Drucksache 18 / 12 524 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jeannette Auricht (AfD) vom 16. Oktober 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Oktober 2017) zum Thema: Gender Mainstreaming im ÖPNV und Antwort vom 01. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Nov. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Frau Abgeordnete Jeannette Auricht (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12 524 vom 16. Oktober 2017 über Gender Mainstreaming im ÖPNV Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: An welchen Punkten besteht derzeit im ÖPNV eine tatsächliche lebensweltliche, genderspezifische Benachteiligung von Personen oder Gruppen? Antwort zu 1: Im Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die Haushaltsjahre 2018 und 2019 (Haushaltsgesetz 2018/2019 – HG 18/19, Drs 18/0500) ist in den allgemeinen Erläuterungen zum Kapitel 0730 dargestellt, welche genderspezifischen Anforderungen an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gestellt werden. Mit dem Einsatz der ausgewiesenen Haushaltsmittel wird einer Benachteiligung von Zielgruppen des ÖPNV entgegen gewirkt. So sind z.B. Frauen die mit Kindern unterwegs sind besonders von Kapazitätsengpässen betroffen, wenn in Bussen und Bahnen kein Platz für Personen mit Kinderwagen ist. Auch Defizite in der Verfügbarkeit von Aufzügen und Fahrtreppen betreffen diese Zielgruppe, wie auch andere mobilitätseingeschränkte Fahrgäste, in besonderem Maße. Ferner belegen Fahrgastbefragungen, dass Frauen – aber auch ältere Fahrgäste – insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit höhere Anforderungen stellen, um sich sicher zu fühlen. Defizite bei der Sicherheit halten daher tendenziell eher Frauen als Männer davon ab, nachts den ÖPNV zu nutzen. Dabei spielt das Sicherheitsgefühl eine große Rolle, selbst wenn de facto die größte Gruppe der Opfer von Kriminalität unter den ÖPNV-Nutzenden junge Männer sind (vgl. Antwort zu Frage 6). Frage 2: Was konkret sind Maßnahmen unter Berücksichtigung von Genderaspekten im ÖPNV? 2 Antwort zu 2: Wie in den o.g. Ausführungen im Haushaltsgesetz 2018/2019 dargestellt geht es darum, genderspezifische Anforderungen von Anfang an in die Planung zu integrieren. Dazu gehört, das Nahverkehrsnetz nicht ausschließlich auf Berufspendler auszurichten, sondern auch für diejenigen zu planen, die Beruf und Familienarbeit miteinander verknüpfen müssen. Für sie kommt es darauf an, dass auch die Nahmobilität im Kiez ohne Auto bewältigt werden kann. Die Standards des Nahverkehrsplans (NVP) sichern daher die Angebotsqualität auch im Nahbereich. Bereitgestellt wird ein fein verästeltes Busnetz abseits der Hauptachsen bei hoher Erschließung und guten Umsteigerelationen. Bei der Planung der ÖPNV-Infrastruktur (z.B. Bahnhöfe) zielt die Berücksichtigung von Genderaspekten insbesondere darauf, durch gute Einsehbarkeit, moderne Beleuchtungskonzepte und gute Wegführung Angsträume zu vermeiden und so die subjektive Sicherheit zu gewährleisten. Schließlich dienen auch alle Investitionen in Aufzüge und Haltestellenkaps sowohl älteren und körperlich eingeschränkten Personen, als auch Fahrgästen die mit Kindern und Kinderwagen unterwegs sind. Frage 3: Wie werden die unter Punkt 2 benannten Maßnahmen umgesetzt? Antwort zu 3: Die Maßnahmen werden durch Bestellung der jeweiligen Verkehrsleistungen bei den Verkehrsunternehmen umgesetzt sowie durch entsprechende Vorgaben beim Neu- und Umbau von ÖPNV-Infrastruktur. Beispiele für konkrete Maßnahmen sind im Abschnitt Gender Budget in den allgemeinen Erläuterungen zum Kapitel 0730 des Haushaltsgesetzes 2018/2019 angeführt. Frage 4: Wo speziell sollen die genehmigten Haushaltsmittel eingesetzt werden, um den ÖPNV gendergerechter zu gestalten? Antwort zu 4: Es gibt keinen gesonderten Haushaltstitel für gendergerechten ÖPNV. Vielmehr geht es darum, die Berücksichtigung von Genderaspekten in die Ausgestaltung des Nahverkehrsangebots von Anfang an zu integrieren, d.h. bei der gesamten Planung und deren Umsetzung . Frage 5: Wie genau definiert der Senat einen „gendergerechten ÖPNV“? Antwort zu 5: Der Gendergerechte ÖPNV steht für eine Planung von Nahverkehrsangeboten und -infrastruktur, die die Identifikation und Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Bedürfnissen und Genderaspekten zu Grunde legt sowie deren adäquate Umsetzung bei der Bestellung von Verkehrsleistungen bzw. der Ausführung von Baumaßnahmen. Frage 6: Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gehört zu den Genderaspekten im ÖPNV auch der besondere Schutz von jungen Männern. Was versteht die Senatsverwaltung unter "jungen Männern" und wovor, bzw. wem sollen sie geschützt werden? 3 Antwort zu 6: Befragungen von Kriminalitätsopfern zum Vermeidungsverhalten aufgrund von Kriminalitätsfurcht zeigen, dass Frauen und ältere Menschen häufiger den ÖPNV bei Dunkelheit meiden als junge Männer. Dem gegenüber weist tatsächlich die Altersgruppe der 16-25 jährigen Männer ein höheres Risiko auf, Opfer von Kriminalität im ÖPNV zu werden. Hierbei handelt es sich um das so genannte Kriminalitätsparadoxon: Obwohl junge Männer häufiger Opfer von Körperverletzungen und Diebstahl im öffentlichen Raum werden als Frauen und ältere Menschen, vermeiden sie die Nutzung des ÖPNV seltener. Dort also, wo sich Menschen in der Öffentlichkeit begegnen (müssen), wie beispielsweise im ÖPNV und an den dazugehörigen Haltestellen im Übergang zum öffentlichen Raum, finden zwangsläufig Begegnungen statt, die auch zu Übergriffen führen können. Eine genderdifferenzierte Betrachtung der Sicherheit im ÖPNV bedeutet, dass Schutzmaßnahmen auf die unterschiedlichen Bedarfe der Nutzenden abgestimmt sein müssen mit dem Ziel, einen gleichberechtigten Zugang aller Nutzungsgruppen zum ÖPNV zu gewährleisten. Dabei müssen Schutzmaßnahmen für diejenigen, die den ÖPNV bei Sicherheitsbedenken eher vermeiden, anders aussehen als Schutzmaßnahmen für Zielgruppen, wie die der jungen Männer – die den ÖPNV intensiv nutzen, obwohl sie statistisch ein höheres Risiko haben, Opfer von Übergriffen zu werden. Hier sind z.B. Maßnahmen wie die Sicherheitskampagne der BVG „Deine Waffe gegen Gewalt“, die gezielt auch die o.g. Altersgruppe anspricht, oder die jüngst geschaffene Möglichkeit, dass die BVG Sichereheitsleitstelle über die Lautsprecher auf Bahnhöfen direkt bei kritischen Situationen auf problematische Personengruppen, z.B. streitende Jugendliche, einwirkt, zu nennen. Berlin, den 01.11.2017 In Vertretung Kirchner ................................ Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz S18-12524 S18-12524