Drucksache 18 / 12 828 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Niklas Schrader und Hakan Taş (LINKE) vom 28. November 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. November 2017) zum Thema: Mobbing und Konfliktfälle bei der Berliner Polizei – 2. Versuch und Antwort vom 14. Dezember 2017 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Dez. 2017) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Niklas Schrader (LINKE) und Herrn Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/12828 vom 28. November 2017 über Mobbing und Konfliktfälle bei der Berliner Polizei – 2. Versuch -------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In der Antwort auf die Schriftliche Anfrage mit der Drucksachennummer 18/12289 vom 28. September 2017 beantwortete der Senat zu den Fragen 5 bis 10, dass die Polizei Berlin „in den Jahren 2012 bis 2017 (…) keine Mobbingfälle“ dokumentierte. Welche Formen von Konfliktfällen am Arbeitsplatz bei der Berliner Polizei werden dokumentiert und mit welcher jeweiligen Definition? Zu 1.: Unterlagen zu Konfliktanlässen werden durch die Konfliktkommission (KoKom) der Polizei Berlin (vgl. Antwort zu Frage 2 der zitierten Schriftlichen Anfrage Drs. 18/12289) ausschließlich auf der Grundlage datenschutzrechtlicher Einverständniserklärungen der Betroffenen erfasst und für zwei Jahre aufbewahrt. Auf der Basis dieser Unterlagen werden Jahres- bzw. Zweijahresberichte der KoKom erstellt, die im Intranet der Polizei veröffentlicht und in ihrer inhaltlichen Form über die Jahre angepasst wurden und werden, um sie hinsichtlich Lesbarkeit, Verständlichkeit und Aussagefähigkeit zu optimieren. Die statistischen Angaben in der folgenden Beantwortung beruhen im Wesentlichen auf der Auswertung dieser Jahres- bzw. Zweijahresberichte. Regelmäßige Inhalte der Berichte sind darüber hinaus die Verteilung nach Geschlechtern sowie die Aufschlüsselung nach Konflikten in einem hierarchischen Unterstellungsverhältnis (Mitarbeitende/Vorgesetzte) oder auf gleicher Ebene. Bis zum Jahr 2013 wurden auch die Konfliktanlässe einzeln ausgezählt und einer Konflikttypologie zugeordnet (siehe Antwort zur Frage 12). Da diese Zahlen aus statistischer Sicht jedoch kaum Aussagekraft enthielten, wurde anschließend darauf verzichtet. 2. Was versteht die Polizei Berlin unter dem Begriff Konflikt im Zusammenhang mit der im Jahr 2002 eingesetzten Konfliktkommission bei der Polizei Berlin und inwiefern steht dieser Begriff im Zusammenhang mit Mobbing am Arbeitsplatz? Zu 2.: 2 Unter dem Begriff Konflikt versteht die Polizei Berlin eine Situation, in der Bedürfnisse , Interessen, Handlungen, Erwartungen oder Zielvorstellungen aufeinander treffen, die nicht miteinander vereinbar sind. Sachliche Meinungsverschiedenheiten, also widersprüchliche Meinungen und Werte, sind so lange kein Konflikt, wie beide Seiten die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen hinnehmen, ohne daraus Bekehrungsabsichten abzuleiten. Erst durch die Erwartung, der andere müsse sich der eigenen Meinung anschließen, entsteht ein Konflikt oder zumindest ein Konfliktpotenzial. Konfliktsituationen sind u.a. zwischen Personen sowie innerhalb und zwischen Gruppen möglich. Es gibt Konflikte ohne hierarchische Unterstellung auf Mitarbeitendenebene sowie Konflikte mit Unterstellungsverhältnissen zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten. Im Idealfall wird ein Konflikt von den Beteiligten besprochen und im Konsens beigelegt . Dabei geht es nicht darum, die eigene Position durchzusetzen oder gezwungenermaßen Abstriche zu machen, sondern durch die sachliche Auseinandersetzung über Interessen eine dauerhafte Lösung zu finden, die von allen Beteiligten getragen und akzeptiert wird (Win-Win-Strategie). Üblicherweise werden jedoch Konflikte in nicht so gewinnbringenden Varianten „gelöst“, nämlich durch ein Durchsetzen einer Konfliktpartei oder durch einen Kompromiss. Im ersten Fall gibt es einen offensichtlichen Verlierer, im Kompromissfall verliert jeder die Hälfte seines als berechtigt empfundenen Anspruchs. Demzufolge sind Kompromisse in der weiteren Entwicklung nicht immer verlässlich und können zu Folgekonflikten, verdeckten Gegenangriffen und Motivationsverlusten bei den Beteiligten führen. Der Ausgangspunkt konflikthafter Zuspitzungen ist eine subjektiv empfundene Störung der Gleichwertigkeit. Dabei fühlt sich ein Konfliktpartner unterlegen, angegriffen oder in die Ecke gedrängt und wehrt sich dagegen mit einer überschießenden Reaktion (Überkompensation). Diese Störung der Gleichwertigkeit kann von außen kommen , also durch das Verhalten des Kontrahenten ausgelöst sein, oder sie entsteht aus den Gedanken und Bewertungen des Betroffenen. Somit können Menschen auch ohne das Zutun des Konfliktpartners eine Störung der Gleichwertigkeit empfinden , z. B. wenn sie sich ihrem Gegenüber in der Sache oder als Person unterlegen fühlen. Diese Unterlegenheitsgefühle sind schwer zu ertragen und verlangen nach einer sofortigen Korrektur (Kompensation). Die Korrekturversuche geben sich jedoch häufig nicht mit der Wiederherstellung der Gleichwertigkeit zufrieden, sondern zielen auf Überlegenheit ab (Überkompensation). Demgegenüber bedient sich die Polizei Berlin bei der Bestimmung des Begriffes Mobbing der allgemeingültigen Definition des Arbeitspsychologen H. L.: „Unter Mobbing wird eine konfliktbehaftete Situation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet.“ Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 der oben zitierten Schriftlichen Anfrage verwiesen. 3. Wie viele der in Frage 1 genannten Konfliktfälle am Arbeitsplatz in der Berliner Polizei wurden jeweils in den Jahren 2012-2017 registriert? Zu 3.: 3 Jahr aus dem Vorjahr übernommene Fälle Neuzugänge Gesamtfallzahl 2012 9 90 99 2013 17 85 102 2014 5 111 116 2015* 24 107 131 2016* 41 129 170 2017* (Stand 4.12.2017) 60 91 151 *seit 2015: Von den zu bearbeitenden Fällen konnte eine vergleichsweise hohe Zahl nicht im laufenden Jahr abgeschlossen werden. Einige Fälle zeigten aufgrund der Komplexität eine längere Bearbeitungsdauer , in anderen erschwerte eine Erkrankung der betroffenen Mitarbeitenden eine zeitnahe und abschließende Bearbeitung. Darüber hinaus gibt es im letzten Quartal jedes Jahres einen deutlichen Anstieg an Neuzugängen, sodass diese Fälle im laufenden Jahr nicht abschließend bearbeitet werden können. 4. Gegen wie viele Polizeibeamt*innen wurden arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund von Konfliktfällen am Arbeitsplatz eingeleitet (bitte nach Geschlecht, Alter, Dienstgrad, Polizeibehörde, Direktion der Betroffenen bzw. der Täter*innen und arbeitsrechtliche Maßnahmen des jeweiligen Vorfalls aufschlüsseln)? 5. Gegen wie viele Polizeibeamt*innen wurden jeweils in den Jahren 2012-2017 strafrechtliche Maßnahmen aufgrund von Konfliktfällen am Arbeitsplatz eingeleitet (bitte nach Geschlecht, Alter, Dienstgrad, Dienststelle der Betroffenen bzw. der Täter*innen und strafrechtliche Maßnahmen des jeweiligen Vorfalls aufschlüsseln)? 