Drucksache 18 / 12 816 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Stefanie Remlinger (GRÜNE) vom 27. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. November 2017) zum Thema: Schulbauten in Berlin - Rückblick in die 70er Jahre und Antwort vom 11. Dezember 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Dez. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Stefanie Remlinger (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12816 vom 27. November 2017 über Schulbauten in Berlin - Rückblick in die 70er Jahre ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Ende der 60er Anfang der 70er Jahre baute der Senat zentral organsiert mehrere große Mittelstufenzentren bzw. Bildungszentren. Was war der Anlass? Zu 1.: Im Herbst 1970 legte der damalige Senator für Schulwesen den ersten Schulentwicklungsplan (SEP) für das Land Berlin vor. Daraus ergab sich, dass im Mittelstufenbereich /Sekundarbereich I (7. - 10. Jahrgang) bis 1974/1975 mit einem zusätzlichen Raumbedarf für etwa 20.000 Schülerinnen und Schüler gerechnet werden muss, der auf die starken Geburtenjahrgänge um das Jahr 1964 zurückzuführen war. Dementsprechend mussten in den 1970er Jahren in Berlin-West 2 große Schulbauprogramme in kürzester Zeit aufgelegt werden. Zuerst das „Sonderprogramm Oberschulbau“ mit seinen 13 Mittelstufen - bzw. Bildungszentren (+ 2 weitere Gesamtschulen) und danach das sog. „OSZ- Programm“. Mit dem „Sonderprogramm Oberschulbau“ wurden Bildungszentren geschaffen , die die Zusammenfassung der drei Schulzweige (Haupt- und Realschule sowie Gymnasium ) - integrativ und additiv - ebenso ermöglichte, wie die Integration von öffentlichen Einrichtungen. 2. Wie viele dieser Einheiten wurden in Berlin verwirklicht und wie viele sind noch in Betrieb? Zu 2.: 12 der Bildungszentren (+1 Sondertyp) wurden als ortsunabhängige Standard- Typenbauten realisiert. Zwei weitere Gesamtschulen (Carl-von-Ossietzky, Kreuzberg und Bettina-von-Arnim, Reinickendorf) wurden individuell geplant und realisiert. - - 2 Ende der 1980er Jahre mussten diese nach und nach geschlossen werden, da bei der Errichtung der Gebäude Asbest verwendet wurde. Ersatzweise wurden für die Bildungszentren sog. Schuldörfer errichtet. Im Laufe der Zeit wurden die asbestbelasteten Bildungszentren abgerissen und durch Ersatzbauten, teilweise an anderer Stelle, ersetzt. Das Bildungszentrum Schwyzer Straße (Wedding) wurde nach der Asbestsanierung zu einem Oberstufenzentrum (OSZ) für Gesundheit I umgebaut. Das Gebäude der Carl-von- Ossietzky-Oberschule wird seit 1997 nach erfolgter Asbestsanierung ebenfalls wieder genutzt . 3. Aufgrund welcher Probleme sind die Einheiten nicht weiter betrieben worden? Zu 3.: Ursächlich für die seinerzeitige Schließung der Gebäude waren die Asbestbelastung und vielfach nicht funktionstüchtige Lüftungsanlagen. 4. Was waren die Charakteristika dieser Gebäudeeinheiten? 7. Nach welchen pädagogischen Grundsätzen wurden die Gebäude geplant und verwirklicht? Zu 4. und 7.: Mit der Errichtung der Mittelstufenzentren wurde neben der Deckung von Kapazitätsbedarfen das reformpädagogische Ziel verfolgt, in gemeinsamen Schulzentren unterschiedliche Bildungsgänge durch kooperative Ansätze miteinander zu verbinden oder als neuartige Gesamtschulen aufzustellen. Das favorisierte Konzept der Gesamtschulen sah vor, dass Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichem Leistungsvermögen binnendifferenziert unterrichtet werden. Charakteristisch war zudem die Verankerung außercurricularer Funktionen an den neuen Schulstandorten. Mit der Integration von Jugendfreizeiteinrichtungen, Stadtteilbibliotheken und Einrichtungen der Erwachsenenbildung errangen sie nach der damaligen Typologie den Status als Bildungszentrum. Mit der standörtlichen Verzahnung unterschiedlicher Bildungsangebote sollte zugleich die sozialräumliche Öffnung der Schulstandorte im Stadtteil einhergehen. Zur Intensivierung der fachlichen Arbeitsteilung der Lehrkräfte entstanden in den einzelnen Fachbereichen dezentrale Lehrerstationen. Dabei wurde zur Entlastung zusätzliches sozialpädagogisches und nichtpädagogisches Personal vorgesehen. Zu den neuen pädagogischen Konzepten zählte gleichzeitig die Einführung von Teamteaching. Durch die Einrichtung von Mediotheken sollten sowohl individuelle Lern- und Arbeitsformen als auch Gruppenarbeit gefördert sowie der Einsatz audiovisueller Medien insgesamt gesteigert werden. Im Interesse einer verbesserten Anpassungsfähigkeit der Unterrichtsorganisation an sich ändernde Rahmenbedingungen bestand überdies die Absicht, flexibilisierte Raumnutzungskonzepte umzusetzen und Raumzuordnungen möglichst variabel zu gestalten, was u.a. durch den Einsatz demontierbarer Trennwände erreicht werden sollte. 