Drucksache 18 / 11 613 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Susanna Kahlefeld (GRÜNE) vom 19. Juni 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Juni 2017) zum Thema: Gesetzestreue in der Praxis der Berufsanerkennungsverfahren und Antwort vom 07. Juli 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juli 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Abgeordnete Susanna Kahlefeld (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/11613 vom 19.06.2017 über Gesetzestreue in der Praxis der Berufsanerkennungsverfahren ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die Schriftliche Anfrage betrifft zum übergroßen Teil Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK Berlin), die Handwerkskammer Berlin (HwK Berlin) sowie die Baukammer Berlin (BK Berlin) wurden daher direkt um Auskunft bezüglich der Umsetzung der Berufsanerkennungsverfahren in ihrem Zuständigkeitsbereich gebeten. Für die Beantwortung der Anfrage standen darüber hinaus Informationen der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) zur Verfügung. Das IQ Landesnetzwerk Berlin, dessen Leitung bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales angesiedelt ist, befindet sich im steten Austausch mit allen Trägern, die Teilprojekte im Rahmen des Landesnetzwerks umsetzen. Das gilt auch für die Träger, die Beratung zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse anbieten. In diesem Zusammenhang wird das IQ Landesnetzwerk von den Trägern auch über Probleme informiert, die sich aus Sicht der Träger stellen. 2 Zugleich steht das IQ Landesnetzwerk im steten Austausch mit den zuleitenden Stellen, unter anderem in der halbjährlich tagenden BQFG-Abstimmungsrunde, in der die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, die Kammern (u.a. Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer, Baukammer) die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit und das IQ Landesnetzwerk Berlin vertreten sind, und tauscht sich mit diesen über Fragen des Anerkennungsverfahrens aus. Die Leitung des IQ Landesnetzwerkes in der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales hat allerdings keine eigenen Erkenntnisse aus erster Hand, weil das IQ Landesnetzwerk selbst keine Beratung zum Anerkennungsverfahren durchführt. Zu den einzelnen Fragen: 1. Ist dem Senat bekannt, dass insbesondere bei HWK, IHK und Baukammer immer wieder Anträge zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse abgewiesen werden mit der Begründung, die für die Ausübung des Berufes erforderlichen Sprachkenntnisse könnten noch nicht nachgewiesen werden? Wenn nicht: Warum ist der Senat über diese Praxis nicht informiert? Wenn ja: Wer stellt den Missstand ab und sorgt in Berlin für die gesetzeskonforme Umsetzung des Bundesgesetzes zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse? Zu 1.: Zur Erforderlichkeit des Nachweises von Sprachkenntnissen haben IHK Berlin, HwK Berlin und BK Berlin wie folgt Stellung genommen: IHK Berlin: Im Gegensatz zu den Handwerkskammern haben die regionalen Industrie- und Handelskammern die Zuständigkeit für die Gleichwertigkeitsfeststellung einer zentralen Stelle übertragen, der IHK FOSA (Foreign Skills Approval). Die IHK FOSA wurde im Frühjahr 2012 von ursprünglich 77 Industrie- und Handelskammern als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet. Die Zentralisierung der Anerkennung in einem Kompetenzzentrum gewährleistet ein effizientes Verfahren mit einheitlichen Maßstäben und Grundsätzen sowie hohen Qualitätsstandards. In den regionalen Industrie- und Handelskammern findet eine antragsbegleitende und -vorbereitende Beratung statt. In § 5 Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) ist festgelegt, welche Nachweise dem Antrag auf Gleichwertigkeitsfeststellung für nichtreglementierte Berufe beizufügen sind. Diese Liste beinhaltet keine Nachweise von Sprachkenntnissen. Dem wird in der Beratung der IHK Berlin und der Antragsannahme bei der IHK FOSA entsprochen. HwK Berlin: Ein Berufsanerkennungsverfahren