Drucksache 18 / 12 776 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 23. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. November 2017) zum Thema: Leitlinien der Berliner Wohnungslosenhilfe und Antwort vom 06. Dezember 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Dez. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12776 vom 23. November 2017 über Leitlinien der Berliner Wohnungslosenhilfe ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Die Leitlinien des Senats zur Wohnungslosenhilfe wurden 1999 beschlossen. Wie ist der aktuelle Umsetzungsstand? 2. Welche Ziele wurden erreicht? 3. Welche Ziele und Maßnahmen werden nicht mehr verfolgt? 4. Warum nicht und welche Ziele bzw. Maßnahmen ersetzen sie?? 5. Welche Ziele wurden in den vergangenen 18 Jahren nicht erreicht? 6. Warum nicht? Zu 1. bis 6.: Die Fragestellung zielt auf einen Zeitraum von 18 Jahren ab, so dass im Folgenden nur auf einzelne zentrale Punkte abgestellt wird: Die im Jahr 1999 beschlossenen Leitlinien der Wohnungslosenhilfe und -politik in Berlin sind weiterhin in Kraft. Die seinerzeit aufgestellten generellen Ziele der Wohnungslosenpolitik d. h. Prävention (Vermeidung von Wohnungsverlust) und (Re-) Integration (Rückführung in eigenen Wohnraum und in gesellschaftliche Bezüge) im Zusammenhang mit einer sozialen Wohnungspolitik sind weiterhin grundsätzlich zutreffend. 2 In den vergangenen 18 Jahren sind allerdings wesentliche Gesetzesänderungen erfolgt: Die gravierendste Veränderung war die Einführung des SGB II im Jahr 2005. Bis Ende 2004 wurden materielle Leistungen und persönliche Hilfen aus einer Hand von den bezirklichen Sozialämtern bewilligt. Da die überwiegende Mehrheit des Personenkreises erwerbsfähig im Sinne des SGB II ist, wurden die Zuständigkeiten mit Einführung des SGB II für diese Menschen auf zwei Behörden verteilt. Es bedurfte einer Reihe von Verfahrensregelungen für die Praxis, so z. B. bezüglich örtlicher Zuständigkeiten, stationärer Einrichtungen, Übernahme von Kosten der Unterkunft, Mietübernahme während einer Inhaftierung, um eine möglichst bedarfsgerechte im Versorgungs- und Hilfesystem sicherzustellen. Im Zuge der Einführung des SGB XII wurden die Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß §§ 72 ff. BSHG in §§ 67 ff. SGB XII überführt. Die Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten wurde bereits 2001 novelliert und inhaltlich wesentlich verändert. Die Zielgruppe wurde allgemeiner bestimmt, die notwendige Verbindung von „besonderen Lebensverhältnissen“ und „sozialen Schwierigkeiten“ als Anspruchsvoraussetzung aufgenommen und Hilfemaßnahmen stärker an Hilfezielen ausgerichtet. Es wurden in dem vergangenen Zeitraum wesentliche Weiterentwicklungen des Hilfesystems umgesetzt: Der Berliner Rahmenvertrag (BRV) gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII für Hilfen in Einrichtungen einschließlich Diensten im Bereich Soziales wurde grundlegend erarbeitet und seither mehrfach bedarfsgerecht überarbeitet. Auf der Grundlage des § 79 Abs. 1 SGB XII haben die Vereinigungen der Leistungsanbieter und das Land Berlin den Berliner Rahmenvertrag (BRV) vereinbart, der für alle Einrichtungen, die Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII geschlossen haben oder begehren, und den Sozialhilfeträger (Senatsverwaltung und Bezirksämter) verbindlich ist. Die Qualitätsstandards wurden auf Senats- und Bezirksebene in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt. Dies umfasst die regelmäßige Überarbeitung der bestehenden Leistungsbeschreibungen nach § 79 Abs.1 SGB XII für Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß §§ 67 ff. SGB XII mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin als Vertragspartnerinnen und Vertragspartner. In diesem Zusammenhang wurde ein fachliches Berichtswesen entwickelt. Dazu werden die jährlichen Sachberichte an die jeweils aktuellen Anforderungen angepasst. Der seinerzeitige „LIGA-Vertrag Soziales“ wurde zum Integrierten Sozialprogramm (ISP) weiterentwickelt. Für die niedrigschwelligen gesamtstädtisch ausgerichteten Projekte des ISP wurden Leistungsbeschreibungen sowie strukturierte Sachberichte mit den Verbänden der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege erarbeitet. Diese bilden seitdem den Rahmen für die inhaltliche Arbeit der zuwendungsgeförderten Projekte hinsichtlich der angesprochenen Zielgruppen, der angestrebten Ziele, der zu erbringenden Leistungen sowie der personellen, sächlichen und räumlichen Standards. Die Anzahl der geförderten Projekte sowie das Fördervolumen sind in den letzten Jahren für die Zielgruppe der Wohnungsglosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen deutlich gestiegen. Für die betroffene Zielgruppe wurden unterschiedliche Regelungen zum einheitlichen Umgang im Land Berlin getroffen und stetig weiterentwickelt. Dies umfasst exemplarisch u. a. die Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen), die 3 Ausführungsvorschriften über