Drucksache 18 / 10 836 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 27. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. März 2017) und Antwort Initiative Inklusion Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den Erfolg des Arbeitsmarktprogramms „Initiative Inklusion“? Zu 1.: Das bundesweite Arbeitsmarktprogramm Initiative Inklusion ist Teil des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und soll seit 2011 dazu beitragen, die Situation schwerbehinderter Menschen in Ausbildung und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern. Dafür wurden bundesweit aus Mitteln des Ausgleichsfonds rd. 140 Mio. € zur Verfügung gestellt. Ergänzt wird die Förderung in Berlin durch Mittel aus der Ausgleichsabgabe . Der Senat bewertet den Erfolg des Programmes im Rahmen der finanziellen Gegebenheiten insgesamt positiv . Es ist gelungen, vielen schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern eine berufliche Perspektive aufzuzeigen bzw. Ausbildungsmöglichkeiten zu eröffnen und Arbeitsplätze für ältere schwerbehinderte Menschen zu schaffen. Entsprechend der Richtlinie Initiative Inklusion vom 09.09.2011 sind in Berlin drei Handlungsfelder umgesetzt worden: Handlungsfeld 1 Berufsorientierung schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler Ziel: Die Berufs- und Studienorientierung ist eine verbindliche Aufgabe der allgemeinbildenden weiterführenden Schulen und wird in diesem Rahmen regelmäßig von den Schulen durchgeführt. Ziel des Handlungsfeldes 1 ist es, schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern eine ihren Stärken und Fähigkeiten entsprechende Berufswahlentscheidung zu ermöglichen. Fazit: Seit dem 01.01.2012 wurden insgesamt 1223 Schülerinnen und Schüler mit Schwerbehinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf beruflich orientiert (Stichtag 30.09.2016). In diesem Zeitraum wurden insgesamt 1108 Kompetenz- oder Potentialanalysen durchgeführt , 896 Praktika am allgemeinen Arbeitsmarkt initiiert, 1198 Berufswegekonferenzen durchgeführt und 21 Übergangsbegleitungen in das Arbeitsleben geleistet. Bei 585 Schülerinnen und Schülern erfolgte kein Übergang (verblieben zum Stichtag in der Maßnahme oder Schule). Die 638 Übergänge verteilten sich wie folgt: Berufsvorbereitungsjahr o. ä. 220 Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen 131 Unterstützte Beschäftigung 3 Ausbildung im Betrieb 25 Ausbildung in außerbetrieblicher Einrichtung 48 Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung 3 Werkstatt für behinderte Menschen 112 Sonstige 96 Über die z. B. konkrete Vermittlung in Ausbildung oder sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hinaus, wurde den Schülerinnen und Schülern eine für sie passgenaue Berufsorientierung angeboten und damit das Ziel des Handlungsfeldes grundsätzlich erreicht. Handlungsfeld 2 Handlungsfeld neue Ausbildungsplätze für schwerbehinderte junge Menschen in Betrieben und Dienststellen des allgemeinen Arbeitsmarktes Ziel: Für schwerbehinderte junge Menschen sollten im Land Berlin in zwei Jahren mindestens 59 neue Ausbildungsplätze bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern geschaffen werden. Die Förderung sollte nach Beendigung der Ausbildung zur Übernahme in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis beitragen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 836 2 Fazit: In den Jahren 2012 und 2013 wurden insgesamt 59 Ausbildungsplätze bei Arbeitgebern des allgemeinen Arbeitsmarktes gefördert. Damit wurde dieses Ziel erreicht . 13 schwerbehinderte Jugendliche wurden nach bestandener Ausbildung in ein zeitlich befristetes bzw. unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Dieses entspricht einem prozentualen Anteil an der Gesamtzahl der geförderten Plätze von 22%. Handlungsfeld 3 Handlungsfeld neue Arbeitsplätze für ältere schwerbehinderte Menschen Ziel: Für schwerbehinderte arbeitslose oder arbeitssuchende Menschen, die das 50. Lebensjahr vollendet haben , sollten im Land Berlin in vier Jahren mindestens 181 neue Arbeitsplätze bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern geschaffen werden. Dabei standen insbesondere arbeitslose, schwerbehinderte Frauen und schwerbehinderte Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Fokus. Mit der Förderung sollte erreicht werden, dass die Zahl der beschäftigten älteren schwerbehinderten Menschen in Betrieben und Dienststellen steigt und ein geförderter Arbeitsplatz nach Ablauf der Förderung dauerhaft bestehen bleibt. Fazit: In den Jahren 2012 bis 2015 wurden insgesamt 181 Arbeitsplätze gefördert. Das Ziel wurde damit auch in diesem Handlungsfeld erreicht. Über die Nachhaltigkeit dieser Förderung - also Weiterbeschäftigung nach Auslaufen der Förderung - liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 2. Wie hoch war die Vermittlungsquote von Jugendlichen mit Behinderung durch dieses Programm in reguläre Beschäftigungsverhältnisse? Zu 2.: Der Senat verweist hierzu auf die Antwort zu Frage 1 (Handlungsfelder 1 und 2 (Fazit)). 