Drucksache 18 / 12 532 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 19. Oktober 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Oktober 2017) zum Thema: Prävention gegen Jugendkriminalität in Berlin und Antwort vom 06. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Nov. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 4 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12532 vom 19. Oktober 2017 über Prävention gegen Jugendkriminalität in Berlin ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Zu welchen Ergebnissen hat die Evaluierung des Pilotprojekts „Täterorientierte Intervention“ (TOI) durch die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin geführt? Zu 1.: In der Abschlussarbeit „Umsetzungsorientierte Evaluation des Modells Täterorientierte Intervention“ zur Erlangung des Grades Bachelor of Arts an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) wurde das Pilotprojekt TOI evaluiert. Die Arbeit wurde 2015 veröffentlicht und ist über die Bibliothek der HWR zugänglich. Die Evaluierung kommt zu dem Ergebnis, dass die Grundelemente des TOI Modells gut aufeinander abgestimmt sind, im Einklang mit kriminologischen Erkenntnissen zu Kinder- und Jugenddelinquenz stehen und die wesentlichen Anforderungen an kriminalpräventive Arbeit erfüllen. Die Einbeziehung und Aktivierung der Jugendhilfe wird grundsätzlich erreicht. Die Mehrzahl der TOI Fälle ist der Jugendhilfe bereits bekannt . Als kritische Punkte werden die Erweiterung des polizeilichen Aufgabenfeldes ohne unmittelbare Einbindung von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen gesehen sowie die Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen, die zwar in auffälliger Form Normen verletzen, bei denen aber keine Entwicklungsgefährdung vorliegt. Bei der Weiterentwicklung ist eine Präzisierung des Konzepts, die Fokussierung auf die Kernelemente des Modells und eine Verstetigung der Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe in Betracht zu ziehen. 2. Wurde der Entscheidungsprozess über eine landesweite Einführung des Projekts TOI abgeschlossen und wenn ja, mit welchem Ergebnis und wenn nein, wann wird der Entscheidungsprozess abgeschlossen sein? Seite 2 von 4 3. Wurde die Prüfung, ob das Wohnortprinzip zur Bearbeitung von Jugendstrafsachen in der Polizei Berlin eingeführt wird, abgeschlossen und wenn ja, mit welchem Ergebnis, und wenn nein, wann wird die Prüfung abgeschlossen sein? Zu 2. und 3.: Die Entscheidungsprozesse zur landesweiten Einführung des Projekts TOI und zur landesweiten Einführung des Wohnortprinzips zur Bearbeitung von Jugendsachen sind noch nicht abgeschlossen. Die zur Klärung beider Fragen eingerichtete Arbeitsgruppe der Polizei Berlin wird im November 2017 ihre Arbeit beenden. 4. Wie viele Einverständniserklärungen der Betroffenen bzw. deren Eltern wurden in den Jahren 2015, 2016 und 2017 in den jeweiligen Bezirken für wohnortbezogene und ressortübergreifende Fallkonferenzen eingeholt? Zu 4.: In den Jahren 2015, 2016 und 2017 wurden keine einzelfall- und wohnortbezogenen, ressortübergreifenden Fallkonferenzen unter Beteiligung der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder der Jugendrichterinnen und Jugendrichter durchgeführt. Daher war es nicht erforderlich, diesbezüglich Einverständniserklärungen von Betroffenen oder Eltern einzuholen. 5. Wie viele qualifizierte Jugendsachbearbeiter (JuSB) sind derzeit in den jeweiligen Polizeiabschnitten im Einsatz und wie viele besonders gefährdete Kinder und Jugendliche wurden von ihnen bislang vor Beginn einer kriminellen Karriere identifiziert? Zu 5.: Die Zahl der in den Polizeiabschnitten verwendeten qualifizierten Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter (JuSB) ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen : Direktion JuSB/Abschnitt Gesamt Dir 1 A 11: 4 A 12: 4 A 13: 3 A 14: 6 A 15: 7 A 16: 6 30 Dir 2 A 21: 6 A 22: 9 A 23: 5 A 24: 7 A 25: 6 A 26: 3 36 Dir 3 A 31: 11 A 32: 8 A 33: 4 A 34: 5 A 35: 5 A 36: 8 41 Dir 4 A 41/42*: 8 A 43: 4 A 44: 5 A 45: 8 A 46: 10 A 47: 3 38 Dir 5 A 51: 5 A 52: 3 A 53: 2 A 54: 4 A 55: 7 A 56: 7 28 Dir 6 A 61: 8 A 62: 5 A 63: 11 A 64: 12 A 65: 6 A 66: 6 48 Quelle: Polizei Berlin *Im Zuge der Fusionierung der Abschnitte 41 und 42 wird nur noch ein Abschnittskommissariat mit JuSB beim A 41 geführt. Zur Anzahl der vor Beginn einer kriminellen Karriere identifizierten besonders gefährdeten Kinder und Jugendlichen ist keine valide Aussage möglich. 6. Wie viele „Staatsanwälte für den Ort“ sind derzeit für welche jeweiligen Bezirke im Einsatz und wie gestaltet sich das jeweils konkret aus? Zu 6.: Das Pilotvorhaben „Staatsanwalt für den Ort“ startete am 1. Juni 2015 mit drei Staatsanwälten für den Bereich Neukölln. 