Drucksache 18 / 12 501 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Danny Freymark (CDU) vom 13. Oktober 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Oktober 2017) zum Thema: Häusliche Gewalt in Berlin – Polizeiliches Handeln, Hilfe und Lösungen und Antwort vom 27. Oktober 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Nov. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 9 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Danny Freymark (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12501 vom 13. Oktober 2017 über Häusliche Gewalt in Berlin – Polizeiliches Handeln, Hilfe und Lösungen ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie sind die Entwicklungen von häuslicher Gewalt in Berlin und in den Bezirken in den letzten 10 Jahre (bitte nach Jahren gesondert und jeweils die Gesamtzahl sowie die Zahlen in den jeweiligen Bezirken angeben)? Zu 1.: In der nachfolgenden Tabelle werden Personen abgebildet, die Opfer einer Straftat gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die persönlichen Freiheit oder eines Rohheitsdeliktes wurden und zum Tatverdächtigen in einem familiären bzw. partnerschaftlichen Verhältnis stehen oder standen. Die Abbildung erfolgt nach dem Tatort der zugrundeliegenden Straftat. Opfer innerfamiliärer/ partnerschaftlicher Gewalt seit dem Jahr 2011 Stadtbezirk (Tatort) 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017*) insgesamt Charlottenburg- Wilmersdorf 1165 1139 1134 1252 1144 1318 972 8124 Friedrichshain- Kreuzberg 986 992 1075 1011 938 945 669 6616 Lichtenberg 899 1123 1069 974 978 1058 848 6949 Marzahn-Hellersdorf 1367 1256 1392 1357 1265 1310 1094 9041 Mitte 1987 2083 2104 2119 2015 2087 1590 13985 Neukölln 1745 1662 1600 1642 1558 1639 1214 11060 Pankow 807 865 908 929 916 952 813 6190 Opfer innerfamiliärer/ partnerschaftlicher Gewalt seit dem Jahr 2011 Reinickendorf 1052 1303 1422 1297 1406 1317 1120 8917 Spandau 1404 1327 1276 1370 1262 1359 1159 9157 Seite 2 von 9 Steglitz-Zehlendorf 704 736 714 636 718 674 579 4761 Tempelhof-Schöneberg 1223 1192 1240 1272 1232 1096 896 8151 Treptow-Köpenick 679 616 712 750 724 800 650 4931 unbekannt 205 250 240 286 267 275 249 1772 Berlin insgesamt 14223 14544 14886 14895 14423 14830 11853 99654 *)01.01.-18.10.2017 Quelle: Datawarehouse Abfrage 18. Oktober 2017 2. Wie hoch ist die durch den Senat vermutete Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt in Berlin und in den Bezirken der letzten 10 Jahre (bitte nach Jahren gesondert und jeweils die Gesamtzahl sowie die Zahlen in den jeweiligen Bezirken angeben)? Zu 2.: Eine vom Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegebene und 2004 veröffentlichte Studie zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland – eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen“ kommt zu dem Ergebnis, dass mindestens jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren, die in einer Partnerschaft gelebt hat, körperliche oder – zum Teil zusätzlich – sexuelle (7%) Übergriffe durch einen Beziehungspartner einoder mehrmals erlebt hat. 3. Wie ist häusliche Gewalt definiert und wann werden solche Fälle dokumentiert? Zu 3.: Die Berliner Behörden und das Berliner Hilfesystem haben sich auf folgende Definition zur häuslichen Gewalt verständigt: “Häusliche Gewalt” bezeichnet (unabhängig vom Tatort /auch ohne gemeinsamen Wohnsitz) Gewaltstraftaten zwischen Personen in einer partnerschaftlichen Beziehung , die derzeit besteht, die sich in Auflösung befindet oder die aufgelöst ist, oder Personen, die in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen, soweit es sich nicht um Straftaten zum Nachteil von Kindern handelt.