Drucksache 18 / 10 883 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Fréderic Verrycken (SPD) vom 23. März 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. April 2017) und Antwort Antisemitismus an Berliner Schulen Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele antisemitische Vorfälle wurden in den Jahren 2014-2016 an Berliner Schule registriert? Zu 1.: Die Beantwortung der Frage erfolgte bereits in der Schriftlichen Anfrage 18/10306 unter Punkt 7. 2. Welche Beschwerdestellen und -möglichkeiten gibt es für betroffene Schüler und Lehrer? Zu 2.: Die Beantwortung der Frage erfolgte bereits in der Schriftlichen Anfrage 18/10306 unter Punkt 5. Ergänzend können weitere Maßnahmen aus dem Berliner Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus benannt werden. Im Falle antisemitischer Vorfälle hat die „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)“ des Trägers Verein für demokratische Kultur in Berlin e. V. in Zusammenarbeit mit jüdischen und nicht-jüdischen Organisationen ein Melde-Netzwerk für antisemitische Vorfälle in Berlin aufgebaut. RIAS hat Arbeitsweisen entwickelt, die sich an den spezifischen Bedürfnissen der jüdischen Gemeinschaften Berlins orientiert und die den Besonderheiten antisemitischer Erscheinungsformen inhaltlich Rechnung tragen. So ermutigt RIAS die Meldenden antisemitischer Straftaten Anzeigen bei der Polizei zu stellen und kann dabei auch unterstützend auftreten (vgl. https://reportantisemitism .de ). Fachliche Expertise und Beratungsleistungen bei antisemitischen Übergriffen bieten auch die nachfolgend im o. g. Landesprogramm geförderten Projekte: • „ReachOut - Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ in Verbindung mit „Psychologische Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ beide in der Trägerschaft des Ariba e. V. und • Antidiskriminierungsnetzwerk des TBB (Träger: Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg e. V.) „ReachOut“ bietet Opfern rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt Hilfe und Beratung. Es handelt sich um ein besonders niedrigschwelliges Angebot und soll die Opfer möglichst zeitnah nach einem erlittenen Angriff erreichen. Im Mittelpunkt der Arbeit von ReachOut steht die Beratung, Begleitung und Unterstützung von Opfern und deren Angehörigen. Das Projekt ist in der Lage im Bedarfsfall auch psychotherapeutische Beratung anzubieten. Die Beratung ist parteilich im Sinne der Betroffenen. Das Antidiskriminierungsnetzwerk des TBB bietet dagegen Beratung und Unterstützung in Diskriminierungsfällen . 3. Welche Maßnahmen gibt es seitens des Senats im Kampf gegen Antisemitismus an Schulen? 4. Welche Projekte und Programme im Kampf gegen Antisemitismus werden vom Senat gefördert? Zu 3. und 4.: Die Beantwortung der Frage 4 in Bezug auf Maßnahmen der Jugendbildung erfolgte bereits in der Schriftlichen Anfrage 18/10306 unter Punkt 9. Zusätzlich können folgende Maßnahmen benannt werden: Die im Rahmen des Landesprogramms geförderten Maßnahmen gegen Antisemitismus bieten a) pädagogische Formate, die sich in der Regel an Schülerinnen und Schüler bzw. Jugendliche wenden. Überwiegend wird in Form von Projekttagen oder – wochen in der Schule oder in Räumen des Projekts gearbeitet . Angesprochen sind also in der Regel Schulklassen in ihrer jeweiligen vielfältigen Zusammensetzung. Deshalb wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ selbstverständlich entsprechend der Zusammensetzung der jeweiligen Gruppe Antisemitismus verschiedener Ausprägung thematisiert. Projekte in diesem Arbeitsbereich sind: Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 883 2 Aktion Courage e.V.: "Landeskoordination Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" Amadeu Antonio Stiftung "Praxisstelle für antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit" Anne Frank Zentrum e. V.: "Anne Frank: Geschichte für die Gegenwart" Anne Frank Zentrum e. V.: Vielleicht ziehen wir auch weiter… Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.: "Die Freiheit, die ich meine" Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.: "Vorurteile abbauen, antisemitische Ressentiments bekämpfen " Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.: „Augen auf! Rassismus und Einwanderungsfeindlichkeit entgegentreten“ Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) e. V.: "Anerkennen, auseinandersetzen, begegnen - präventive pädagogische Konzepte gegen Antisemitismus für die Migrationsgesellschaft" Miphgasch Begegnung e.V. - "Für ein vielfältiges und friedliches Zusammenleben in Berlin. Interkulturelle und multiperspektivische Bildungsarbeit gegen Antisemitismus und rassistische Diskriminierung mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen" b) Einige Projekte stellen stärker auf rechtsextreme oder islamistische Radikalisierung ab, bearbeiten jedoch in diesem Kontext auch das Thema „Antisemitismus“. Diese Projekte tragen zur Vermittlung von interkulturellen und interreligiösen Kompetenzen, zum Abbau von Vorurteilen und zur Förderung von Toleranz sowie eines empathischen und respektvollen Umgangs miteinander bei. Zudem wird der Nahostkonflikt thematisiert. Diese Inhalte fördern auch die Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus. Diese Projekte leisten neben der Bildungsarbeit Beratung in Einzelfällen vermuteter Radikalisierung aufgrund von Hinweisen aus dem familiären oder schulischen Umfeld . Aufgrund ihrer Expertise und der vorhandenen Sprachkenntnisse wirken die Projekte von Violence Prevention Network e.V. und Ufuq e.V. auch in die muslimische Community