Drucksache 18 / 13 070 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (LINKE) vom 09. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Januar 2018) zum Thema: Schwarzfahren und Strafverfolgungskosten im Jahr 2017 und Antwort vom 26. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. Jan. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Die Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13 070 vom 9. Januar 2018 über Schwarzfahren und Strafverfolgungskosten im Jahr 2017 -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorwort: Die Schriftliche Anfrage betrifft zum Teil Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Fragen zukommen zu lassen und hat daher die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die S-Bahn Berlin um Stellungnahmen gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie werden nachfolgend entsprechend gekennzeichnet wiedergegeben. 1. Wie viele Fahrgäste beförderten BVG und S-Bahn jeweils in Berlin im Jahr 2017? Zu 1.: Antwort der BVG: Die abschließenden Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor. Antwort S-Bahn Berlin: Für das Jahr 2017 liegen noch keine finalen Werte vor. 2. Wie viele Fahrscheinkontrollen wurden in Berlin von BVG und S-Bahn im Jahr 2017 durchgeführt? Zu 2.: Antwort BVG: In 2017 wurden durch die BVG Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) insgesamt 5.062.782 Fahrausweiskontrollen realisiert. Antwort S-Bahn Berlin: Durch bei der S-Bahn Berlin eingesetzte Kontrolleure wurden in 2017 ca. 9,1 Mio. Fahrgäste kontrolliert. 3. und 4.: Wie viele Fahrgäste wurden ohne gültigen Fahrschein bei BVG und S-Bahn in Berlin im Jahr 2017 angetroffen? Zu 3. und 4.: Antwort BVG: In 2017 wurden bei der BVG AöR insgesamt 250.658 Fälle von erhöhtem Beförderungsentgelt (EBE) festgestellt. 2 Antwort S-Bahn Berlin: Insgesamt wurden in 2017 ca. 291.000 Fahrgäste ohne gültigen Fahrausweis angetroffen. 5. Von wie vielen „Schwarzfahrer/innen“ im Jahr 2017 wurde das erhöhte Beförderungsentgelt a) verlangt, b) bezahlt/nicht bezahlt und wie hoch waren die Einnahmen daraus? Zu 5.: Antwort BVG: a) Das erhöhte Beförderungsentgelt wurde insgesamt von 250.658 Fahrgästen ohne Fahrschein verlangt. b) Die abschließenden Zahlen liegen noch nicht vor. Antwort S-Bahn Berlin: a) Vgl. Antwort Drs. 17/17834, Nr. 5, Drs. 18/10139, Nr. 5, Drs. 18/10526, Nr. 5. „Erhöhtes Beförderungsentgelt wird gefordert, wenn die kontrollierte Person keinen gültigen Fahrausweis vorweisen kann, so dass von allen festgestellten Personen ein erhöhtes Beförderungsentgelt verlangt wird.“ b) Ca. 40 Prozent der geltend gemachten Beförderungsentgelte wurden bezahlt. 6. Wie viele Strafanzeigen haben BVG und S-Bahn seit dem 1.1.2016 wegen „Schwarzfahrens“ (Erschleichen von Leistungen nach § 265 a StGB) gestellt (bitte aufschlüsseln nach Strafanzeigen pro Jahr)? Zu 6.: Antwort BVG: Die BVG AöR stellt grundsätzlich Strafanträge nach § 265a des Strafgesetzbuches (StGB) gegen Personen, die in einem Zeitraum von zwei Jahren, mindestens drei Vorgänge von erhöhtem Beförderungsentgelt (Mehrfachtäter) haben. In 2016 wurden insgesamt 11.432 Strafanträge nach § 265a StGB gestellt. In 2017 wurden insgesamt 10.397 Strafanträge nach § 265a StGB gestellt. Antwort S-Bahn Berlin: Im Jahr 2016 wurden 34.182 und im Jahr 2017 34.981 Strafanträge gestellt. 7. Wie viele Strafverfahren wurden aufgrund der vorbezeichneten Strafanzeigen eröffnet, zu wie vielen Einstellungen bzw. Verurteilungen ist es gekommen und wie lange stellte sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dar (Angaben bitte auch aufschlüsseln nach Jahren)? Zu 7.: Der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung liegen lediglich Daten der Strafverfolgungsstatistik über rechtskräftig Abgeurteilte nach § 265a StGB vor. Allerdings wird in der Strafverfolgungsstatistik das Delikt 265a StGB (Erschleichen von Leistungen) ohne Unterscheidung einzelner Tatbestandsalternativen erfasst. Die Strafvorschrift sanktioniert neben dem Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel auch das Erschleichen der Leistung eines Automaten, eines öffentlichen Zweck dienenden Telekommunikationsnetzes und den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung. Im Jahr 2016 sind in Berlin aufgrund dieses Delikts insgesamt 9.903 Personen abgeurteilt worden (Verurteilungen und Freisprüche). Für das Jahr 2017 liegen dem Senat derzeit noch keine Zahlen der Strafverfolgungsstatistik über rechtskräftig abgeurteilte Personen vor. 8. Welche Rechtsverfolgungskosten (einschließlich der Personalkosten) sind an den Gerichten im vorbezeichneten Berichtszeitraum durchschnittlich pro durchgeführtem Strafverfahren entstanden? 