“ Die Polizei ist gemäß § 163 Strafprozessordnung (StPO) verpflichtet, sämtliche Straftaten entgegenzunehmen und zu verfolgen und somit auch Sachverhalte der häuslichen Gewalt. Seit 2006 arbeitet die Polizei Berlin zudem mit einem fortlaufend aktualisierten Qualitätsstandard für Fälle der häuslichen Gewalt, der einen Mindeststandard darstellt und aus dem sich die Verpflichtung zur umfangreichen Dokumentation derartiger Sachverhalte ergibt. Hierin heißt es, dass im Zweifelsfall häusliche Gewalt anzunehmen und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Dokumentationen erfolgen des Weiteren im Strafverfahren und in Verfahren der Jugendämter und bei Gerichten. 4. Welche Strafen kann es für häusliche Gewalt geben? Zu 4.: Einen Straftatbestand „Häusliche Gewalt“ gibt es nicht. Es gelten die gesetzlich abstrakt vorgesehenen Strafvorschriften, z.B. Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung . 5. Gibt es eine sofortige Möglichkeit des Opferschutzes, z.B. durch kurzfristige Festnahme des Täters bzw. Trennung des Opfers und des Täters, um Zeit für die Befragung, Betreuung und Hilfe des Opfers zu haben? Wenn ja, in wie vielen Fällen wurde es in den letzten 10 Jahren angewandt? Wenn nein, warum nicht? Seite 3 von 9 Zu 5.: Die polizeilichen Interventionsmöglichkeiten richten sich im Gefahrenabwehrrecht nach den Bestimmungen des Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetzes Berlin (ASOG) und in der Strafverfolgung nach der StPO. Darüber hinaus gelten für die Polizei Berlin die „Qualitätsstandard in Fällen häuslicher Gewalt“ sowie der "Qualitätsstandard zur Verhinderung von Gewalteskalationen bei nicht herausragenden Bedrohungslagen und Nachstellungen" mit dem Ziel der qualitativen Umsetzung des Opferschutzes. Neben der vorläufigen Festnahme einer tatverdächtigen Person bzw. der Gewahrsamnahme , kann nach § 29 a ASOG auch eine Wegweisung oder ein Kontakt- und Betretungsverbot für maximal 14 Tage durch die Polizei Berlin ausgesprochen werden. Die Anzahl der durch die Polizei Berlin ausgesprochenen Wegweisungen für den Zeitraum von 2007 bis 2016 sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen: 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Polizeiliche Wegweisungen 1.469 1.709 1.641 1.321 1.336 1.312 1.469 1.346 1.372 1.162 Quelle: POLIKS Grundsätzlich werden im Rahmen einer Sachverhaltsaufnahme Opfer und tatverdächtige Person durch die Polizei getrennt zum Geschehen befragt. Aus dem „Qualitätsstandard in Fällen häuslicher Gewalt“ ergibt sich ebenso die Verpflichtung, Opfer an spezialisierte Beratungsstellen zu vermitteln. Dies gilt auch für tatverdächtige Personen und deren Vermittlung an Täterberatungsstellen. Dort sollen Betroffene erlernen, Gewaltverhaltensmuster abzulegen, um zukünftige Taten zu verhindern. Erforderlichenfalls wird die Unterbringung von Opfern häuslicher Gewalt in einer geschützten Unterkunft durch die Polizei Berlin vermittelt. Integraler Bestandeil der Kooperation von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.) und der Polizei Berlin ist der sogenannte proaktive Ansatz. Hiernach vermitteln die sachverhaltsaufnehmenden Polizeidienstkräfte Opfer häuslicher Gewalt proaktiv an das Hilfeangebot von BIG e.V. Bei Einwilligung des Opfers erfolgt eine Vort-Ort-Beratung oder eine Kontaktaufnahme mit der BIG- Hotline. 6. Welche Grundlage bzw. Begründung benötigt die Polizei für die Ermittlungen, Anzeigen bzw. Hilfestellung bei häuslicher Gewalt? Zu 6.: Wie in der Antwort zu 3. dargestellt, gilt für die Polizei Berlin ein niedrigschwelliges Einschreiten in Fällen der häuslichen Gewalt. Liegt der Anfangsverdacht einer Straftat vor, sind nach der StPO Ermittlungen aufzunehmen. 