2017 erfolgte eine Ausweitung auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Zuständig für die beiden Bezirke sind nunmehr sieben Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die „Staatsanwälte für den Ort“ sind grundsätzlich zuständig für Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende, die ihren Wohnsitz in einem der genannten Bezirke haben oder ohne festen Aufenthalt in Berlin sind, aber der Tatort in einem der Seite 3 von 4 genannten Bezirke liegt. Darüber hinaus umfasst die Zuständigkeit die Jugendschutzsachen , die sich gegen Personen richten, die in einem der genannten Bezirke wohnen. 7. Wurde die Prüfung über eine Ausweitung des Projekts „Staatsanwalt für den Ort“ auf alle Berliner Bezirke abgeschlossen und wenn ja, mit welchem Ergebnis und wenn nein, wann wird die Prüfung abgeschlossen sein? Zu 7.: Das Pilotvorhaben ist auf drei Jahre angelegt und endet im Juni 2018. Die Ausweitung auf einen weiteren Bezirk in diesem Jahr dient dazu, eine breitere Erkenntnisbasis zu erlangen. Die Überlegungen bezüglich einer Ausweitung des Pilotvorhabens auf alle Berliner Bezirke sind noch nicht abgeschlossen. Einer Entscheidung wird nach Abschluss des Pilotvorhabens und der Evaluierung getroffen. 8. Wie viele Kontaktaufnahmen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem Neuköllner Modell (NKM) gab es in den Jahren 2015, 2016 und 2017 und wie viele Verfahren wurden in diesen Jahren nach dem NKM durchgeführt? Zu 8.: Die erste Stufe, wie aus einem normalen Jugend- ein NKM-Verfahren wird, ist die Auswahl des Falls durch die Polizei. Diese Auswahl wird im Gespräch mit der Staatsanwaltschaft erörtert. Die Anzahl dieser Kontaktaufnahmen ist der folgenden Tabelle zu entnehmen: Jahr 2015 2016 2017 gesamt Ja* Nein** gesamt Ja* Nein** gesamt Ja* Nein** Kontakte 888 339 549 920 286 634 577 217 360 Quelle: Polizei Berlin – Diversionsdatenbank, Stand 30.09.2017 * Zustimmungen durch die Staatsanwaltschaft; ** Ablehnungen durch die Staatsanwaltschaft Die Zahl der tatsächlich nach dem NKM durchgeführten Verfahren wird statistisch nicht erfasst. Aus dem bei der Staatsanwaltschaft Berlin verwendeten Aktenverwaltungssystem „Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation“ (MESTA) lässt sich nachvollziehen, in wie vielen Verfahren im Rahmen des NKM gemäß § 76 Jugendgerichtsgesetz Anträge im vereinfachten Jugendverfahren beim Amtsgericht Tiergarten - Jugendrichter - gestellt wurden. Dies stellt sich wie folgt dar: Jahr 2015 2016 2017 Verfahrensanträge 155 120 125 Quelle: MESTA, Stand 25.09.2017 9. Wie viele und welche Schulungsmaßnahmen wurden in den Jahren 2015, 2016 und 2017 vom federführenden Amtsgericht Tiergarten und der Berliner Polizei durchgeführt, um die Anwendung des besonders beschleunigten vereinfachten Jugendverfahrens nach dem „Neuköllner Modell“ weiter zu verbessern? Zu 9.: Schulungen werden teilweise von einem Richter am Amtsgericht und teilweise von der Polizei selbst durchgeführt, ohne dass dies insgesamt statistisch erfasst wird. Die Verfahrensabläufe und Inhalte des NKM sind Bestandteil der Fortbildung zum qualifizierten JuSB, der Fortbildung „Jugendkriminalität und polizeiliche Sachbearbeitung im Jugendverfahren“ sowie des zweitätigen Seminars „Jugendgerichtsverfah- Seite 4 von 4 ren“ an der Polizeiakademie. Neben diesen Aus- und Fortbildungsangeboten der Polizeiakademie wurden in den Polizeidirektionen folgende Schulungsmaßnahmen zum NKM durchgeführt: Direktion 1 Im Jahr 2015 wurde eine Veranstaltung zum NKM durchgeführt, an der sich ein Jugendrichter, die Staatsanwaltschaft Berlin und die Jugendhilfe im Strafverfahren beteiligten. Im Jahr 2016 fand eine Inhouse-Veranstaltung beim örtlichen polizeilichen Vekehrsermittlungsdienst mit Beteiligung der Polizeiakademie zum Thema Diversion und NKM statt. Direktion 3 Im Jahr 2015 fand eine direktionsübergreifende Veranstaltung statt, in der ein Jugendrichter, die Staatsanwaltschaft Berlin und die Jugendhilfe ihren jeweiligen Beitrag im NKM Verfahren darstellten. Direktion 4 Es wurden im Jahr 2015 unter Beteiligung eines Jugendstaatsanwaltes und eines Jugendrichters vier Informationsveranstaltungen zum NKM durchgeführt . 2017 organisierten die Abschnitte vergleichbare Informationsveranstaltungen für ihre Dienstgruppen. Durch insgesamt acht Veranstaltungen wurde auch der Kriminaldauerdienst beschult. Direktion 6 In den Jahren 2015 bis 2017 wurden die zuständigen Jugendrichter für insgesamt fünf Inhouse-Schulungen eingeladen. Darüber hinaus gibt es am Amtsgericht Tiergarten jährliche Arbeitstreffen zum NKM ohne Schulungscharakter, an denen neben dem Gericht Vertreterinnen und Vertreter der Staatsanwaltschaft Berlin und der Berliner Polizei teilnehmen. Bei Bedarf werden zu Einzelfragen weitere Arbeitstreffen mit unterschiedlicher Beteiligung durchgeführt. Dabei lässt sich nicht immer eine Trennlinie zwischen Schulungsmaßnahmen, Erfahrungsaustausch und Arbeitsbesprechungen ziehen. Berlin, den 06. November 2017 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-12532 S18-12532