Drucksache 18 / 11 120 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ronald Gläser (AfD) vom 28. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. April 2017) und Antwort Linksextremismus an Berliner Schulen 2016 Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welchem Rahmen ist die Auseinandersetzung mit Linksextremismus Teil des Lehrercurriculums im Land Berlin? (Bitte Material und Schultyp ausweisen) a) Welche Inhalte sind Teil des Lehrplanes? b) Wie werden Lehrer für linksextreme Äußerungen und den Umgang damit sensibilisiert? c) In welchem Turnus wird auf neue Entwicklungen innerhalb der Szene eingegangen? Zu 1.: Die Rahmenlehrpläne (RLP) des Landes Berlin sowohl für die Jahrgänge 1 bis 10 als auch für die Sekundarstufe II bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für die Auseinander-setzung mit jeglicher Form von Extremismus . Dabei sind die Lehrkräfte immer aufgefordert, die Urteils- und Handlungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu stärken und wertorientiert im Sinne des Grundgesetzes zu unterrichten. Viele Fächer regen z.B. über eine entsprechende Materialauswahl u.a. zu einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Phänomenen an. Siehe: http://www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/faecherrahmenlehrplaene /rahmenlehrplaene/ Darüber hinaus bietet die Senatsverwaltung für Bildung , Jugend und Familie über die Webseite des Bildungsservers Berlin-Brandenburg vielfältige Informationen , Materialien und Angebote außerschulischer Träger zur Unterstützung der Lehrkräfte an, die regelmäßig aktualisiert werden. Siehe: http://bildungsserver.berlinbrandenburg .de/themen/gewaltpraevention/ http://bildungsserver.berlinbrandenburg .de/themen/demokratiebildung/ Zu a): Neben den Fachteilen des Rahmenlehrplans für die Jahrgangsstufen 1 - 10 finden sich Ansätze zur Auseinandersetzung mit dem Thema Extremismus u. a. in den übergreifenden Themen „Demokratiebildung“, „Europabildung in der Schule“, „Interkulturelle Bildung und Erziehung “ sowie „Gewaltprävention“. Der Unterricht erfolgt fachbezogen und/oder fächerübergreifend. Zu b): Die Sensibilisierung für extreme Äußerungen und den Umgang damit erfolgt in unterschiedlichen Fortbildungsangeboten , beispielsweise am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) im Rahmen der Qualifizierung von Schulberaterinnen und Schulberatern zu den o. g. übergreifenden Themen. In diesem Rahmen erfolgt auch die Integration der Thematik in die Fortbildung von Schulleiterinnen und Schulleitern. Der Linksextremismus ist wie der Rechtsextremismus Bestandteil der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen , extremistischen Ideologien. Die Auseinandersetzung mit Extremismus ist u. a. Teil des Grundwerte- Curriculums für Demokratie „Hands for Kids“ (1. - 6. Jahrgangsstufe) und des Grundwerte-Curriculums „Hands across the campus“ (7. - 12./13. Jahrgangsstufe). Zu c): Sowohl bei der regelmäßigen Überarbeitung der o. g. Materialien als auch im Rahmen der Fortbildungen wird auf neue Entwicklungen eingegangen. 2. Gibt es Fort- oder Weiterbildungen für Lehrpersonal zum Themenkomplex Linksextremismus? (Bitte aufschlüsseln nach Art, Titel und Höhe der Selbstbeteiligung ) a) Welche dieser Angebote sind verpflichtend, welche freiwillig? b) In welcher Höhe werden diese Angebote vom Land Berlin gefördert? c) Wie viele Teilnehmer konnten die Kurse 2016 verzeichnen ? d) Bitte ferner aufschlüsseln nach Berufsfeld (Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter u.a.) Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 120 2 Zu 2.: Es gibt im Rahmen der Regionalen Fortbildung zahlreiche Angebote, die sich unter anderem auch dem Thema Linksradikalismus widmen. Dies gilt analog zum Thema Rechtsradikalismus. Es werden keine ausdrücklich separaten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema angeboten, sondern die Fortbildungsangebote werden in den Themenkomplex „Menschenrechte und Demokratie“ eingeordnet. Im Bereich der Weiterbildung wird dieses Thema tangential in den Fachinhalten der Maßnahmen für die Fächer Ethik und Gesellschaftswissenschaften aufgegriffen. Die Maßnahmen werden vom Land Berlin durchgeführt und finanziert. In den Regionalkonferenzen Gesellschaftswissenschaften werden die Fachverantwortlichen auf Projekte und Unterrichtsmaterialien sowie Angebote des LISUM aufmerksam gemacht. Die Fort- oder Weiterbildungen des Lehrpersonals am LISUM fallen außerhalb von Modellprojekten nicht in dessen Zuständigkeit. Der Themenkomplex „Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus“ ist bei Modellprojekten insbesondere in die Fortbildung zum übergreifenden Thema „Demokratiebildung“ integriert. Die Beratungs- und Bildungsstelle „Annedore - für Demokratie, Recht und Freiheit“ (BBS »Annedore«) der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin »Walther May« (Stiftung SPI) bietet Beratung und Fortbildung für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Bildungs- und Jugendarbeit an und hat die Erhöhung der Handlungskompetenz dieser Fachkräfte im Umgang mit politisch motivierter Militanz und Demokratiefeindlichkeit zum Ziel. Zu a): Zur Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen der Regionalen Fortbildung sind die Lehrkräfte Berlins grundsätzlich verpflichtet. Jede Lehrkraft entscheidet in Abstimmung mit der Schulleitung selbst, an welchen Veranstaltungen sie teilnehmen will. Die Angebote am LISUM sind freiwillig und basieren auf Vereinbarungen zwischen den Schulleitungen und den betroffenen Lehrkräften bzw. zwischen den regionalen Schulaufsichten und den Beraterinnen und Beratern. Zu b): Eine Förderung der Angebote des LISUM erfolgt im Rahmen des Staatsvertrages der Länder Berlin und Brandenburg. Zu c): Die Angebote in der Regionalen Fortbildung sind von ungefähr 100 Lehrkräften wahrgenommen worden . An den Fortbildungen des LISUM zu den übergreifenden Themen im Rahmen der Implementierung des Rahmenlehrplans für die Jahrgangsstufen 1 - 10 konnten ca. 600 Schulberaterinnen und Schulberater sowie Schulleiterinnen und Schulleiter aus allen Berliner Bezirken teilnehmen. Zu d): Der geschätzte Anteil von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen lag bei den Fortbildungen zu den o. g. Hands-Programmen bei 40 %. 3. Erachtet es der Senat als gewährleistet, dass jeder Berliner Schüler vor dem Verlassen der Schule zum Themenfeld Linksextremismus und zu neuen Entwicklungen der linksextremen Szene (Strategie, Musikszene, Symbole, Organisationen wie z.B. G-20 Gegner u.a.) sensibilisiert wird? Wenn ja, wie umfassend, wenn nein, warum nicht? Zu 3.: Ja. Der Senat geht davon aus, dass die Berliner Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit zum Themenfeld Links- und Rechtsextremismus sensibilisiert sind. Die Rahmenlehrpläne ermöglichen umfangreiche Anknüpfungsmöglichkeiten . In welcher Intensität Lehrkräfte diese Möglichkeiten ausschöpfen, ist nicht umfassend zu beantworten. 