7. Welche Programme gegen häusliche Gewalt gibt es und wohin können sich Betroffene wenden, um Beratung bzw. Unterstützung in Anspruch zu nehmen? Zu 7.: Das Themenfeld Opferschutz/ häusliche Gewalt besitzt sowohl für die Polizei Berlin als auch das gesamte Berliner Hilfesystem einen hohen Stellenwert. Bei der Polizei Berlin wird es zentral durch ein Arbeitsgebiet der Zentralstelle für Prävention beim Landeskriminalamt Berlin koordiniert. Seite 4 von 9 Opfer häuslicher Gewalt können sich überdies durch die Opferschutzbeauftragten/ Koordinatorinnen/ Koordinatoren häusliche Gewalt/ Stalking der Polizeidirektionen sowie die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren/ Themenverantwortlichen für häusliche Gewalt/ Opferschutz auf den Polizeiabschnitten zum Ablauf eines Ermittlungsverfahrens und den Möglichkeiten des Gewalt- und Opferschutzes beraten und an eine spezialisierte Beratungsstelle vermitteln lassen. Hierbei nimmt die Netzwerkarbeit der Polizei Berlin mit den Einrichtungen der Opferhilfe einen besonderen Stelllenwert ein (z.B. Berliner Krisendienst, Berliner Notdienst Kinderschutz, Gewaltschutzambulanz, Traumaambulanz, Sozialpsychiatrische Dienste, Opferbeauftragter des Berliner Senats). Regelmäßig werden Opfer häuslicher Gewalt hierbei über weitere Möglichkeiten der Opferhilfe (z.B. Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz [GewSchG], psychosoziale Prozeßbegleitung und rechtssichere Dokumentation von Verletzungen) informiert. Besteht eine konkrete Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit potentieller Opfer häuslicher Gewalt erfolgt nach durchgeführter Gefährdungseinschätzung ggf. eine Betreuung durch die Zentralstelle für Individualgefährdung beim Landeskriminalamt. Die Polizei Berlin vermittelt an folgende Beratungsstellen, die Betroffene häuslicher Gewalt unterstützen: - Opferhilfe Berlin e.V. (für männliche und weibliche Opfer) - Weisser Ring e.V. (für männliche und weibliche Opfer) - BIG-Hotline (für weibliche Opfer) - FRIEDA-Frauenzentrum e.V. (für weibliche Opfer) - Berliner Zentrum für Gewaltprävention e.V. (für Täterinnen und Täter) - Beratung für Männer - gegen Gewalt bei der Berliner Volkssolidarität (für Täter) - Bundesweites Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (für weibliche Opfer) - LARA - Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen (für weibliche Opfer) - Stop-Stalking-Berlin KUB e.V. (für männliche und weibliche Opfer sowie Täterinnen sowie Täter) Darüber hinaus bieten in Berlin fünf Fachberatungs-und Interventionsstellen, sechs Frauenhäuser mit 326 Plätzen und 43 Zufluchtswohnungen mit 119 Plätzen Unterstützung , Beratung bzw. Unterbringung für Betroffene von häuslicher Gewalt an. In 25 „Zweite-Stufe-Wohnungen“ wird Frauen nach einem Frauenhausaufenthalt ein betreutes Wohnen angeboten, wenn es dafür noch Bedarf gibt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI), die von häuslicher Gewalt betroffen sind, können sich neben den allgemeinen Angeboten in Berlin an die von der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS) der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (SenJustVA) zuwendungsgeförderten Projekte aus dem Handlungsfeld Antigewalt richten. Dies sind die Projekte Maneo des Trägers Mann-O-Meter e.V. für schwule und bisexuelle Menschen sowie LesMigras der Lesbenberatung Berlin e.V. für lesbische, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Die Lesbenberatung bietet überdies in ihrem Gesundheitsbereich entsprechende