Drucksache 18 / 11 098 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 25. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2017) und Antwort Juristenausbildung in Berlin Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Haben sich die Bewertungen und Erkenntnisse des Senats vor dem Hintergrund der Antwort auf die Frage 1 der kleinen Anfrage (Drs. 17/12956) vom 06.12.13 geändert und wenn ja, wie, wenn nein, warum nicht? Liegen dem Senat diesbezüglich neue Bewertungen und Erkenntnisse vor? 2. Hat sich die Einschätzung des Senats in Bezug auf die Beantwortung der Frage 4 der kleinen Anfrage (Drs. 17/12956) vom 06.12.13 unter Berücksichtigung des bisherigen Zeitablaufs geändert und wenn ja, wie? Zu 1. und 2.: Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder hat mit Beschluss vom 6. November 2014 ihren Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung (Koordinierungsausschuss) beauftragt, einzeln benannte Bereiche der Ausbildung der Juristinnen und Juristen im Hinblick auf weitere länderübergreifende Harmonisierungsmöglichkeiten zu untersuchen. In Umsetzung dieses Auftrags hat der Koordinierungsausschuss unter anderem die Regelung und praktische Durchführung der Schwerpunktbereichsprüfung in den einzelnen Bundesländern eingehend daraufhin untersucht, ob und in welchem Umfang die Ziele der Ausbildungsreform erreicht wurden und bei welchen Punkten Bedarf für Verbesserungen und bundeseinheitlich abgestimmte Regelungen besteht. In seinem im Herbst 2016 vorgelegten Bericht „Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen : Bewertung und Empfehlungen“, der von der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder zustimmend zur Kenntnis genommen worden ist, hat der Koordinierungsausschuss festgestellt, dass die mit der Einführung des Schwerpunktbereichsstudiums im Jahr 2003 verfolgten Ziele weitgehend erreicht worden sind. Zugleich hat er Fehlentwicklungen identifiziert, die ihre Ursache überwiegend nicht in der reformierten Juristenausbildung selbst, sondern in der landesrechtlichen und praktischen Umsetzung haben, und entsprechende Gegenmaßnahmen angeregt. Der Senat bewertet die durch die Ausbildungsreform bewirkten Änderungen in Übereinstimmung mit dem genannten Bericht als weitgehend positiv. Dabei ist festzustellen , dass die in anderen Ländern zu beobachtenden Fehlentwicklungen in Berlin zum Teil vermieden werden konnten. Im Übrigen verfolgt der Senat das Ziel, verbleibenden Unzuträglichkeiten unter Einbindung der Universitäten gegenzusteuern und dabei an möglichst bundeseinheitlichen Lösungen mitzuwirken. Der Bundesgesetzgeber verfolgte mit der Einführung des Schwerpunktbereichsstudiums durch Schaffung des § 5a Abs. 2 Satz 4 Deutsches Richtergesetz (DRiG) folgende Ziele (vgl. Bundestagsdrucksache 14/8629, S. 11 f.): – eine möglichst frühzeitige Berufsorientierung der Studierenden bereits während des universitären Studiums, – eine Ergänzung sowie Vertiefung des Stoffes der Pflichtfächer, – eine Vermittlung der internationalen, insbesondere europäischen, und der interdisziplinären Bezüge des Lehrstoffs, – die Profilierung der jeweiligen juristischen Fakultät durch das Angebot an Schwerpunktbereichen und den Qualitätswettbewerb um die beste Ausbildung , – die Ermöglichung einer der persönlichen Neigung der Studierenden entsprechenden Fächerwahl, – die Stärkung des wissenschaftlichen Arbeitens, – eine schnellere und flexiblere Anpassung der Lehrund Prüfungsinhalte an moderne rechtliche Entwicklungen . Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 098 2 Die Einführung der universitären Schwerpunktbereichsprüfung und die damit einhergehende Aufwertung des bisherigen Wahlfachstudiums haben zu einer stärkeren Spezialisierung der Studierenden geführt. Sie setzen ihren Schwerpunkt frühzeitig nach eigenen Neigungen und Berufswünschen (über 90 % haben ihren Schwerpunktbereich aus eigenem Interesse gewählt und immerhin noch über 60 % mit Blick auf ihre Berufsvorstellung, vgl. Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder zur Koordinierung der Juristenausbildung : Bericht über die Auswirkungen des Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung – Fortsetzung der Evaluation für den Zeitraum Januar 2007 bis Oktober 2010, S. 14). Die Einführung der Schwerpunktbereiche hat auch die Internationalisierung der Berliner Juristenausbildung gefördert. Beide Berliner Universitäten bieten – zusammen mit renommierten internationalen Partneruniversitäten (etwa in London, Paris und Rom) – die Möglichkeit an, wesentliche Teile bzw. sogar die gesamte Schwerpunktausbildung im Ausland zu absolvieren. Die den Universitäten eingeräumten Gestaltungsspielräume ermöglichten etwa der Humboldt-Universität zu Berlin die Einführung des Exzellenzstudiengangs „Europäischer Jurist“, bei dem die Studierenden nach einem erfolgreichen zehnsemestrigen Studium einen deutschen, einen französischen und einen englischen Studienabschluss erhalten. Dieses Angebot wird von besonders guten Studierenden angenommen und mit sehr gutem Erfolg bewältigt . Ferner hat die Einführung der Schwerpunktbereiche eine Flexibilisierung des Studiums ermöglicht. Die Schwerpunktbereichsprüfung kann, in Berlin anders als in einigen anderen Ländern, nach Wahl der Studierenden vor, nach oder auch parallel zur staatlichen Pflichtfachprüfung absolviert werden. Die Möglichkeit, die Schwerpunktbereichsprüfung nach der Pflichtfachprüfung abzulegen , wird gerade auch in den genannten Auslandsstudienprogrammen wahrgenommen. Flexibler sind auch die Universitäten in der Anpassung an neue rechtliche und didaktische Entwicklungen geworden. Sie erproben in den Schwerpunktbereichen neuartige, innovative Lehrformen wie z. B. Moot Courts und Law Clinics, die zum Teil als Leistungen innerhalb der Schwerpunktbereichsprüfung anerkannt werden, und setzen in großem Umfang auch Lehrkräfte aus der Praxis ein. Anpassungen der Lehr- und Prüfungsinhalte an neuartige rechtliche Entwicklungen sind den Universitäten wesentlich schneller und flexibler möglich, als dies im früheren Wahlfachstudium der Fall war. Die Lehrveranstaltungen und universitären Prüfungen in den Schwerpunktbereichen haben zudem die Wissenschaftlichkeit des Jurastudiums gestärkt. Die Studierenden müssen wieder – insbesondere mit Blick auf die Schwerpunktbereichshausarbeit – mehr wissenschaftlich arbeiten. Den Lehrenden eröffnet dies die Chance, ihre Forschungsfelder in das Studium einfließen zu lassen und die Studierenden daran teilhaben zu lassen. Schließlich haben die beiden Berliner Universitäten mit dem Zuschnitt ihrer Schwerpunktbereiche jeweils ein besonderes Profil entwickelt, welches die Attraktivität der Berliner Universitäten und damit letztlich ihre Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb der Hochschulen steigert. Der im Bericht des Koordinierungsausschusses konstatierte Befund einer zu großen Breite der Schwerpunktthemen lässt sich für das Land Berlin nicht bestätigen. So gibt es neben einer unvermeidlichen Schnittmenge, die nicht zuletzt durch die Größe der beiden Fakultäten bedingt ist, jeweils Themenfelder, die als Alleinstellungsmerkmale anzusehen sind und den Universitäten auch im bundesweiten Vergleich eine herausgehobene Stellung sichern. Die im Bericht des Koordinierungsausschusses erörterten Fehlentwicklungen in der reformierten Juristenausbildung kann der Senat für das Land Berlin nur zum Teil nachvollziehen. Insbesondere das Problem der Uneinheitlichkeit der Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen mit zum Teil erheblichen Abweichungen in Zahl und Art der verlangten Prüfungsleistungen stellt sich in Berlin nicht, da der vom Berliner Juristenausbildungsgesetz vorgegebene , bereits begrenzte Rahmen von den Universitäten in ihren Studien- und Prüfungsordnungen in vergleichbarer Weise genutzt worden ist. Es verbleiben die Notendifferenzen; die Kandidatinnen und Kandidaten erzielen in der universitären Schwerpunktbereichsprüfung gegenüber der staatlichen Pflichtfachprüfung auch im Land Berlin regelmäßig bessere Ergebnisse. Über die Ursachen hierfür gibt es keine gesicherten empirischen Erkenntnisse. In Betracht kommt eine überdurchschnittlich gute Bewertung der Studierenden in der universitären Prüfung ebenso wie eine höhere Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Studierenden auf einem Rechtsgebiet, das ihren Interessen und Neigungen entspricht. Ob hier Maßnahmen, etwa eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes, angezeigt sind, wird, dem Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder vom 17. November 2016 folgend , derzeit mit den juristischen Fakultäten und dem Deutschen Juristen-Fakultätentag erörtert. Der Senat verfolgt diesen Prozess aufmerksam und wird daraus, sobald der Koordinierungsausschuss im November 2017 seinen Folgebericht vorgelegt hat, gegebenenfalls Schlussfolgerungen ziehen. 