5. Wie wurden die Gebäude damals von den NutzerInnen und dem Senat bewertet und welche positiven wie negativen Rückschlüsse zieht der Senat aus heutiger Sicht im Hinblick auf die Charakteristika der damaligen Gebäudeeinheiten? 6. Inwiefern lässt sich die damalige Situation auf die heutige Übertragen und welche Verfahren sind für die heutige Situation gewinnbringend anwendbar? - - 3 Zu 5. und 6.: Das auf differenzierte Unterrichtsformen fokussierte und damit fachraumintensiv gestaltete Raumprogramm hatte für die Schülerinnen und Schüler häufige Raum- und Etagenwechsel zur Folge. Um die daraus resultierenden Personenströme in den Wegebeziehungen zu berücksichtigen, machte sich eine kompakte Bauweise erforderlich. Der aus der ursprünglich geplanten Beschulung von 1.200 Schülerinnen und Schüler pro Standort resultierende Raumbedarf führte unter Berücksichtigung der Gebäudehöhe zu einer ausgeprägten Gebäudetiefe und damit zur Errichtung innenliegender Räume mit ausschließlich künstlicher Belichtung und Belüftung (s. Antwort zu Frage 9). Die dabei gesammelten Erfahrungen und Rückschlüsse führten in der Folge dazu, dass bei den ab 1976 errichteten Oberstufenzentren vom Einbau derartiger Unterrichtsbereiche bereits wieder abgesehen wurde. Andere Ansätze, die bei den Bildungszentren erstmalig im Land Berlin zur Anwendung kamen, haben sich zwischenzeitlich etabliert, wie beispielsweise die bauliche Zusammenfassung unterschiedlicher Schulzweige. Für die schrittweise Überwindung der curricularen und organisatorischen Trennung von Bildungsgängen haben diese Gebäude mit ihrer für damalige Verhältnisse neuartigen Struktur einen eigenen Beitrag geleistet. Mit der Ausdehnung des Unterrichtsgeschehens auf Nachmittagsstunden und die Einbindung von Freizeitgestaltungsangeboten machte sich zudem die Einrichtung von Mensen erforderlich , die mittlerweile zu einem festen Bestandteil des Schulnetzes geworden sind. Aus dieser Gebäudeserie bereits in den 1970er Jahren gezogene Schlussfolgerungen sind in der Folgezeit unmittelbar in Neubauvorhaben eingeflossen und beeinflussen entsprechende Planungen indirekt bis heute. Eine unmittelbare Übertragbarkeit von Ansätzen aus den frühen 1970er Jahren auf heutige Schulbauvorhaben – ohne die darauf aufbauenden Erfahrungen und Entwicklungsetappen aus den dazwischenliegenden Jahrzehnten einzubeziehen – ist nicht zielführend. Einschätzungen und Bewertungen durch damalige Nutzerinnen und Nutzer liegen nicht vor. 8. An welchen architektonischen Vorbildern orientierten sich die Bauten? Zu 8.: Aufgrund des Zeitdrucks, des standardisierten Raumprogramms und der pädagogischen Anforderungen wurde über einen 2-stufigen Architekturwettbewerb ein typisierter Entwurf entwickelt, der eine Realisierung in Betonfertigteilbauweise ermöglichte. Hier galt der Grundsatz „form follows function“. Der Architekturstil kann aufgrund der Betonfassaden dem sog. „Brutalismus“ (kommt aus dem französischen béton brut, roher Beton) zugeordnet werden. Die architektonische Individualität der 12 Bildungszentren erschöpfte sich allerdings nur in der unterschiedlichen Farbgestaltung der Betonfassaden. Ein stadträumlicher Bezug konnte nicht hergestellt werden. 9. Was hat es mit den sogenannten Dunkelräumen auf sich? Zu 9.: Aufgrund der hohen pädagogischen Anforderungen (Unterricht von 5 Kerngruppen im Gruppenverband, Möglichkeiten für Kleingruppenunterricht und Großgruppenunterricht für den halben Jahrgang) an die Flexibilität des Schulgebäudes war es notwendig, das ge- - - 4 samte Gebäude zu klimatisieren, da im Großgruppenunterricht durch das Zusammenschalten von mehreren Räumen Raumtiefen über 7,20 m notwendig waren, die eine natürliche Be- und Entlüftung über die Fenster ausschloss. Bei normaler Klassenraumstruktur mussten also innenliegende Raumbereiche entstehen, die sog. „Dunkelräume“. 10. Wer war damals für die Durchführung von Planung, Bauausführung sowie Finanzierung verantwortlich? Zu 10.: Zur Durchführung der Planungsarbeit für die Bildungszentren wurde vom Senat ein ressortübergreifendes Planungsteam eingesetzt. Im Ergebnis sollten 13 Bildungszentren (12 + 1 Sondertyp) eines einheitlichen Gebäudetyps entstehen. Mit der Durchführung und Finanzierung wurde die gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO betraut. Nach Fertigstellung wurden die Schulen vom Land Berlin von der DEGEWO mit einer Laufzeit von 30 Jahren geleast. Berlin, den 11. Dezember 2017 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie S18-12816 S18-12816