Drucksache 18 / 12 322 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Danny Freymark (CDU) vom 20. September 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. September 2017) zum Thema: Fachärztlicher Notstand – MVZ für Nord-Hohenschönhausen und Antwort vom 05. Oktober 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Okt. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Danny Freymark (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12322 vom 20.09.2017 über Fachärztlicher Notstand – MVZ für Nord-Hohenschönhausen ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Ist die Studie des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung im Auftrag der Bezirksämter Lichtenberg und Neukölln bekannt? Welche Folgen sind daraus für den Senat festzustellen? Zu 1.: Die Studie des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) liegt dem Senat vor. Die Situation einer ungleichen Verteilung von Haus- und Fachärztinnen und -ärzten auf Bezirksebene ist dem Senat jedoch schon vorher bekannt gewesen. Die Bedarfsplanung der vertragsärztlichen Versorgung liegt grundsätzlich in der Verantwortung der Selbstverwaltung , d. h. den Vertreterinnen und Vertretern der Ärztinnen und Ärzte (Kassenärztliche Vereinigung (KV)) und den Vertreterinnen und Vertretern der Kassenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen auf bundesgesetzlicher Grundlage. Der Senat hat in der Vergangenheit die ihm gegebenen geringen Handlungsspielräume in diesem Bereich genutzt , u. a. im Rahmen des Letter of Intent (LOI) zur Versorgungssteuerung auf der Ebene der 12 Berliner Bezirke, welcher von den Beteiligten des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V im Jahr 2013 vereinbart wurde. Hieran gilt es anzuknüpfen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten mit den Beteiligten im Sinne der Patientinnen und Patienten zu finden. Die Studie des IGES unterstreicht die Notwendigkeit der, unter Berücksichtigung der gegebenen Rahmenbedingungen, bereits zuvor begonnenen Aktivitäten und Initiativen des Senats, sich für eine bedarfsgerechte ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in allen Bezirken einzusetzen. Die geforderte Beteiligung nach einer Einbeziehung der Bezirke in das gemeinsame Landesgremium ist in den Richtlinien der Regierungspolitik verankert , ebenso die Prüfung einer Errichtung kommunaler medizinischer Versorgungszentren (MVZs). 2. Wie sieht der Bedarf konkret in Nord-Hohenschönhausen aus? Welche Erhebungen/ Kennzahlen sind bekannt? (Auflistung) - 2 - 2 Zu 2.: Bzgl. vorhandener Kennzahlen zu Bedarfsindikatoren wird auf die Tabelle 30 des IGES- Gutachtens (S. 67) verwiesen (Anlage 1). Daten zur (fach)ärztlichen Versorgungslage unterhalb der Bezirksebene sind nicht verfügbar. Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin erhebt sie Versorgungsdaten unterhalb der Ebene der definierten Verwaltungsbezirke (z. B. auf der LOR1-Ebene) nicht bzw. hält diese nicht regelhaft vor. 3. Woher rührt die gravierende ungleiche Verteilung von Haus- sowie Fachärzten unter den Bezirken? Zu 3.: Berlin ist gemäß der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses (G- BA) seit 2003 ein Planungsbezirk. Daher ist der Bedarfsplan für die vertragsärztliche Versorgung von der KV nur auf der Landesebene aufzustellen, so dass es von 2003 bis zur Vereinbarung des LOI 2013 keine Vorgabe bzw. Empfehlung gab, in welchem Bezirk die Niederlassung erfolgen sollte. Die Verteilung folgte in der Vergangenheit daher den individuellen Präferenzen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. 4. Inwieweit besteht ein geregelter Austausch zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Land Berlin? Zu 4.: Zu dem Thema der (fach)ärztlichen Versorgung sind das Land Berlin und die Kassenärztliche Vereinigung Berlin im Rahmen des gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V zusammen mit den anderen Beteiligten im Austausch. Zudem finden regelmäßige Gespräche zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung statt. 