Drucksache 18 / 11 563 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg und Steffen Zillich (LINKE) vom 08. Juni 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Juni 2017) zum Thema: Auswirkungen einer möglichen Steuerreform auf Berlin und Antwort vom 22. Juni 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Juni 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Finanzen Herrn Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg und Herrn Abgeordneten Steffen Zillich (LINKE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/11563 vom 08. Juni 2017 über Auswirkungen einer möglichen Steuerreform auf Berlin ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Bund und Länder bilden einen Steuer- und Finanzverbund. Die finanziellen Auswirkungen von möglichen Steuerrechtsänderungen für das Land Berlin ergeben sich daher nicht allein aus der spezifischen Berliner Steuerzahlerstruktur. Erforderlich ist die Ermittlung der bundesweiten Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen einschließlich der Folgeänderungen bei der Steuerverteilung und im bundesstaatlichen Finanzausgleich. Die im Folgenden für Berlin genannten Werte zu den Fragen 1, 5 und 7 umfassen somit jeweils die Gesamtwirkungen aus Rechtsänderungen , Steuerverteilung und Finanzausgleich. Zur Frage nach den Auswirkungen einer Anhebung des Körperschaftsteuersatzes auf 15% (Frage 7) weist der Senat vorab auf Folgendes hin: Im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 bildete die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von 25% auf 15% lediglich einen von vielen Bausteinen. Im Gegenzug wurde beispielsweise die Bemessungsgrundlage für die Ertragsteuern verbreitert und die Bedeutung der Gewerbesteuer gestärkt. Bei einer isolierten Rückgängigmachung der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes wäre mit erheblichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Körperschaften im internationalen Vergleich und möglichen Folgewirkungen auf das Steueraufkommen zu rechnen. Im Rahmen einer Anhebung des Körperschaftsteuersatzes wäre zudem das Gebot der Rechtsformneutralität im Blick zu behalten. Für dieses aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgeleitete Prinzip sollte die transparente Besteuerung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften einerseits und die Besteuerung der zwei Ebenen Kapitalgesellschaft sowie deren Anteilseignerinnen oder Anteilseigner andererseits zu einer 2 annähernd gleichen steuerlichen Belastung führen. Daher wären Folgeänderungen bei einer Anhebung des Körperschaftsteuersatzes wohl unvermeidlich. 1. Welche Veränderung der jährlichen Steuereinnahmen für das Land Berlin (auf Basis der aktuellsten verfügbaren Steuerdaten) gäbe es, wenn bei der Einkommenssteuer der Grundfreibetrag auf 9.300 Euro erhöht und die Steuerbelastung von einem Eingangssteuersatz von 14 Prozent geradlinig bis zu einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent, der ab einem zu versteuernden Einkommen von 65.000 Euro gelten soll, ansteigen würde? Zu 1.: Der in der Frage beschriebene Einkommensteuertarif würde im Vergleich zum in 2017 bestehenden Einkommensteuertarif nach unseren Berechnungen für Berlin zu Mindereinnahmen von mehr als 350 Millionen Euro pro Jahr (Steuern und Finanzausgleich) führen. 