Drucksache 18 / 11 256 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Gunnar Lindemann (AfD) vom 12. Mai 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Mai 2017) zum Thema: Verkauf von offenen Forderungen an Inkassounternehmen und Antwort vom 29. Mai 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Juni 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Finanzen Herrn Abgeordneten Gunnar Lindemann (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. S18 / 11256 vom 12. Mai 2017 über Verkauf von offenen Forderungen an Inkassounternehmen ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- - Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Stimmen die Medienberichte, nach denen in Marzahn Hellersdorf nach einem Modellversuch offene Forderungen der öffentlichen Ämter an private Inkassounternehmen verkauft werden? 2. Nach welchen Kriterien werden diese Forderungen an die Inkassounternehmen verkauft und zu welchen Konditionen? Wie werden die Konditionen festgelegt? 3. Nach welchen Kriterien werden die Inkassounternehmen ausgesucht? Gab bzw. gibt es Ausschreibungen über den Verkauf von Forderungen? Wenn nein, warum nicht? 4. An welche Inkassounternehmen werden die Forderungen konkret verkauft? Zu 1. bis 4.: Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf verkauft gegenwärtig keine offenen Forderungen der öffentlichen Ämter an private Inkassounternehmen. Gegenwärtig wird im Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Rahmen eines Projektes die effektive Forderungsbearbeitung durch die Einrichtung einer verwaltungsinternen Zentralen Dienstleistungseinheit Forderungsmanagement erprobt. Dies schließt die vollumfängliche zentrale Bearbeitung von Stundung, Niederschlagung und Erlass ein. Dieses Projekt wird in den Jahren 2015 bis 2017 von der Senatsverwaltung für Finanzen finanziell unterstützt. Jedoch hat der Bezirk im Rahmen eines früheren Projektes in den Jahren 2011 und 2012 Erfahrungen mit dem Verkauf privatrechtlicher Forderungen sammeln können. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat sich seinerzeit ausführlich und umfänglich mit den rechtlichen Möglichkeiten eines effektiven Forderungsmanagement für die öffentliche Hand befasst. 2 Datenschutzrechtlich sind bei der Einbindung Dritter insbesondere die Steuer- und Sozialgeheimnisse zu berücksichtigen. Hierzu wurde ein intensiver Austausch mit dem Berliner Beauftragten für Datenschutz- und Informationsfreiheit geführt. Dabei wurde herausgearbeitet, dass es bei der Weitergabe von personenbezogenen Schuldnerinnendaten und Schuldnerdaten entscheidend darauf ankommt, ob diese im Auftrag des Landes Berlin durch Einbindung Externer in Verwaltungsabläufe verarbeitet werden oder ob diese zur Erledigung eigener Aufgaben an Inkassounternehmen übermittelt werden. Erfolgt die Einbindung Dritter als externer Dienstleister, ist eine grundsätzliche Übertragung von Inkassoaufgaben ausgeschlossen. Das heißt, dem Inkassounternehmen dürfen keine eigenen Entscheidungsbefugnisse und weisungsunabhängigen Sachentscheidungskompetenzen (z. B. bei der Überwachung des Zahlungsverkehrs, der Bearbeitung von Stundungen usw.) eingeräumt werden. Wenn das private Unternehmen vom Bezirk lediglich mit Hilfeleistungen im Vorfeld der eigentlichen Vollstreckung beauftragt wird – also rein weisungsgebunden handelt – und damit auch keine Kenntnis über die konkreten Schuldverhältnisse erlangt, ist dieses aus datenschutzrechtlicher Sicht unproblematisch. Gemäß § 3 Berliner Datenschutzgesetz (BlnDSG) ist das Unternehmen in diesem Falle mit der Führung der Korrespondenz, Bonitätsüberprüfung der Schuldnerin bzw. des Schuldners, Adressermittlung etc. als Verwaltungshelfer zu sehen. Soll einem externen Unternehmen das Inkasso von Forderungen vollumfänglich abgetreten werden, ist hier zunächst aus rechtlicher Sicht zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Forderungen zu unterscheiden. Privatrechtliche Forderungen von öffentlicher Seite, die gemäß § 2 Abs. 3 BlnDSG (regelt die Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen gegenüber privater Konkurrenz) am Wettbewerb teilnehmen, können an private Unternehmen abgetreten und veräußert werden. Die damit einhergehende Übermittlung von personenbezogenen Schuldnerinnendaten und Schuldnerdaten ist grundsätzlich durch die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes gestützt. Mit einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung nach § 7 Landeshaushaltsordnung (LHO) ist zunächst zu prüfen, ob sich die eigene Bearbeitung günstiger darstellt als die Einbeziehung Dritter oder die Veräußerung. Zum Verkauf privatrechtlicher Forderungen sind die maßgeblichen Grundsätze in den §§ 34, 59 und 63 LHO festgehalten, die den Umgang mit Einnahmen regeln. Danach dürfen Forderungen gemäß § 63 Abs. 3 LHO nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden. Jedoch ist eine geringere Bewertung gerechtfertigt, wenn die Forderung formal niedergeschlagen worden ist oder