Drucksache 18 / 11 180 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Georg Kössler (GRÜNE) vom 04. Mai 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Mai 2017) und Antwort Postkoloniale Erinnerungskultur Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Hält der Berliner Senat eine Umbenennung der Wissmannstraße angesichts der Verbrechen seines Namensgebers für grundsätzlich nachvollziehbar? Antwort zu 1: Die Ausführungsvorschriften zu § 5 des Berliner Straßengesetzes (AV Benennung) sehen mit Blick auf die wechselvolle Geschichte vor, dass Umbenennungen aus historischen Gründen für Straßennamen aus der Zeit vor 1933 nur dann in Betracht kommen, wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde. Bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Straßen(um)benennung steht dem jeweiligen Bezirk ein Ermessen im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts zu. Jedoch darf eine Umbenennung nicht willkürlich erfolgen. Dem Senat liegen zurzeit keine abschließend bewerteten Gutachten zum Namensgeber der Straße vor. Darüber, ob den Bezirksämtern Neukölln bzw. Charlottenburg-Wilmersdorf eigene Gutachten zum Thema Umbenennung vorliegen, hat der Senat keine Kenntnis. Frage 2: In Freiburg, München oder Würzburg wurden Kommissionen eingesetzt um alle Straßennamen u.A. auf Bezüge zum Kolonialismus zu überprüfen. Wird es in Berlin in ähnlicher Art und Weise zu einer Überprüfung aller Straßennamen kommen? Falls Nein, wieso nicht? Antwort zu 2: Dem Senat liegen keine Informationen darüber vor, ob derartige Kommissionen eingesetzt wurden . Ob die Bezirksämter solche Maßnahmen in die Wege leiten, liegt aufgrund der Selbstverwaltung der Bezirke ausschließlich in deren Verantwortungsbereich. Frage 3: Im Afrikanischen Viertel werden Mitte 2017 zwei Straßen mit kolonialem Hintergrund umbenannt. Wie viele Straßen- und Platznamen mit kolonialem Hintergrund existieren in der Stadt dann noch? Antwort zu 3: Nach groben Recherchen existieren noch ca. 68 Straßen- und Platznamen mit kolonialem Bezug in der Stadt. Frage 4: Plant der Senat die Umbenennung von Straßen - und Platznamen mit kolonialem Hintergrund einzuleiten bzw. die Bezirke zu unterstützen? Wenn nein, warum nicht? Antwort zu 4: Das Verfahren zur Umbenennung von Straßen und Plätzen obliegt den Berliner Bezirken in eigener Zuständigkeit. Wird seitens der Bezirke ein Bedarf an Unterstützung gesehen, wird der Senat diesem gerecht werden. Frage 5: Welche weiteren Aspekte neben den Stimmen der Anwohner*innen sind nach Ansicht des Senats relevant und müssen bei Straßen(um)benennungen generell beachtet werden? Antwort zu 5: Gemäß Nummer 2 Absatz 2 AV Benennung sind Umbenennungen nur zulässig a) zur Beseitigung von Doppel- oder Mehrfachbenennungen b) bei sich von der Örtlichkeit her ableitenden Straßennamen , bei denen der Bezug nicht mehr gegeben ist und die Beibehaltung eine Belastung der Anlieger darstellen würde, c) zur Beseitigung von Straßennamen – aus der Zeit von 1933 bis 1945, sofern die Straßen nach aktiven Gegnern der Demokratie und zugleich geistig - politischen Wegbereitern und Verfechtern der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft oder aus politischen Gründen nach Orten, Sachen, Ereignissen, Organisationen, Symbolen oder Ähnlichem benannt wurden , Abgeordnetenhaus Berlin – 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 11 180 2 – aus der Zeit von 1945 bis 1989, sofern die Straßen nach aktiven Gegnern der Demokratie und zugleich geistig - politischen Wegbereitern und Verfechtern der stalinistischen Gewaltherrschaft, des DDR-Regimes und anderer kommunistischer Unrechtsregime oder aus politischen Gründen nach Orten, Sachen, Ereignissen, Organisationen , Symbolen oder Ähnlichem benannt wurden, – aus der Zeit vor 1933, wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde . Im Falle einer Umbenennung sind die Grundsätze der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Die Gründe zur Umbenennung sind mit den Interessen an der Beibehaltung des bisherigen Straßennamens abzuwägen. Frage 6: Welche Maßnahmen und Aktionen plant der Senat um an die koloniale Vergangenheit von Straßenund Platznamen zu erinnern? Antwort zu 6: Keine. Frage 7: Wie ist der Stand der Dinge bei der Planung eines zentralen Gedenkortes für den Völkermord an den Herero und Nama? Antwort zu 7: Bisher wurden erste Vorüberlegungen zur Erarbeitung eines entsprechenden Konzepts getroffen. Die weitere Ausarbeitung bedarf einer sorgfältigen Planung und entsprechender Ressourcen und ist ab 2018 vorgesehen. Frage 8: Der Koalitionsvertrag sieht vor Berlins koloniale Vergangenheit stärker zu beleuchten. Inwiefern wird sich dies in den Rahmenplänen für Geschichte in der SEK I und II niederschlagen? Antwort zu 8: In den Rahmenlehrplänen Geschichte der Sek. I/II gibt es für Lehrkräfte der Berliner Schule mehrere Ansatzpunkte, um die koloniale Vergangenheit zu thematisieren. Zu unterscheiden sind dabei Pflicht- und Wahlmodule. Jahrgangsstufen 7/8: Pflichtmodul Migration und Bevölkerung frühneuzeitliche (Zwangs-)Migration (z. B. Hugenotten , Böhmen, Türken, Afrikaner) nach Berlin und Brandenburg Migration im 19. Jahrhundert nach Amerika, Verschleppung der afrikanischen und Vertreibung der indigenen Bevölkerung Wahlmodul Europäische Expansion und Kolonialismus (Längsschnitt) Kolumbus und der frühneuzeitliche Kolonialismus Kolonialismus und Sklavenhandel (z. B. Brandenburg -Preußen) Imperialismus und Rassismus (ab ca. 1860) Jahrgangsstufen 9/10 Wahlmodul Völkermorde und Massengewalt (Fallanalyse) Leitfrage (z. B. Historische Ereignisse und wie wird an sie erinnert?) Herero und Nama 1904-1908 oder Armenier 1915/16 oder stalinistischer Terror/Holodomor Qualifikationsphase 12/13 Wahlbereich: Die Europäisierung der Erde indianische Kulturen portugiesische und spanische Expansion Kolonialreiche Wahlbereich: Imperialismus Kolonien Ideologische Begründungen Dekolonialisierung Frage 9: Inwieweit wird der deutsche Kolonialismus bisher im Rahmen des Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe I und II behandelt? Antwort zu 9: Die Art und Weise der Umsetzung der oben genannten RLP-Vorgaben liegt in der pädagogischen Freiheit und Verantwortung der Lehrkraft. In der Regel wird der deutsche Kolonialismus im 9. Jahrgang unterrichtet. Die Ausstellung Deutscher Kolonialismus im Deutschen Historischen Museum wurde von Lehrkräften und Schulklassen sehr nachgefragt. Didaktische Literatur und externe Projektangebote zum Thema sind reichhaltig vorhanden. Wissenschaftliche Erhebungen zur Breite und Tiefe der Thematisierung des deutschen Kolonialismus im Geschichtsunterricht in Berlin liegen nicht vor. Berlin, den 18. Mai 2017 In Vertretung Kirchner ................................ Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Mai 2017)