3. Wie stellten sich – vor dem Hintergrund der Antwort auf Frage 2 der kleinen Anfrage (Drs. 17/12956) vom 06.12.13 – die Ergebnisse des 1. Juristischen Staatsexamens in den Jahren 2014 bis 2016 in Berlin dar (bitte nach Kampagne und Jahr getrennt darstellen)? Zu 3.: Im Gegensatz zur staatlichen Pflichtfachprüfung , die – wie die erste juristische Staatsprüfung nach „altem Recht“ – kampagnenweise durchgeführt wird, stellt für den Abschluss der ersten juristischen Prüfung nach „neuem Recht“ die Prüfungskampagne keinen geeigneten Parameter dar. Da keine Reihenfolge für die Absolvierung der beiden Teile der ersten juristischen Prüfung (universitäre Schwerpunktbereichsprüfung und Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 098 3 staatliche Pflichtfachprüfung) festgeschrieben ist, kann die universitäre Schwerpunktbereichsprüfung auch erst nach der staatlichen Pflichtfachprüfung abgelegt werden, so dass dann die Erteilung des Gesamtzeugnisses nicht mit dem Ende einer Kampagne zusammenfällt, sondern erst später erfolgt. Eine kampagnenweise Darstellung führt mithin zu nicht vergleichbaren Ergebnissen, da diese davon beeinflusst werden, in welchem Umfang Prüflingen zum Stichtag bereits das Gesamtzeugnis erteilt wurde. Eine vergleichbare Auswertung kann nur auf Basis des Kalenderjahres erfolgen. Daher und weil auch die für das Bundesamt für Justiz zu erstellenden Jahresübersichten (Bundesstatistik) auf das Kalenderjahr abstellen, erfolgt die Auswertung der Prüfungsergebnisse zum „neuen Recht“ auf Basis des Kalenderjahres. Übersicht über die Ergebnisse der ersten juristischen Prüfungen Land Berlin Erfolgreiche Kandidatinnen und Kandidaten Notenverteilung bei den erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten insgesamt darunter Frauen Zahl % sehr gut gut vollbefriedigend befriedigend ausreichend Zahl % Zahl % Zahl % Zahl % Zahl % 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 2014 826 500 60,5 0 0,0 46 5,6 236 28,6 417 50,5 127 15,4 2015 944 565 59,9 4 0,4 56 5,9 312 33,1 459 48,6 113 12,0 2016 919 538 58,5 2 0,2 59 6,4 309 33,6 423 46,0 126 13,7 4. Welche Ergebnisse wurden durchschnittlich bei den universitären Schwerpunktprüfungen in den Jahren 2014 bis 2016 erzielt (bitte nach Universität und Jahr gesondert darstellen)? Zu 4.: Dem Senat liegen keine Informationen vor, die die Angabe der durchschnittlich in der Schwerpunktbereichsprüfung erzielten Note pro Kalenderjahr ermöglichen würde. In der nachfolgenden Tabelle werden deshalb die Ergebnisse der universitären Schwerpunktbereichsprüfung für die Jahre 2014 bis 2016 nach Notenstufen getrennt ausgewiesen. Übersicht über die Ergebnisse der universitären Schwerpunktbereichsprüfung Land Berlin Uni Geprüfte Kandidatinnen und Kandidaten insgesamt Von den geprüften Kandidatinnen und Kandidaten bestanden bestanden mit der Note insgesamt % sehr gut gut vollbefriedi - gend befriedigend ausreichend Zahl % Zahl % Zahl % Zahl % Zahl % 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 2014 FU 268 254 94,8 7 2,6 53 19,8 82 30,6 79 29,5 33 12,3 HU 350 333 95,1 38 10,9 100 28,6 124 35,4 46 13,1 25 7,1 2015 FU 259 246 95,0 9 3,5 52 20,1 81 31,3 70 27,0 34 13,1 HU 383 371 96,9 36 9,4 113 29,5 159 41,5 56 14,6 7 1,8 2016 FU 359 317 88,3 12 3,3 56 15,6 102 28,4 92 25,6 55 15,3 HU 352 341 96,9 51 14,5 117 33,2 124 35,2 44 12,5 5 1,4 Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 098 4 5. Sind von Seiten des Senats weitere Veränderungen der Ausbildung und Prüfung bis zum 1. Juristischen Staatsexamen geplant, wenn ja, welche? Zu 5.: Der Koordinierungsausschuss hat sich in dem genannten Bericht „Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen: Bewertung und Empfehlungen “ neben der Schwerpunktbereichsprüfung mit einer Vielzahl weiterer Fragen der Ausbildung und Prüfung befasst und hierzu eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet , die einer weiteren Harmonisierung und Vereinheitlichung der Prüfungsbedingungen dienen sollen. Auch diese Vorschläge erörtert der Koordinierungsausschuss gegenwärtig mit den juristischen Fakultäten und wird hierzu im November 2017 einen Folgebericht vorlegen. Die Vorschläge betreffen zum einen technische Einzelheiten (etwa zur Abschichtung von Prüfungsteilen, zu den Zulassungsvoraussetzungen zur mündlichen Prüfung und zum Notenverbesserungsversuch) und laufen auf Regelungen hinaus, die in ähnlicher Form in Berlin bereits geltendes Recht sind. Im Ergebnis Gleiches gilt für die Empfehlungen zur bundesweiten Harmonisierung und Begrenzung des Pflichtstoffs, die auf der Grundlage des Beschlusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder vom November 2016 derzeit diskutiert werden. Soweit dies bisher abgeschätzt werden kann, sind wesentliche Teile dieser Überlegungen in Berlin bereits mit der grundlegenden Reform des Jahres 2003 umgesetzt worden, so dass auch hier voraussichtlich nur noch Randkorrekturen erforderlich sein werden. Berlin, den 09. Mai 2017 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Mai 2017)