hinein. Violence Prevention Network e. V. "Empowerment muslimischer Communities zur Prävention von islamisch begründetem Extremismus - BA- HIRA" Violence Prevention Network e. V. „Crossroads - Radikalisierungsvermeidung und Deradikalisierung mit rechtsextremen und rechtsextrem gefährdeten Jugendlichen, jungen Erwachsenen und deren Angehörigen“ Ufuq e.V. „Protest, Provokation und Propaganda. Fortbildungen , Beratung und Begleitung für pädagogische Fachkräfte in der Islamismusprävention“ c) Die beiden mobilen Beratungsteams „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ (Träger: Verein für demokratische Kultur in Berlin - VDK e. V.) und „Mobiles Beratungsteam Berlin – für Demokratieentwicklung“ (Träger: Stiftung SPI) beraten Organisationen oder zivilgesellschaftliche Gruppen im Hinblick auf alle Aspekte der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einschließlich des Themenfeldes „Antisemitismus“. Beide Teams sind in Beratungsprozesse an Berliner Schulen eingebunden und können – auf Anfrage - mit ihrer Expertise schulische Entwicklungsprozesse befördern bzw. im Hinblick auf den angemessenen Umgang mit rechtsextremen oder antisemitischen Vorfällen beraten. Darüber hinaus wurden in der Vergangenheit mehrere Veranstaltungen in der Reihe „Die Landeskommission Berlin gegen Gewalt im Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis, aus Politik und Verwaltung“ in dem Themenbereich durchgeführt. Des Weiteren veröffentlichte die Landeskommission Berlin gegen Gewalt 2015 eine Studie von Dr. Michael Kohlstruck und Dr. Dr. Peter Ullrich zu den verschiedenen Phänomenen des Antisemitismus in Berlin. 5. Wie wird die Ausbildung und Fortbildung von Lehrkräften, Erziehern und Pädagogen im Bereich Antisemitismus sichergestellt? Zu 5.: Die Beantwortung der Frage erfolgte in Bezug auf die Ausbildung bereits in der Schriftlichen Anfrage 18/10306 unter Punkt 2. Es gibt zahlreiche Fortbildungen, die sich - häufig ausgehend vom Nationalsozialismus - unter anderem auch dem Thema Antisemitismus widmen. Es werden keine ausdrücklich separaten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema angeboten, sondern die Fortbildungsangebote werden in den Themenkomplex „Menschenrechte und Demokratie“ eingeordnet. Im Bereich der Weiterbildung wird dieses Thema tangential in den Fachinhalten der Maßnahmen für die Fächer Ethik und Gesellschaftswissenschaften aufgegriffen. Die Leiterinnen und Leiter der Schulpraktischen Seminare wurden im März 2017 im Rahmen einer großen Auftaktveranstaltung für das Thema Demokratiebildung (insbesondere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) u.a. mit den Erkenntnissen der Studie zur „Enthemmten Mitte“ sensibilisiert und erarbeiten im Nachgang neue Formate, um sowohl Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter als auch Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter zum Umgang mit Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen fort- bzw. auszubilden. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 883 3 6. Welche Begegnungsmöglichkeiten gibt es an Berliner Jugend- und Bildungseinrichtungen mit der jüdischen Community? Zu 6.: In den Bereichen der Jugendarbeit gem. § 11 Sozialgesetzbuch VIII gibt es verschiedene Begegnungsmöglichkeiten mit der jüdischen Community. So finden u.a. in der Internationalen Jugendarbeit bi- und trinationale Jugendbegegnungen mit Israel und arabischen Ländern, wie z.B. Palästina, statt. Im Zusammenhang von Angeboten der außerschulischen historisch-politischen Bildung in den vom Land Berlin geförderten 7 Jugendbildungsstätten finden Seminare für Schulklassen mit Zeitzeugen aus der jüdischen Community statt. Darüber werden gemeinsam mit der Jerusalem Foundation ein interdisziplinärer Fachkräfteaustausch (für Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte) und ein trinationales kulturelles Partnerschaftsprojekt für Jugendliche aus Jerusalem, Berlin und Paris geplant. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die der eher jüdischen Community zuzurechnen sind, gehören zu den Partnern der Berliner Landeszentrale für politische Bildung (LZ). Da die LZ nur Einzelprojekte von Trägern fördert, kann sie zu der Regelarbeit der Berliner Jugendund Bildungseinrichtungen keine Aussagen treffen. In den letzten Jahren lagen der LZ keine Anträge für Begegnungen mit der jüdischen Community vor. 7. Wie wird sichergestellt, dass jeder Berliner Schüler die Möglichkeit hat, an einer Gedenkstättenfahrt teilzunehmen ? Zu 7.: Die Planung und Durchführung von Gedenkstättenfahrten liegt, wie jede Schülerfahrt, in der Eigenverantwortung der Schule. Gemäß § 76 Absatz 2 Nummer 7 Schulgesetz i.V.m. Nr. 4 Absatz 2 Satz 1 der Ausführungsvorschrift Veranstaltungen beschließt die Schulkonferenz die Grundsätze zur Durchführung von Schülerfahrten , u.a. die pädagogische Zielsetzung der Fahrt. Unterstützend werden Mittel bzw. Zuschüsse für Gedenkstättenfahrten sowie Schülerbegegnungen im Rahmen von Landesmitteln und der Förderung durch die Bethe-Stiftung bereitgestellt. Bei Schülerinnen und Schülern , die Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) haben, übernimmt die Fahrtenfinanzierung der jeweilige Leistungsträger. Im Rahmen der außerschulischen Jugendbildung stehen zur Durchführung von Gedenkstättenfahrten in ehemaligen Konzentrationslagern (insbesondere Auschwitz) Mittel in Höhe von 25.000 Euro bereit. Die Gedenkstättenfahrten werden vom Verein zur Förderung der politischen Bildung e.V. durchgeführt. Berlin, den 11. April 2017 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. April 2017)