3 Zu 8.: Eine zuverlässige Aussage über die Kosten pro Strafverfahren ist nicht möglich, da diese stark variieren und insbesondere von der Erledigungsart, den verhängten Rechtsfolgen und der Möglichkeit der Beitreibung der Verfahrenskosten abhängen. 9. Wie viele Personen verbüßten zum aktuellsten Stichtag in welchen Haftanstalten eine Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund des sogenannten „Schwarzfahrens“ und welche Haftkosten sind dadurch kassenwirksam entstanden? Zu 9.: Statistische Zahlen zu Gefangenen mit Ersatzfreiheitsstrafen, die ursprünglich zu einer Geldstrafe wegen Erschleichens von Leistungen gem. § 265a StGB verurteilt wurden , werden regelmäßig nicht erhoben. Eine Stichtagsabfrage zum 11. Januar 2018 in den zuständigen Justizvollzugsanstalten anhand des IT-Fachverfahrens Basis-Web hat ergeben, dass zu diesem Zeitpunkt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit 3 Gefangene , in der JVA Plötzensee 74 Gefangene, in der JVA für Frauen 14 Gefangene, in der JVA des Offenen Vollzugs ein Gefangener, in der JVA Heidering 3 Gefangene und in der JVA Tegel 9 Gefangene eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Erschleichens von Leistungen aktuell verbüßt haben. Zu beachten ist jedoch, dass der Tatbestand des § 265a StGB neben dem „Schwarzfahren“ noch andere Tatbestandsvarianten enthält. Die durchschnittlichen Tageshaftkosten einer/eines Gefangenen werden seit dem Haushaltsjahr 1994 bundeseinheitlich berechnet. Ausgewiesen werden seitdem die Tageshaftkosten bei Vollbelegung aller Haftplätze entsprechend der Belegungsfähigkeit und die Kosten aufgrund der tatsächlichen Belegung im abgelaufenen Kalenderjahr, wobei eine Differenzierung nach den Justizvollzugsanstalten, Vollzugsarten oder nach den der Verurteilung zugrundeliegenden Delikten nicht stattfindet. Danach ergeben sich für das Land Berlin im Haushaltsjahr 2016 folgende Tagessätze: 2016 nach Belegungsfähigkeit nach tatsächlichen Hafttagen Tageshaftkosten 120,44 € 142,13 € Bau-Investitionskostensatz 1,48 € 1,74 € Sach-Investitionskostensatz 1,82 € 2,15 € Gesamt-Tageshaftkosten 123,74 € 146,02 € Für das Haushaltsjahr 2017 liegt noch keine Auswertung vor. Exemplarisch für den 11. Januar 2018 betragen die Haftkosten für diese Gefangenen täglich rund 15.000 €. 10. Mit welchen Maßnahmen und Projekten des Senates oder von welchen vom Senat geförderten Maßnahmen und Projekten wird in Berlin versucht, Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund des Erschleichens von Leistungen zu reduzieren? Zu 10.: Die Bemühungen des Senats, die Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung im Berliner Vollzug zu reduzieren, richten sich auf die Gesamtheit derjenigen, denen wegen einer nicht beitreibbaren Geldstrafe Ersatzfreiheitsstrafe droht oder die eine solche Strafe bereits angetreten haben. Die von den Sozialen Diensten der Justiz und von den vom Senat zuwendungsfinanzierten freien Trägern angebotenen Maßnahmen zur Tilgung von 4 Geldstrafen (Vermittlung in gemeinnützige Arbeit, Schuldnerberatung, Ratenzahlungsvereinbarungen ) werden unabhängig davon ergriffen, wegen welcher Straftat die jeweilige Klientin/der jeweilige Klient zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Dasselbe gilt auch für "day-by-day"-Maßnahmen, wonach im Land Berlin Personen, die bereits eine Ersatzfreiheitsstrafe angetreten haben, die Möglichkeit haben, ihren Gefängnisaufenthalt durch Ableistung freier Arbeit während des Vollzuges zu verkürzen. Im Doppelhaushalt 2018/2019 wurden für zwei „Arbeit-statt-Strafe“-Projekte Zuwendungserhöhungen im insgesamt fünfstelligen Bereich beschlossen. Im Rahmen der von der Freien Hilfe Berlin e. V. getragenen Maßnahme „AMEA“ (Ausbau von Maßnahmen für eingeschränkt Arbeitsfähige) sollen eingeschränkt arbeitsfähige Klienten, die sich bis dahin im Ersatzfreiheitsstrafenvollzug in der JVA Plötzensee befunden haben, an eine ergotherapeutische Praxis vermittelt werden. Während