nach dem BQFG kann jede Person beantragen, die über einen im Ausland erworbenen Berufsabschluss verfügt. Hierzu müssen die in § 5 BQFG festgelegten Nachweise vorgelegt werden. Die zuständige Stelle prüft, ob wesentliche inhaltliche oder zeitliche Unterschiede zwischen der im Ausland erworbenen Berufsqualifikation und der deutschen Referenzqualifikation bestehen. Diese Gleichwertigkeitsprüfung läuft unabhängig von der Staatsangehörigkeit, von dem jeweiligen Aufenthaltsstatus oder von den Sprachkenntnissen der Anerkennungsinteressierten ab. 3 Baukammer Berlin: Zunächst ist festzustellen, dass über 90 % aller Antragstellenden mit einer im Ausland erworbenen Qualifikation gemäß Berliner Ingenieurgesetz (IngG) einen positiven Bescheid von der Baukammer Berlin erhalten. Das heißt, sie sind berechtigt, die Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ zu führen (§ 2 IngG). Auch wurden Antragstellende bisher nie wegen fehlender Sprachzertifikate abgelehnt. Die Ausübung des Berufes Ingenieurin/Ingenieur in Berlin ist nicht an Bescheide der Baukammer Berlin geknüpft. Jede Person aus dem Ausland (und aus dem Inland) ist berechtigt, als Ingenieurin/Ingenieur in Deutschland zu arbeiten. Auch bleibt ihre/seine ausländische Berufsbezeichnung hier unangetastet (vgl. § 34a Berliner Hochschulgesetz). Die Baukammer Berlin als gesetzlich zuständige Stelle gemäß IngG hat nur (auf Antrag) zu prüfen, ob die/der ausländische Antragstellende berechtigt ist, die Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ zu führen. Das kann sie/er gemäß § 2 IngG dann, wenn Gleichwertigkeit gegeben ist. Anders als in der Frage formuliert, ist für die Baukammer ausschließlich das Ingenieurgesetz einschlägig (§ 5 IngG i.V.m. § 40 Berliner Architekten- und Baukammergesetz - ABKG). Dabei handelt es sich um Landesrecht. Darüber hinaus wird auf den gesetzlichen Auftrag der BK Berlin - gemäß Berliner Architekten- und Baukammergesetz (ABKG) - als gesetzliche Berufsaufsicht und dem Verbraucherschutz verpflichtete Körperschaft des öffentlichen Rechts verwiesen: Das Berufsbild des Ingenieurs / der Ingenieurin erfordert ein akademisches Studium. Hierzu gehört die vertiefte Kenntnis aller bauordnungsrechtlichen Vorschriften (vgl. Bauordnung Berlin). Es handelt sich hierbei um reines Sicherheitsrecht. Gleiches gilt für die Kenntnis der Normen, insbesondere der DIN-Normen. Die Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ kann nur die Person in Berlin führen, die in der Lage ist, diese in deutscher Sprache verfassten Vorschriften wenigstens ansatzweise zu lesen und zu verstehen. Für die BK Berlin als gesetzliche Berufsaufsicht, die als solche die alleinige Verantwortung für das von den Verbraucherinnen und Verbrauchern in die Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ gesetzte Vertrauen trägt, ist es unabdingbar, dass deutsche Sprachkenntnisse im Minimum vorhanden sind. Nach Auffassung der BK Berlin sollte mindestens ein Sprachniveau B2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) bestehen. Der Ingenieurberuf ist ein reglementierter Beruf, der gemäß EU-Richtlinie – Erwägungsgründe (9) – „die öffentliche Sicherheit berührt“. Die Baukammer verantwortet die Berufsaufsicht mithin gemäß EU-Richtlinie 2013/55/EU und gemäß ABKG. Nach Artikel 53 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen müssen die „erforderlichen“ Sprachkenntnisse im Aufnahmemitgliedstaat nachgewiesen werden. 