Drucksache 18 / 12 358 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Georg Kössler und Stefan Taschner (GRÜNE) vom 25. September 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. September 2017) zum Thema: Kohleverstromung gegen die Vorschrift und Antwort vom 11. Oktober 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Okt. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Georg Kössler und Herrn Abgeordneten Dr. Stefan Taschner (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12358 vom 25.9.2017 über Kohleverstromung gegen die Vorschrift ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Kohlekraftwerke gibt es in Berlin? Wie viele davon nutzen Braun- beziehungsweise Steinkohle? Bitte alle Anlagen über 500kW auflisten nach Betreiber, Alter und Kraftwerksleistung. Zu 1.: Kohlekraftwerke unterliegen der Dreizehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinenund Verbrennungsmotoranlagen - 13. BImSchV). In dieser Verordnung werden Anforderungen an Feuerungsanlagen mit einer Feuerungswärmeleistung von 50 Megawatt (MW) oder mehr zur Erfüllung der Vorsorgepflichten nach dem Bundes- Immissionsschutzgesetz und der Luftqualitätsanforderungen der Europäischen Union z. B. in Form von Emissionsgrenzwerten und Messverpflichtungen festgelegt. In Berlin werden die in der folgenden Tabelle aufgeführten Kraftwerke bzw. einzelne Aggregate der Gesamtanlage, die unter die 13. BImSchV fallen, mit dem Brennstoff Steinkohle betrieben. Braunkohle als Brennstoff wird in den Berliner Anlagen nicht eingesetzt. 2 Name Betreiber Genehmigte Feuerungswärmeleistung des Kraftwerks Inbetriebnahme Heizkraftwerk (HKW) Reuter Vattenfall Europe Wärme AG, Sellerstraße 16, 13353 Berlin 336 MW Block C - 1969 Heizkraftwerk Reuter West Vattenfall Europe Wärme AG, Sellerstraße 16, 13353 Berlin 1.567 MW (davon steinkohlegefeuerte Aggregate: 1517 MW) Block D - 1987 Block E - 1988 Heizkraftwerk Moabit Vattenfall Europe Wärme AG, Sellerstraße 16, 13353 Berlin 632 MW (davon steinkohlegefeuertes Aggregat: 240 MW) Block A - 1989 Fernheizwerk (FHW) Neukölln FHW Neukölln AG, Weigandufer 49, 12059 Berlin 215 MW (davon steinkohlegefeuerte Aggregate: 80 MW) HWE 1 - 1986 HWE 2 - 1988 DE 3 - 1985 Die genannten Heizkraftwerke halten die Anforderungen der 13. BImSchV in der Fassung vom 02.05.2013, zuletzt geändert am 31.08.2015, ein. Eine Kohleverstromung entgegen den gültigen Rechtsvorschriften findet nicht statt. 2. Wie hoch waren die SOx, NOx und Quecksilberemissionen der Berliner Kohlekraftwerke in den letzten vier Jahren? Bitte auflisten nach Kraftwerk, Emissionsart und Jahr. Zu 2.: Die nachfolgend aufgeführten Jahresfrachten an SOx, NOx und Quecksilber wurden in den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 durch die unter 1. genannten Anlagen emittiert (nur Emissionen der steinkohlebefeuerten Aggregate aufgeführt): Heizkraftwerk Reuter SOx [t/a] NOx [t/a] Quecksilber [kg/a] 2013 51,4 358,4 2,1 2014 63,1 298,5 2,5 2015 52,1 247,1 5,0 2016 31,6 214,0 3,2 Heizkraftwerk Reuter West SOx [t/a] NOx [t/a] Quecksilber [kg/a] 2013 802,2 2229,5 9,6 2014 552,3 2350,7 22,6 2015 339,4 2343,3 10,5 2016 207,3 2059,6 13,6 3 Heizkraftwerk Moabit SOx [t/a] NOx [t/a] Quecksilber [kg/a] 2013 305,8 151,5 6,2 2014 324,3 164,0 11,5 2015 204,4 94,6 10,8 2016 354,8 162,6 14,4 Fernheizwerk Neukölln SOx [t/a] NOx [t/a] Quecksilber [kg/a] 2013 41,7 62,7 nicht erfasst 2014 34,0 32,8 nicht erfasst 2015 40,0 31,8 nicht erfasst 2016 37,8 30,0 1,4 3. Befinden sich darunter noch Anlagen, die nicht den neuen EU-Umweltstandards für Großfeuerungsanlagen entsprechen? Wenn ja: Welche Grenzwerte werden dann überschritten werden und um wie viel? Welche Maßnahmen sind geplant zur Einhaltung der Grenzwerte? Bitte auflisten nach Kraftwerk. Zu 3.: Die Schlussfolgerungen für beste verfügbare Techniken (BVT) für Großfeuerungsanlagen vom 31.07.2017 müssen für bestehende Anlagen gemäß § 7 Abs. 