Drucksache 18 / 12 036 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vom 08. August 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. August 2017) zum Thema: Sprachförderbedarf der Berliner Vorschulkinder seit Jahren unverändert hoch Was muss sich ändern? und Antwort vom 30. August 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Sep. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12036 vom 08.08.2017 über Sprachförderbedarf der Berliner Vorschulkinder seit Jahren unverändert hoch Was muss sich ändern? ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat den seit Jahren anhaltend hohen Sprachförderbedarf von ca. 16 % aller Berliner Kita-Kinder vor Eintritt in die Schule? 2. Worin liegen die Gründe, dass sich der Prozentsatz Kinder, die einen hohen Sprachförderbedarf haben, seit mindestens acht Jahren nicht grundlegend geändert hat? 3. Wie schätzt der Senat in diesem Zusammenhang folgende mögliche Ursachen ein: fehlendes Fachpersonal einschließlich Qualifizierungslücken im Hinblick auf die Umsetzung der Sprachförderprogramme , noch ungenügend entwickelte interkulturelle Kompetenz in der Bewältigung des Kita-Alltags, um die individuellen Bedarfslagen zu erkennen, mangelnde Ausrichtung der Förderprogramme auf die verschiedenen Ethnien durch den stetigen Zuwachs von Kindern mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, mangelnde Einbeziehung der Elternhäuser, besondere Problemlagen bei Kindern mit Behinderungen? 4. Was muss sich trotz Sprachlerntagebuch und Förderprogrammen in den Berliner Kitas ändern, um diesen seit mindestens acht Jahre anhaltenden Trend der Stagnation bei der Sprachförderung zu durchbrechen? Zu 1. bis 4.: Der in der Frage 1 formulierten Annahme liegen Daten der sogenannten „Qualifizierten Statuserhebung Sprachentwicklung 4-jähriger Kinder in Kita und Kindertagespflege (QuaSta)“ zugrunde. Diese Daten sind jedoch nicht geeignet, um hieraus einen „anhaltend hohen Sprachförderbedarf“ oder einen „anhaltenden Trend der Stagnation“ zu schlussfolgern . Insbesondere sind Vergleiche der Ergebnisse verschiedener Jahrgänge nur einge- - - 2 schränkt aussagefähig, da sich die Zusammensetzung der Kindergruppen, die durch die QuaSta eingeschätzt werden, in jedem Jahr nach Alter, Geschlechtszugehörigkeit, Dauer des Aufenthalts in Deutschland, Dauer des Kitasbesuchs, einer eventuell vorliegenden Behinderung u.a. ändert. Daneben ist zu berücksichtigen, dass unabhängig von frühpädagogischer Förderung immer ein bestimmter Anteil der Kinder Sprachentwicklungsstörungen mit beispielsweise logopädischem Behandlungsbedarf aufweist. Unter Berücksichtigung dieser Bedingungen ist es nachvollziehbar, dass sich der Anteil der Kinder, die bis zur Einschulung sprachlich gefördert werden müssen, ein- bis eineinhalb Jahre vor Schuleintritt in der Regel auf 15 - 17 % beläuft. Das Ziel der QuaSta ist es: ca. 15 Monate vor Schuleintritt den Pädagoginnen und Pädagogen eine vertiefte und gebündelte Einschätzung des Sprachstands eines Kindes zu geben (Was kann das Kind heute?), eine Bilanz der bislang erfolgten sprachlichen Anregungen zu ermöglichen (Was haben wir in der Sprachbildung mit diesem Kind bisher erreicht?), als Basis für eventuelle Sprachfördermaßnahmen im letzten Jahr vor Schuleintritt zu dienen (In welchem Bereich braucht das Kind Unterstützung und was können wir tun?), Grundlage für ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern des Kindes zu sein, aus dem sich Anregungen für das Kind im häuslichen Umfeld ableiten lassen (Was können die Eltern tun, um die Sprachfähigkeiten des Kindes zu fördern?). Die Maßnahmen zur Bildung und Förderung der sprachlichen Fähigkeiten, insbesondere vom Zeitpunkt der Feststellung eines besonderen Sprachförderbedarfs bis zum Schuleintritt , stehen für