Fachberatung an, die je nach Bedarfslage in Anspruch genommen werden kann. Seite 5 von 9 8. Welche Möglichkeiten bzw. Instrumente hat die Berliner Polizei bei bekannt werden von häuslicher Gewalt gegenüber dem Opfer und Täter (bitte um Auflistung der Optionen)? Zu 8.: Die Polizei hat neben den in der Antwort zu 5. beschriebenen Maßnahmen folgende Möglich-keiten zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt: - Beweissicherung zur Aufklärung der Straftat - Schutzgespräche mit den Opfern und interdisziplinäre Fallbesprechungen - Beratung und Aufklärung über Hilfsangebote - Vermittlung an Beratungsstellen - individuelle Schutzmaßnahmen auch technischer Art nach erfolgter Gefährdungseinschätzung; diese können verhaltens- bzw. personenorientiert oder technischer Natur sein - Gefährderansprachen - Festnahme/ Ingewahrsamnahme - Wegweisungen/ Betretungs- und Kontaktverbote 9. Darf die Berliner Polizei Anzeige bei Kenntnisnahme von häuslicher Gewalt stellen, obwohl das Opfer keine Anzeige erstatten möchte? Zu 9.: Die Verpflichtung zur Anzeigenaufnahme (sog. Legalitätsprinzip) durch die Polizei Berlin ergibt sich aus der StPO. 10. Wie kann einem Opfer geholfen werden, wenn es offensichtlich Angst hat und keine Anzeige erstatten möchte? Zu 10.: Die Opfer häuslicher Gewalt haben die Möglichkeit, sich insbesondere bei den spezialisierten Beratungsstellen (z.B. BIG Hotline bzw. die fünf Berliner Fachberatungsstellen ) anonym beraten zu lassen. Sie können sich dort über den Fortgang eines Ermittlungsverfahrens, Maßnahmen des polizeilichen Gewaltschutzes und anderer Opferschutzmöglichkeiten vor der Erstattung einer Strafanzeige informieren. Frauen können sich im akuten Bedrohungsfall auch direkt an eines der sechs Berliner Frauenhäuser wenden. Darüber hinaus fördert die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung verschiedene Projekte im Bereich des Opferschutzes. Bei dem Verein Opferhilfe Berlin e.V. können sich Opfer von Straftaten professionell beraten lassen. Bei der Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité können Opfer von Gewaltdelikten die Tatspuren rechtsmedizinisch begutachten und dokumentieren lassen. Seit Sommer 2016 können auch Spuren sexualisierter Gewalt gesichert werden . Zudem ist die Sicherung von DNA-Spuren im Wege der vertraulichen Spurensicherung möglich. Das Projekt Stop-Stalking bietet Unterstützung sowohl für Opfer als auch für Täterinnen bzw. Täter von Nachstellungen. Das Projekt Wildwasser unterstützt minderjährige und junge volljährige Zeuginnen und Zeugen, die in Strafverfahren wegen Sexualstraftaten zu einer zeugenschaftlichen Vernehmung geladen werden . Beratung für Männer - gegen Gewalt bietet Gewaltprävention und Opferschutz bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt durch Männer. „Kind im Blick“ richtet sich an Familien mit Kindern, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und den Wunsch zu einem gewaltfreien Zusammenleben bekunden. Zielgruppe des Projekts Kind im Zentrum sind Sexualstraftäter und -täterinnen mit gerichtlichen Therapieweisungen. Seite 6 von 9 Die Beratung im Fall erlebter Gewalt für die Querschnitts-Bedarfsgruppen LSBTI folgt dem ressourcenorientierten Ansatz. Die Opferberatung und -begleitung kann unabhängig von einer möglichen Anzeigeerstattung erfolgen und dient z.B. der psychosozialen Stabilisierung und der Bewältigung der Folgen von Gewalterfahrungen. Die Betroffenen werden grundsätzlich mit allen notwendigen Informationen ausgestattet, um über mögliche weitere Schritte, wie eine Anzeigeerstattung, entscheiden zu können . 