Drucksache 18 / 12 051 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 24. Juli 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. August 2017) zum Thema: Nutzung sozialer Netzwerke im salafistisch-dschihadistischen Milieu II und Antwort vom 29. August 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Sep. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 3 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12051 vom 24. Juli 2017 über Nutzung sozialer Netzwerke im salafistisch-dschihadistischen Milieu II ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Für wie gefährlich hält der Senat die Radikalisierung von Jugendlichen in Berlin über soziale Netzwerke und wie schätzt er die Entwicklung dieser Gefahr ein? Zu 1.: Jihadistische Propaganda im Internet gewann in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung – und zwar sowohl hinsichtlich der gestiegenen Qualität, Professionalität und Anzahl der Produkte als auch der Zugangsmöglichkeiten und Nutzung. Insbesondere Terroranschläge erfahren eine propagandistisch-mediale Vor- und Nachbereitung, die diese inszeniert und islamrechtlich zu rechtfertigen versucht. Jihadistische Propaganda ist durch entsprechende Formate, Medienstellen, Kommunikationswege und Mehrsprachigkeit sowohl in der Breite als auch hinsichtlich der zeitlichen Verfügbarkeit erheblich intensiver geworden. Das Internet und die sozialen Medien sind für Jugendliche wichtige Informationsquellen und auch virtuelle „Orte“, wo sie sich „treffen“ und miteinander austauschen. Für die Zielgruppe ist es das wichtigste multifunktionale Leitmedium. Jihadistisch-salafistische Bewegungen nutzen neben den bekannten sozialen Medien, wie Facebook, YouTube, Twitter und Telegram auch andere spezifische Foren und Plattformen zur Kommunikation. Jugendliche und junge Erwachsene werden mit professionell erstellten Bildern und Videos versucht zu beeinflussen. Wenngleich Untersuchungen zeigen, dass das Internet einschließlich sozialer Netzwerke oftmals nicht als alleiniger Faktor für eine Radikalisierung verantwortlich ist, hat es häufig eine sehr hohe Bedeutung bei Radikalisierungsprozessen, insbesondere für die Informationsbeschaffung, die Kommunikation und die Interaktion. Radikalisierungsverläufe können so verstärkt und beschleunigt werden. Um neue Anhänger zu rekrutieren, werden Gräueltaten der Gegner und die eigene Opferrolle eindrucksvoll dargestellt. Darüber hinaus erfolgt eine Glorifizierung der Lebensumstände in der vermeintlich harmonischen Gemeinschaft im Kalifat der Seite 2 von 3 Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Damit greifen Propagandisten gezielt in die Sozialisation von Jugendlichen ein, um diese für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Häufig handelt es sich bei den Betroffenen um Personen, die aus prekären Familiensituationen kommen. Durch die verstärkte Nutzung der sozialen Medien haben sich demnach auch für Extremisten neue Möglichkeiten der Rekrutierung ergeben. Mit Appellen an das Bedürfnis nach Identität, persönlicher Anerkennung und authentischer Islamität zielt die Anwerbung auf junge Männer und Frauen, die zur Auswanderung in die Jihad-Regionen oder zur Anschlagsverübung in westlichen Staaten mittels leicht zugänglicher Tatmittel (Kfzs; Stichwaffen) bewogen werden sollen. Darüber hinaus ermöglicht eine vor allem über die sozialen Medien verbreitete „Propaganda in Echtzeit“ die direkte Interaktion zwischen Rekruteuren und radikalisierungsgefährdeten bzw. bereits radikalisierten Personen. Die virtuelle Teilnahme am Jihad („Social Jihad“) fördert die Bereitschaft zu Ausreisen in Kriegsgebiete und zu terroristischen Aktivitäten weltweit. 2. Werden durch den Verfassungsschutz die sozialen Netzwerke zu Radikalisierungsprozessen konstant beobachtet und in welchem Umfang? Inwieweit und ab wann agiert der Staatsschutz in diesem Bereich? Zu 2.: Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet nicht soziale Netzwerke an sich, sondern einzelne Profile (bspw. bei Facebook) bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte auf extremistische Bestrebungen von Personen bzw. von Personengruppen/Netzwerken. Dabei werden in einzelnen Fällen auch Feststellungen zu Radikalisierungsprozessen getroffen und diese entsprechend analysiert. Der Polizeiliche Staatsschutz agiert in diesem Zusammenhang ab dem Bekanntwerden eines konkreten Gefahrensachverhaltes oder im Kontext eines Ermittlungsverfahrens . 