die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung, die Träger der Kindertageseinrichtungen und die Kitas sowie der Kindertagespflege im Vordergrund der pädagogischen Arbeit. Beispielhaft ausgewählte Maßnahmen des Senats zur Förderung der sprachlichen Fähigkeiten der Kinder vor Schuleintritt sind: Die Förderung des Kita-Besuchs durch den Ausbau von Plätzen und Werbung für einen frühzeitigen Kita-Besuch. Die Aktualisierung des Berliner Bildungsprogramms als verbindliche pädagogische Grundlage im Jahr 2014. Eine Regelung der verbindlichen Weitergabe der Lerndokumentation aus dem Sprachlerntagebuch (mit Einverständnis der Eltern) von der Kita an die Grundschule (seit 2014), um eine durchgängige Förderung der Kinder mit Sprachförderbedarf zu sichern. Die Erarbeitung und Übergabe von Materialien zur Anregung der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung (Bsp.: Sprachkalender „Zwölf sprechende Wände und eine dazu“) an alle Kitas und Kindertagespflegestellen seit 2014. - - 3 Die Teilnahme Berlins am Bundesprogramm „Offensive Frühe Chancen – Schwerpunktkitas Sprache und Integration“ mit zusätzlichen Sprachförderkräften (0,5 Stellen ) in rund 180 Kitas seit 2011. Die Teilnahme Berlins am Bundesprogramm „Bildung durch Sprache und Schrift“ mit 3 Vorhaben/Projekten seit 2014. Die Aktualisierung des Sprachlerntagebuchs. Die verpflichtende interne und externe Evaluation der pädagogischen Arbeit in den Einrichtungen seit 2008/2010. Angebote zur Fort- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften zu sprachpädagogischen Themen. Der Ausbau der Familienzentren/Familienbildungsarbeit, da die Sprachentwicklung stark abhängig ist von der Anregungsqualität und Unterstützung in den Familien. Zur weiteren Vertiefung wird auf die Erläuterungen im „Bericht über den Stand und die Ergebnisse der Sprachförderung in den Berliner Kitas und der Tagespflege“ - Mitteilung zur Kenntnisnahme Drucksache 17/1414 - verwiesen. 5. Gibt es einen Unterschied beim Sprachförderbedarf zwischen Kindern in der Kita und Kindern in der Tagespflege (beide werden in der Statistik zusammen veranlagt)? Wenn ja, welche Schlussfolgerung könnte man daraus ziehen? Zu 5.: Die Daten zur Kindertagespflege werden nicht separat erhoben oder ausgewertet. 6. Wie hoch ist der tatsächliche Sprachförderbedarf, wenn nicht nur die Kita-Kinder / Kinder in der Tagespflege in die Statistik einbezogen werden, sondern auch alle in Frage kommenden Nicht-Kita-Kinder? (Bitte dazu die ermittelte Gesamtzahl der Kinder der letzten vier Jahre angeben absolut und prozentual.) Was sind daraus für Schlussfolgerungen zu ziehen? Zu 6.: Die Daten aus der Statuserhebung „QuaSta“ und aus der Sprachstandserhebung bei den Nicht-Kita-Kindern können aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsverfahren nicht zusammengefasst werden. Bei der Sprachstandserhebung der Nicht-Kita-Kinder handelt es sich um Testverfahren zu einem festgelegten Zeitpunkt. Die Statuserhebung „QuaSta“ beruht im Gegensatz dazu auf der Einschätzung von Entwicklungsschritten, die Kinder in diesem Alter bereits durchlaufen haben können. Die differenzierte Beobachtung des Kindes, die frühzeitige und kontinuierliche Arbeit mit dem Sprachlerntagebuch ermöglicht es den Erzieherinnen und Erziehern , die aufgeführten Fragen zur Sprachentwicklung im Hinblick auf das einzelne Kind zu beantworten, ohne das Kind einer Testsituation unterziehen zu müssen. - - 4 7. Wie stellt der Senat sicher, dass die Sprachförderangebote alle Kinder – Kita-Kinder / Kinder in der Tagespflege und Nicht-Kita-Kinder – erreichen, um ihnen einen möglichst guten Start in der Schule zu ermöglichen ? Hält der Senat dafür den § 55 des Berliner Schulgesetzes für ausreichend? Wenn ja, warum? Wenn nein, was sollte geändert werden? Zu 7.: Mit der gesetzlichen Verankerung der vorschulischen Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung im § 55 Schulgesetz sowie mit § 5a Sprachliche Förderung im Kindertagesförderungsgesetz sind die wesentlichen Grundlagen geschaffen, allen Berliner Kindern den Zugang zu vorschulischer Sprachförderung 18 Monate vor Schuleintritt zu ermöglichen . Insbesondere auch die Nicht-Kita-Kinder mit sprachlichem Förderbedarf werden mit dieser gesetzlichen Verankerung erreicht. 