nicht gestundet wurde, älter als drei Jahre ist und ihre Einziehung bisher keinen Erfolg hatte oder die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu Höhe des Anspruchs stehen. In diesen Fällen wäre nach Nr. 4 Ausführungsvorschriften (AV) § 63 LHO als voller Wert im Sinne von § 63 Abs. 3 LHO der Wert anzusehen, der üblicherweise am Markt zu erzielen ist, also im Falle einer Veräußerung der Forderung ggf. der in ei- 3 nem ordentlichen Bieterverfahren gebotene Höchstpreis. Das Risiko, die Forderungen nicht realisieren zu können, übernimmt dabei das bietende Unternehmen. Bei der Vergabe ist ferner darauf zu achten, dass mit der Abtretung einer Forderung eine Benachteiligung von Schuldnerinneninteressen bzw. Schuldnerinteressen ausgeschlossen wird, indem sich der Betreiber bei der Beitreibung berechtigter Forderungen an rechtsstaatliche Grundsätze zu halten hat. In Würdigung dieser Rechtslage entschied sich der Bezirk Marzahn-Hellersdorf 2011 für den Verkauf uneinbringbarer privatrechtlicher Forderungen an ein Factoring- Unternehmen im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens. Über zahlreiche Anforderungen und Restriktionen wurde sichergestellt, dass es sich bei den in Frage kommenden Interessenten ausschließlich um seriöse und renommierte Unternehmen handelt. Auswahlkriterium der diese Bedingungen erfüllenden Unternehmen war der Preis. Den Zuschlag erhielt die Firma Altor. Im Gegensatz zu privatrechtlichen Forderungen ist der Verkauf öffentlich-rechtlicher Forderungen derzeit nicht zulässig. Mit dem Projekt wurde durch den Bezirk Marzahn-Hellersdorf 2013 und 2014 deshalb die Einbindung eines Verwaltungshelfers in die eigene Forderungsbearbeitung bei öffentlich-rechtlichen Forderungen erprobt. Der Prozess wurde so angelegt, dass das Inkassounternehmen als externer Verwaltungshelfer keine Kenntnisse über Art und Herkunft der zur Bearbeitung übergebenen öffentlich-rechtlichen Forderungen erlangen konnte. Die datenschutzrechtlichen Anforderungen wurden voll umgesetzt und im Ergebnis gezeigt, dass ein externer Verwaltungshelfer sich gut in die Forderungsbearbeitung der öffentlichen Hand integrieren lässt. Da der externe Verwaltungshelfer eine Vergütung nur auf tatsächlich eingegangene Zahlungen erhielt, waren die Einnahmen für den Bezirk stets höher als die Kosten. 5. Außerdem sollen Inkassounternehmen bei der Abrechnung in Marzahn Hellersdorf in dem Modellversuch nach Medienberichten mit eingebunden sein. Auf welche Art und Weise sind diese Inkasso - oder sonstigen privaten Unternehmen mit eingebunden? Welche Unternehmen sind dies konkret , die die Behörden beraten? Nach welchen Kriterien wurden die Unternehmen ausgewählt? Hat es hierzu Ausschreibungen gegeben? Falls nein, warum nicht? Zu 5.: Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf setzt bei der Abrechnung gegenwärtig kein Inkassounternehmen ein. Wie zu den Fragen 1 bis 4 bereits ausgeführt, hat der Bezirk im Rahmen eines Pilotprojektes in den Jahren 2013 und 2014 die Einbindung eines externen Verwaltungshelfers in die eigene Forderungsbearbeitung erprobt. Der vom Bezirk Marzahn-Hellersdorf entwickelte, datenschutzrechtlich legalisierte und in der Praxis erprobte Prozess basierte im Wesentlichen auf zwei grundlegenden Bausteinen: Die dem externen Verwaltungshelfer zu übergebenden Datensätze ließen keinen Rückschluss auf Art und Herkunft der Forderungen zu. Eine Schnittstelle wurde als „neutraler“ Kommunikationsweg etabliert. 4 Der Prozess war geeignet, jedwede öffentlich-rechtliche Forderung zur weiteren Bearbeitung an einen externen Verwaltungshelfer auszusteuern. Die Aufgaben des externen Verwaltungshelfers, der nur weisungsgebunden handelte , waren vertraglich geregelt, ebenso auch untersagte Handlungen (z. B. Verbot von Hausbesuchen, Einsatz detektivischer Mittel, etc.) sowie das Poolingverbot der übermittelten Daten (die zweckentfremdete Nutzung der abgefragte Adressdaten für eigene Auskunfteizwecke). Der externe Verwaltungshelfer hatte die Kommunikation mit der Schuldnerin bzw. dem Schuldner aufzunehmen und durchzuführen sowie sie bzw. ihn zum Ausgleich seiner offenen Forderung aufzufordern. Dabei trat der externe Verwaltungshelfer ausdrücklich als Beauftragter des Auftraggebers in Erscheinung. Vollstreckungsmaßnahmen durften vom externen Verwaltungshelfer nicht durchgeführt werden, weil es sich dabei um hoheitliche Aufgaben handelt. Der Projektpartner für die Durchführung des befristeten Pilotversuches wurde in einem Interessenbekundungsverfahren ausgewählt. Inkassounternehmen mit vorab definierten Eigenschaften an Seriosität, Größe, den eingerichteten Geschäftsbetrieb, Betriebsgröße und das erforderliche Sicherheitsniveau wurden aufgefordert, sich zu bewerben. Von den eingegangenen Bewerbungen erhielt das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag (Universum Inkasso GmbH aus Frankfurt/Main). Berlin, den 29. Mai 2017 In Vertretung Klaus Feiler Senatsverwaltung für Finanzen S18-11256 S18-11256a