4. Erachtet es der Senat als gewährleistet, dass Berliner Lehrer hinreichend ausgebildet ist, linksextreme Ausfälle oder Gewalttaten an Schulen zu verhindern? Zu 4.: Grundsätzlich erhalten alle Junglehrkräfte im Rahmen des Vorbereitungsdienstes sowie nach Berufseintritt eine entsprechende Qualifizierung und auch zahlreiche Fort- und Weiterbildungsangebote, um gegen Radikalismus an Schulen gewappnet zu sein. Die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter werden im Rahmen des Pflichtbausteins „Konfliktgespräche und Gewaltprävention“ mit dem Thema Extremismus konfrontiert. Die hier vermittelten Kompetenzen und auch das Wissen um die bestehenden berlinweiten Unterstützungssysteme werden auf diese Weise multiplizierend in die Schulen hineingetragen. Die Leiterinnen und Leiter der Schulpraktischen Seminare wurden im März 2017 im Rahmen einer großen Auftaktveranstaltung für das Thema sensibilisiert und erarbeiten im Nachgang neue Formate, um sowohl Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter als auch Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter zum Umgang mit verschiedenen Radikalismus- und Extremismus Formen fort- bzw. auszubilden. Da Schule jedoch nur ein Einflussfaktor ist, werden radikale/extreme Ausfälle und Gewalttaten vermutlich nie ganz verhindert werden können. Als wichtig wird erachtet , dass Lehrkräfte neben der Prophylaxe auch kompetent im Unterricht auf links- und rechtsextreme „Ausfälle“ reagieren können. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 120 3 5. Wie viele Vorfälle mit linksextremistischem Hintergrund an Berliner Schulen sind dem Senat für das Jahr 2016 bekannt? Bitte aufschlüsseln nach Bezirk, Schule, Datum, Tathergang, Deliktart (Propagandadelikt, Gewaltdelikt , Hasskriminalität Internet etc.), ferner bitte Zahl der Täter und Opfer für die spezifischen Fälle ausweisen. a) In wie vielen Fällen zogen diese Vorfälle schuldisziplinarische Verfahren nach sich? b) In wie vielen Fällen zogen diese Vorfälle Ermittlungen von Polizei/Staatsschutz nach sich? Zu 5.: Linksextreme Vorfälle werden im Melde- und Unterstützungsverfahren zu Gewaltvorfällen an Schulen nicht als eigene Vorfalls Art erfasst. Linksextreme Vorfälle werden unter der Vorfalls Art „verfassungsfeindliche Äußerungen“ gemeldet. Diese enthalten jedoch auch andere verfassungsfeindliche Vorfälle ohne linksextremen Charakter (z.B. diskriminierende , rassistische und islamistische Äußerungen). Eine nachträgliche Differenzierung der Vorfälle ist für die vergangenen Schuljahre nicht möglich. Die Meldezahlen bzgl. der Gesamtkategorie „verfassungsfeindliche Äußerungen “ im vergangenen Schuljahr 2015/2016 betrug 32 Vorfälle. Ob es sich bei diesen Vorfällen auch um linksextreme Äußerungen handelt, ist aufgrund der Meldungen nicht feststellbar. Wiederum ist bei der Interpretation der Zahlen zu berücksichtigen , dass die Meldestatistik zu den Gewaltvorfällen kein repräsentatives Bild der Situation an den Schulen darstellt, da einerseits Vorfälle gemeldet werden, die nicht der Meldepflicht unterliegen (z.B. bei Beleidigungen ), andererseits melden nicht alle Schulen Vorfälle, die meldepflichtig sind (wie z.B. verfassungsfeindliche Äußerungen ). Erfasst werden lediglich die gemeldeten Vorfälle . Zu a) und b): Es sind keine diesbezüglichen disziplinarrechtlichen Verfahren bekannt. 6. Welche Anlauf- und Beratungsstellen für von linksextremen Übergriffen betroffene Schüler gibt es? a) Wie viele betroffene Kinder und Jugendliche werden von diesen Angeboten erreicht? b) Fördert das Land Berlin diese Anlaufstellen? Wenn ja, in welcher Höhe? Bitte aufschlüsseln. Zu 6.: Für Vorfälle, die sich im Kontext Schule ereignen , stehen die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen für Gewaltprävention und Krisenintervention an den regionalen Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte auch bei Fällen von Diskriminierung und verfassungsfeindlichen Äußerungen zur Verfügung. Opfer linksextremer Gewalt können sich wie Opfer rechtsextremer Gewalt an die allgemeinen Strukturen der Opferhilfe wenden, z.B. an Opferschutzbeauftragte der Polizeidirektionen, an Antidiskriminierungsbeauftragte oder freie Träger. Zu a): Differenzierte Aussagen werden nicht erhoben. Zu b): Spezielle Anlaufstellen sind nicht bekannt. 