8. Welche besonderen Problemstellungen ergeben sich aus dem in Berlin angewandten Verfahren zur Sprachstandsfeststellung “QuaSta“ hinsichtlich der Einschätzung von Kindern mit Behinderungen sowie Kindern mit Migrationshintergrund oder beiden Merkmalen? 9. Wie steht der Senat in diesem Zusammenhang zu der Kritik an dem Berliner Verfahren zur Sprachstandsfeststellung „QuaSta“? Wie und wann will er daraus geeignete Änderungen für ein chancengerechtes Testverfahren ableiten? Zu 8. und 9.: Nach der in den Jahren 2014 und 2016 erfolgten Aktualisierung des Berliner Bildungsprogramms und des Sprachlerntagebuchs ist es aus Sicht des Senats sinnvoll und notwendig, ebenfalls die QuaSta zu überarbeiten. Zunächst wurde eine Evaluation der QuaSta beauftragt . Auf Grundlage der Ergebnisse der Evaluation wird durch die Unterarbeitsgruppe „Sprachliche Bildung“ der Arbeitsgruppe „Qualitätsentwicklungsvereinbarung Kindertagesstätten “ (AG QVTAG) ein Vorschlag für ein weiter entwickeltes Statuserhebungsverfahren erarbeitet werden. Dieses soll sich gut in die vorhandenen Instrumente „Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege“ sowie das „Sprachlerntagebuch“ einfügen, einen möglichen Sprachförderbedarf zuverlässig erkennen und Hinweise für eine weitere Förderung geben. Das Verfahren wird mit dem Bereich Schule abgestimmt. Bei der Überarbeitung wird auch die besondere Problemlage bei der Einschätzung von Kindern mit Behinderungen sowie Kindern mit Migrationshintergrund berücksichtigt. 10. Was will und muss der Senat tun, um für alle Kinder im Vorschulalter eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Sprachförderung vor Eintritt in die Schule insbesondere in sozialen Brennpunkten anbieten zu können? Zu 10.: Die Überarbeitung der Statuserhebung „QuaSta“ soll, wie oben beschrieben, nicht nur den individuellen Bedarf präziser erfassen, sondern bereits konkrete Hinweise für eine weitere Förderung der Kinder geben. Damit können die unter der Antwort zu den Fragen 1. bis 4. beispielhaft ausgewählten und zukünftig weiterzuentwickelnden Maßnahmen des Senats zur Förderung der sprachlichen Fähigkeiten der Kinder vor Schuleintritt durch die Kindertageseinrichtungen und ihre Träger früher und gezielter genutzt werden. Dies gilt insbesondere auch für die Identifizierung und Förderung von besonderen Bedarfen in der Sprachentwicklung , unter anderem auch in sozialen Brennpunkten. Für Kinder, die in Wohnge- - - 5 bieten mit sozial benachteiligenden Bedingungen leben, wird gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 c Kindertagesförderungsgesetz (KitaFöG) i. V. m. § 18 Kindertagesförderungsverordnung (VOKitaFöG) zusätzliches sozialpädagogisches Personal zur Verfügung gestellt. Der Berechtigtenkreis wurde im Rahmen des Haushaltsumsetzungsgesetzes 2016 erweitert. 