Drucksache 18 / 13 084 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Herbert Mohr (AfD) vom 11. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Januar 2018) zum Thema: Häusliche Gewalt und Gewaltschutzgesetz und Antwort vom 25. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Jan. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Herbert Mohr (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13 084 vom 11. Januar 2018 über Häusliche Gewalt und Gewaltschutzgesetz ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Gewaltschutzverfahren nach dem GeWSchG 1.) Wie viele Gewaltschutzverfahren wurden in Berlin seit Einführung des Gewaltschutzgesetzes durchgeführt ? (Bitte nach Jahren, Gericht und § 1 (Kontaktverbot), § 2 (Wohnungszuweisung) GeWSchG aufschlüsseln ) Zu 1.: Für das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz (GewSchG) liegen Zahlen in Familiensachen ab dem Jahr 2003 und in allgemeinen Zivilsachen ab dem Jahr 2004 vor. Die Zahlen stellen sich wie folgt dar: Familiensachen (Amtsgericht Pankow/Weißensee) 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig *) (185) *) (229) *) (253) 212 348 312 317 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG *) (151) *) (159) *) (188) 125 211 122 141 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG *) (34) *) (70) *) (65) 87 137 190 176 *) In Familiensachen liegen für diesen Zeitraum nur Eingangszahlen vor. 2 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 653 730 840 981 831 757 838 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 581 639 708 858 738 670 702 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 72 91 132 123 93 87 136 Familiensachen (Amtsgericht Schöneberg) 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig *) (1) *) (2) *) (0) 0 0 0 2 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG *) (0) *) (1) *) (0) 0 0 0 2 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG *) (1) *) (1) *) (0) 0 0 0 0 *) In Familiensachen liegen für diesen Zeitraum nur Eingangszahlen vor. 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 162 263 256 244 231 257 238 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 146 251 253 242 230 253 235 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 16 12 3 2 1 4 3 Familiensachen (Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg) 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig *) (360) *) (521) *) (512) 398 553 574 691 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG *) (300) *) (465) *) (471) 248 401 446 642 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG *) (60) *) (56) *) (41) 150 152 128 49 *) In Familiensachen liegen für diesen Zeitraum nur Eingangszahlen vor. 3 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 1.468 1.330 1.389 1.472 1.333 1.483 1.275 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 1.443 1.315 1.372 1.466 1.325 1.466 1.266 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 25 15 17 6 8 17 9 Familiensachen (Amtsgericht Köpenick) - seit 01.03.2016 Familiengericht - 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 78 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 60 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 18 Zivilsachen - Erledigte Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz - 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Amtsgericht Charlottenburg 80 102 124 137 134 155 Amtsgericht Hohenschönhausen 23 38 53 104 94 15 Amtsgericht Köpenick 41 52 79 72 61 54 Amtsgericht Lichtenberg 28 28 52 39 53 148 Amtsgericht Mitte 17 18 38 19 16 28 Amtsgericht Neukölln 108 174 179 196 191 194 Amtsgericht Pankow /Weißensee 38 52 50 60 38 49 Amtsgericht Schöneberg 78 47 87 89 83 88 Amtsgericht Spandau 22 38 89 132 101 123 Amtsgericht Tempelhof- Kreuzberg 71 100 124 141 160 118 Amtsgericht Tiergarten 1 2 6 12 27 18 Amtsgericht Wedding 102 104 131 158 186 214 *) Mit dem Inkrafttreten des Gesetztes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ist das Familiengericht für alle Verfahren aufgrund der §§ 1 und 2 GewSchG ab 1. September 2009 zuständig. 