verstirbt. In diesen Fällen ist durch den Sozialhilfeträger noch kein Schuldbeitritt erfolgt. Für bereits erbrachte Leistungen ist im Einzelfall zu prüfen, ob diese aus dem Vermögen der oder des Pflegebedürftigen, die oder der alleiniger Vertragspartner des Leistungserbringers ist, oder von den Erben bei Gesamtrechtsnachfolge zu begleichen sind. 8. Wenn ja, warum wird der Grundsatz „Ambulant vor stationär“ hier umgekehrt? 9. Wenn nein, was unternimmt der Senat, um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen? Zu 8.und 9.: Die bundesgesetzliche Grundlage des § 19 Absatz 6 SGB XII ist eindeutig. Berlin, den 13. April 2017 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Apr. 2017)