Drucksache 18 / 12 258 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (LINKE) vom 08. September 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. September 2017) zum Thema: Flatus incarceratus bei der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft? und Antwort vom 25. September 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Okt. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Die Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12 258 vom 8. September 2017 über Flatus incarceratus bei der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Personen mit jeweils welcher Besoldungsstufe haben jeweils beim Amtsgericht und in der Berliner Staatsanwaltschaft sowie der Berliner Polizei wieviel Arbeitszeit für das Verfahren aufgewandt , das am 5. September 2017 am Amtsgericht Tiergarten (Raum 307) nach nur wenigen Minuten eingestellt wurde und über das z.B. die tageszeitung unter der Überschrift „Pupsegal!“ [URL: http://m.taz.de/Prozess-um-einen-Furz-in-Berlin/!5442012;m/ Stand: 6.9.2017, 16:26 Uhr] berichtete? Zu 1.: Anzumerken ist zunächst, dass das Verfahren auf staatsanwaltschaftlicher Seite nicht von der Staatsanwaltschaft Berlin, sondern von der vorwiegend für die Verfolgung von Kleinkriminalität zuständigen Amtsanwaltschaft Berlin zum Aktenzeichen 3024 Js 14913/16 geführt wurde. Die im Folgenden dargestellten Bearbeitungszeiten der Dienstkräfte der Polizei Berlin ergeben sich aus den polizeilichen Maßnahmen vor Ort, der späteren Sachbearbeitung und dem zeitlichen Aufwand für die richterliche Vorladung: Besoldungsgruppe Anzahl Dienstkräfte Bearbeitungszeit (h) A 7 17 14:19 A 8 4 2:06 A 9 1 0:38 A 11 1 0:10 Bei der Amtsanwaltschaft Berlin war mit der Erfassung des von der Berliner Polizei eingegangenen Verfahrens eine Dienstkraft der Besoldungsgruppe A 8 betraut. Zuständige Dezernentin war vom Beginn der Ermittlungen bis zu deren Abschluss eine Oberamtsanwältin (Besoldungsgruppe A13). Mit den Vorlagen, Übersendungen und Ausführungen der Verfügungen der Dezernentin waren zudem Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Geschäftsstelle befasst, die den Besoldungsgruppen des mittleren Dienstes zuzuordnen sind. Bei Gericht war zumindest auch ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin mit der Erfassung des Verfahrens befasst und in der Folge eine Person aus dem richterlichen 2 Dienst. Hinzu kommt eine Justizbedienstete oder ein Justizbediensteter aus dem mittleren Dienst, die/der in der gerichtlichen Hauptverhandlung das Protokoll führte. Daten zu der für die Bearbeitung des Verfahrens aufgewendeten Zeit sind weder bei der Amtsanwaltschaft Berlin noch beim Amtsgericht Tiergarten erfasst worden, so dass hierzu keine zuverlässigen Angaben gemacht werden können. 2. Ist dieser Fall in die Statistik der PMK eingegangen? Zu 2.: Nein. 3. Wie verträgt sich der hier betriebene Aufwand mit der anderweitig zu Recht beklagten Überlastung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten? 4. Welche Überlegungen bewogen die Staatsanwaltschaft, eine mehr als gering anzusehende Schuld des Täters und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung anzunehmen oder anders ausgedrückt, warum wurde davon abgesehen, die Möglichkeiten nach § 153 StPO zu nutzen? Zu 3 und 4.: Die Erstattung einer (auf zutreffenden Angaben beruhenden) Strafanzeige steht jeder natürlichen und juristischen Person sowie Dienstvorgesetzten zu, mithin auch Polizeibediensteten und deren Dienstvorgesetzten im Rahmen der dienstlichen Wahrnehmungen und Fürsorge. Die Art und der Umfang der auf eine Strafanzeige durchgeführten Ermittlungen orientieren sich an den Anforderungen des in § 152 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) normierten Legalitätsgrundsatzes. Demnach sind die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Amtsanwaltschaft) verpflichtet, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. Sie können davon nur abweichen, wenn eine entsprechende gesetzliche Befugnis vorliegt, so durch die Vorschriften der §§ 153ff. StPO, die ein Absehen von der Strafverfolgung nach dem Opportunitätsprinzip ermöglichen. Von dieser Ausnahme vom Verfolgungszwang kann aber auch nur unter Beachtung der konkreten Beurteilungs- und Wertungskriterien Gebrauch gemacht werden. Ökonomische Gründe oder