Drucksache 18 / 12 680 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jessica Bießmann (AfD) vom 14. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. November 2017) zum Thema: Genitalverstümmlung – Teil II und Antwort vom 01. Dezember 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Dez. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Frau Abgeordnete Jessica Bießmann (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12680 vom 14. November 2017 über Genitalverstümmlung - Teil II ________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis des Senats jeweils zur Verurteilung (bitte nach Höhe der Strafe, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Täters oder der Täter, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Opfers oder der Opfer aufschlüsseln)? Zu 1.: Ausweislich der Strafverfolgungsstatistik gab es in den Jahren 2014 bis 2016 keine Verurteilungen gemäß 226 a StGB. 2. Welche Maßnahmen hat der Senat, insbesondere im Rahmen des vermehrten Zuzugs von Migranten und Asylbewerbern ab dem Jahr 2015 ergriffen, um Genitalverstümmelung zu verhindern? 3. Welche Maßnahmen plant der Senat in Zukunft zur Verhinderung von Genitalverstümmelungen? 4. Fördert der Senat Projekte, die sich für die Prävention und Aufklärung von Genitalverstümmelungen einsetzen (bitte nach Projekten und Fördersummen aufschlüsseln)? Zu 2 - 4.: Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist ein globales, transnationales Phänomen. Die Bekämpfung kann nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr handelt sich um eine übergeordnete Aufgabe, die eine Zusammenarbeit vieler Akteure erfordert. Zu einer wirksamen Vermeidung der weiblichen Genitalverstümmelung werden vor allem entwicklungspolitische Maßnahmen beitragen, die auf unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Ebenen auf eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung in FGM-praktizierenden Ländern hinwirken. - 2 - 2 Im Rahmen der EU-finanzierten Projekte CHANGE und CHANGE Plus unter koordinierender Federführung von TERRE DES FEMMES wurden jeweils 48 einflussreiche Frauen und Männer in afrikanischen Communities in Deutschland zu Multiplikator/-innen, sog. CHANGE-Agents ausgebildet, darunter auch sechs Multiplikator/-innen in Berlin. Das Programm zielt darauf ab, einen Einstellungs- und Verhaltenswandel innerhalb praktizierender Diaspora-Communities zu bewirken. Durch die Arbeit der CHANGE Agents soll ein Einstellungswandel angestoßen werden, der langfristig zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung führt. Der Berliner Senat finanziert zwar keine explizit auf die Zielgruppe zugeschnittenen Angebote und Projekte. Trotzdem gibt es in der Stadt unterschiedliche Einrichtungen und Organisationen , die Hilfe und Unterstützung gewähren. In Berlin bietet das Krankenhaus Waldfriede seit 2013 im angegliederten „Desert Flower Centrum“ Frauen, die von Genitalverstümmlung betroffen sind, ein ganzheitliches Beratungs - und Behandlungsangebot. Die Leistungen der dort tätigen Chirurginnen und Chirurgen , Psychologinnen und Psychologen und der in sozialen und seelsorgerischen Fragen Beratenden sind für die betroffenen Frauen kostenfrei. Bislang wurden dort mehr als 200 Frauen behandelt. Ein weiteres Angebot bietet das Familienplanungszentrum Balance e.V., das mit Haushaltsmitteln der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung gefördert wird. Das Zentrum koordiniert seit 2009 einen Runden Tisch „Stopp FGM in Berlin- Brandenburg“. Balance e.V. bietet im Zusammenhang damit ebenfalls Fortbildungen für Fachkräfte, die im Beratungs- und medizinischen Kontext tätig sind, zu den Grundlagen von FGM an. Dabei wird insbesondere auch für die Komplexität dieses Themas sensibilisiert . Darüber hinaus bietet das Familienplanungszentrums Balance