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes innerhalb eines Jahres nach Veröffentlichung (17.08.2017 im Amtsblatt der Europäischen Union) durch Anpassung der 13. BImSchV in deutsches Recht umgesetzt werden. Hierbei ist sicherzustellen, dass die betreffenden Anlagen die Emissionsgrenzwerte der Rechtsverordnung innerhalb von vier Jahren nach Veröffentlichung der BVT- Schlussfolgerungen einhalten werden. In den BVT-Schlussfolgerungen sind keine Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe für Kohlekraftwerke enthalten, es werden vielmehr Emissionsbandbreiten benannt. Innerhalb dieser Bandbreiten muss auf nationaler Ebene die Festlegung von Emissionsgrenzwerten erfolgen. Die Bandbreiten sind sehr weit gefasst. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Bewertung bezüglich der Einhaltung der noch nicht festgelegten Grenzwerte durch die benannten Heizkraftwerke nicht möglich. Der tatsächliche Handlungsbedarf ist erst ableitbar, wenn die 13. BImSchV entsprechend angepasst wurde und die Änderungen rechtswirksam werden. (siehe auch Antwort zu Fragen 5 bis 13). 4. Welche konkreten Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen zum Kraftwerksweiterbetrieb nach 2012 bei Überschreiten der Emissionsgrenzwerte bieten die EU-Neuregelungen? Wurde von Seiten der Kraftwerksbetreiber bereits signalisiert, Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen zu wollen? Wenn ja, welche Ausnahmeregelungen? Welche Grenzwerte würden dabei überschritten werden? Welche Kraftwerke und Betreiber wären davon betroffen? Zu 4.: In der geltenden 13. BImSchV sind Ausnahmetatbestände und -regelungen für Großfeuerungsanlagen enthalten, von denen die Betreiber unterschiedlich Gebrauch machen. In Artikel 15 Absatz 4 der Richtlinie 2010/75/EU sind Ausnahmen auf EU- Ebene geregelt. Ob zukünftig nach Umsetzung der BVT-Schlussfolgerungen in deutsches Recht von den möglichen Ausnahmeregelungen Gebrauch gemacht wird, dürfte auch abhängig von den künftigen Emissionsgrenzwerten sein (siehe Antwort zu Frage 3). 4 5. Welche der Steinkohlekraftwerke in Berlin halten den im BAT Reference Document for Large Combustion Plants vorgeschlagenen Emissionswert von NOx 65mg/Nm³, SOx 10mg/Nm³, Staub 2mg/Nm³ und Quecksilber 1µg/Nm³ (im Jahresmittel, für Anlagen über 300MW, entsprechend angepasst für kleinere Anlagen) für bestehende Kraftwerke ein? Bitte auflisten nach Kohlekraftwerk und mit Nachweis der Emissionsdaten von 2013-2017. 6. Teilt der Senat die Einschätzung, dass es keine technischen Gründe dagegen gibt, die strikteren BVT- Bandbreiten für NOx, SOx, Staub und Quecksilber umzusetzen, da die Abscheidetechniken schon eingesetzt sind? 7. Gibt es einen technischen Grund den 100mg/Nm³ NOx Jahresgrenzwert nicht auf alle Bestandsanlagen, insbesondere Braunkohle auszudehnen und falls nicht, wie wirkt sich dies auf das Gleichbehandlungsgebot und Wettbewerbsfähigkeit von Betreibern von Steinkohleanlagen aus? 8. Wird sich das Land Berlin dafür einsetzen die strikten BVT Emissionsbandbreiten auf Bundesebene umzusetzen z.B. in der anstehenden Revision der 13. BimschV? 9. Wie viel Tonnen NOx / SOx und Staub-Emissionen könnten in Berlin eingespart werden (im Vergleich Ist Zustand) bei Umsetzung der strikteren BVT Bandbreiten (Jahresgemittelt)? 10. Welche Zusatzkosten würden dem Betreiber durch eine Umsetzung der strikteren BVT Bandbreiten (Jahresgemittelt) entstehen und welche Technologien würden dabei zum Einsatz kommen? 11. Wie verändern sich durch eine Umsetzung der strikteren BVT Bandbreiten (Jahresgemittelt) die gesamten Stromerzeugungskosten (LCOE) sowie die kurzfristigen Betriebskosten der Anlagen und welche Auswirkungen hätte dies auf die Rentabilität der Anlagen? 