11. Wie werden Fälle dokumentiert, bei denen das Opfer von einer Anzeige abgesehen hat? Zu 11.: Seit 2014 besteht in der Gewaltschutzambulanz Charité ein Angebot für Gewaltopfer, um erlittene Verletzungen rechtsmedizinisch untersuchen und dokumentieren zu lassen – dies ist auch ohne polizeiliche Anzeige und kostenfrei möglich. 12. Was können Menschen tun, die Zeuge von häuslicher Gewalt werden und wie werden diese Zeugen gegebenenfalls geschützt? Zu 12.: Grundsätzlich rät die Polizei Berlin Zeugen von Straftaten, den Notruf 110 zu wählen und Angaben zum Geschehen zu machen, ohne sich selbst zu gefährden. Sind Zeugen in einem Ermittlungs- und Strafverfahren gefährdet, richtet sich deren Schutz nach der StPO und dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Die Schutzmaßnahmen können von einem verhaltenssensibilisierenden Gespräch, der Möglichkeit der Angabe einer anderen ladungsfähigen Anschrift als der Wohnanschrift gegenüber dem Gericht, bis hin zu operativen Zeugenschutzmaßnahmen reichen. 13. Wie viel Geld steht dem Berliner Senat für den Opfer- und Zeugenschutz in Berlin zur Verfügung? Zu 13.: Aus dem Einzelplan der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung werden die Projekte Gewaltschutzambulanz, Opferhilfe Berlin e.V., Zeugenbetreuungszimmer im Kriminalgericht, Stop-Stalking, Wildwasser, Beratung für Männer - gegen Gewalt, Kind im Blick und Kind im Zentrum im laufenden Doppelhaushalt mit insgesamt 1.333.389,44 EURO gefördert. Weiterhin stehen im laufenden Doppelhaushalt für die Bedarfsgruppen LSBTI im Handlungsfeld Antigewalt den unter 7. genannten Trägern insgesamt rund 242.000 EURO zur Verfügung. Dies beinhaltet auch die Beratung und Begleitung von LSBTI Geflüchteten, die Opfer von homo- und transphob motivierter Gewalt wurden. Eine anteilige Summe für die Opferhilfe bei diesbezüglicher häuslicher Gewalt kann anteilig nicht beziffert werden. 14. Welche Maßnahmen wären für die Zukunft wünschenswert, um den Opfer- und Zeugenschutz in Berlin zu stärken? Zu 14.: Der Senat erwägt bei Vorliegen der haushaltsmäßigen Voraussetzungen, den Opferschutz für Betroffene von homo- und transphob motivierter Gewalt bedarfsgerecht auszubauen. In diesem Zusammenhang kann im Rahmen der fachlichen Steuerung der unter 7. genannten Projekte das Thema häusliche Gewalt ggf. ausgebaut werden . Die Projekte können zudem angeregt werden, bereits bestehende Kooperatio- Seite 7 von 9 nen mit den allgemeinen Hilfsangeboten für Opfer häuslicher Gewalt zu intensivieren . Aus der Netzwerk- und Kooperationsarbeit mit Institutionen der Opferhilfe ist bekannt, dass Handlungsbedarf hinsichtlich der ad-hoc-Unterbringung von Opfern häuslicher Gewalt in einer geschützten Unterkunft besteht. 15. Wird bei der Aufnahme von Fällen von häuslicher Gewalt zwischen der Herkunft des Täters unterschieden ? Wenn ja, bitte um Auflistung der letzten 10 Jahre. Wenn nein, warum nicht? Zu 15.: Wie zu allen Straftaten wird auch zu den Tatverdächtigen der Fälle partnerschaftlicher / innerfamiliärer Gewalt die Staatsangehörigkeit erfasst; nicht jedoch die Herkunft. Der nachstehenden tabellarischen Aufstellung sind die Angaben zur Gesamtzahl der Tatverdächtigen zu Fällen partnerschaftlicher/innerfamiliärer Gewalt, unterteilt nach deutscher bzw. nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, zu entnehmen. Dargestellt werden die Jahre 2011 bis 2016, da die Kennzeichnung der entsprechenden Opfer erst 2011 in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) eingeführt wurde und das Berichtsjahr 2017 noch nicht abgeschlossen ist. Zum ebenfalls dargestellten Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger