Drucksache 18 / 11 130 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 20. April 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Mai 2017) und Antwort Ehemaliger DDR-Knast Keibelstraße: Gedenkstätte für alle oder Lernort für Schulklassen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass der Senat das ehemalige DDR- Polizeigefängnis Keibelstraße nur als Lernort für Schulklassen öffnen wird und wenn ja, weshalb? Zu 1.: Es trifft zu, dass der Lernort im Wesentlichen schulische Lernprozesse unterstützen und befördern soll. Er kann gleichermaßen von Jugend- und Erwachsenengruppen für Bildungszwecke genutzt werden. 2. Weshalb wird das ehemalige DDR-Polizeigefängnis nicht als für alle zugängliche Gedenkstätte offen stehen? Zu 2.: Das Format des Lernortes „ehemaliges Polizeigefängnis Keibelstraße“ hat in Berlin ein Alleinstellungsmerkmal , das sich dadurch auszeichnet, dass Lernenden Zeit und Raum für die Auseinandersetzung mit der Polizeigeschichte überwiegend zur Zeit der DDR, aber auch zu Themen wie Widerstand und Opposition, Unrechtsstaat, Haft und Haftbedingungen u.a. eingeräumt wird. Die Lernenden haben so die Möglichkeit, sich vertiefend mit Biografien, unterschiedlichen Materialien, besonders auch Primärquellen auseinanderzusetzen, Gegenwartsbezüge herzustellen und interaktiv tätig zu werden . Erst durch die intensive Beschäftigung mit multiperspektivischem Material ist ein nachhaltiger Lernprozess gesichert. Dieser Ort ist dafür besonders geeignet, weil er die Kapazität einer Schulklasse für diese Prozesse gut aufnehmen kann. Allerdings sind viele zeitgleiche Besucherinnen und Besucher auf Grund baulicher Besonderheiten nur schwer zu verkraften. Dies bedingen die gering vorhandenen Fluchtwege, die nur im Verwaltungstrakt zugänglichen Sanitäreinrichtungen und die Besonderheit, dass für das ehemalige Gefängnis nur über den Verwaltungseingang ein barrierefreier Zugang möglich ist. Angedacht ist, dass für einzelne „Tage der offenen Tür“ der Ort auch für weitere Nutzergruppen geöffnet werden kann. 3. Welche rund um die Aufarbeitung der SED- Diktatur engagierten Institutionen wurden in diesen Entscheidungsprozess einbezogen? 6. Welche rund um die Aufarbeitung der SED- Diktatur engagierten Institutionen wurden in den Ausgestaltungsprozess des Lernortes und der Ausstellung einbezogen ? Zu 3. und 6.: Folgende Institutionen wurden einbezogen : - Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - Robert-Havemann-Gesellschaft - Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen - Senatsverwaltung für Kultur und Europa – Abteilung Kulturelle Angelegenheiten - Landesinstitut für Schule und Medien Berlin- Brandenburg 4. Mit welchen Mitteln in welcher Höhe wird das ehemalige DDR-Polizeigefängnis zu einem Lernort für Schulklassen gestaltet und mit welchen jährlichen Kosten für den Betrieb rechnet der Senat? Zu 4.: Beginnend ab dem Jahr 2016 wurden Landesmittel für das Projekt „Außerschulischer Lernort Polizeigefängnis Keibelstraße“ in den Haushalt eingestellt. 2016 betrug der Teilansatz bei Kapitel 1010, Titel 68569 140.000 €. Für die beginnende Umsetzung des Ausstellungskonzepts durch das Unternehmen KOCMOC.NET Leipzig wurden 230.174,56 € aufgewendet . 133.090 € wurden für die Umsetzung der Projektvereinbarung zur nutzerspezifischen Herrichtung des Lernorts mit der Berliner Immobilienmanagement GmbH Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 130 2 (BIM) verausgabt (Kapitel 1000, Titel 51925). Mithin wurden im Jahr 2016 223.264,56 € im Rahmen der Haushaltswirtschaft aufgebracht, um das Projekt voranzubringen . 2017 beträgt der Teilansatz bei Kapitel 1010, Titel 68569 180.000 €. 80.000 € davon stehen für die weitere Umsetzung des Ausstellungskonzepts zur Verfügung, 100.000 € für die weitere Umsetzung der Projektvereinbarung mit der BIM. Mit der Haushaltsplanung für 2018/2019 wurden für das Jahr 2018 einmalig Mittel in Höhe von 200.000 € für die weitere Umsetzung des Ausstellungskonzepts inklusive der Ausstattung mit Lernmöbeln und Lernmaterialien beantragt (Kapitel 1010, Titel 54010). Beginnend ab dem Jahr 2018 wurden für die jährliche Nettokaltmiete 9.000 € (Kapitel 1000, Titel 51820) sowie für die Betriebs- und Nebenkosten 8.400 € (Kapitel 1000, Titel 51715) beantragt . Für den laufenden Betrieb sollen die Mittel in Höhe von 180.000 € bei Kapitel 1010, Titel 68569 fortgeschrieben werden. 