2.) Wie viele Anträge auf einstweilige Anordnung im Gewaltschutzverfahren nach §51 FamFG in Verbindung mit § 1 GeWSchG (Kontaktverbot) wurden in Berlin gestellt? Wie viele dieser Anträge waren erfolgreich , wie viele Anträge wurden abgelehnt? (Bitte nach Jahr und Gericht aufschlüsseln) 3.) Wie viele Anträge auf einstweilige Anordnung im Gewaltschutzverfahren nach §51 FamFG in Verbindung mit §2 GeWSchG (Wohnungszuweisung) wurden in Berlin gestellt? Wie viele dieser Anträge waren erfolgreich, wie viele Anträge wurden abgelehnt? (Bitte nach Jahr und Gericht aufschlüsseln) 4 Zu 2. und 3.: Statistische Informationen über einstweilige Anordnungen in Gewaltschutzverfahren liegen ab dem Jahr 2010 vor. Differenzierte Daten über erfolgreiche oder abgelehnte Anträge werden nicht erhoben. Für das Jahr 2017 liegen die Daten noch nicht vor. Familiensachen (Amtsgericht Pankow/Weißensee) - einstweilige Anordnungen - 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 605 688 805 927 763 674 759 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 534 598 676 807 676 591 633 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 71 90 129 120 87 83 126 Familiensachen (Amtsgericht Schöneberg) - einstweilige Anordnungen - 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 145 250 247 234 227 249 228 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 132 238 244 231 226 245 225 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 13 12 3 3 1 4 3 Familiensachen (Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg) - einstweilige Anordnungen - 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 1.397 1.264 1.335 1.408 1.256 1.341 1.228 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 1.374 1.253 1.323 1.406 1.248 1.325 1.220 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 23 11 12 2 8 16 8 5 Familiensachen (Amtsgericht Köpenick) - Sachgebiet einstweilige Anordnungen - 2016 Mit den erledigten Verfahren waren Verfahrensgegenstände nach dem Gewaltschutzgesetz insgesamt anhängig 67 davon betrafen a) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 1 GewSchG 52 b) Wohnungsüberlassungen gem. § 2 GewSchG 15 4.) Wie viele der Antragsgegner nach dem Gewaltschutzgesetz sind männlich, wie viele weiblich? (Bitte nach Jahr aufschlüsseln) Zu 4.: Ausweislich der Aktenverwaltungssysteme der ordentlichen Gerichtsbarkeit war die Anzahl der Antragsgegnerinnen und Antragsgegner wie folgt festzustellen: 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Antragsgegnerinnen - 4 72 126 132 164 182 310 303 Antragsgegner - 24 490 760 892 1047 1026 1513 2140 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Antragsgegnerinnen 257 321 310 326 271 327 325 Antragsgegner 2055 2033 2161 1899 1965 1960 1952 Einstweilige Anordnung in Gewaltschutzsachen: Anforderungen der Glaubhaftmachung 5.) Was sind die Anforderungen der Glaubhaftmachung des Sachverhalts zum Zweck einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz? Zu 5.: Für die Glaubhaftmachung im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz gemäß §§ 214, 51 FamFG gilt § 31 Fam FG. 6.) Was sind nach üblicher Rechtsprechung in Berlin hinreichende Beweismittel zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen? Reicht in der Regel eine Versicherung an Eides statt für eine einstweilige Anordnung aus oder müssen zur Glaubhaftmachung der Gefährdung auch ärztliche Atteste, das Aktenzeichen der Strafanzeigenerstattung bei der Polizei und sonstige Beweismittel gemäß §294 ZPO beigebracht werden? Zu 6.: Welche Beweismittel für die Glaubhaftmachung zugelassen sind, bestimmt sich nach § 31 FamFG. Zugelassen sind alle Beweismittel des Freibeweises einschließlich der eidesstattlichen Versicherung. Über die ausreichende Glaubhaftmachung entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung im Einzelfall. Eine generelle Aussage zu der in Berlin „üblichen Rechtsprechung“ kann insoweit nicht getroffen werden. 7.) Auf welcher Grundlage gehen die Gerichte davon aus, dass Opfer und Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen? 6 Zu 7.: Der Begriff des „auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts“ in § 2 Absatz 1 Satz 1 GewSchG ist aus dem Mietrechtsreformgesetz vom 19. Juni 2001 übernommen (vgl. § 563 Absatz 2 Satz 4 Bürgerliches Gesetzbuch; BR-Drs. 439/00 S. 92; BT-Drs. 14/5249 S. 30). Danach setzt dies eine Lebensgemeinschaft voraus, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. 8.) Ist in der Rechtspraxis in Berlin eine „subjektiv empfundene ernstliche Bedrohung mit Gefahr für Leib und Leben“ (OLG Köln, Beschluss vom 26. Juli 2010 - Az. 4 WF 128/10) zum Erlass der einstweiligen Anordnung ausreichend? Zu 8.: Die Gerichte haben jeweils eine einzelfallbezogene Entscheidung zu treffen und sind nach § 37 Abs. 1 FamFG in der Würdigung der vorgebrachten Glaubhaftmachungsmittel frei. Eine Aussage über eine allgemeine Rechtspraxis kann daher nicht getroffen werden. Anhörung des Antragsgegners 9.) In welchen Fällen wird in Gewaltschutzsachen der Antragsgegner zur Anhörung bzw. um Stellungnahme gebeten, in welchen Fällen wird (aufgrund der Eindeutigkeit des Sachverhalts oder aus anderen Gründen ) auf diese verzichtet? 