Drucksache 18 / 11 092 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Hans-Christian Hausmann (CDU) vom 26. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2017) und Antwort Umgang mit den Zeugnissen aus der kolonialen Vergangenheit in den kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen Berlins Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Der Senat kann die Fragen nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten. Das Land Berlin unterhält keine Kultureinrichtungen, die über ethnografische Sammlungen verfügen. Da der Senat gleichwohl bemüht ist, Ihnen eine Antwort zukommen zu lassen, hat er die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Berliner Hochschulen um eine Stellungnahme gebeten. Die zur Beantwortung der umfangreichen und komplexen Anfragen eingegangen Stellungnahmen sind in die Beantwortung der Fragen eingeflossen. 1. Liegen im „kolonialen Kontext“ Anfragen oder geltend gemachte Forderungen gegenüber Berliner Museen oder wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin vor, die auf eine Herausgabe von Gegenständen, Sammlungen oder sonstigen Objekten und Materialien jedweder Art bzw. auf deren Rückkehr in die Herkunftsländer abzielen? Zu 1.: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verzeichnet seit einigen Jahren verstärkt Anfragen von Vertreterinnen und Vertretern von Herkunftsgesellschaften sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Einzelobjekten oder Sammlungen aus ehemaligen Kolonien bzw. Kolonialgebieten und deren Erwerbungsgeschichte. In der Regel geht es dabei vorrangig um einen Informationsaustausch und die wissenschaftliche Zusammenarbeit. Nur in sehr wenigen Fällen ist damit auch ein Rückgabeersuchen verbunden; in keinem einzigen Fall liegt bisher ein förmliches Rückgabeersuchen der Regierung des jeweiligen Staates vor. Die Charité führt verstärkt seit 2008 einen Dialog mit Herkunftsgesellschaften und/oder politischen Vertretungen der Herkunftsstaaten über die Rückgabe von sogenannten „Menschlichen Überresten“ (Human Remains). Im Rahmen des 2011 begonnenen Rückgabeverfahrens aus den vorhandenen anthropologischen Präparatesammlungen steht eine dritte Übergabe an die Botschaft von Namibia in Deutschland an. 2. Wenn dies zutrifft, um welche Einrichtungen und Gegenstände bzw. Materialien handelt es sich dabei und werden diese in die Herkunftsländer zurückgeführt bzw. wie ist der Stand der Gespräche und Verhandlungen mit den Herkunftsländern hierüber? Zu 2.: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz führt Gespräche zu unterschiedlichen Objekten u.a. mit Vertreterinnen und Vertretern aus afrikanischen Staaten, aus Nord- und Südamerika sowie aus Australien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch in den Herkunftsstaaten bzw. Herkunftsgesellschaften häufig fraglich ist, wer legitimer Ansprechpartner bezüglich konkreter Objekte sein kann und sich die Auffassungen über Besitz und Eigentum zu Zeiten des häufig nicht dokumentierten Erwerbs erheblich von den heute geltenden Besitz- und Eigentumsregelungen unterscheiden. Bei der avisierten Rückgabe von Human Remains seitens der Charité an Namibia handelt es sich um die „menschlichen Überreste“ von 16 Individuen (10 Schädel, 5 Skelette, 1 Schulterblatt), die dokumentiert sind und zur Übergabe in der Charité gelagert werden. Ein konkreter Übergabetermin wird mit der Botschaft von Namibia vereinbart, sobald diese die Einzelheiten des Transports geklärt hat. Aus Sicht der Charité wäre es wünschenswert, die Übergabe an Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Herkunftsgesellschaften vorzunehmen. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 092 2 3. Betreibt das Land Berlin in seinen wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen Provenienzforschung, um Herkunft und Erwerb fraglicher Gegenstände zu klären ? Zu 3.: Die Provenienzforschung gehört zu den regulären Aufgaben der kulturellen Einrichtungen, wobei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Nach wie vor steht insbesondere die Suche nach NS-Raubgut im Fokus der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hierzu wird auf den letzten Bericht der Kulturverwaltung vom 26.08.2016 an das Abgeordnetenhaus von Berlin („Künftiger Umgang mit NS-Raubkunst“ Drs.17/3126) verwiesen . Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat im Jahr 2015 „Grundpositionen zum Umgang mit ihren außereuropäischen Sammlungen und zur Erforschung der Provenienzen “ veröffentlicht und in diesen „Grundpositionen“ ihre Aufgaben wie folgt festgelegt: „Allen Einrichtungen […] geht es, als Teil ihres wissenschaftlichen Auftrages, auch um die Erforschung der Entstehungsgeschichte und Herkunft ihrer Sammlungen und der einzelnen darin enthaltenen Bestände und Objektgruppen . Dies gilt selbstverständlich auch für die umfangreichen und vielseitigen Sammlungen, die nicht aus einem europäischen Kontext stammen. Allerdings liegen nicht für alle Objekte Informationen vor. So wurden nicht in allen Phasen der Sammlungsgeschichte die Erwerbungsumstände dokumentiert und Unterlagen archiviert , da sich die Beweggründe für das Anlegen von Sammlungen und die wissenschaftliche Methodik im Verlauf der Jahrzehnte verändert haben. Auch durch historische Ereignisse wie den Ersten und Zweiten Weltkrieg hat es einen großen Wissensverlust für deutsche Museums - und Sammlungsdokumentationen gegeben. Auf Grund der Vielzahl und der Verschiedenartigkeit der Objekte in den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, ist es nicht möglich, alle Provenienzen kurzfristig und umfassend