2. Welche Veränderung der jährlichen Steuereinnahmen für das Land Berlin (auf Basis der aktuellsten verfügbaren Steuerdaten) gäbe es, wenn zur früheren Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen (vor Einführung der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge im Jahr 2009) im Grundsatz zurückgekehrt und Kapitalerträge, Veräußerungsgewinne aus Wertpapieren – unabhängig von der Haltedauer – zusammen mit anderen Einkünften progressiv besteuert werden würden? Zu 2.: Eine valide Bestimmung der finanziellen Auswirkungen einer Abschaffung der Abgeltungsteuer könnte allenfalls dann vorgenommen werden, wenn die Eckpunkte des künftigen Besteuerungsmodells für die Besteuerung von Kapitaleinkünften konkret feststehen. Der Senat weist insofern auf den gemeinsamen Antrag der Länder Berlin, Brandenburg und Bremen zu einer Entschließung des Bundesrates zur Abschaffung der Abgeltungsteuer (Bundesratsdrucksache 643/16) hin, die vom Bundesrat allerdings nicht gefasst wurde. Mit dieser Initiative sollte die Bundesregierung im Hinblick auf die Einführung des internationalen automatischen Informationsaustauschs aufgefordert werden, die Abgeltungsteuer abzuschaffen und Kapitalerträge wieder dem persönlichen Einkommensteuersatz der Steuerpflichtigen zu unterwerfen . Gleichzeitig sollte durch Anpassung von Einkommen- und Körperschaftsteuer das Ziel der Rechtsformneutralität der Besteuerung von Kapitalerträgen sichergestellt und eine gleichmäßige Besteuerung von Veräußerungsgewinnen und laufenden Einkünften im Bereich von Kapitalanlagen gewährleistet werden. Auf die Bezifferung der finanziellen Auswirkungen einer solchen Reform wurde im Antrag verzichtet, weil die konkrete Ausgestaltung im weiteren Verfahren noch geprüft werden sollte. Zu den im Antrag genannten Themenbereichen, die festgelegt werden müssen und die erhebliche Auswirkungen auf das Aufkommen haben können, gehören u.a. folgende Fragestellungen: • Prüfung der Notwendigkeit und der Höhe von Frei- und Pauschbeträgen • Zulässigkeit der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen ohne Spekulationsfrist (auch im Vergleich mit anderen Einkunftsarten) • Besteuerung ausgeschütteter Gewinne bei der/dem Beteiligten mit dem Teileinkünfteoder einem anderen Verfahren (zur Vermeidung der Übermaßbesteuerung aus verfassungsrechtlichen Gründen) • Wiederzulassung des Werbungskostenabzugs. 3. Welche Veränderung der jährlichen Steuereinnahmen für das Land Berlin (auf Basis der aktuellsten verfügbaren Steuerdaten) gäbe es, wenn Verluste aus „Vermietung und Verpachtung“ nicht mit anderen Einkunftsarten saldiert werden könnten und nach Veräußerungen auch nach 10 Jahren für gewerbliche Immobilien der Veräußerungsgewinn nicht steuerfrei bliebe? Zu 3.: Bundesweite Datenerhebungen zu den Vermietungseinkünften und ggf. deren Verrechnungsmöglichkeiten mit anderen Einkunftsarten sind dem Senat nicht bekannt. Steuerstatisti- 3 sche Daten über Veräußerungen vermieteter gewerblicher Immobilien nach Ablauf von zehn Jahren liegen ebenfalls nicht vor. Eine belastbare Bezifferung eventueller Steuermehreinnahmen ist deshalb auch mit Hilfe eigener Datensichtungen nicht möglich (vgl. Vorbemerkungen). 4. Wie hat sich seit 2006 die Zahl der Steuerpflichtigen, die sich gemeinsam veranlagen lassen, entwickelt (bitte auch nach Finanzamtsbezirken aufgeschlüsselt)? Zu 4.: Die Zahl der Fälle der Zusammenveranlagungen insgesamt ist vom Jahr 2006 zum Jahr 2014 in Berlin von rund 345.000 auf rund 350.000 gestiegen. Für die Jahre 2015 und 2016 sind die Veranlagungsarbeiten noch nicht abgeschlossen. Bis auf leichte Schwankungen liegt die Zahl zwischen 2006 und 2011 relativ konstant bei etwa 345.000. Ein moderater Anstieg auf etwa 350.000 ist ab dem Jahr 2012 zu verzeichnen. Möglicher Grund ist die Einführung