an allen Tatverdächtigen ist anzumerken, dass aufgrund eines technischen Fehlers die Anzahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen bis zum Jahr 2012 überhöht war. Einige an sich deutsche Staatsangehörige wurden bei der Umstellung vom alten polizeilichen Informationssystem ISVB (Informationssystem Verbrechensbekämpfung) auf POLIKS versehentlich mit der Staatsangehörigkeit „keine Angabe“, die zu den Nichtdeutschen zählt, übernommen. Anzahl der Tatverdächtigen (TV) zu Taten mit Opfern partnerschaftlicher bzw. innerfamiliärer Gewalt nach Staatsangehörigkeit 2016 2015 2014 2013 2012 2011 insgesamt 10.843 10.797 10.931 10.773 10.443 10.317 deutsch 6.675 6.973 7.084 7.052 6.933 6.531 nichtdeutsche 4.168 3.824 3.847 3.721 3.510 3.786 Quelle: PKS Berlin 16. Gibt es Unterschiede in der Häufigkeit bzw. Art und Weise bei Fällen von häuslicher Gewalt bei Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Flüchtlingen und wenn ja, wie bewertet der Senat dies? Zu 16.: Angaben zur Anzahl der Tatverdächtigen bei Fällen Häuslicher Gewalt mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit sind der Beantwortung zu Frage 15 zu entnehmen. Angaben zu deutschen Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund liegen zur häuslichen Gewalt nicht vor. Geflüchtete Personen werden in der PKS als „Zuwanderer“ über bestimmte Ausprägungen des Aufenthaltsanlasses definiert. Hierbei handelt es sich um eine Pflichteingabe zu nichtdeutschen Tatverdächtigen. Gemäß der PKS Berlin für das Jahr 2016 waren 500 der Tatverdächtigen zur häuslichen Gewalt „Zuwanderer“. Seite 8 von 9 Das entspricht einem Anteil von 4,6% aller erfassten Tatverdächtigen der häuslichen Gewalt. Im Übrigen ist häusliche Gewalt ein globales Problem und weltweit eine der häufigsten Verletzungshandlungen. Sie kommt in allen Kulturen, unabhängig von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, in allen sozialen Schichten und in allen Altersgruppen vor. Bestimmte Risikofaktoren wie Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse, finanzielle Schwierigkeiten und sonstige problematische Lebensverhältnisse begünstigen das Entstehen von häuslicher Gewalt. Die bereits in der Antwort zu 2. erwähnte Studie des BMFSFJ kommt zu dem Ergebnis , dass Migrantinnen in höherem Maße von häuslicher Gewalt betroffen sind als der Durchschnitt der weiblichen Bevölkerung Deutschlands Die Gründe hierfür sind komplex. Eine wichtige Rolle spielt die Tatsache, dass Migrantinnen häufiger in einer schwierigen sozialen Situation leben, die von mehreren der oben dargestellten Risikofaktoren gekennzeichnet ist. Der Senat berücksichtigt diese Erkenntnisse in der Ausgestaltung des Hilfesystems. Für den Kreis der geflüchteten Frauen gibt es keine weiteren gesicherten Erkenntnisse . Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Gewalterfahrungen vor dem Hintergrund der Fluchtgeschichte insgesamt noch größer sind. 17. Was wird unternommen, um Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Flüchtlingsstatus zum Thema häusliche Gewalt aufzuklären bzw. die betroffenen Opfer zu unterstützen? Zu 17.: Im Rahmen der Bundesinitiative „Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften “ haben das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und UNICEF in Kooperation mit der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention (DFK) und der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes sowie weiteren Beteiligten Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften entwickelt und veröffentlicht. Der Mindeststandard 4 beschreibt den Umgang mit Gewalt- und Gefährdungssituationen / Risikomanagement und die standardisierte Verfahrensweise bei Verdacht auf Gewalt. Aus der im November 2015 gebildeten Arbeitsgruppe Flüchtlinge–Prävention bei der Polizei Berlin entstanden im Februar 2016 die ersten behördenweiten Handlungsempfehlungen im Kontext Zuwanderung. Daraus resultierend wurden feste polizeiliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für alle Not- und Gemeinschaftunterkünte eingerichtet. Diese suchen anlassunabhängig die Unterkünte auf, bieten polizeiliche Beratung an und erkennen die Notwendigkeit polizeilicher Präventionsmaßnahmen. In diesem Kontext wurde eine Handreichung für Mitarbeitende der Unterkünfte von der Polizei Berlin aufgelegt. Insbesondere wird hier zur Thematik der Häuslichen Gewalt, Sexualdelikten und Gewaltdelikten an Schutzbefohlenen und Kindern (Misshandlung) sensibilisiert. Darüber hinaus arbeiten die Opferschutzbeauftragten sowie Koordinatorinnen und Koordinatoren für häusliche Gewalt/ Stalking der Polizei Berlin in ihren jeweiligen Polizeidirektionen mit den bezirklichen Institutionen und Einrichtungen in freier Trägerschaft zur Thematik häusliche Gewalt in Flüchtlingsunterkünften eng zusammen. So finden beispielsweise Informationsveranstaltungen und Sprechstunden in den Flüchtlingsunterkünften statt, in denen über die polizeilichen Eingriffsund Gewaltschutzmaßnahmen sowie Opferrechte informiert wird. Seite 9 von 9 Die Polizei Berlin stellt im Rahmen der Anzeigenerstattung Opfern von Straftaten, also auch bei häuslicher Gewalt, ein Formular mit Informationen zu Opferrechten und Hinweisen auf Beratungsstellen zur Verfügung. Das sogenannte Opferschutzmerkblatt ist derzeit in 24 Sprachen verfügbar. Weiterhin bietet BIG Fortbildungen und Workshops für Mitarbeitende sowie Bewohnerinnen und Bewohner in Flüchtlingsunterkünften seit 2016 an. Das Berliner Hilfesystem bei häuslicher Gewalt steht selbstverständlich auch Migrantinnen offen und wird von diesen auch genutzt. Frauenhäuser, Fachberatungsstellen bei häuslicher Gewalt und Zufluchtswohnungen für gewaltbetroffene Frauen haben die Möglichkeit, zusätzliche Finanzmittel für Sprachmittlung bei der Beratung gewaltbetroffener geflüchteter Frauen abzurufen. Die Unterbringungsmöglichkeiten für gewaltbetroffene geflüchtete Frauen wurden durch die Finanzierung zusätzlicher Frauenhausplätze und Schaffung von betreuten Wohnraumkapazitäten erweitert. Um den Zugang gewaltbetroffener geflüchteter Frauen zum Hilfesystem zu erleichtern , wurden der Informationsflyer der BIG-Hotline sowie die BIG-Broschüre „Ihr Recht bei häuslicher Gewalt“ in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Außerdem werden den Mitarbeitenden in Flüchtlingsunterkünften Fortbildungen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt sowie zu Stalking angeboten. Für die Beratung geflüchteter Frauen wurde die Beratungsinfrastruktur bei häuslicher Gewalt gestärkt. Ein präventives Angebot richtet sich darüber hinaus an geflüchtete Männer. Gemeinsam mit der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) hat die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung unter Einbezug verschiedener staatlicher und nichtstaatlicher Akteurinnen und Akteure die Handreichung „Was tun bei Gewalt gegen Frauen und LSBTI in Unterkünften?“ entwickelt , die in Kürze veröffentlicht werden wird. Es ist vorgesehen, die Handreichung, die vom Träger BIG e.V. angeboten wird, in den Unterkünften im Rahmen von Fortbildungen zum Thema häusliche Gewalt vorzustellen. Berlin, den 27. Oktober 2017 In Vertretung Sabine Smentek Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-12501 S18-12501