Drucksache 18 / 10 923 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christian Gräff (CDU) vom 07. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. April 2017) und Antwort Nutzfahrzeuge und Luftreinhaltung Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Empfehlungen zur Fahrzeugbeschaffung (speziell Transporter) können aktuell den Berliner Unternehmen gegeben werden? Frage 2: Ist bei Dieselfahrzeugen eine Euro 6- Einstufung ausreichend oder sind weitergehende Anforderungen einzuhalten, und wenn ja, welche? Frage 3: Welche Kriterien sollten Fahrzeugkäufer unter Umweltgesichtspunkten neben der Euro-Klasse berücksichtigen und wer gibt konkrete und verlässliche Empfehlungen? Antwort zu 1, 2 und 3: Mit Blick auf Schadstoffemissionen (vor allem Partikel, Stickoxide) und Kohlendioxidausstoß muss aufgrund der unterschiedlichen Verfügbarkeit emissionsarmer Kfz-Antriebstechnologien (elektrisch, plugin-Hybrid, Erdgas) zwischen leichten Nutzfahrzeugen (bis 3,5 t) und schweren Nutzfahrzeugen (ab 3,5 t) unterschieden werden. Bei schweren Nutzfahrzeugen sind aufgrund der erforderlichen höheren Motorleistung momentan kaum volloder hybrid-elektrisch angetriebenen Lkw auf dem Markt verfügbar, so dass bis auf Weiteres auf Verbrennungsmotoren zurückgegriffen werden muss. Hier sind Fahrzeuge mit Erdgasantrieb (CNG) zu bevorzugen, da sie kaum Partikel emittieren und hinsichtlich der Stickoxidemissionen dem Dieselantrieb deutlich überlegen sind. Nachdem die Bundesregierung nunmehr endlich beschlossen hat, die lang angekündigte Verlängerung der ermäßigten Energiebesteuerung für Erdgas als Kraftstoff auf den Weg zu bringen (siehe auch Antwort zu Frage 7), besteht nun endlich Gewissheit, dass Erdgas-Lkw bis auf Weiteres sehr kostengünstig und bei einer CNG-Tankstellendichte von fast 900 Tankstellen deutschlandweit und 24 Stationen allein in Berlin auch zuverlässig betrieben werden können. Sollte für den gewünschten Einsatzzweck kein Erdgas-Lkw verfügbar, sein kann auch auf Diesel-Lkw der neuen Euro VI-Norm zurückgegriffen werden. Anders als bei den leichten Nutzfahrzeugen und den Pkw müssen schwere Euro VI-Lkw bei der Typgenehmigung bereits seit Jahren zusätzliche Anforderungen in Form niedriger realer Fahremissionen einhalten, so dass neue schwere Nutzfahrzeuge der Euro VI Norm auch hinsichtlich der Stickoxidemissionen im Vergleich zu den Vorgängernormen eine deutliche Verbesserung zeigen. Kleine Nutzfahrzeugen bis 3,5 t mit Dieselantrieb – selbst jene mit der neuesten Euro6 Norm - stoßen ähnlich wie Diesel-Pkw in der realen Fahrpraxis zum Teil hohe Mengen an Stickoxiden aus, so dass die Verbesserung gegenüber älteren Dieselfahrzeugen vergleichsweise bescheiden ausfällt. Damit zukünftig nur noch Diesel-Pkw und leichte Lkw mit niedrigen realen Fahremissionen auf den Markt gebracht werden können, hat der europäische Gesetzgeber in den EU-Verordnungen 2016/427 und 2016/646 ein Verfahren für die Messung der realen Fahremissionen und bei der Typzulassung einzuhaltende Obergrenzen dieser Emissionen festgelegt, die je nach Fahrzeuggewicht ab September 2019/20 und Januar 2021/22 in zwei Stufen verbindlich anzuwenden sind. Allerdings müssen die Fahrzeug-Hersteller bereits seit Mai 2016 Messungen der realen Fahremissionen für Stickoxide durchführen und veröffentlichen. In der Stufe 2 (Euronorm 6d) wird verlangt , dass die realen Fahremissionen 120 mg Stickoxide pro gefahrenen Kilometer nicht überschreiten. Es wird empfohlen, sich bei Kauf eines leichten Nutzfahrzeugs mit Dieselantrieb vom Händler verbindlich bestätigen zu lassen, dass die nach den oben genannten EU- Vorschriften bestimmten realen Fahremissionen des Fahrzeugs den oben genannten Grenzwert einhalten. Kleine Nutzfahrzeuge mit anderen Antriebsarten sind von dieser Problematik nicht berührt. Dies gilt insbesondere für die, für viele kleine Nutzfahrzeuge angebotene Erdgasvariante, bei der im realen Fahrbetrieb selbst im Vergleich zu einem sauberen Dieselfahrzeug nur ein Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 923 2 Bruchteil der Stickoxidmengen ausgestoßen wird. Auch benzingetriebene Fahrzeuge zeichnen sich durch niedrige Stickoxidemissionen