Drucksache 18 / 10 876 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Niklas Schrader (LINKE) vom 03. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. April 2017) und Antwort Neue Wege in der Drogenpolitik (I): Drogentote verhindern durch Naloxon Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Rahmen erfolgt gegenwärtig die Verschreibung und Anwendung von Naloxon bei OpioidKonsument*innen in Berlin? Zu 1.: Nach Anlage 1 zu § 1 Nr. 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) handelt es sich bei Naloxon um einen verschreibungspflichtigen Stoff, d. h. für die Abgabe von naloxonhaltigen Arzneimitteln an Patientinnen und Patienten ist eine ärztliche Verschreibung erforderlich. Gesetzliche Grundlage zur Regelung der Verschreibungspflicht stellt § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) dar. Gemäß § 43 Absatz 1 Satz 1 AMG dürfen naloxonhaltige Arzneimittel für den Endverbrauch nur in Apotheken bei Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung (s. o.) abgegeben werden. Der Einsatz von Naloxon im Drogennotfall (z.B. Überdosierung durch illegale Opioide) wird in Berlin in Drogenkonsumräumen durch bezüglich der Indikationsstellung und der Anwendung geschultes Personal unter ärztlicher Verantwortung praktiziert. Darüber hinaus wird Naloxon im Notfall durch Notärzte und –ärztinnen eingesetzt . 2. Welche rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse sieht der Senat für eine Ausweitung der Anwendung von Naloxon zur Verhinderung von Todesfällen durch Überdosierung , insbesondere im Hinblick auf einen vereinfachten und sicheren Zugang für opioidkonsumierende Menschen sowie nicht konsumierende potentielle Ersthelferinnen und -helfer (z. B. Angehörige)? Zu 2.: Die Verordnung naloxonhaltiger Arzneimittel erfolgt außerhalb der Drogenkonsumräume durch den Arzt/die Ärztin. Im Hinblick auf die Verschreibung durch den Arzt/die Ärztin sind berufsrechtliche Vorschriften und die AMVV zu beachten. Siehe dazu auch Antwort zu 5. Die Anwendung von Naloxon im Notfall durch Laienhelfer und Laienhelferinnen ist möglich, birgt aber Risiken. Die Verabreichung des Arzneimittels allein reicht nicht aus. Neben Kenntnissen der helfenden Person zum Umgang mit dem Arzneimittel benötigt der Patient /die Patientin nach dem Einsatz weitergehende Hilfen (z.B. notärztliche Hilfe oder Versorgung im Krankenhaus ). 3. Welchen Handlungsbedarf und welche Möglichkeiten sieht der Senat im Hinblick auf eine breitere Vermittlung notwendiger Basiskenntnisse und Fertigkeiten im Zusammenhang mit Drogen-Notfällen und Naloxonanwendung (z.B. in Einrichtungen wie Drogenkonsumräumen , Haftanstalten, Entzugs- und Reha-Einrichtungen oder Psychosoziale Betreuung für Substituierte)? Zu 3.: Mitarbeitende der Berliner Justizvollzugsanstalten haben sich über das Verfahren der Naloxonvergabe informiert. Für die Berliner Justizvollzugsanstalten wird die Thematik der Naloxonvergabe aktuell nicht weiter verfolgt. Unterweisungen von drogenabhängigen Gefangenen in der Anwendung von Naloxon erfolgen nicht. Zum Entlassungsmanagement in Entzugs- und Rehabilitationseinrichtungen zu dieser Frage können keine Angaben gemacht werden. In den Berliner Einrichtungen ist die Problematik – Gefahr von Überdosierung – bekannt . Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 876 2 4. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, Rechtssicherheit hinsichtlich der Frage zu schaffen, wann und inwieweit die Verschreibung von Naloxon durch in Berlin praktizierende Ärzt*innen an Opioid-Konsument*innen berufsrechtlich zulässig ist? Zu 4.: Die berufsrechtliche Einschätzung obliegt der Berliner Ärztekammer im jeweiligen Einzelfall. 5. Welche Rechtsauffassung hat der Senat zu der Frage , inwieweit im Falle einer Opioid-Überdosierung bei Verabreichung von Naloxon durch Dritte § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) zum Tragen kommt? Zu 5.: Das Arzneimittel kann nur für einen Patienten bzw. eine Patientin, nicht aber für einen Dritten verschrieben werden. Im Falle, dass ein (helfender) Dritter das vom Drogenkonsumenten/von der Drogenkonsumentin mitgeführte Arzneimittel verabreicht, wäre der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) zu prüfen. Diese kann im Rahmen eines rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) gerechtfertigt sein. Die rechtliche Würdigung wäre im strafrechtlichen Verfahren zu prüfen. 6. Welche Auffassung vertritt der Senat zur rechtlichen Möglichkeit der nasalen Applikation von Naloxon (z.B. off label use) und inwieweit beabsichtigt er, hierzu auf Bundesebene aktiv zu werden? Zu 6.: Bisher gibt es in Deutschland kein naloxonhaltiges Arzneimittel, das für die nasale Applikation als Antidot bei Überdosierungen mit Opioiden zugelassen ist. Nach hiesiger Kenntnis liegen jedoch bei der europäischen Zulassungsbehörde European Medicines Agency (EMA) und bei der nationalen Zulassungsbehörde Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Anträge für die Zulassung von naloxonhaltigen Nasensprays mit einer entsprechenden Indikation vor (für die zentrale Zulassung bei der EU bzw. für die dezentrale Zulassung in Deutschland). Die Anträge sind noch nicht abschließend bearbeitet. Wenn ein Arzneimittel zugelassen wird, gilt diese Zulassung u. a. für eine bestimmte Indikation, Darreichungsform und Anwendungsart. Ein sogenannter off-label-use liegt vor, sofern ein Arzneimittel außerhalb der genehmigten Zulassung eingesetzt wird. Aus arzneimittelrechtlicher Sicht ist ein zulassungsüberschreitender Einsatz eines Arzneimittels zwar durch die Therapiefreiheit der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes gedeckt, wirft aber sowohl für die Ärztin und den Arzt als auch für den pharmazeutischen Unternehmer haftungsrechtliche Fragen auf, da die Gefährdungshaftung nach § 84 AMG von einem bestimmungsgemäßen, also zulassungskonformen Gebrauch eines Arzneimittels ausgeht. Vor dem Hintergrund der o.g. Zulassungsanträge sind zu den rechtlichen Möglichkeiten der nasalen Applikation vom Senat gegenwärtig keine Aktivitäten geplant. Berlin, den 20. April 2017 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. April 2017)