5. Mit wie vielen Schulklassen rechnet der Senat pro Schuljahr, die das ehemalige DDR-Polizeigefängnis besuchen ? Zu 5.: Möglich sind 2 bis 3 Schulklassen oder Gruppen von Jugendlichen bzw. Erwachsenen, die Lernangebote am Lernort täglich zeitversetzt nutzen. 7. Wie sieht das Konzept des ehemaligen DDR- Polizeigefängnisses aus, inwieweit werden Zeitzeugen einbezogen und inwieweit wird das Zusammenwirken von Stasi und VoPo an diesem Ort veranschaulicht? Zu 7.: Siehe Antwort zu Frage 2 der Schriftlichen Anfrage Nr. 17/18 585. Ergänzend: Das von KOCMOC.NET- dem Wettbewerbssieger im Rahmen der Ausschreibung für die Ausgestaltung des Lernortes - entwickelte Konzept wird gegenwärtig durch Mitarbeit aller oben genannten Akteure weiter präzisiert. Vorgesehen sind die Einbeziehung von Zeitzeugen und die Sichtung von Materialien, die sowohl die verschiedenen Zeitebenen beachten als auch unterschiedliche inhaltliche Zugänge ermöglichen. Diskutiert werden für die zukünftige Arbeit am Lernort insbesondere folgende Aspekte: Zeitzeugeninterviews Ein wesentlicher Aspekt für die Vermittlung der komplexen Thematik wird der Einsatz von Zeitzeugeninterviews sein. Die Zeitzeugen werden nicht nur für das Thema Untersuchungshaftanstalt, sondern auch für das Thema Volkspolizei in der DDR eine wichtige Rolle spielen. Gegenwartsbezug Ein anderer wichtiger Schwerpunkt ist der Bezug zur eigenen Lebenswelt. Die Schülerinnen und Schüler sollen nach der alten museumspädagogischen Maßgabe „dort abgeholt werden, wo sie stehen“. Problemlagen aus der eigenen Erfahrungswelt sollen bei Lösung museumsdidaktischer Aufgaben mit eingeführt werden . Das bedeutet eine stetige Aktualisierung dieses Bereiches in enger Abstimmung mit Lehrkräften und pädagogischer Begleitung. Modularer Aufbau Vorgesehen sind vier Themenkreise, die modularisiert in sich funktionieren sollen. Sie können in beide „Lernrichtungen“ genutzt werden, d.h. einerseits „vom Kleinen zum Großen“ gedacht, wenn zum Beispiel ein Zeitzeugeninterview zum Ausgangspunkt der Unterrichtsstunde wird. Umgekehrt sollte es aber möglich sein - vom zeitgeschichtlichen Kontext ausgehend - die Rolle der Volkspolizei bzw. der Untersuchungshaftanstalt zu erfahren. Dies schließt auch die Verstrickungen von Volkspolizei und Staatssicherheit mit ein. Authentizität des Ortes Der Ort als Ganzes vermittelt einen authentischen Eindruck – mindestens sechs Zellen bleiben im ursprünglichen Zustand – wenngleich alle Zellen in diesem Stockwerk schon stark durch Filmaufnahmen überformt sind. Themenschwerpunkte - Einführung I - Die Volkspolizei in der DDR - Einführung II - Haft in der DDR - Untersuchungshaftanstalt II - Der Strafvollzug in der DDR - Gefangenenalltag in der Keibelstraße - Personen (Gefangene und Wärter der Untersuchungshaftanstalt ) - Wege („Keibelstraße“ als Ort des Übergangs) Zeitschnitte - Juni 1953 - Arbeiter-Aufstand - August 1961 - Mauerbau - Sommer 1973 - Weltfestspiele der Jugend - Herbst 1989 - Friedliche Revolution Dramaturgie/Struktur des Lernortes Die beiden großen Themen (Volkspolizei/Haft) sollen über Projekt- und Gruppenarbeit erschlossen werden. Ein Einstieg in die Themenfelder kann nur durch eine Konzentration auf wenige Bereiche gelingen. Schülergruppen von bis zu 30 Teilnehmern werden in Kleingruppen überwiegend selbstständig arbeiten. Die Dramaturgie des Lernortes orientiert sich an einem flexiblen museumspädagogischen Konzept. Die Arbeitsgruppen werden auf verschiedene Themenfelder, die gleichbedeutend mit unterschiedlichen Zellen sind, Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 130 3 aufgeteilt und nach der Bearbeitung einzelner Themenfelder wieder zusammengeführt, um ihre Ergebnisse zu präsentieren. Berlin, den 11. Mai 2017 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2017)