aufzuarbeiten und zu klären. Die Geschichte der ab 2019 im Humboldt-Forum präsentierten Objekte wird jedoch vorrangig untersucht. Bei der Erforschung dieser Exponate werden die verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Objekte in die Sammlung kamen, sichtbar. Dies betrifft sowohl die Beziehungen innerhalb Europas als auch die zwischen Europa und den Herkunftsgebieten und nicht zuletzt lokale Verflechtungen in den Herkunftsregionen . Die Ergebnisse dieser Forschungen werden weiterhin in Veröffentlichungen (etwa Ausstellungskatalogen und wissenschaftlichen Publikationen), in Ausstellungen und online zugänglich gemacht. Außerdem sollte überprüft werden, ob Objekte geeignet sind, problematische historische Zusammenhänge zu veranschaulichen, gerade auch solche aus der Kolonialzeit“. Bereits seit 2014 hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz insbesondere die Erwerbungen mit kolonialem Hintergrund, sogenannte „Menschliche Überreste“ und die Erwerbungsumstände der Antiken in den Sammlungen als neue Schwerpunktbereiche für die Provenienzforschung festgelegt. Hervorzuheben sind die Sammlungen des Museums für Vor-und Frühgeschichte, des Ethnologischen Museums sowie des Museum für Asiatische Kunst, soweit sie mit kolonialem Hintergrund in die Einrichtungen gelangt sind oder sein könnten oder „menschliche Überreste“ beinhalten. Dabei werden vorrangig die Bestände untersucht, die künftig im Humboldt-Forum präsentiert werden sollen. Aktuell gibt es z.B. eine Kooperation mit Tanzania zu einem Bestand, der im Zuge des Maji-Maji-Krieges zwischen 1905 und 1907 nach Berlin verbracht wurde und sich heute im Ethnologischen Museum befindet. Dieser Bestand ist erst im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Vorbereitung der Sammlungen für die Präsentation im Humboldt-Forum identifiziert und Tanzania mitgeteilt worden. Die Initiative der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat zu einer Zusammenarbeit mit der Universität Dar-es-Salaam und dem National Museum of Tanzania geführt. Darüber hinaus wird vom Museum für Vor-und Frühgeschichte die von der Charité übernommene anthropologische „Luschan-Sammlung“ wissenschaftlich aufgearbeitet. An der Charité wurde von 2011-2013 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Forschungsprojekt zur Provenienzanalyse von Human Remains in Anthropologischen Sammlungen („Charité Human Remains Project“, https://anatomie.charité.de/geschichte/human remains project) durchgeführt. Die anstehende Repatriierung von Human Remains an Namibia (s. Antwort zu 2.) beruht auf den Ergebnissen dieses Forschungsprojektes. Grundsätzlich ist wegen des Umfangs der zu prüfenden Bestände, der spezifischen Probleme und der fehlenden institutionalisierten Projektförderung davon auszugehen , dass die kolonialzeitliche Provenienzforschung nicht in absehbarer Zeit in den Kultur-und Wissenschaftseinrichtungen abgeschlossen werden kann. 4. In wie vielen und welchen Fällen wurden seit 1991 Forderungen gegenüber Berliner Einrichtungen auf die Herausgabe von Gegenständen aus kolonialem Kontext geltend gemacht? In welchen Fällen waren diese Forderungen erfolgreich, in welchen nicht bzw. konnte ein Vergleich o. ä. (mit Verbleib des betr. Objektes in Berlin) erzielt werden? Zu 4.: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat im Jahr 2003 einen Teil eines „Great Zimbabwe Bird“ als Dauerleihgabe aus dem Bestand des Ethnologischen Museums an Zimbabwe übergeben, ohne die Eigentumsfrage abschließend zu thematisieren. Da die Aufarbeitung der oben genannten Sammlungsbereiche in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz noch nicht abgeschlossen ist, können auch noch keine Verhandlungen über eine eventuelle Rückgabe einzelner Objekte geführt werden. Sobald dazu gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wird die Stiftung diese – wie bisher – transparent und öffentlich zugänglich machen . Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 092 3 Soweit sich Provenienzen nicht vollständig aufklären lassen oder die Provenienzforschung ergibt, dass die Erwerbung in einem „Unrechtskontext“ erfolgt ist, wird – auch im Dialog mit den Herkunftsgesellschaften – der künftige Umgang mit diesen Objekten erarbeitet. Da die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Einrichtung des Bundes ist, hat die Bundesregierung unter anderem am 05.01.2015 zur Rückgabe von Objekten aus ehemaligen Kolonien Stellung genommen (Drs. 18/3711 des Deutschen Bundestages). An der Charité fanden seit 2011 folgende Rückgaben aus anthropologischen Sammlungen statt: - 30.09.2011: Rückgabe von Human Remains von 20 Individuen (Schädel) an Namibia, - 23.04.2012: Rückgabe von Human Remains eines Individuums (Schädel, Skalp mit Haaren, Zunge) an Argentinien/Paraguay, - 26.04.2013: Rückgabe von Human Remainsvon 33 Individuen (26 Schädel, 7 Skelette) an Australien, - 05.03.2014: Rückgabe von Human Remainsvon 21 Individuen (18 Schädel, 3 Skelette) an Namibia, - 25.07.2014: Rückgabe von Human Remains eines Individuums (Schädel) an Tasmanien, - 14.07.2015: Rückgabe von Human Remains von 14 Individuen (Schädel) an Australien, - 23.03.2017: Rückgabe von Human Remains eines Individuums (Schädel) an Australien. Es wird darauf hingewiesen, dass Rückgabeersuchen ausländischer Staaten in diesem Kontext nicht an die Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen sondern auf diplomatischem Wege an das Auswärtige Amt zu richten sind. Berlin, den 10. Mai 2017 Dr. Klaus Lederer Senator für Kultur und Europa (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Mai 2017)