Drucksache 18 / 11 832 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten June Tomiak (GRÜNE) vom 14. Juli 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Juli 2017) zum Thema: Es gibt kein ruhiges Hinterland – Buskontrollen im Nirgendwo und Antwort vom 03. August 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Aug. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete June Tomiak (Grüne) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/11 832 vom 14. Juli 2017 über Es gibt kein ruhiges Hinterland – Buskontrollen im Nirgendwo ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde ein Bus mit Mitgliedern von Jugendorganisationen politischer Parteien am 10. Juli 2017 auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin an der Raststätte Stolpe bei Parchim kontrolliert und durch wen erfolgte die Anordnung? a) Auf welchen Grundlagen versuchten Berliner Beamtinnen und Beamte, die Reisenden aus der Tankstelle zu Kontrollen heranzuziehen? Welche Erkenntnisse besitzt der Senat über Schlagstockeinsätze der Beamtinnen und Beamten, um die Laufgeschwindigkeit der Kontrollierten zu regulieren? b) Auf welchen Grundlagen wurde der Bus für Kontrollen ausgewählt? c) Welche Erkenntnisse besaßen die eingesetzten Beamtinnen und Beamten im Vorfeld der Kontrolle über den Bus, dessen Zielort und dessen Insassen? d) Wieso ereigneten sich die entsprechenden Kontrollen auf einem Rastplatz in Mecklenburg- Vorpommern statt in Berlin? Falls die Antwort Gefahrenabwehr ist, welche Gefahr ging von den Reisenden aus? Auf welchen Grundlagen kam es zu dieser Einschätzung? Zu 1. a) – d): Die am 9. Juli 2017 zunächst aufgrund eines Übermittlungsfehlers in Stolpe (Mecklenburg-Vorpommern) begonnenen Maßnahmen sollten auf Grundlage des § 163 b Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) erfolgen. Die dort eingesetzten Kräfte gingen irrtümlich davon aus, dass sich unter den zu kontrollierenden Personen Straftäterinnen und Straftäter zu schweren Straftaten befanden, welche sich während des G20-Gipfels in Hamburg ereigneten. Aus diesem Grunde wurde unverzüglich mit polizeilichen Maßnahmen zur Gewährleistung von Personenkontrollen begonnen. Tatsächlich sollten nur Maßnahmen zur Identitätsfeststellung von Zeuginnen und Zeugen gemäß § 163 b Abs. 2 StPO erfolgen und zwar auf dem Rastplatz Stolper Heide (Brandenburg). Die irrtümliche Annahme bezog sich also auf den Kontrollort und den rechtlichen Status der zu überprüfenden Personen, einschließlich der zugrundeliegenden Rechtsgrundlage. Unmittelbar nach Aufklärung dieses Übermittlungsfehlers wurden die Maßnahmen sofort eingestellt und alle Personen zur eigentlichen Kontrollstelle Stolper Heide in Brandenburg begleitet. Im Ganzen dauerte die Maßnahme auf dem Rastplatz Stolpe bei Parchim etwas mehr als zehn Minuten. 2 Der benannte Personenkreis befand sich sitzend zunächst neben dem festgestellten Reisebus. Bei Annäherung der eingesetzten Kräfte entfernte sich ein Teil der Gruppe plötzlich und begab sich rennend in die Raststätte. Um bei dem bestimmbaren Personenkreis die beabsichtigte Identitätsfeststellung durchzuführen, wurden diese angesprochen und aus der Raststätte verwiesen. Der Mehrzweckstock wurde vereinzelt mitgeführt. In keinem Fall wurde dieser eingesetzt. Die Anordnung zur Durchführung der Maßnahmen erfolgte durch eine Führungskraft der zuständigen Fachdienststelle des Landeskriminalamtes Berlin. e) Auf welchen Grundlagen wurden freiheitsentziehende Maßnahmen wie „Einkesselung“ neben dem Bus betrieben? Zu 1. e): Es wurden freiheitsbeschränkende Maßnahmen als Begleiteingriff zur geplanten Identitätsfeststellung durchgeführt. Sowohl das in der Antwort zu Frage 1. a) geschilderte Verhalten als auch die hohe Anzahl der zu kontrollierenden Personen, die zu diesem Zeitpunkt noch irrtümlich als Tatverdächtige in Betracht kamen, machten eine zentrale Zusammenführung der Personen unabdingbar. f) Auf welchen Grundlagen wurden Personen im Kessel nach Geschlechtern getrennt? Zu 1. f): Da zunächst von einer längeren Bearbeitungsdauer ausgegangen werden konnte, wurden die Personen gebeten, sich geschlechterspezifisch aufzuteilen, um Wünschen, die Toilette aufzusuchen, schnellstmöglich nachkommen zu können. g) Auf welchen Grundlagen wurden während dieser freiheitsentziehenden Maßnahmen grundlegende Dinge wie das Recht, einen Anwalt anzurufen, verwehrt? (§137 StPO) Zu 1. g): Die vorbereitenden freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zur Durchführung von Identifizierungsmaßnahmen nach § 163 b Abs. 1 StPO wurden nach ca. zehn Minuten abgebrochen (siehe Antwort zu Frage 1.). In dieser Zeit mussten sich die eingesetzten Kräfte zunächst einen Überblick über die Personengruppe verschaffen, welche identifiziert werden sollte. § 137 StPO regelt das Recht des Beschuldigten, einen Anwalt zu konsultieren. Ein Beschuldigtenstatus lag zu keinem Zeitpunkt vor. h) Wie lange waren die Beamtinnen und Beamten, die die Kontrollen durchführten, vorher im Einsatz? i) Beamtinnen und Beamten welcher EHUs waren an dem Einsatz beteiligt? Zu Frage 1. h und i): Die 25. Einsatzhundertschaft aus Berlin versah ihren Dienst am 9. Juli 2017 in der Zeit von 08:00 Uhr bis 21:00 Uhr. Somit waren die eingesetzten Polizeidienstkräfte zum Beginn der Kontrolle um 12:14 Uhr etwas mehr als 4 Stunden im Dienst. j) Wurden Gegenstände beschlagnahmt? Wenn ja, bitte aufschlüsseln. Zu 1. j): Nein. k) Wurden Personen festgenommen? 