Drucksache 18 / 12 616 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Bettina Jarasch (GRÜNE) vom 03. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. November 2017) zum Thema: Zuständigkeit für Geflüchtete: Geburtsmonatsprinzip überdenken und Antwort vom 22. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Nov. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Abgeordnete Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12616 vom 03.11.2017 über Zuständigkeit für Geflüchtete: Geburtsmonatsprinzip überdenken ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Die rechtliche Zuständigkeit der bezirklichen Ämter für geflüchtete Menschen, die auch nach dem Abschluss ihres Asylverfahrens noch in MUFs und Tempo-Homes untergebracht sind, wird durch die AV Zuständigkeit für Leistungen der Sozialhilfe geregelt, die diese Gruppe verwaltungsrechtlich wie wohnungslose Menschen behandelt, obwohl sie einen Wohnsitz haben. Die Zuständigkeit der Bezirksämter begründet sich derzeit nach dem Geburtsmonat, unabhängig vom tatsächlichen Wohnort und Lebensmittelpunkt der Geflüchteten. Unter dieses Prinzip fallen Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (die nach dem Abschluss ihres Verfahrens noch keinen Aufenthaltstitel erhalten haben) und nach SGB II, so lange sie in MUFs und Tempohomes wohnen. a) Für wie viele geflüchtete Menschen mit Wohnsitz in Berlin sind die bezirklichen Sozialämter jeweils zuständig? Bitte Fallzahlen nach den zuständigen Sozialämtern der Bezirke aufschlüsseln. Wie viele der Leistungsberechtigten wohnen jeweils in dem Bezirk, der rechtlich für sie zuständig ist? Bitte soweit möglich nach Bezirken aufschlüsseln. b) Wie viele geflüchtete Menschen, die aufgrund fehlender Passdokumente von der Bundespolizei das fiktive Geburtsdatum 01.01.19XX oder 01.01.20XX zugeteilt bekommen haben, sind derzeit in Berlin untergebracht? Wie wurde im Hinblick auf diese Personengruppe mit der Zuständigkeit der bezirklichen Ämter umgegangen? Zu 1.: Die örtliche Zuständigkeit der bezirklichen Sozialämter von Berlin für Leistungsberechtigte nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), für die das Land Berlin nach dem Zwölften Kapitel des SGB XII als Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, richtet sich nach Abschnitt II der Ausführungsvorschriften über die örtliche Zuständigkeit für die Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII (AV Zuständigkeit Soziales – AV ZustSoz). 2 Nach den Nummern 3 und 4 AV ZustSoz ist grundsätzlich das Bezirksamt örtlich zuständig, in dessen Amtsbezirk die betreffende Person wohnt und melderechtlich registriert ist. Als Ausnahme hierzu gilt: Die örtliche Zuständigkeit eines Bezirksamts für wohnungslose Menschen, die zuvor keine eigene Wohnung in Berlin hatten und in Gemeinschaftsunterkünften leben, darunter u. a. auch des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), richtet sich nach dem jeweiligen Geburtsmonat. Jedem Bezirksamt ist ein Geburtsmonat zugeordnet. Diese örtliche Zuständigkeit gilt auch bei bezirksübergreifend wechselndem Aufenthalt in Unterkünften bis zu einer Versorgung mit Wohnraum. Diese Regelung gilt entsprechend auch für die Jobcenter, Jugendämter und die Sozialämter, soweit letztere für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zuständig sind. Die AV ZustSoz gilt für alle leistungsberechtigte Personen - unabhängig davon, ob ein Fluchthintergrund vorliegt. Für Geflüchtete in Wohnungen gilt dementsprechend das Wohnortprinzip, für diejenigen in Gemeinschaftsunterkünften das Geburtsmonatsprinzip. Zu 1. a): Hierzu liegen keine entsprechenden Zahlen vor. So wird bspw. der Fluchthintergrund von Menschen, die in den Bezirken Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalten, nicht erfasst. Zu 1. b): Nach der Geburtsmonatsregelung liegt die örtliche Zuständigkeit für geflüchtete Menschen, die aufgrund fehlender Passdokumente von der Bundespolizei das fiktive Geburtsdatum 01.01.19XX oder 01.01.20XX zugeteilt bekommen haben und in nicht zuständigkeitsbegründenden Unterkünften in Berlin untergebracht sind, beim Bezirksamt Mitte. Angaben zur aktuellen Anzahl des vom Bezirksamt Mitte betreffenden untergebrachten Personenkreises liegen nicht vor. 2. Wie positioniert sich die Senatsverwaltung zu dem Umstand, dass die Verteilung nach dem Geburtsdatumsprinzip sowohl für die Mitarbeiter*innen der Sozialämter als auch für die geflüchteten Menschen lange Anfahrtswege bzw. eine eingeschränkte Erreichbarkeit mit sich bringt? Teilt die Senatsverwaltung die Einschätzung, dass dadurch auch die Mitwirkungsfähigkeit bzw. die Motivation der in den Arbeitsmarkt zu vermittelnden geflüchteten Menschen eingeschränkt werden könnte? 