12. Ist durch die technischen Anpassungsmaßnahmen eine geringere Auslastung zu erwarten? Wenn ja, um wie viel? Bitte auflisten nach Kraftwerk. 13. Wie stellen sich die Kosten der Umsetzung der strikteren BVT Bandbreiten (Jahresgemittelt) im Vergleich zu den externalisierten Kosten dar? (laut Europäischer Umweltagentur Bericht 20/2014 beziffern sich die externalisierten Kosten in Deutschland auf 6,817€/t – 19,059€/t NOx47,310-147,553€/t PM2.5, 18,956€-57,524€/T SO2 )? Zu 5. bis 13.: Bei den in Frage 5 angesprochenen Emissionswerten handelt es sich jeweils um die Mindestwerte innerhalb der Bandbreiten der Jahresmittelwerte für Steinkohlefeuerungen. Die Bandbreiten der BVT-Schlussfolgerungen stellen sich bezogen auf die Berliner Kraftwerke wie folgt dar: NOx für HKW Reuter West und HKW Reuter 65 – 150 mg/m³ für HKW Moabit 100 – 180 mg/m³ für FHW Neukölln 100 – 270 mg/m³ SO2 für HKW Reuter West und HKW Reuter 10 – 130 mg/m³ für HKW Moabit 95 – 200 mg/m³ für FHW Neukölln 150 – 360 mg/m³ Staub für HKW Reuter West und HKW Reuter 2 – 10 mg/m³ für HKW Moabit 2 – 14 mg/m³ für FHW Neukölln 2 – 18 mg/m³ Quecksilber für HKW Reuter West und HKW Reuter 1 – 4 µg/m³ für HKW Moabit und FHW Neukölln 1 – 9 µg/m³ 5 Die Mindest-Emissionsgrenzwerte innerhalb der in den BVT-Schlussfolgerungen genannten Bandbreiten werden zurzeit von keinem Berliner Kohlekraftwerk eingehalten. Sollten bei Umsetzung der BVT-Schlussfolgerungen in deutsches Recht diese Mindestwerte der angegebenen Bandbreiten verbindlich werden, hätte dies enorme Auswirkungen auf die Betreiber. Es wären Rauchgasreinigungsanlagen nachzurüsten bzw. vorhandene Rauchgasreinigungsanlagen zu erweitern oder zu modernisieren. Stilllegungen oder Teilstilllegungen von Anlagen sind ebenso denkbar. Die damit einhergehenden Kosten sind derzeit genauso wenig bezifferbar wie die Auswirkungen auf Stromerzeugungskosten und Rentabilität. Zur technischen Machbarkeit von Nachrüstungsmaßnahmen kann derzeit keine belastbare Aussage getroffen werden. Rauchgasentstickungsanlagen können durch Neubau (HKW Moabit und FHW Neukölln) oder Vergrößerung vorhandener Katalysatoren und erhöhten Einsatz von Ammoniak (HKW Reuter und HKW Reuter West) voraussichtlich die Einhaltung der unteren Grenzwerte garantieren. Allerdings ist hierfür genügend Platz auf dem Kraftwerksgelände erforderlich, der bei den Anlagen Moabit und Neukölln möglicherweise nicht ausreichend vorhanden ist. Die Rauchgasentschwefelungsanlagen im HKW Reuter West erreichen zurzeit regelmäßig Werte unter 50 mg/m³. Ob auch Grenzwerte von 10 mg/m³ sicher einzuhalten sind, ist nicht bekannt, ebenso nicht, ob der Wert durch Nachrüstung der Anlagen erreichbar ist. Die HKW Moabit und Neukölln verfügen nicht über eine nasse Rauchgasentschwefelungsanlage und können ohne Nachrüstung den Grenzwert voraussichtlich nicht erreichen. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach dem Platzbedarf und den räumlichen Möglichkeiten. Der untere Grenzwert für Staub kann durch Nachrüstung von sogenannten Schlauchfiltern realisiert werden, die ebenfalls einen erheblichen Platzbedarf haben. Anlagen zur Abscheidung von Quecksilber gibt es zurzeit in Berlin nicht. Zur Einhaltung eines Grenzwertes von 1 µg/m³ müssten Nachrüstungen vorgenommen werden. Die technische Eignung solcher Anlagen ist momentan umstritten, ebenso der messtechnische Nachweis eines solchen Grenzwertes. Grenzwerte im mittleren Bereich der BVT-Bandbreiten können bereits jetzt eingehalten werden. Bei der Umsetzung der BVT-Schlussfolgerungen bleibt der Entwurf der Bundesregierung zur Änderung der 13. BImSchV abzuwarten, der für die gesamte Bundesrepublik die Grenzwerte festlegt und begründet. Berlin, den 11. Oktober 2017 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales S18-12358 S18-12358