e.V. im Projekt „Aufsuchende Beratung und Unterstützung für schwangere Frauen und zu Fragen von Familienplanung , Sexualität und Erziehung im Kontext von Flucht und ggf. Traumatisierung“ betroffenen Frauen ebenfalls Beratung zum Thema Genitalverstümmelung. Für die Arbeit mit weiblichen Flüchtlingen werden derzeit zwei Stellen in Trägerschaft des Familienplanungszentrum Balance e.V. finanziert. Im Rahmen mobiler Beratung werden geflüchtete Frauen in den Gemeinschaftsunterkünften und Frauentreffpunkten über gezielte niedrigschwellige Beratungsangebote und individuelle Begleitung gerade auch im Hinblick auf gesundheitliche Fragen gezielt erreicht. Das Integrierte Gesundheitsprogramm stellt 2017 dem Familienplanungszentrums Balance e.V (Projekt P 020) zusätzlich ca. 122.000 € für die „sozial-psychiatrische Versorgung für Flüchtlinge“ zur Verfügung. Auch die finanzierten Frauenprojekte, die speziell auf die Situation von Frauen und Mädchen nichtdeutscher Herkunftssprache zugeschnittene Beratungs- und Hilfeangebote bereitstellen , sind Anlaufstellen, die allgemeine Informations- und Aufklärungsarbeit leisten und nötigenfalls Betroffene an einschlägige Fachberatungseinrichtungen weitervermitteln. Potentiell gefährdete Mädchen können Hilfe auch über die Jugendämter erhalten; ebenso steht der Mädchennotdienst zur Verfügung. Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unterstützt unter der kostenlosen Rufnummer 08000 116 016 und via Online-Beratung Frauen aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischen Gewalterfahrungen. Die Mitarbeitenden sind 2013 zum Thema FGM geschult worden. - 3 - 3 Darüber hinaus erfolgt auch in verschiedenen afrikanischen NGOs in Fällen von Genitalverstümmlung partiell eine Verweisberatung. Die beschriebenen Angebote und Maßnahmen werden derzeit als umfänglich und angemessen angesehen. 5. Welche Maßnahmen hat der Senat ergriffen, um Fachkräfte in Medizin, Psychologie, Sozialwesen und der Betreuung von Asylbewerbern besser über Genitalverstümmelung zu informieren und aufzuklären? Zu 5.: Der Sozialdienst beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten ist im Rahmen der Beratung von Asylsuchenden für die Situation der betroffenen Frauen und Mädchen sensibilisiert und stellt ggf. Kontakt zum Beratungszentrum im Krankenhaus Waldfrieden her. Information und Aufklärung im Bereich von Ärzten und Psychotherapeuten ist Aufgabe der Ärzte- bzw. Psychotherapeutenkammer im Sinne der Selbstverwaltung. Die Bundesärztekammer hat zu dieser Problematik „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“ mit Stand April 2016 herausgegeben, an der sich auch Berliner Ärztinnen und Ärzte orientieren können. Der Berliner Ärztekammer ist dieses Thema präsent und die Thematik wird aktuell in verschiedenen Bezügen in die Weiterbildungsordnung eingepflegt. Es konnte aber hier bisher kein spezifischer Bedarf hinsichtlich besonderer Aufklärung zu diesem Thema verzeichnet werden 6. Wie beurteilt der Senat das Problem der Genitalverstümmelung in Berlin? Zu 6.: Weibliche Genitalverstümmelung bezeichnet eine schwere Menschenrechtsverletzung, bei der Teile des weiblichen Genitals abgeschnitten oder verletzt werden. FGM stellt damit einen Verstoß gegen das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit dar. Zudem verstößt sie gegen die Kinderrechte gemäß der Kinderrechtskonvention und gilt somit als Kindesmisshandlung. Auch in Deutschland und in Berlin können Mädchen dem Risiko ausgesetzt sein, heimlich hierzulande oder im Ausland an ihren Genitalien verstümmelt zu werden. Die bestehende starke Tabuisierung dieser Praxis macht eine fundierte Aussage zur Situation Berlin nicht möglich. Berlin, den 01. Dezember 2017 In Vertretung Barbara König Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung S18-12680 S18-12680