5. Besteht bei der KV ein Verteilungsschlüssel bezüglich der Praxiszulassungen, wie ist dieser ausgestaltet und wie ausgebaut ist die Anwendungsquote? Zu 5.: Im Planungsbezirk Berlin werden die Praxiszulassungen nicht nach einem Schlüssel verteilt . Es handelt sich gegenwärtig um einen gesperrten - zulassungsbeschränkten - Planungsbereich , d.h. der Erhalt einer Zulassung ist nur im Rahmen des sog. Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Absatz 3 a SGB V auf Antrag einer Vertragsärztin/- therapeutin bzw. eines Vertragsarztes/-therapeuten möglich. Es muss insofern eine ursprünglich zugelassene Vertragsärztin/-therapeutin bzw. ein Vertragsarzt/-therapeut ihre bzw. seine Tätigkeit (respektive Zulassung) beenden, damit diese an eine Nachfolgerin bzw. einen Nachfolger weitergegeben werden kann. Tatsächliche Neuzulassungen im Sinne eines Hinzukommens ohne Ausscheiden einer Vertragsärztin/-therapeutin bzw. eines Vertragsarztes/-therapeuten aus der Versorgung gesetzlich Versicherter gibt es somit im Planungsbezirk Berlin nicht. 1 LOR = Lebensweltlich orientierte Räume - 3 - 3 6. Wie kann der Zugang für Ärzte zu einer eigenen Praxis erleichtert werden bzw. welche Anreize können für eine Niederlassung geschaffen werden? Zu 6.: Finanzielle Fördermaßnahmen können zur Stabilisierung und Verbesserung der Versorgungssituation in Planungsbereichen eingesetzt werden, für die der Landesausschuss eine Unterversorgung, drohende Unterversorgung oder einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf festgestellt hat. Für diese Bereiche muss der Honorarverteilungsmaßstab der Kassenärztlichen Vereinigung geeignete Regelungen vorsehen. Hierzu zählen zum Beispiel Investitionskostenzuschüsse, Umsatzgarantien und Sicherstellungszuschläge. 7. Welche Folgen auf Grund der medizinischen Unterversorgung sind bekannt bzw. welche Folgen aus der Überlastung von Facharztpraxen wie z.B. Fehldiagnosen oder nicht erkannten Krankheitszuständen auf Grund von Zeitmangel? Zu 7.: Im Planungsbereich Berlin liegt nach der Bedarfsplanungsrichtlinie rein rechnerisch keine medizinische Unterversorgung vor. Dem Senat sind keine konkreten Folgen bekannt, die aus einer Überlastung von Facharztpraxen abzuleiten sind. 8. Wie ist es zu begründen, dass Ärzte pro Patient teilweise nur fünf Minuten Behandlungszeit einplanen können? Zu 8.: Wie viele Minuten Behandlungszeit eine Ärztin bzw. ein Arzt pro Patient einplant, obliegt ihrer/seiner eigenverantwortlichen Praxisorganisation. 9. Warum wird bei Genehmigungen von Klinikbetten der Bedarf in den Bezirken berücksichtigt, nicht aber der von niedergelassenen Ärzten? Zu 9.: Die Genehmigung der Niederlassung von an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten ist in der Bedarfsplanungsrichtlinie des G-BA geregelt, in der Berlin ein Planungsbezirk ist. Die KV Berlin erstellt daher den Bedarfsplan für Berlin gesamt. Mit der Verabschiedung des LOI 2013 wurden jedoch Empfehlungen an die beteiligten Organe der Selbstverwaltung gegeben, die einen Beitrag zur Verringerung der ungleichen Arztverteilung auf Bezirksebene leisten. Diese gilt es weiter zu entwickeln. Bei der Berechnung der als Grundlage verwendeten bezirklichen Versorgungsgrade wird neben dem Demografiefaktor als einem Bedarfsfaktor, für einzelne Arztgruppen auch der Sozialstrukturindex als Bedarfsfaktor berücksichtigt. 10. Würden Medizinische Versorgungszentren mit einem umfangreichen Fachärzte Angebot versehen werden können? - 4 - 4 Zu 10.: Medizinische Versorgungszentren (MVZ) können grundsätzlich mit einem umfangreichen Fachärzteangebot versehen werden, soweit der Zulassungsausschuss die erforderlichen Zulassungen erteilt bzw. die erforderlichen Anstellungen von Ärztinnen und Ärzten genehmigt . 11. Welchen zusätzlichen finanziellen Bedarf gäbe es für die MVZ? Zu 11.: Der finanzielle Bedarf für die Gründung von MVZ ist von verschiedenen Faktoren abhängig , zum Beispiel der Anzahl der Vertragsarztsitze, der Größe, der Ausstattung und der Lage des MVZ. Folgende Positionen sind bei den Gründungskosten unter anderem zu berücksichtigen: Kosten für den Aufkauf von Arztsitzen, Praxisausstattung und gegebenenfalls eine Sicherheitsleistung gemäß § 95 Absatz 2 Satz 6 SGB V. MVZ nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung teil, so dass die laufenden Kosten eines MVZ wie Miete und Personalkosten für nichtärztliches Personal grundsätzlich durch die Einnahmen aus der vertragsärztlichen Vergütung finanziert werden. 