der Maßnahme soll neben niedrigschwelliger Arbeitserprobung die weitergehende stationäre Therapie suchterkrankter Klienten in die Wege geleitet werden. Die Maßnahme „Beschäftigungsgeber Grün – Urban Gardening: Pflege Wohnumfeld und SchulHofverbesserung“ des Trägers sbh (Straffälligen- und Bewährungshilfe)Berlin e. V. richtet sich an zu Geldstrafe Verurteilte, die aus verschiedenen Gründen (Drogen, Substitution , Krankheiten, spezifische Delikte mit Ausschlussmerkmal im Einsatzfeld Jugend etc.) schwer an Beschäftigungsgeber zu vermitteln sind. Einsatzorte für gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe sollen beschäftigungsgebereigene Projekte auf Schulhöfen oder in Kitas und die Pflege von Wohnumfeldern in Kiezen bzw. Wohnsiedlungen sowie die Pflege und Reinigung von Schulhöfen sein. Darüber hinaus ist der Senat weiter bemüht, die Anzahl der Vollstreckungen von Ersatzfreiheitsstrafen deutlich zu reduzieren. Denkbar wären etwa weitere aufsuchende und niedrigschwellige Angebote zur Tilgung der Geldstrafe. 11. Welche Aktivitäten verfolgt aktuell die Justizministerkonferenz im Themenfeld der Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafen allgemein und im Hinblick auf das Problemfeld des sogenannten „Schwarzfahrens“ im Besonderen? Zu 11.: In der Frühjahrskonferenz 2016 der Justizministerinnen und Justizminister wurde der Beschluss gefasst, dass eine etwaige Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe einer eingehenden und vertieften Prüfung bedarf. Hierzu sowie zur weiteren Verbesserung des bestehenden Instrumentariums zur Haftvermeidung wurde eine Bund-Länder- Arbeitsgruppe gebildet, die unter Beteiligung Berlins im Oktober 2016 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Arbeitsgruppe bezieht in ihre Überlegungen verschiedene Ansatzpunkte für die Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe ein, die auf verschiedenen Ebenen des Strafverfahrens ansetzen. So werden u. a. die Einführung neuer Sanktionen und die Erweiterung des Kataloges nach § 153a der Strafprozessordnung, Möglichkeiten der Effektivierung der Tilgung der Geldstrafe durch Zahlung, Möglichkeiten zur Effektivierung der gemeinnützigen Arbeit, Maßnahmen, die im Rahmen des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe ergriffen werden können und die Entkriminalisierung von Bagatellstrafsachen (wozu auch das „Schwarzfahren" gehört ) 5 diskutiert. Die Vorlage eines Abschlussberichts der Arbeitsgruppe an die Justizministerkonferenz wird für den Herbst 2018 angestrebt. 12. Welche Möglichkeiten sieht der Senat (ggf. in Kooperation mit der S-Bahn, der BVG), Lösungen zu finden, um die Anzahl der sogenannten „Schwarzfahrer“ zu reduzieren (z.B. durch gezielte Abonnement- Kampagnen unter den Betroffenen bzw. entlassenen Inhaftierten)? Zu 12.: Eine Reduzierung der Anzahl von Schwarzfahrenden wird durch attraktive Tarife und geeignete Konzepte zur Fahrausweisprüfung gewährleistet. Für die Fahrausweisprüfungen sind die Verkehrsunternehmen verantwortlich, die wie folgt zu dieser Frage Stellung genommen haben: BVG: „Um die Prüfleistungen und damit die Einnahmensicherung der BVG sicherzustellen , wurde 2017 in einer europaweiten Ausschreibung die Leistung der Fahrausweisprüfung im Omnibus und in der U-Bahn neu ausgeschrieben. Die Prüfleistung für den Omnibus konnte bereits zum November 2017 vergeben werden, die Vergabe der Prüfleistung für die U-Bahn ist teilweise abgeschlossen bzw. steht kurz vor dem Abschluss. Ziel der Neuvergabe ist es, den Kontrollgrad kontinuierlich zu steigern und somit die Schwarzfahrerquote nachhaltig zu senken. Darüber hinaus entwickelt die BVG laufend Kampagnen, um weitere Kunden - vor allem Abonnementkunden - zu gewinnen." S-Bahn Berlin: „Die Abonnentenkampagne der S-Bahn Berlin richtet sich an die Allgemeinheit und inkludiert folgerichtig die genannten Zielgruppen.“ 13. Wie stellt sich der aktuelle Stand und Zeitplan hinsichtlich der Prüfung und Modellerarbeitung zur Einführung eines fahrscheinlosen Nahverkehrs dar? Zu 13.: Der Senat wird im Jahr 2018 grundsätzliche Untersuchungen zur Weiterentwicklung des Tarifsystems beauftragen. Ergebnisse werden erst nach Abschluss dieses längeren Prozesses vorliegen. Berlin, den 26. Januar 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung S18-13070 S18-13070