von § 2 Abs. 8 Einkommensteuergesetz mit Wirkung vom 19.07.2013 und Anwendung in allen offenen Fällen, wonach die einkommensteuerlichen Vorschriften für Ehen auf Lebenspartnerschaften entsprechend anzuwenden sind. Während die Zahl der Zusammenveranlagungen von 2006 – 2014 in den Finanzamtsbezirken Charlottenburg, Friedrichshain-Kreuzberg, Schöneberg, Steglitz, Wedding, Wilmersdorf, Prenzlauer Berg, Mitte-Tiergarten, Pankow-Weißensee und Treptow-Köpenick gestiegen ist, ist sie in den Finanzamtsbezirken Neukölln, Reinickendorf, Spandau, Tempelhof, Zehlendorf, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf gesunken. 5. Welche Veränderung der jährlichen Steuereinnahmen für das Land Berlin (auf Basis der aktuellsten verfügbaren Steuerdaten) gäbe es bei einer Abschaffung des Ehegattensplittings? Zu 5.: Aktuelle bundesweite Daten aus der Steuerstatistik liegen nicht vor. Würde man die in verschiedenen volkswirtschaftlichen Veröffentlichungen und Gutachten genannten Schätzungen zu den Gesamtauswirkungen des Splittingverfahrens einer Berechnung für Berlin zugrunde legen , würden sich bei einer ersatzlosen Abschaffung des Ehegattensplittings (ohne Berücksichtigung von Anpassungsreaktionen) rechnerisch Mehreinnahmen für Berlin von ca. 600 Millionen Euro pro Jahr ergeben. Eine Abschaffung des Splittings ist jedoch ohne weitere gesetzgeberische Änderungen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Sie kommt aus Sicht des Senats schon deshalb nicht in Betracht, weil Eheleute oder Lebenspartnerschaften, die das Splittingverfahren bisher in Anspruch nehmen können, wegen der bestehenden gegenseitigen Unterhalts- und Einstandsverpflichtungen aus Gleichbehandlungsgründen nicht gegenüber geschiedenen Eheleuten schlechter gestellt werden dürfen, denen nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit mit dem sogenannten Realsplitting die Möglichkeit zum (begrenzten) steuerlichen Abzug der geleisteten Unterhaltszahlungen eröffnet ist. Da die genaue Ausgestaltung des Ersatzes des Splittingverfahrens noch nicht festgelegt ist, ist eine Berechnung zu den Gesamtauswirkungen und mithin zu den Einnahmen des Landes Berlin nicht durchführbar. 6. Welche Veränderung der jährlichen Steuereinnahmen für das Land Berlin (auf Basis der aktuellsten verfügbaren Steuerdaten) gäbe es, wenn auf Privatvermögen von einer Million Euro (unabhängig von der Art des Vermögens ) fünf Prozent Steuer erhoben werden würde? Zu 6.: Da der Gesetzgeber keine Neuregelung der Vermögensteuer vorgenommen hat, war eine Festsetzung der Vermögensteuer nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 ab dem Jahr 1997 nicht mehr möglich. Aktuelle steuerstatistische Daten im Sinne der Fragestellung liegen daher nicht vor. 4 7. Welche Veränderung der jährlichen Steuereinnahmen für das Land Berlin (auf Basis der aktuellsten verfügbaren Steuerdaten) gäbe es bei einer Rücknahme der Senkung des Körpersteuersatzes von 25 auf 15 Prozent? zu 7.: Rein rechnerisch würden sich - ausgehend von den bundesweiten Körperschaftsteuereinnahmen in 2016 - bei einer Anhebung des Steuersatzes von aktuell 15% auf 25% Mehreinnahmen von rd. 500 Millionen Euro pro Jahr (Steuern und Finanzausgleich) für Berlin ergeben. Tatsächlich dürften die Wirkungen allerdings insbesondere aufgrund von Anpassungsreaktionen der Körperschaften erheblich davon abweichen und die Einnahmenerhöhung deutlich geringer ausfallen (vgl. auch die Vorbemerkungen). Berlin, den 22. Juni 2017 In Vertretung Dr. Margaretha Sudhof Senatsverwaltung für Finanzen S18-11563 S18-11563