die Überlastung der Justiz sind für sich gesehen nicht geeignet, das Absehen von der Strafverfolgung nach dem Opportunitätsprinzip zu rechtfertigen. So kann auch eine Einstellung nach § 153 StPO unabhängig von der Arbeitsbelastung in der Justiz nur erfolgen , wenn die Schuld der beschuldigten Person als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Eine Einstellung des hier in Rede stehenden Ermittlungsverfahrens nach § 153 StPO kam indes schon deshalb nicht in Betracht, weil Gegenstand des Verfahrens mit der Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch) ein Delikt war, das gemäß § 374 Absatz 1 Nr. 2 StPO von der verletzten Person auch im Wege der Privatklage hätte verfolgt werden können. Erfolgt in einem solchen Fall eine Einstellung nach § 153 StPO, ist die verletzte Person nach herrschender Meinung nicht mehr berechtigt, Privatklage zu erheben. Um den Weg der Privatklage und damit zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung nicht zu versperren, sind die Dezernentinnen und Dezernenten der Strafverfolgungsbehörden daher gehalten, bei Privatklagedelikten regelmäßig von der Anwendung des § 153 StPO abzusehen. Indes erheben die Strafverfolgungsbehörden bei Privatklagedelikten nach Maßgabe des § 376 StPO auch nur dann Anklage (öffentliche Klage), wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Anderenfalls stellen sie das Verfahren gemäß § 170 Absatz 2 StPO ein und verweisen die verletzte Person 3 auf den Privatklageweg. Im vorliegenden Fall hat die Amtsanwaltschaft Berlin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, ohne dass Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Sachbehandlung vorlägen. Die Strafverfolgung liegt im öffentlichen Interesse , wenn aus spezial- oder (und) generalpräventiven Gründen die Durchsetzung des materiellen Strafrechts geboten ist. Verfahrensökonomische Erwägungen dürfen bei der Prüfung des Vorliegens des öffentlichen Interesses keine wesentliche Rolle spielen (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 376 Rz. 1). Im vorliegenden Fall richtete sich die vorgeworfene Handlung gegen eine Polizeibeamtin während der Ausübung einer dienstlichen Tätigkeit, so dass die Annahme eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung im Hinblick auf den Schutz der rechtmäßigen Dienstausübung staatlicher Organe als zumindest vertretbar erscheint, zumal den Strafverfolgungsbehörden für die Beantwortung der Frage, ob ein öffentliches Interesse vorliegt , ohnehin ein recht weiter Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht (vgl. Gercke/Julius/Temming u. a., Strafprozessordnung, 5. Aufl. 2012, § 376 Rz. 2). Das Hauptverfahren ist dann vom Gericht in der Folge auch mit dem Erlass eines durch die Amtsanwaltschaft beantragten Strafbefehls eröffnet und damit der hinreichende Tatverdacht einer strafbaren Handlung angenommen worden. Dass die Schuld dann in der Hauptverhandlung vom Gericht und der Amtsanwaltschaft als gering bewertet wurde, ist kein ungewöhnlicher Vorgang. So können auch die konsequente Verfolgung des Vergehens und der Eindruck der Hauptverhandlung als ausreichend erachtet werden, um dem Angeklagten das Unrecht seiner Handlung aufzuzeigen und Wiederholungen als unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. 5. Wie schätzt der Senat die Auswirkungen dieses Verfahrens und der Berichterstattung darüber auf das Ansehen der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft ein? Zu 5.: Da weder ein Fehlverhalten der Berliner Polizei noch der Amtsanwaltschaft Berlin erkennbar sind, kann eine objektive Bewertung des Sachverhalts keine negativen Auswirkungen auf das Ansehen der genannten Stellen haben. 6. Wie viele ähnliche Fälle sind aktuell bei der Staatsanwaltschaft bzw. den Gerichten anhängig und wird der Prozessverlauf Auswirkungen auf den weiteren Umgang mit ihnen haben? 7. Wie viele ähnliche Fälle wurden im Jahr 2016 durch die Staatsanwaltschaft mit welchem Aufwand entsprechend der Frage 1 bis zur Anklageerhebung verfolgt und wie sahen jeweils die Urteile aus? Zu 6. und 7.: Die Fragen können nicht beantwortet werden, da schon unklar ist, nach welchen Merkmalen die Ähnlichkeit der Fälle bestimmt werden soll. Berlin, den 25. September 2017 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung S18-12258 S18-12258