3. Welche Gegenstrategien entwickelt der Senat um frühzeitig bei der Online-Radikalisierung einzuschreiten und für wie erfolgreich hält der Senat das bisherige Vorgehen bzw. an welchen Stellen ist eine Anpassung notwendig? Zu 3.: Die Begegnung von durch die rasante Ausbreitung sozialer Netzwerke begünstigten „Online-Radikalisierungen“ stellt in technischer, personeller und inhaltlicher Hinsicht eine erhebliche Herausforderung dar. Dies gilt sowohl für die behördlichen Koordinatoren von Präventions- und Deradikalisierungsnetzwerken als auch für zivilgesellschaftliche Präventionsträger. Angesichts des relativ neuen Phänomens salafistischjihadistischer „Online-Radikalisierungen“ befinden sich geeignete Gegenstrategien und -maßnahmen teilweise noch in der Entwicklung bzw. Erprobung. Aussagen darüber , welcher der vielen verschiedenen bundesweit verfolgten Ansätze und Maßnahmen bei Radikalisierungsgefährdeten bzw. bereits Radikalisierten verfängt, geschweige denn, ob deren Anwendung kurzfristige Effekte erzielt, lassen sich derzeit nicht mit Seriosität treffen. Relativ unstrittig ist die Notwendigkeit des Einsatzes professioneller und überzeugender „Counter Narratives“, wie sie etwa die „AG Deradikalisierung im GTAZ“ bereits 2012 entwickelte, um salafistisch-jihadistischer Ideologie vor allem geistig-politisch zu begegnen. „Counter Narratives“ sind auch 2017 Gegenstand des jährlichen Plenums der „AG Deradikalisierung im GTAZ“, die seit 2009 das zentrale behördliche Konzeptionalisierungsforum bildet, das mit der Expertise der Islamwissenschaftler der Sicherheitsbehörden zielgerichtete Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung von Salafismus und Jihadismus entwickelt. Seite 3 von 3 4. Wie bewertet der Senat den Einsatz von sogenannten „Online-Sozialarbeitern“ um der Radikalisierung schnell und effizient entgegenzuwirken? Zu 4.: Im Rahmen des Berliner Landesprogramms Radikalisierungsprävention, das vom Senat am 22. Dezember 2015 beschlossen wurde, wird das Projekt „STREET- WORK@online – Mediales Präventionsprojekt gegen gewaltorientierte salafistische Radikalisierung“ gefördert. Ziel ist es, ein präventives sowie intervenierendes offenes „virtuelles Streetwork“ in den entsprechenden jihad-salafistischen Internetforen und bekannten Netzwerken zu etablieren. Vor dem Hintergrund, dass das Internet bzw. die sozialen Medien einen derartigen Stellenwert bei der Radikalisierung einnehmen, wird der Einsatz von entsprechend geschultem Personal in den einschlägigen sozialen Medien (so genannte „Online-Sozialarbeiter“) zu präventiven Zwecken als ein sinnvolles Mittel angesehen. Konkrete Ergebnisse zur Wirkung von „virtuellem Streetwork“ liegen aus dem geförderten Projekt noch nicht vor, da es erst im August 2017 begonnen hat. 5. Welche Maßnahmen ergreift der Senat im Bereich der Prävention der beschriebenen Online- Radikalisierung? Zu 5.: Im Rahmen des o. a. Berliner Landesprogramms stellt der Bereich Internet/ soziale Medien einen Schwerpunkt dar. Im Rahmen dieses Schwerpunkts werden in 2017 drei Projekte aus Mitteln des Landesprogramms mit einem Gesamtvolumen von ca. 205.000 Euro gefördert. Ziele der Projekte: - Aufbau einer Webseite zur Radikalisierungsprävention durch politische Bildungsarbeit einschl. Kontaktmöglichkeiten via Facebook, Twitter, Instagram etc. - Online-Beratung für Angehörige und soziales Umfeld - Erstellung von pointierten Beiträgen in den sozialen Netzwerken als Gegenrede sowie alternative Botschaften zu den Themen Islam, Islamismus, Mediennutzung, Hatespeech, Propagandastrategien von Extremisten, antimuslimischer Rassismus - Fortbildung für Multiplikatoren, die mit der Zielgruppe in Kontakt stehen, um sie für das Thema Radikalisierung im Internet zu sensibilisieren und Handlungsoptionen zu vermitteln. - „virtuelles Streetwork“ - Erstellung und Verbreitung von kurzen, zielgruppenorientierten, deradikalisierenden und aufklärenden Videobotschaften, Videospots, „Gegenerzählungen“, Musikvideos , etc.. Berlin, den 29. August 2017 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-12051 S18-12051