Drucksache 18 / 12 050 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 24. Juli 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. August 2017) zum Thema: Berliner Aussteigerprogramm für Personen aus der islamistischen Szene? II und Antwort vom 31. August 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Sep. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12050 vom 24. Juli 2017 über Berliner Aussteigerprogramm für Personen aus der islamistischen Szene? II -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele gewaltbereite Islamisten sind nach derzeitigem Kenntnisstand des Senats in Berlin wohnhaft? 2. Wie hat sich die Zahl gewaltbereiter Islamisten in den letzten zehn Jahren in Berlin entwickelt? (Aufstellung nach Jahren erbeten.) Zu 1. und 2.: Nach Information der Senatsverwaltung für Inneres und Sport findet sich ein Überblick über das Personenpotenzial gewaltbereiter Islamisten aus Berlin im jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht. Hier sind sowohl die aktuellen Zahlen als auch das Personenpotenzial der vergangenen zehn Jahre aufgeführt. 3. Inwieweit ist die Empfehlung der Länderarbeitsgruppe zum „Umgang mit radikal-islamistischen Gefangenen “ bisher umgesetzt worden, nach der „geeignete Gefangene […] in ein vollzugsinternes oder in ein externes Deradikalisierungs- bzw. Aussteigerprogramm zu vermitteln“ sind (Drs. 17/18751)? Zu 3.: Entsprechend den Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe „Umgang mit radikalislamistischen Gefangenen“ wurden und werden geeignete Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen für alle Gefangenen in den Berliner Justizvollzugsanstalten im Rahmen der Vollzugs- und Eingliederungsplanung festgelegt. Maßgeblich für die Zuweisung in eine Maßnahme ist der individuelle Betreuungs- und Behandlungsbedarf in Ableitung aus den delinquenten Entwicklungen der Gefangenen. Dieses trifft auch auf die Gruppe der radikalisierten und radikalisierungsgefährdeten Gefangenen zu. Der Berliner Justizvollzug hält ein vielfältiges Angebot an Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen vor, die auch präventive Ansätze gegen radikal-islamistische Haltungen und die Auseinandersetzungen über Straftaten aus dem radikal-islamistischem Spektrum zur Abwendung weiterer Straftaten bieten. Neben diesen, vorrangig durch die für die Gefangenen zuständigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder durch die 2 Psychologinnen und Psychologen in den Unterbringungsbereichen umgesetzten Maßnahmen , werden ergänzende Angebote freier Träger vorgehalten. Diese sind insbesondere : - Einzeltrainingsmaßnahmen zur Deradikalisierung und Radikalisierungsprävention im Erwachsenen- und Jugendvollzug, - Gruppentrainingsmaßnahmen zur Radikalisierungsprävention im Erwachsenen- und Jugendvollzug, - Antigewalt- und Kompetenztraining im Jugendvollzug als Radikalisierungsprävention, - Gesprächsgruppen für muslimische Inhaftierte im Erwachsenenvollzug mit präventivem Ansatz, - Workshop „Grundlagen und Werte des Islam“ im Erwachsenenvollzug mit präventivem Ansatz. Im Einzelfall werden die innerhalb des Justizvollzuges begonnenen Maßnahmen nach der Entlassung der Gefangenen fortgeführt oder der Einstieg in ein externes Programm veranlasst. Dieses erfolgt in enger Abstimmung zwischen den Justizvollzugsanstalten, den Trägern der Maßnahmen, ggf. der Führungsaufsichtsstelle, ggf. der Bewährungshilfe und den Sicherheitsbehörden. 4. Wie viele Personen nehmen derzeit und nahmen in den letzten Jahren an Deradikalisierungsmaßnahmen in Berliner Haftanstalten teil? (Aufstellung nach Jahren ab 2015 erbeten.) Zu 4.: Bei den Angaben der Teilnehmerzahl in Einzel-Deradikalisierungsmaßnahmen für die Jahre 2015 bis 2017 kommt es zu Überschneidungen, da die Maßnahmen über den Jahreswechsel hinaus durchgeführt wurden. Darüber hinaus nehmen auch Personen, die sich in Einzelmaßnahmen befinden, an ergänzenden Maßnahmen mit präventiven und deradikalisierenden Anteilen teil. Die Angaben beziehen sich auf den geschlossenen Männer- und Jugendvollzug. In der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges Berlin und in der Justizvollzugsanstalt für Frauen Berlin gibt es aktuell keinen Bedarf an entsprechenden Maßnahmen. Einzel-Deradikalisierungsmaßnahmen 2015 9 2016 11 2017 10 5. Wie kann aus Sicht des Senats eine erfolgreiche Deradikalisierung gemessen und beurteilt werden und bei wie vielen verzeichneten Fällen kann man von einer erfolgreichen Deradikalisierung sprechen? Zu 5.: Eine Deradikalisierung ist im Einzelfall dann erfolgreich, wenn es langfristig zu keinen weiteren einschlägigen Straftaten aufgrund radikal-islamistischer und gewaltbereiter Haltungen der Person kommt, keine einschlägigen Straftaten der Person zu erwarten sind und die Person keine radikal-islamistischen Haltungen verbreitet. Da die Radikalisierung eine individuelle Entwicklung darstellt, kann eine Beurteilung einer angestrebten Abschwächung oder Abwendung von extremistischen Haltungen und der Abwendung von der Bereitschaft zur Begehung von weiteren Straftaten nur an individuellen Kriterien vorgenommen werden. Deradikalisierung ist ein langwieriger und schwieriger Prozess. Voraussetzung ist die Bereitschaft des Gefangenen, sich freiwillig auf die Deradikalisierungsarbeit einzulassen. Im Wesentlichen besteht ihr Ziel darin, die betref- 3 fende Person zu demobilisieren, d. h. sie davon zu überzeugen, auf Gewaltausübung zu verzichten und sie im eigentlichen Sinn zu deradikalisieren, d. h. zu einer Abkehr von der islamistischen Ideologie zu bewegen. Als positiv zu bewerten wären bereits eine erfolgreiche Kontaktaufnahme und ein beginnender Dialog/eine beginnende Auseinandersetzung mit den Gefangenen. Erst wenn die Gefangenen sich auf eine Auseinandersetzung über vermeintliche Ursachen der persönlichen Radikalisierung und der damit einhergehenden Rechtfertigung begangener oder geplanter Straftaten einlassen, können der Prozess einer Deradikalisierung und vor allem eine Einsichtsentwicklung zu einem Verzicht auf Straftaten beginnen. Fälle einer eindeutig erfolgreichen Deradikalisierung können aktuell nicht benannt werden . Die Feststellung einer erfolgreichen individuellen Deradikalisierung kann nur durch eine langfristige Beobachtung von tatsächlichen Verhaltensänderungen vorgenommen werden. Berlin, den 31. August 2017 In Vertretung Margit Gottstein Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung S18-12050 S18-12050