6. Welche arbeitsrechtlichen Maßnahmen ergriffen die Dienstherren und Vorgesetzten in den obengenannten Vorfällen zum Schutz der Betroffenen vor Mobbing bzw. Konfliktfällen (bitte nach Geschlecht , Alter, Dienstgrad, Dienststelle der Betroffenen bzw. der Täter*innen und die arbeitsrechtlichen Maßnahmen des jeweiligen Vorfalls aufschlüsseln)? Zu 4. bis 6.: Zu diesen Daten werden bei der Polizei Berlin keine Statistiken geführt. 7. Wie viele Betroffene der o.g. Konfliktfälle am Arbeitsplatz mussten in den oben genannten Vorfällen gesundheitlich behandelt oder beurlaubt werden? Zu 7.: Der Aspekt der gesundheitlichen Behandlung wird seit 2011 ausgewertet. Aus fachlicher Sicht können die in der Tabelle dargestellten Zahlen nicht monokausal ausschließlich auf Konflikte zurückgeführt werden: Jahr Psychologische/ Psychiatrische/ psycho-soziale Behandlung /Beratung Gesamtfallzahl (siehe Antwort zu Frage 3) Prozentualer Anteil an der Gesamtfallzahl 2011 20 102 19,6 % 2012 18 99 18,1 % 2013 13 102 12,7 % 2014 5 116 4,3 % 2015 16 131 12,2 % 2016 21 170 12,3 % 2017 (Stand 4.12.2017) 34 151 22,5 % 4 Einige Mitarbeitende befanden sich bereits vor der Inanspruchnahme der KoKom in Behandlung, in Therapie und/oder in der Beratung bei der Sozialbetreuung. Einige Mitarbeitende begaben sich erst auf Empfehlung der KoKom in Behandlung/Therapie oder zur Sozialbetreuung. Zu krankheitsbedingten Abwesenheiten im Zusammenhang mit erfassten Konfliktfällen wird keine Statistik geführt. Ein Konfliktfall stellt keine Grundlage für eine Beurlaubung dar. 8. Wie viele Versetzungen von Polizeibeamt*innen erfolgten infolge der o.g. Konfliktfälle am Arbeitsplatz (bitte nach Geschlecht, Alter, Dienstgrad, Dienstelle der Betroffenen bzw. Täter*innen aufschlüsseln )? 9. Wie viele Polizeibeamt*innen wurden jeweils in den Jahren 2012-2017 infolge von Konfliktfällen am Arbeitsplatz frühverrentet? Zu 8. und 9.: Dazu werden bei der Polizei Berlin keine Statistiken geführt. 10. Wie viele Fälle bearbeitete die Konfliktkommission bei der Polizei Berlin seit ihrer Einsetzung im Jahr 2002 (bitte aufschlüsseln nach Jahren)? Zu 10.: Die Anzahl der durch die Konfliktkommission bearbeiteten Einzelfälle ergibt sich aus nachfolgender Übersicht: Jahr Aus dem Vorjahr übernommene Altfälle Neuzugänge Gesamtfallzahl 2002 - 20 20 2003 6 30 36 2004 6 49 55 2005 11 54 65 2006 2 80 82 2007 1 89 90 2008 9 64 73 2009 12 78 90 2010 3 110 113 2011 4 98 102 2012 9 90 99 2013 17 85 102 2014 5 111 116 2015 24 107 131 2016 41 129 170 2017 (Stand 4.12.2017) 60 91 151 11. In wie vielen Fällen handelte es sich um Mobbing oder Verdachtsfälle von Mobbing? Zu 11.: Es wird in jedem einzelnen Fall betrachtet, ob es sich um einen Konflikt handelt oder um Mobbing handeln könnte. Seit dem Bestehen der KoKom im Jahr 2002 wurde kein Mobbingfall im Sinne der Definition (Antwort zu Frage 2) dokumentiert. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass es in der Polizei Berlin eine Dunkelziffer an Mobbingfällen gibt. 5 12. Um welche Konflikte handelte es sich bei den vorgetragenen Fällen in der Konfliktkommission (bitte nach Jahren und Konfliktfall seit 2012 aufschlüsseln)? Zu 12.: Folgende Ursachen wurden im Berichtsjahr 2012 angegeben bzw. festgestellt. Da Mehrfachnennungen möglich sind, übersteigt die Summe der Konfliktanlässe die für das Jahr 2012 aufgeführte Gesamtzahl an 99 dokumentierten Fällen deutlich. Die Konfliktanlässe wurden aus fachlicher Sicht eingeschätzt und zugeordnet: Verhalten der Vorgesetzten 52 Verhalten der Kolleginnen und Kollegen 30 Kommunikationsprobleme 53 Verhalten der Klienten selbst 51 Arbeitsaufträge/Zuweisung von Aufgaben 14 Kritik an der Arbeitsleistung 15 Persönliche Probleme 32 Erkrankungen und das Verhalten aller Beteiligten im Krankheitsfall 13 Dienstrechtliche Ermittlungen 3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 1 Ab 2013 wurde auf diese Typisierungen verzichtet, da sie aus statistischer Sicht kaum Aussagekraft enthielten. 13. Wie viele der folgenden Maßnahmen bei Konfliktfällen am Arbeitsplatz wurden von der Konfliktkommission seit ihrer Einsetzung im Jahr 2002 durchgeführt (bitte nach Jahren und den folgenden Maßnahmen aufschlüsseln: • Entgegennahme von Anliegen und Beschwerden, • Beratung der Betroffenen, • Unterstützung bei der Konfliktbewältigung und Erarbeitung von Lösungsangeboten, • Mediation oder vergleichbare Verfahren der Konfliktbewältigung, • Erstellung von Einschätzungen zum Konflikt und Entwicklung von Empfehlungen sowie • Kontaktaufnahme zu externen Stellen)? Zu 13.: Für den Zeitraum vor 2008 kann dazu keine verlässliche Aussage mehr getroffen werden. Ab Mitte 2008 wurden zu den durchgeführten Maßnahmen nur Beratung, Vermittlung und Mediation, seit 2012 auch Coaching und seit 2014 auch Supervision erfasst. Beratung heißt, dass es ein oder auch mehrere Einzelgespräche mit einer oder mehreren Konfliktparteien gab. Vermittlung bedeutet, dass zwischen zwei oder mehreren Konfliktparteien unter Begleitung von Mitgliedern der Konfliktkommission ein gemeinsames , konfliktregulierendes Gespräch geführt wurde. Da die Auswertung des Berichtszeitraumes 2016 erst zum Jahresende 2017 erfolgt, können dazu noch keine verlässlichen Aussagen getroffen werden. Jahr Beratung einer Konfliktpartei Beratung beider Konfliktparteien Vermittlung Coachin g Supervision ** gesamt 2008 37 13 14 - - 64 6 * 2009 * 55 17 6 - - 78 2010 * 67 27 16 - - 110 2011 78 15 9 - - 102 2012 54 23 10 12 - 99 2013 66 1 33 2 - 102 2014 91 8 17 - 1 117 2015 98 12 21 - 5 136 * in diesen Jahren wurden die übernommenen Fälle des Vorjahres jeweils nicht mitberechnet., ab 2011 sind die Altfälle des Vorjahres in die Berechnung mit eingeflossen **Supervision wird erst seit 2014 in der Konfliktkommission angeboten 14. Wie viele Konfliktfälle konnte die Konfliktkommission lösen und welche Verfahren der Konfliktbeilegung wandte sie an (bitte aufschlüsseln nach Jahren seit 2012)? Zu 14.: Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, aus welcher Perspektive das Ergebnis der Bearbeitung betrachtet wird. Beharren Mitarbeitende zum Beispiel auf der Durchsetzung ihrer möglicherweise einseitigen Belange, werden sie einen erarbeiteten Kompromiss unter Umständen nicht als Lösung wahrnehmen und annehmen können. Aus diesem Grund kann dazu keine verlässliche Aussage getroffen werden. 15. Wie viele Anliegen und Beschwerden wurden von der Konfliktkommission unbegründet oder begründet abgelehnt (bitte aufschlüsseln nach Jahren seit 2002)? Zu 15.: Für den Zeitraum vor 2008 kann dazu keine verlässliche Aussage mehr getroffen werden. Ab dem Jahr 2008 wurde allen Hilfesuchenden ein Erstgespräch angeboten, ggf. wurden sie an ein internes oder externes Hilfsangebot weiterverwiesen oder auf Wunsch begleitet. Berlin, den 14. Dezember 2017 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-12828 S18-12828