7. Haben Schulen oder andere Einrichtungen Bedarf nach weiteren Angeboten an die Senatsverwaltung herangetragen ? Wenn ja: welche Anliegen hatten die Einrichtungen ? Welche Angebote hat die Senatsverwaltung den Schulen gemacht? Zu 7.: Keine der ratsuchenden Schulen hat Linksextremismus als ein Problemfeld benannt bzw. an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie herangetragen . Entsprechende Anfragen liegen auch bei der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS) nicht vor. 8. Welche Maßnahmen der Jugendbildung im Themenbereich Linksextremismus werden vom Land Berlin angeboten oder gefördert? In welcher Höhe? a) Welche Ausbildung und Hilfestellungen erhalten Pädagogen für den Umgang mit linksextremen Kindern, Jugendlichen und Eltern? b) Welche Hilfestellungen erhalten Kinder und Jugendliche für den Umgang mit linksextremen Eltern und/oder Erziehungsberechtigten? c) Welche Hilfestellungen erhalten Eltern und/oder Erziehungsberechtigte für den Umgang mit linksextremen Kindern und Jugendlichen? d) Gibt es diese Materialien/Angebote auch in anderen Sprachen als Deutsch? Wenn ja, in welchen, wenn nein, warum sah der Senat in einer multilingualen Stadt wie Berlin dafür bislang keine Notwendigkeit ? Zu 8.: Der Senat fördert die politische Bildung von Kindern und Jugendlichen als einen Schwerpunkt der Jugendarbeit gem. § 11 des Achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII). Er unterstützt und ermutigt alle Einrichtungen und Projekte der Berliner Jugendarbeit, aktiv gegen jede Form von Rechts- und Linksextremismus, Rechtspopulismus und Antisemitismus einzutreten. Insofern ist politische Bildung sowohl Querschnittsaufgabe der gesamten Jugendarbeit in Jugendverbänden, Jugendfreizeiteinrichtungen und vielen weiteren Projekten als auch zentrale Aufgabe der Jugendbildungsstätten und der zahlreichen Initiativen der Kinder- und Jugendbeteiligung. Hierbei handelt es sich in aller Regel um Einrichtungen und Angebote, die langjährig aus den Haushalten der Bezirke und des Landes gefördert werden. Da die Förderung der politischen Jugendbildung eine Querschnittsaufgabe ist, kann die Höhe der Ausgaben hierfür nicht genau beziffert werden. Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 120 4 Die Stärkung des demokratischen Handelns und die Förderung der Demokratiefähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist eine zentrale Aufgabe von sozialpädagogischen Fachkräften. Mit den Möglichkeiten des Jugend- Demokratiefonds und den Angeboten des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts (SFBB) werden Kinder und Jugendliche und pädagogische Fachkräfte bei der Erschließung bzw. Vermittlung von demokratischen Werten unterstützt. 9. Hat der Senat Kenntnis darüber, wie viele Berliner Kinder und Jugendliche an Veranstaltungen linksextremer Jugendverbände oder -gruppen, Vereine oder Organisationen teilnehmen (bitte aufschlüsseln) und lassen sich örtliche Schwerpunkte der Aktivitäten beobachten? 10. In welchem Altersbereich liegt nach Kenntnis des Senats das durchschnittliche Einstiegsalter in die linke Szene in Berlin? Zu 9. und 10.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie verfügt nicht über diesbezügliche Daten . Berlin, den 08. Mai 2017 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Mai 2017)