11. Welche Planungen hat der Senat für zusätzliche Förderungen der Kinder, die bei Schuleintritt das notwendige Sprachniveau noch nicht erreicht haben? Zu 11.: Das Konzept der „Durchgängigen Sprachbildung“ fördert den Spracherwerb sowohl entlang der Bildungsbiographie – von der Kindertagesstätte bis zur Beruflichen Bildung – als auch auf unterrichtlicher, schulischer und außerschulischer Ebene. Das Konzept umfasst auch die Gestaltung der Übergänge zwischen den Bildungseinrichtungen und die Einbeziehung von Eltern und Kooperationspartnern für den Ganztag und Ferienangebote in den Sprachbildungsprozess. Die regionalen Sprachberaterteams für vorschulische Sprachförderung beraten das pädagogische Personal in Kitas und Grundschulen in Bezug auf die sprachliche Förderung am Übergang von der Kita in die Grundschule. Alle Kinder und Jugendlichen, die aufgrund einer schulinternen Feststellung die Sprache Deutsch nicht ausreichend beherrschen, um dem Unterricht zu folgen, erhalten Sprachförderung . Das gilt sowohl für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache als auch für einsprachig Deutsch aufgewachsene Schülerinnen und Schüler. Die Sprachfördermaßnahmen können sowohl integrativ als auch additiv in zusätzlicher Lernzeit angeboten werden. Es liegt in der Verantwortung der aufnehmenden Schulen ein angemessenes Angebot an Sprachvermittlung und Sprachförderung zu organisieren, ggf. auch mit weiteren Angeboten im Rahmen des Ganztags. In vielen Berliner Schulen ist die Schulanfangsphase jahrgangsstufenübergreifend organisiert. Die Kinder werden beobachtet und betreut , um festzustellen, ob und welche Unterstützung sie beim Erwerb der deutschen Sprache benötigen. Schulen erhalten dafür zusätzliche Ressourcen zur Sprachförderung. Im Rahmen des schuleigenen Sprachförderkonzepts werden Maßnahmen zur sprachsensiblen Unterrichtsgestaltung und zur individuellen Förderung festgelegt. 12. Was muss sich nach Ansicht des Senats bei der Qualifizierung des pädagogischen Fachpersonals in den Kitas sowie der Lehrer in den Grundschulen ändern, damit diese ausreichend den wachsenden individuellen Sprachförderbedarfen der Kinder Rechnung tragen zu können? Zu 12.: Änderungen in der Qualifizierung sind nicht erforderlich, da die Qualifizierung nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie wird aber die bereits vorhandenen Strukturen bzw. Angebote verstärkt bewerben und ggf. ausbauen, damit mehr Fachpersonal an Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt. Das Zentrum für Sprachbildung (ZeS) bietet bereits in Kooperation mit dem Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut (SFBB) und den regionalen Sprachberaterinnen und Sprachberatern Fortbildungen zu Themen der Sprachförderung bzw. zum Einsatz des Sprachlerntagebuches an. Darüber hinaus werden Fortbildungen zur Sprachstandfeststellung und Sprachförderung nicht nur zentral vom ZeS angeboten, sondern auch in Kooperation mit dem Studienzent- - - 6 rum für Erziehung, Pädagogik und Schule (StEPS) innerhalb der Weiterbildung der Sprachbildungskoordinatorinnen und Sprachbildungskoordinatoren. Außerdem beteiligt sich das Land Berlin an dem Projekt BiSS – Bildung durch Sprache und Schrift. Innerhalb dieses Projektes werden zurzeit in verschiedenen Verbünden Erfahrungen zum Übergang Kita-Grundschule gesammelt. Das Fachpersonal der kooperierenden Einrichtungen erhalten nicht nur Beratungen sondern auch Fortbildungen zu Themen der Sprachbildung wie z. B. entdeckendes Lernen in Lernwerkstätten, alltagsintegrierte Sprachförderung und Sprachbildung am Übergang Kita-Grundschule. Die positiven Erfahrungen der bisherigen BiSS-Einrichtungen zeigen, dass diese Programme gut strukturiert und aufeinander aufbauend erfreuliche Veränderungen im Sprachstand der Kinder bewirken. In diesem Schuljahr bietet das ZeS daher bereits zwölf Grundschulen die Möglichkeit der Schulentwicklungsbegleitung zum Bereich Leseförderung für einen Zeitraum von zwei Jahren an. Ebenso ist angedacht, weitere kooperierende Einrichtungen zum Übergang Kita-Grundschule in ihrer Entwicklung zu begleiten. Außerdem plant das ZeS gemeinsame Fortbildungsangebote für das Fachpersonal der Kitas und Grundschulen. Berlin, den 30. August 2017 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie S18-12036 S18-12036