Drucksache 18 / 11 099 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 25. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2017) und Antwort Suizide in den Berliner Justizvollzugsanstalten Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den Anstieg der Selbsttötungen in den Berliner Justizvollzugsanstalten im Jahr 2017 im Vergleich zu 2015? Zu 1.: Im Jahre 2017 hat es in den Berliner Justizvollzugsanstalten (JVA) in den ersten vier Monaten fünf Suizidfälle gegeben, während des gesamten Jahres 2016 waren es sieben, im Jahre 2015 zwei, im Jahre 2014 sieben und im Jahre 2013 drei. Der Senat sieht im Vergleich der vergangenen Jahre die Erkenntnis bestätigt, dass die Zahlen der Suizide im Justizvollzug stark schwanken. Sie sind im Internet unter dem Link: http://www.berlin.de/justizvollzug/sicherheit-undpraevention /suiziden-vorbeugen/ abrufbar. 2. Wie bewertet der Senat die Anzahl der Selbsttötungsversuche in den Berliner Justizvollzugsanstalten? Zu 2.: Die Ursachen für Suizide und auch Häufungen von Suiziden sind äußerst vielfältig. Von Bedeutung könnten unterschiedliche Faktoren wie Herkunft, Sprache und Suchtproblematik sein. Über Jahre hinweg zeigen die Statistiken über Suizidzahlen allerdings Auf- und Abwärtsbewegungen auch unabhängig von den genannten Faktoren. 3. Welche Maßnahmen unternimmt der Senat zur Verhinderung von Selbsttötungen oder Selbsttötungsversuchen in den Berliner Justizvollzugsanstalten? Zu 3.: In den Justizvollzugsanstalten stand und steht das Thema Suizidprophylaxe bei allen Berufsgruppen im Fokus. Es werden in allen Anstalten Maßnahmen vorgehalten , um Suizidgefährdungen bei Gefangenen zu erkennen , geeignete Interventionsmaßnahmen einzuleiten und Suizidversuche bzw. vollendete Suizide strukturiert aufzuarbeiten . Eine besondere Expertise gibt es in der JVA Moabit und in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Justizvollzugskrankenhaus. Jeder Gefangene wird schon bei Aufnahme in den Vollzug intensiv und individuell auf eine Suizidproblematik hin untersucht. Sobald eine Suizidgefährdung erkannt wird, werden unverzüglich präventive Maßnahmen ergriffen , zu denen vor allem die psychologische Intervention gehört, aber auch die intensive Betreuung durch Sozialdienst und Allgemeinen Vollzugsdienst sowie - bei entsprechender Zustimmung - die Möglichkeit der Unterbringung in sogenannten Begegnungshafträumen. Bei akuter Suizidgefahr erfolgt eine Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum mit Videoüberwachung oder in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Krankenhaus der Berliner Justizvollzugsanstalten. Maßnahmen und Strategien zur Verhinderung von Suiziden von Gefangenen werden konzipiert auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der Suizidforschung. Präventive Maßnahmen sind zentrale Regelaufgabe des Justizvollzuges , in die alle Dienstkräfte (Allgemeiner Vollzugsdienst , Gruppenleitungen, Psychologen) in den Vollzugsanstalten eingebunden sind. Der Erfolg der Maßnahmen ist weder direkt messbar noch im Hinblick auf Wirksamkeitsanalysen auf empirischem Wege valide zu erfassen . Die vorgehaltenen Präventionsmaßnahmen werden teilweise flächendeckend eingesetzt, die Basisrate der Suizidgefährdeten bleibt daher unbekannt, weshalb Ursachen für zeitweilig steigende Suizidzahlen und die Wirksamkeit von Maßnahmen nur sehr ungenau bestimmt werden können. In den Aufnahmeanstalten des geschlossenen Vollzuges , insbesondere in der Untersuchungshaftanstalt Moabit , liegt ein besonderer Fokus auf suizidpräventiven Maßnahmen . Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens zu Beginn des Eintritts in die Aufnahmeanstalt wird von besonders geschulten Dienstkräften ein standardisiertes Verfahren Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 099 2 zur Einschätzung der Suizidgefahr durchgeführt. Bei Vorliegen entsprechender Hinweise kommen Sicherungsmaßnahmen in unterschiedlicher Intensität zur Anwendung , die den Umständen des jeweiligen Einzelfalls angepasst sind. Bei erkannter Suizidalität erfolgt stets eine enge Beobachtung durch den allgemeinen Vollzugsdienst, flankiert von einer intensiven Betreuung durch die zuständige Dienstkraft des Sozialdienstes. Zusätzlich steht zur begleitenden Krisenintervention der Psychologische Fachdienst zur Verfügung. Suizidprävention ist im anstaltspsychologischen Dienst der JVA Moabit ein zentraler Arbeitsschwerpunkt. Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung befindet sich zudem im Hinblick auf das Thema Suizidprophylaxe in einem regelmäßigen fachlichen Austausch mit allen Vollzugsanstalten. An den Besprechungen nehmen Dienstkräfte der verschiedenen Fachdienste teil. Darüber hinaus ist das Thema regelmäßig Gegenstand von Dienstbesprechungen in den Vollzugsanstalten . In der JVA Moabit besteht seit vielen Jahren eine Arbeitsgruppe „Suizidprophylaxe“ mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Teilanstalten, dem ärztlichen und dem psychologischen Dienst sowie den Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die regelmäßig zusammentritt. Außerdem wird in der JVA Moabit aktuell ein Screeningverfahren zur Identifikation suizidgefährdeter Gefangener erprobt . Bei Vorlage der Auswertungsergebnisse der Pilotphase voraussichtlich im Sommer 2017 wird über die Anwendung weiter entschieden. Berlin ist überdies Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft „Suizidprävention im Justizvollzug“ und steht in einem regelmäßigen fachlichen Austausch mit Experten zum Thema Suizidprävention aus anderen Bundesländern. Die Arbeitsgemeinschaft initiierte eine länderübergreifende wissenschaftliche Auswertung von Gefängnis- Suiziden, konzipiert Fortbildungsveranstaltungen und gibt Broschüren mit Empfehlungen für den Umgang mit Suizidalität heraus. In der Aus- und Fortbildung des Personals gibt es regelmäßig Seminare zum Thema Suizidprophylaxe. In das Fortbildungsprogramm der Bildungsstätte des Justizvollzuges werden seit vielen Jahren regelmäßig einschlägige Seminare aufgenommen, die Dienstkräften aus allen Berufsgruppen offen stehen. Alle Bediensteten des Allgemeinen Vollzugsdienstes werden im Rahmen ihrer Ausbildung in verschiedenen Unterrichtsfächern diesbezüglich eingehend geschult. Das Thema ist ebenfalls ein Schwerpunkt des Einarbeitungscurriculum für neu eingestellte Fachdienstkräfte. 4. Sieht der Senat diesbezüglich Änderungsbedarf, wenn ja, wie? Zu 4.: Zur Intensivierung und Verfeinerung bestehender Konzepte der Suizidprophylaxe ist von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung eine Arbeitsgruppe unter Einbeziehung von Fachkräften aus den Vollzugsanstalten eingerichtet worden . Sie hat die Aufgabe, vorliegende Erkenntnisse, Interventionsschritte und Materialien zu systematisieren, zu bewerten und in Beziehung zu setzen zum aktuellen Wissensstand der Suizidforschung. Als Ergebnis soll unter anderem eine Richtlinie zur Suizidprävention erarbeitet werden. Berlin, den 12. Mai 2017 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Mai 2017)