12. Wie kann in den MVZ eine verbesserte und schnellere Versorgung für gesetzlich Versicherte garantiert werden? Zu 12.: Für die Organisation der Arbeitsabläufe in MVZ sind die das MVZ leitenden Ärztinnen und Ärzte bzw. die Geschäftsführenden verantwortlich. MVZ bieten gegenüber Gemeinschaftspraxen vergleichbarer Größe keine Garantie für eine verbesserte und schnellere Versorgung von gesetzlich Versicherten, allerdings durchaus Chancen aufgrund der spezifischen Organisationsform. 13. Wenn die MVZ den Bezirken unterstellt wären, auf welcher Ebene würde dann der fachspezifische Austausch erfolgen und inwiefern hätten die Ärzte des MVZ Mitsprache bei Budgetplanung und medizinischer Ausstattung der Praxen? Zu 13.: Die tatsächliche Ausgestaltung eines MVZ ist abhängig vom Träger und der jeweiligen Organisations- und Rechtsform des MVZ nach § 95 SGB V (zum Beispiel Personengesellschaft , GmbH oder Eigenbetrieb) sowie der konkreten vertraglichen Gestaltung. Bei medizinischen Fragen ist die ärztliche Leiterin bzw. der ärztliche Leiter eines MVZ weisungsfrei (§ 95 Absatz 1 Satz 3 SGB V). 14. Inwiefern kann ein MVZ die Notaufnahmen der Kliniken entlasten? - 5 - 5 Zu 14.: Viele Patientinnen und Patienten bekommen für ihre akuten Beschwerden keinen unmittelbaren Termin bei einem niedergelassenen Arzt bzw. einer niedergelassenen Ärztin und suchen daher die Notaufnahmen der Kliniken auf. Dies ergab eine Berliner Studie, in der Patienten zu den Gründen der Inanspruchnahme von Notaufnahmen befragt wurden. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die Akutpatientinnen und -patienten umgehend behandeln und entsprechend lange Sprechstundenzeiten anbieten, könnten daher zur Entlastung von Notaufnahmen beitragen. Die Organisation kann auch in der Form eines MVZ erfolgen, insbesondere wenn dort mehrere notfallrelevante Fachdisziplinen in räumlicher Nähe angeboten werden. Berlin, den 05. Oktober 2017 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung IGES 67 Tabelle 30: Unterschiede zwischen Bezirksregionen bei Bedarfsindikatoren (Lichtenberg) Region Anteil Einwoh - ner im Alter 65+ Arbeits - losenquote Anteil Empfänger von Grundsicherung nach SGB XII Vorzeitige Sterblichkeit (je 100.000 EW) Krebsneuer - krankungs - rate (je 100.000 EW) Anteil Empfänger von Hilfe zur Pflege nach SGB XII Malchow / Wartenberg / Falkenberg 12,8% 3,6% 1,8% 179 315 2,0% Neu-Hohenschönhausen Nord 14,3% 10,2% 6,0% 236 344 2,3% Neu-Hohenschönhausen Süd 17,9% 10,3% 3,5% 231 365 0,8% Alt-Hohenschönhausen Nord 21,7% 6,6% 2,1% 191 360 0,6% Alt-Hohenschönhausen Süd 20,8% 6,3% 2,0% 201 361 0,8% Fennpfuhl 29,0% 9,3% 2,9% 210 345 1,3% Alt-Lichtenberg 13,8% 6,8% 3,7% 282 337 1,4% Frankfurter Allee Süd 22,9% 7,9% 3,6% 233 352 1,4% Neu-Lichtenberg 12,6% 7,4% 5,0% 219 326 1,0% Friedrichsfelde Nord 23,2% 10,5% 4,0% 237 294 1,5% Friedrichsfelde Süd 34,3% 7,7% 2,2% 220 321 0,6% Rummelsburger Bucht 12,2% 4,2% 1,4% 247 377 0,1% Karlshorst 16,1% 3,5% 1,7% 164 336 1,4% Lichtenberg 19,9% 7,7% 3,2% 207 339 1,3% Berlin 19,1% 7,5% 5,5% 189 373 1,7% Quelle: IGES auf Basis von Daten des Sozialstrukturatlas Berlin (SenGesSoz, 2014) und der Kernindikatoren (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg) Anmerkungen: Einfärbungen im Vergleich zum Bezirk insgesamt nur bei identifizierten Schwerpunktregionen . Bevölkerung im Jahr 2015, Anteil der Arbeitslosen nach SGB II und III an Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter im Jahr 2015; Anteil der Empfänger von Grundsicherung nach SGB XII bezogen auf Bevölkerung im Alter 65+ im Jahr 2015 („Altersarmut“); Anteil der Empfänger von Hilfe zur Pflege nach SGB XII bezogen auf Bevölkerung im Alter 65+ im Jahr 2011; Vorzeitige Sterblichkeit und Krebsneuerkrankungen jeweils im Jahr 2011 S18-12322 S18-12322a S-1812322_Antwort_Anlage_IGES-Studie