die örtliche Zuständigkeit für die Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII (AV Zuständigkeit Soziales – AV ZustSoz) sowie die Vereinbarung zwischen dem Land Berlin und der Regionaldirektion Berlin- Brandenburg zur Regelung über die örtliche Zuständigkeit für wohnungslose Leistungsberechtigte nach SGB II. Die Mindeststandards für Unterbringungseinrichtungen zur Sicherung der Unterkunft wurden von den Bezirken überarbeitet. Neben den dargestellten Änderungen der bundesweiten Rechtsgrundlagen haben sich weitere Rahmenbedingungen deutlich verändert. So ist die Zahl der Sozialmietwohnungen in den letzten Jahren im Land Berlin stark zurückgegangen und der Zuzug insgesamt über unterschiedliche Personengruppen hinweg - teilweise in sehr großem Umfang - zugenommen, wodurch der Wohnungsmarkt insbesondere für einkommensschwache Menschen äußert angespannt ist. Die Ursachen für den steigenden Wohnraumbedarf sind vielfältig, u. a. wegen der gestärkten Freizügigkeit in der Europäischen Union, der Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber infolge globaler Krisenherde, aber auch wegen Zuzugs von Studierenden oder aufgrund der Attraktivität der Großstadt Berlins. Unter diesen sich ständig verändernden Rahmenbedingungen wurden nicht alle der 1999 aufgestellten Maßnahmeziele umgesetzt. So war es beispielsweise ein Anliegen, Unterbringungskapazitäten in Obdachlosenunterkünften, Pensionen und Wohnheimen gewerblicher und freier Träger systematisch zu reduzieren. Letzteres ist vor dem Hintergrund des aktuellen Wohnungsmarktes und der steigenden Zahl der untergebrachten Menschen in Verbindung mit der ordnungsrechtlichen Verpflichtung zur Unterbringung von Obdachlosen nicht angezeigt. In diesem Kontext ist das aktuelle Ziel, gemeinsam mit den Bezirken eine stärkere gesamtstädtische Steuerung der Unterbringungskapazitäten umzusetzen. Auch wurden gemeinsam mit den Bezirken keine einheitlichen zentralen „Fachstellen zur Vermeidung und Behebung von Wohnungsverlust“ implementiert. Das Ziel die fachliche Organisation und die personelle Ausstattung der Fachstellen der Sozialen Wohnhilfen in den Berliner Sozialämtern zur Stärkung der Prävention weiterzuentwickeln bleibt ungeachtet dessen bestehen. 7. Plant der Senat eine Überarbeitung oder Ergänzung der Leitlinien? 8. Wenn ja, bis wann und mit welchen Schwerpunkten? 9. Wenn nein, warum nicht? 10. Inwieweit werden ggf. die seit langem vorliegenden Ideen z.B. des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dabei berücksichtigt? 11. Teilt der Senat die Einschätzung, dass die Ausgangsdaten und Annahmen von 1999 nicht mehr der Realität in Berlin entsprechen? 12. Wenn ja, welche Konsequenzen zieht der Senat daraus? 13. Inwieweit kann man aus dem Aktualität der Leitlinien und den Differenzen zur Lage in Berlin auf die Wertigkeit des Themas Wohnungslosigkeit für die Politik des Senats schließen? 4 Zu 7. bis 13.: Der Berliner Senat hat sich zum Ziel gesetzt, die Leitlinien der Wohnungslosenpolitik gemeinsam mit den Bezirken, der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin und anderen Akteuren der Wohnungslosenhilfe weiterzuentwickeln und ab 2017 schrittweise umzusetzen. Im Sommer 2017 hat dazu eine Fachveranstaltung unter breiter Beteiligung unterschiedlicher Akteursgruppen mit offener Diskussion stattgefunden. Konkret waren dabei neben den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, unter anderem Vertreterinnen und Vertreter des Parlaments sowie der Wissenschaft und unterschiedliche Interessenvertretungen mit verschiedenen fachspezifischen Schwerpunkten beteiligt. Die Ergebnisse fließen ebenso wie die Erkenntnisse aus dem Prozess der Entwicklung des angeführten Eckpunktepapiers in die Erstellung einer Vorlage mit dem Schwerpunkt auf übergeordnete Leitlinien ein. Hierzu findet eine erste ressortübergreifende Abstimmung statt. Das Ergebnis soll im ersten Halbjahr 2018 weiter diskutiert werden. Hierzu sollen auch künftigen Strategiekonferenzen zum gesamtstädtischen Umgang mit der Obdachlosigkeit, in Umsetzung des Beschlusses des Rats der Bürgermeister vom 26.10.2017, genutzt werden. Es ist das Ziel, im Jahr 2018 einen Senatsbeschluss zu den neuen übergeordneten Leitlinien der Wohnungslosenhilfe mit Zustimmung des Rats der Bürgermeister herbeizuführen. Im weiteren Verfahren sollen daraus Maßnahmen abgeleitet und fortlaufend angepasst werden. Bereits in 2017 wurden erste Maßnahmen eingeleitet oder bereits konkret umgesetzt. Dies umfasst unter anderem die Eröffnung einer ganzjährigen Notunterkunft für Familien mit Kindern in Kooperation der für Soziales und Jugend/Familie zuständigen Senatsverwaltungen, die Initiierung des Projektes zur gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringungskapazitäten, sowie die Schaffung der Voraussetzungen zur Stärkung niedrigschwelliger Angebote in den kommenden Jahren. Berlin, den 06. Dezember 2017 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales S18-12776 S18-12776