aus. Allerdings werden bei Motoren mit Direkteinspritztechnik nennenswerte Mengen ultrafeiner und deshalb gesundheitsschädlicher Partikel ausgestoßen . Aus diesem Grund müssen solche neue typzugelassene Benzin-Kfz je nach Fahrzeuggewicht ab September 2019 bzw. 2020 einen Partikelfilter haben. Einige Hersteller bieten dies jedoch schon jetzt an, so dass empfohlen wird, beim Kauf von Otto-Fahrzeugen mit Direkteinspritzung einen Partikelfilter nachzufragen. Hinsichtlich der Schadstoff- und Klimagasemissionen schneiden elektrisch angetriebene Fahrzeuge naturgemäß am besten ab, vor allem dann wenn sie mit regenerativem Strom betrieben werden. Auch wenn derzeit das auf dem Markt verfügbare Portfolio an kleinen elektrischen Nutzfahrzeugen noch begrenzt ist, kann vor dem Hintergrund der bestehenden, auch auf Nutzfahrzeuge bis 3,5 t anwendbaren bundesweiten Förderung, die Elektrooption für Unternehmen mit einer eigenen Nutzfahrzeugflotte schon jetzt attraktiv sein, vor allem wenn die tägliche Fahrleistung vorhersehbar und die Fahrzeuge nachts auf dem Firmengelände wieder aufgeladen werden können. Frage 4: Nach welchen Umweltkriterien erfolgt in Berliner öffentlichen Fahrzeugflotten aktuell die Fahrzeugauswahl und wann wurden von Senat und Bezirken die letzten Euro 5-Diesel-Fahrzeuge beschafft? Antwort zu Frage 4: Auf der Grundlage der zuvor beschriebenen Gesichtspunkte werden die in der Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt (VwVBU) verankerten Vorgaben für die Kfz-Beschaffung durch die öffentliche Hand in Berlin neu gefasst. Demnach sollen bei leichten Nutzfahrzeugen alternative Antriebe bevorzugt ausgewählt werden. Dieselfahrzeuge sollen nur in Einzelfällen zulässig sein, wenn vergleichbare Elektro-, Hybrid- oder Erdgasfahrzeuge nicht lieferbar sind. Zudem ist der o.g. Grenzwert für die realen Fahremissionen der Euro 6d-Norm einzuhalten. Diese Kriterien werden in Kürze per Rundschreiben allen betroffenen Verwaltungsbereichen , nachgeordneten Einrichtungen und landeseigenen Unternehmen zunächst als Empfehlung bekannt gegeben , bevor sie im Rahmen einer Fortschreibung der oben genannten Verwaltungsvorschrift verbindlich in Kraft treten. Euro 5 Diesel-Lkw wurden nach den vorliegenden Informationen letztmalig im Jahr 2014 angeschafft. Frage 5: Welchen Anteil an Erdgas-Fahrzeugen haben die Nutzfahrzeugflotten des Senats und der Bezirke aktuell und welche Anteile sind bis zum Jahresende 2017 geplant (bitte die Bezirke jeweils einzeln aufschlüsseln)? Antwort zu 5: Seitens der Landesbetriebe verfügt die Berliner Stadtreinigung (BSR) über eine größere Flotte an Erdgasfahrzeugen. Fast zwei Drittel der Müllsammelfahrzeuge der BSR (ca. 150 Fahrzeuge) fährt mit regenerativ erzeugtem Gas, das in der BSR-eigenen Biogasanlage mittels Vergärung von Biomüll erzeugt wird. Das Biogas wird auch ins Erdgasnetz gespeist. Vom Bezirk Treptow-Köpenick und Reinickendorf werden jeweils zwei Erdgas-Nutzfahrzeuge betrieben. Darüber hinaus gehende Informationen liegen nicht vor. Frage 6: Ist eine Förderung der Umrüstung von Nutzfahrzeugen auf Erdgas geplant und wenn ja, wann und mit welchen Fördersätzen ist zu rechnen? Antwort zu 6: Es ist zurzeit keine Förderung geplant. Frage 7: Das Steuerprivileg für Erdgas als Kraftstoff soll ab 2024 abgeschmolzen werden, welche Position vertritt der Senat zu dieser Entscheidung der Bundesregierung ? Antwort zu 7: Berlin begrüßt die leider sehr spät durch die Bundesregierung initiierte, nunmehr vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzesänderung zur Verlängerung der Energiesteuerermäßigung für Erdgas als Kraftstoff. Sie bleibt bis 2024 unverändert bestehen und läuft 2026 ganz aus. Damit ist bis auf Weiteres Investitionssicherheit gewährleistet, die den andernfalls zu befürchtenden Abbau der vorhandenen Tankstelleninfrastruktur für Erdgas (CNG) vermeiden hilft. Mit Blick auf den absehbaren Fortschritt bei der Weiterentwicklung alternativer Antriebstechnologien für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge kann der Erdgasantrieb als Übergangstechnologie angesehen werden, der als Brücke dient weg von Verbrennungsmotoren, die mit Kraftstoffen auf Mineralölbasis