3. Wird sich der Senat nach dem Ende von „Initiative Inklusion“ im Sommer 2017 um eine Fortsetzung des Programms bemühen bzw. dies initiieren? Wenn nein, warum nicht? Zu 3.: Die Handlungsfelder 2 und 3 sind bereits 2013 bzw. 2015 ausgelaufen, das Handlungsfeld 1 endet mit dem Schuljahr 2016/2017. Eine Fortsetzung der Initiative Inklusion als Bundesprogramm gibt es nicht. Stattdessen soll im Sinne des Ziels des Handlungsfeldes 1 von den allgemeinbildenden Schulen im Rahmen ihrer Zuständigkeit eine inklusive Berufsorientierung durch Schulberaterinnen und Schulberater initiiert werden , die sich anders als die Initiative Inklusion nicht ausschließlich an Schülerinnen und Schüler mit Schwerbehinderungen richtet, sondern im Sinne eines erweiterten Inklusionsbegriffes alle Dimensionen von Vielfalt berücksichtigen wird. Das Vorhaben aus den Richtlinien der Regierungspolitik , möglichst viele schwer-behinderte Menschen dabei zu unterstützen, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu erlangen oder beizubehalten, wird umgesetzt . So wird in Berlin zur Unterstützung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und schwerbehinderten Menschen neben den einmaligen und regelmäßigen begleitenden Finanzierungshilfen aus der Ausgleichsabgabe durch das Integrationsamt u. a. im kommenden Jahr das Budget für Arbeit eingeführt. Abschließend kann festgestellt werden, dass es nicht nur um die Weiterführung eines Programmes gehen kann, vielmehr muss nach Beendigung der Initiative Inklusion ein auf die Bedürfnisse der schwerbehinderten Menschen, vor allem schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler, zugeschnittenes Angebot im Land Berlin vorgehalten werden. 4. Wie hoch ist andererseits die Quote von Werkstattbeschäftigen , die pro Jahr aus einer WfbM auf den regulären Arbeitsmarkt wechseln im Durchschnitt der letzten fünf Jahre? Zu 4.: Entsprechend nachstehender Tabelle beliefen sich die Übergangszahlen aus den Berliner Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wie folgt: Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 Anzahl Werkstattbeschäftigte 7.942 8.143 8.242 8.415 8.560 Übergänge allgemeiner Arbeitsmarkt 46 48 48 34 46 davon Übergänge in Integrationsprojekte 4 2 10 9 11 Übergänge zur Ausbildung 11 17 11 7 8 Sonstige Arbeitsplätze 31 29 27 18 27 Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre sind jährlich 44,4 Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Bezogen auf die Gesamtzahl der beschäftigten Menschen mit Behinderungen in den Berliner WfbM entspricht das über den Zeitraum der Jahre 2011-2015 einer durchschnittlichen jährlichen Quote von rd. 0,53 Prozent an Menschen, die von der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt übergegangen sind. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 836 3 5. Teilt der Senat die Einschätzung, dass es leichter und inklusiver ist, junge Menschen mit Handicap direkt in ein reguläres Anstellungsverhältnis zu bringen als den „Umweg“ über eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu gehen? Zu 5.: Nein, diese Einschätzung teilt der Senat nicht. In der Tat wäre das Ziel einer vollständigen Inklusion erreicht, wenn auf alle speziellen Angebote für die verschiedenen Zielgruppen verzichtet werden könnte und die verfügbaren Regelangebote für alle gleichermaßen nutzbar und sinnvoll wären. Dies wird aber in vielen Bereichen , so auch bei dem Personenkreis, dem bisher ausschließlich in Werkstätten für behinderte Menschen eine Beschäftigung angeboten werden konnte, nicht möglich oder zielführend sein. Für viele Menschen mit Behinderungen ist die Werkstatt der geeignete und geschützte Rahmen, um eigene Potentiale und Kompetenzen bestmöglich einbringen zu können. In anderen Fällen leistet die Werkstatt einen unverzichtbaren unterstützenden Beitrag bei der Vermittlung junger Menschen mit Behinderungen in Ausbildungsoder Arbeitsverhältnisse auf den allgemeinen Arbeitsmarkt . 6. Wie wird der Senat künftig generell die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt umsetzen und bis wann werden damit alle Beschäftigten einer WfbM eine Tätigkeit auf dem regulären Arbeitsmarkt aufnehmen können? Zu 6.: Mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) erhalten behinderte Menschen , die die Anspruchsvoraussetzungen für die Teilhabe am Arbeitsleben im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen erfüllen, auf Antrag ein Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX –neu-). Voraussetzung dafür ist, dass von einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit einer tarifvertraglichen und ortsüblichen Entlohnung angeboten wird. Damit wird eine Alternative zur Werkstattbeschäftigung geschaffen. Inwieweit diese Möglichkeit zum Tragen kommen wird, bleibt jedoch noch abzuwarten. In der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung werden derzeit die Rahmenbedingungen für diese neue Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben entwickelt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass damit alle Beschäftigten einer Werkstatt für behinderte Menschen in absehbarer Zeit eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnehmen können oder wollen. Von daher wird man auch in Zukunft nicht auf Werkstätten für behinderte Menschen verzichten können. Zudem schätzt der Senat außerordentlich, was die Werkstätten für behinderte Menschen im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben mit und für Menschen mit Behinderungen leisten. Dabei erkennt der Senat insbesondere auch die Bemühungen und die Bereitschaft der Werkstattträger an, ungenutzte Potentiale auf dem Berliner Waren- und Dienstleistungsmarkt zu erschließen - z. B. durch die Erweiterung ihrer Angebote an Außengruppen und ausgelagerten Arbeitsplätzen , um so die Nähe zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Berlin, den 12. April 2017 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Apr. 2017)