3. Wie steht der Senat zu dem Vorschlag, den Verteilmechanismus für geflüchtete Menschen, die in die Zuständigkeit der Bezirke wechseln, vom Geburtsdatumsprinzip auf das Wohnortprinzip (Belegenheitsprinzip) umzustellen? Welche Vor- und welche möglichen Nachteile hätte eine solche Umstellung? a) Falls eine solche Umstellung in Betracht gezogen wird, in welchen Schritten und Zeiträumen kann die Umstellung erfolgen? b) Gibt es Möglichkeiten, eine solche Umstellung zu beschleunigen, z.B. indem ab einem bestimmten Stichtag neu dazukommende Statuswechsler*innen bereits nach dem Wohnortprinzip in die rechtliche Zuständigkeit der bezirklichen Ämter verteilt werden, auch wenn die gesamte Umstellung noch nicht erfolgt ist? c) Wie sind die Einrichtungen des Landes, in denen geflüchtete Menschen auch längerfristig untergebracht sind (MUFs und Tempohomes), über die Berliner Bezirke verteilt? Bitte nach Anzahl der Bewohner*innen je Bezirk aufschlüsseln. 3 Zu 2. und 3.: Der Vorschlag, für geflüchtete Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, die in die Zuständigkeit der Bezirke wechseln, vom Geburtsmonatsprinzip auf das Wohnortprinzip (Belegenheitsprinzip) umzustellen, wurde durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales aufgegriffen. Seit Sommer 2017 befindet sich hierzu die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales in einer gemeinsamen Debatte mit den Bezirken unter Einbeziehung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg und der Jobcenter. In dieser Debatte wird das Für und Wider in Bezug auf eine mögliche Umstellung vom Geburtsdaten- auf das Wohnortprinzip abgewogen sowie die Auswirkungen auf Fallzahlen, Verwaltungsabläufe, Personal und Betroffene geprüft. Hierbei kann bei einer längerfristigen Verweildauer in einer Unterkunft das Wohnortsprinzip unter dem Gesichtspunkt der Integration Vorteile bieten. Eine etwaige Umstellung auf das Wohnortprinzip kann aus Sicht der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales nur gemeinsam mit den für die Leistungsberechtigten zuständigen Bezirken und Jobcentern erfolgen. Aktuell werden Daten zu Arten der Unterbringung, Dauer der Unterbringung, Anzahl der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, dem SGB XII und dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ermittelt, die von einer Umstellung betroffen sein könnten. Zurzeit kann daher weder eine abschließende Einschätzung der Vor- und Nachteile einer Änderung der Zuständigkeitsregelung getroffen werden noch ob eine solche sukzessiv oder durch eine Stichtagsregelung erfolgen könnte. Zu 3. c): Da der Wohnungsmarkt in Berlin sehr angespannt ist, verbleiben geflüchtete Menschen derzeit längerfristig in Gemeinschaftsunterkünften des LAF. Dazu zählen unter anderem auch Tempohomes und Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF). Die Belegung dieser Unterkünfte je Bezirk zum Stichtag 15. November 2017 kann der folgenden Übersicht entnommen werden. Dabei findet jedoch keine Differenzierung statt, ob diese Personen Leistungen in Zuständigkeit der Bezirke oder des LAF erhalten. Zudem handelt es sich um eine Momentaufnahme, da künftig eine Vielzahl von neuen Gemeinschaftsunterkünften geschaffen wird. Bezirk Belegung Gemeinschaftsunterkünfte 15. November 2017 Charlottenburg-Wilmersdorf 1.390 Friedrichshain-Kreuzberg 668 Lichtenberg 2.828 Marzahn-Hellersdorf 3.242 Mitte 792 Neukölln 688 Pankow 3.413 Reinickendorf 977 Spandau 1.028 Steglitz-Zehlendorf 649 Tempelhof-Schöneberg 1.246 Treptow-Köpenick 1.271 4 4. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, im Sinne einer Übergangslösung diejenigen Sozialämter, die aufgrund der Verteilung nach dem Geburtsdatumsprinzip besonders viele geflüchtete Menschen zu betreuen haben, zu entlasten? a) Sind hier personelle Aufstockungen geplant, bzw. kam es in der Vergangenheit bereits zu entsprechenden Aufstockungen? b) Welche weiteren Unterstützungsmöglichkeiten sieht der Senat? Zu 4.: Es wird auf die Antwort zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. Im Übrigen ist es Überlegung der unter Punkt 2) genannten Debatte, ob und wie es möglich ist, die Bezirke, die besonders viele Geflüchtete betreuen, zu entlasten, ohne gleichzeitig neue Überlastungssituationen in anderen Bezirken zu verursachen. Berlin, den 22. November 2017 In Vertretung Daniel T i e t z e _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales S18-12616 S18-12616