betrieben werden hin zu Antrieben auf batterieelektrischer oder Brennstoffzellenbasis. Letztere werden in den nächsten Jahren spürbar wettbewerbsfähiger , so dass eine zeitliche Begrenzung für die Förderung der Übergangstechnologie Erdgas sinnvoll erscheint. Anders als bei Pkw oder leichten Nutzfahrzeugen sind bei schweren Lkw, die zu über 99% mit Dieselmotoren fahren, in den nächsten Jahren wegen der erforderlichen höheren Motorleistung und Reichweite kaum wirtschaftliche Antriebstechnologien auf der Basis von Strom oder Wasserstoff absehbar. Im Gegensatz zu Diesel bietet erneuerbares, aus biogenen Reststoffen und aus Power-to- Gas-Anlagen produziertes Methan ein hohes Treibhausgas -Minderungspotenzial in Form von komprimiertem (CNG) oder flüssigem Erdgas (LNG) als Kraftstoff vor allem für den Verkehr mit schweren Lkw, das angesichts wieder ansteigender straßenverkehrsbedingter CO2- Emissionen verstärkt genutzt werden sollte. Insofern ist eine bundesweite Förderung der dazu notwendigen Infrastruktur , wie zum Beispiel von LNG-Tankstellen, und der Markteinführung von LNG-Lkws auch über 2026 hinaus wünschenswert. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 10 923 3 Frage 8: Welche Möglichkeiten zur kurzfristigen Verbreiterung des Angebotes an Elektro-Nutzfahrzeugen sieht der Senat? Frage 9: Welche Maßnahmen sind aus Sicht des Senates erforderlich, damit Elektrofahrzeuge auch wirtschaftlich konkurrenzfähig würden? Antwort zu 8 und 9: Auf Landesebene wird die Erweiterung des Ladeinfrastrukturangebots konsequent fortgesetzt (vgl. Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Fréderic Verrycken (SPD) vom 08. Februar 2017 und Antwort „Elektroautos - Erfolg in Berlin?“; Drucksache 18/10 517). Insbesondere das im Aufbau befindliche Netz an Schnellladeinfrastruktur eröffnet den Betreibern von leichten Nutzfahrzeugen die Möglichkeit, die Fahrzeugakkus auch außerhalb der Unternehmensgelände nachzuladen und damit die Beschränkungen beim Einsatzprofil und Umwegfahrten schrittweise abzubauen. Es bleibt jedoch festzustellen, dass es auf dem Markt kaum schwere Elektronutzfahrzeuge (über 3,5t) gibt. Bei den hier angebotenen Fahrzeugtypen handelt es sich um sehr kostenintensive Sonderanfertigungen. Die Implementierung der am Markt verfügbaren E-Nutzfahrzeuge ist für den Senat u.a. im Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung (BENE) von Bedeutung. Die Förderung der modellhaften Erprobung von (Nutzfahrzeugen mit) innovativen Antriebssystemen bzw. technischen Ausrüstungen , die zur CO2-Vermeidung beitragen, steht hierbei im Vordergrund. Es sind daneben steuer- und straßenverkehrsrechtliche Instrumente denkbar, die Anreize zur Erweiterung des Fahrzeugangebots und zur Stärkung der Nachfrage nach diesen Fahrzeugen setzen können. Die Gesetzgebungskompetenz für steuer- und straßenverkehrsrechtlichen Regelungen liegt jedoch beim Bund. Das Beispiel der „blauen Plakette“ zeigt, dass dort entsprechende politische Initiativen der Länder derzeit abgelehnt werden. Frage 10: Auf Grund fehlender Alternativen haben noch vor wenigen Monaten viele Unternehmen Nutzfahrzeuge nach Euro 5-Standard beschafft, welchen Umgang empfiehlt der Senat mit im letzten Jahr beschafften Euro 5-Nutzfahrzeugen? Antwort zu 10: Damit auch Fahrzeuge mit Euro-5- Norm möglichst weiter genutzt werden können, setzt sich Berlin dafür ein, dass Nachrüsttechnologien entwickelt und möglichst auch gefördert werden. Dass Nachrüstung funktionieren kann, zeigt das Beispiel der BVG 1 -Busse. So wurden bereits über 200 Busse nachgerüstet, weitere 270-300 Fahrzeuge werden dieses und nächstes Jahr folgen . Mit den angekündigten Fahrverboten in Stuttgart zeichnet sich nun auch ab, dass für Pkw geeignete Systeme entwickelt werden. Sollte sich das bestätigen, wären bundesweite Förderprogramme für den Einbau sinnvoll. Berlin würde sich dann bei der Bundesregierung dafür einsetzen. Dies ist auch ausdrücklich Ziel des Regierungsprogramms des neuen Berliner Senats. Berlin, den 26. April 2017 In Vertretung S t e f a n T i d o w ................................ Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Apr. 2017) 1 Berliner Verkehrsbetriebe