3 Zu 1. k): Nein. 2. Auf welcher rechtlichen Grundlage wurden 8 Busse eine Stunde später am Rasthof Stolper Heide kontrolliert und durch wen erfolgte die Anordnung? a) Auf welchen Grundlagen wurden die Busse für Kontrollen ausgewählt? b) Welche Erkenntnisse besaßen die eingesetzten Beamtinnen und Beamten im Vorfeld der Kontrolle über die Busse, deren Zielort und deren Insassen? Zu 2. a und b): Am 9. Juli 2017 wurden acht aus Hamburg kommende Reise- und zwei Kleinbusse mit dem Ziel Berlin der Kontrollstelle in Stolper Heide (Brandenburg) zugeführt. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnislage, dass sich die Insassen der Reisebusse im tatrelevanten Zeitraum in dem sogenannten „Camp Altona“ in Hamburg aufgehalten haben könnten, kamen diese als Zeuginnen bzw. Zeugen in Betracht. Demnach soll sich das „Camp Altona“ als Ausgangspunkt von Personengruppen herausgestellt haben, die an der Begehung verschiedener, zum Teil schwerer Straftaten im Hamburger Stadtgebiet im Rahmen der Gegenproteste zum G20-Gipfel beteiligt gewesen sein sollen. Die Identifizierung erfolgte nach § 163 b Abs. 2 StPO. Die Durchführung der Maßnahmen wurde durch eine Führungskraft der zuständigen Fachdienststelle des Landeskriminalamtes Berlin angeordnet. Aufgrund polizeilicher Erkenntnisse war ferner davon auszugehen, dass es in Berlin zu Aktionen/Straftaten der linksextremistischen Szene kommen soll. Die in Hamburg gezeigten Verhaltensweisen und schweren Straftaten waren geeignet, die öffentliche Sicherheit erheblich zu gefährden. Demnach kam es neben der Identifizierung nach § 163 b Abs. 2 StPO zu einer unaufschiebbaren Erweiterung der Maßnahmen auch in den Bereich der Gefahrenabwehr nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 Nr. 5 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Berlin) in Verbindung mit § 77 Abs. 1 Brandenburgisches Polizeigesetz (BbgPolG) und dem Verwaltungsabkommen zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg über die gegenseitige Unterstützung durch Polizeikräfte vom 10. Mai 1996. Zum Zwecke der Gefahrenabwehr wurden zu identifizierende Personen nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 BbgPolG (in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 Nr. 5 ASOG Berlin sowie § 77 Abs. 1 BbgPolG und dem Verwaltungsabkommen zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg über die gegenseitige Unterstützung durch Polizeikräfte vom 10. Mai 1996) sowie deren mitgeführtes Gepäck durchsucht. Danach kann die Polizei eine Person, deren Identität u.a. nach § 163 b StPO festgestellt werden soll, nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen und Explosivmitteln durchsuchen, wenn das nach den Umständen zum Schutz des Polizeivollzugsbediensteten oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich erscheint. Des Weiteren ist eine Durchsuchung gestattet, wenn Tatsachen die Annahmen rechtfertigen, dass die Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Dabei wurden u.a. Vermummungsutensilien und in ihrer Bestimmtheit als Werkzeug oder Waffe geeignete Gegenstände festgestellt und in der Folge nach § 25 Nr. 1 und 2 BbgPolG (in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 Nr. 5 ASOG Berlin sowie § 77 Abs. 1 BbgPolG und dem Verwaltungsabkommen zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg über die gegenseitige Unterstützung durch Polizeikräfte) sichergestellt bzw. als Beweismittel einer Straftat nach § 94 StPO beschlagnahmt (siehe Antwort zu Frage 2. d). 4 c) Welche Erkenntnisse besitzt der Senat über Kontrollen der Besitztümer der Busfahrenden in deren Abwesenheit durch die Berliner Polizei? Zu 2. c): In Abwesenheit der Betroffenen wurden keine mitgeführten Gegenstände durchsucht. d) Wurden Gegenstände beschlagnahmt? Wenn ja, bitte aufschlüsseln. Zu 2. d): Es wurden folgende Gegenstände sichergestellt: Anzahl Art der Gegenstände 32 Vermummungsutensilien 1 herrenloses Vermummungsutensil 5 Schutzbewaffnung 2 herrenlose Mobiltelefone 13 Handschuhe 4 Stifte 2 Schablonen 2 Flaschen zum Augenspülen Darüber hinaus wurden folgende Gegenstände als Beweismittel beschlagnahmt: Anzahl Art der Gegenstände 1 Nebeltopf 1 Betäubungsmittelsuspekte Substanz e) Wurden Personen festgenommen? Zu 2. e): Nein. Berlin, den 03. August 2017 In Vertretung Christian Gaebler Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-11832 S18-11832