4 2. Ist dem Senat bekannt, dass bei Anträgen zur Prüfung der Anerkennung, die aus dem Ausland gestellt werden (insbesondere bei Ingenieuren und bei Anträgen an die Baukammer), als Voraussetzung für die Annahme des Antrages eine polizeiliche Anmeldung verlangt wird? Wenn nicht: Warum ist der Senat über diese Praxis nicht informiert? Wenn ja: Wer stellt den Missstand ab sorgt in Berlin für die gesetzeskonforme Umsetzung des Bundesgesetzes zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse? Zu 2.: Rechtliche Grundlage für die Anerkennung von Ingenieursabschlüssen ist das Gesetz zum Schutz der Berufsbezeichnung „Ingenieurin“ und „Ingenieur“ (Ingenieurgesetz – IngG). Das BQFG Berlin findet gemäß § 8 IngG mit Ausnahme des § 17 (Statistik) und § 19 (Beratungsanspruch) keine Anwendung. Laut Auskunft der BK Berlin liegen bisher keine Anträge aus dem Ausland auf Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses gem. Ingenieurgesetz (Genehmigung zum Führen der Berufsbezeichnung „Ingenieur/Ingenieurin“) vor. Grundsätzlich gilt, dass gemäß § 17a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) Anträge aus dem Ausland ohne vorherige polizeiliche Meldung gestellt werden können. Für Antragstellende, die sich bereits in Berlin aufhalten, sieht die BK Berlin eine polizeiliche Anmeldung als erforderlich an, um als zuständige Behörde erkennen zu können, welches der 16 Bundesländer für das Anerkennungsprozedere zuständig ist. Nur mit dem Wohnsitzerfordernis bzw. der amtlichen Meldung wird die Zuständigkeit der Baukammer Berlin für das Land Berlin begründet. Ohne festen Wohnsitz oder polizeiliche Meldung ist eine Zuständigkeit der jeweiligen Landeskammer in Deutschland nur schwer verifizierbar. Hier bestünde ansonsten die Gefahr eines Anerkennungstourismus. Es gibt in Deutschland 16 verschiedene Ingenieurgesetze , die teilweise unterschiedliche Anforderungen an die Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ stellen. Das heißt, dass eine/ein Antragstellende/r in 16 verschiedenen Bundesländern den Antrag auf Anerkennung der Berufsbezeichnung „Ingenieurin/Ingenieur“ zeitgleich stellen könnte, ließe sich seine erforderliche polizeiliche Meldung nicht verorten. Des Weiteren ergibt sich aus den Erwägungsgründen der o. g. EU-Richtlinie 55, dort (8), dass die Mitgliedstaaten „im Interesses des Schutzes der örtlichen Verbraucher ... Kontrollen durchführen können“. Hier stellt sich die Frage, wie dies verantwortlich durchführbar sein könnte, ohne dass der Wohnsitz oder die polizeiliche Meldung in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Landesbehörde, hier Baukammer Berlin, fiele. Für die Baukammer Berlin selbst ist auch der zentrale Verbraucherschutzgedanke wiederum notwendige Richtschnur (§ 40 ff. ABKG). Die Baukammer Berlin ist die gesetzliche Berufsaufsicht aller (im Bauwesen) tätigen Ingenieurinnen und Ingenieure im Land Berlin. Der Ingenieurberuf ist ein reglementierter Beruf, der gemäß EU- Richtlinie – Erwägungsgründe (9) – „die öffentliche Sicherheit berührt“ (s. o.). Insofern gilt der Verbraucherschutzgedanke. Die Baukammer Berlin ist ferner gemäß § 9 IngG zuständige Ordnungswidrigkeitsbehörde . Das kann sie aber nur dann wirksam sein, wenn eine polizeiliche Meldung überhaupt vorliegt. 5 3. Ist dem Senat bekannt, dass Krankenschwestern, die eine Anerkennung ihrer Abschlüsse/Qualifikationen beantragt haben, oft nicht die vorgeschriebene Alternative von Nachprüfung vs. Anpassungslehrgang angeboten wird? Wenn nicht: Warum ist der Senat über diese Praxis nicht informiert? Wenn ja: Wer stellt den Missstand ab sorgt in Berlin für die gesetzeskonforme Umsetzung des Bundesgesetzes zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse? Zu 3.: Nach Kenntnis der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung weist das LAGeSo ausländische Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheitsund Krankenpfleger, die die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung beantragt haben und bei denen aufgrund wesentlicher Unterschiede keine Gleichwertigkeit der Ausbildung festgestellt werden kann, ausnahmslos in dem zu erlassenden Feststellungsbescheid darauf hin, dass die Erlaubnis erteilt werden kann, wenn diese wahlweise erfolgreich eine Eignungs- oder Kenntnisprüfung oder einen Anpassungslehrgang absolvieren. Fälle, in denen Antragstellende nicht auf die alternativen Möglichkeiten hingewiesen wurden, sind dem LAGeSo nicht bekannt. Berlin, den 7. Juli 2017 Elke B r e i t e n b a c h _____________________________ Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales S18-11613 S18-11613