10.) In wie vielen Fällen wurde bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz keine Anhörung des Antragsgegners durchgeführt? (Bitte nach Jahr und Gericht aufschlüsseln ) 11.) Wird diesbezüglich bei der Anwendung von §1 (Kontaktverbot) und §2 (Wohnungszuweisung) Ge- WSchG unterschiedlich verfahren? Zu 9., 10. und 11.: Das Gericht wird im Fall von Unklarheiten in der Regel keine Stellungnahmen einholen, sondern einen Anhörungstermin ansetzen. Eine allgemeine Rechtspraxis ist dazu nicht feststellbar. Ausweislich der Auswertung der Aktenverwaltungssysteme der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurde in den folgenden Fällen keine Anhörung durchgeführt: 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Amtsgericht Charlottenburg - - 88 110 115 139 127 122 - Amtsgericht Köpenick - - 42 61 68 60 63 45 - Amtsgericht Lichtenberg - - 15 77 110 139 142 134 - Amtsgericht Mitte - 1 20 23 40 27 45 36 - Amtsgericht Neukölln - 1 173 186 180 183 213 145 - Amtsgericht Pankow/Weißensee - - 39 53 50 55 40 277 664 Amtsgericht Schöneberg - 23 56 46 77 90 77 79 205 Amtsgericht Spandau - - 26 41 90 142 86 107 - Amtsgericht Tempelhof- Kreuzberg - - 65 93 129 146 169 604 1.568 Amtsgericht Wedding - 1 3 116 122 155 191 171 - 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Amtsgericht Charlottenburg - - - - - - - Amtsgericht Köpenick - - - - - 73 73 Amtsgericht Lichtenberg - - - - - - - Amtsgericht Mitte - - - - - - - 7 Amtsgericht Neukölln - - - - - - - Amtsgericht Pankow/Weißensee 684 665 794 671 527 553 580 Amtsgericht Schöneberg 231 235 209 251 246 228 241 Amtsgericht Spandau - - - - - - - Amtsgericht Tempelhof- Kreuzberg 1369 1424 1437 1273 1365 1280 1199 Amtsgericht Wedding - - - - - - - Zu der Frage, ob bei der Anwendung von § 1 (Kontaktverbot) und § 2 (Wohnungszuweisung ) GewSchG insoweit unterschiedlich verfahren wird, liegen dem Senat keine Informationen vor. Hinterlegte Schutzschrift 12.) In wie vielen Fällen trifft der Antrag auf einstweilige Anordnung den Antragsgegner unvorbereitet? In wie vielen Fällen haben betroffene Antragsgegner schon vor Antragsstellung bei Gericht eine sogenannte Schutzschrift hinterlegt, da der Antragsteller den Gewaltschutzantrag gegenüber dem Antragsgegner im Vorfeld angekündigt hatte? Welche Auswirkung hat eine solche Schutzschrift in der Regel? Zu 12.: Zu der Frage, in wie vielen Fällen der Antrag auf einstweilige Anordnung die Antragsgegnerin /den Antragsgegner unvorbereitet trifft, liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Ausweislich der Auswertung aus den Aktenverwaltungssystemen der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurde seit dem Jahr 2002 in 22 Verfahren eine Schutzschrift hinterlegt. Sollte eine Schutzschrift vorliegen, wird ihr Inhalt bei der Entscheidung berücksichtigt. Wegweisung durch die Polizei 13.) In wie viel Prozent der Fälle eines Antrages auf einstweilige Anordnung im Gewaltschutzverfahren geht üblicherweise eine Wegweisung durch die Polizei voraus? Zu 13.: Hierzu liegen dem Senat keine statistischen Informationen vor. 14.) In wie vielen Fällen wurde seit 2002 wegen häuslicher Gewalt in Berlin durch die Polizei eine Wegweisung ausgesprochen? (Bitte nach Jahr und Bezirk aufschlüsseln) Für wie viele Tage wird die Wegweisung in der Regel ausgesprochen? Unterscheidet sich Berlin bezüglich der durchschnittlichen Dauer der Wegweisung von anderen Bundesländern? Zu 14.: Die Anzahl der in Berlin durch die Polizei wegen häuslicher Gewalt ausgesprochenen Wegweisungen ist seit Einführung des Polizeilichen Landessystems zur Information , Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) im Jahr 2006 recherchierbar. Auswertungen auf Basis von POLIKS-Recherchen spiegeln den zum Abfragezeitpunkt enthaltenen Datenbestand wieder. Da dieser Datenbestand auch Angaben zu noch in Bearbeitung befindlichen Vorgängen enthält, sind abhängig vom Abfragezeitpunkt unterschiedliche Ergebnisse möglich. Darüber hinaus steht aufgrund einer zum Jahresende 2016 vorgenommenen technischen Änderung in POLIKS das Tool, mit dem die Anzahl der Wegweisungen bis einschließlich 2015 ermittelt wurde, nicht mehr zur Verfügung. Die Recherchen, auf deren Grundlage die Werte von 2006 bis 2015 ermittelt wurden, können somit nicht nochmals mit dem Abfrageparameter „Bezirke“ ausgeführt werden. Eine Aufschlüsselung der Wegweisungen nach Bezirken kann daher nur für die Jahre 2016 und 2017 vorgenommen werden. Die Zuordnung bezieht sich auf den Bezirk, in welchem der Tatort der Straftat liegt, auf die sich die jeweilige Wegweisung stützt. 8 Die Zahlen sind den nachfolgenden Tabellen zu entnehmen: 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Polizeiliche Wegweisungen 1.369 1.469 1.709 1.641 1.321 1.336 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Polizeiliche Wegweisungen 1.312 1.469 1.346 1.372 1.242 1.167 Quelle: POLIKS Anzahl der Wegweisungen Bezirksübersicht: 2016 2017 Charlottenburg-Wilmersdorf 127 87 Friedrichshain-Kreuzberg 104 87 Lichtenberg 42 46 Marzahn-Hellersdorf 34 34 Mitte 292 257 Neukölln 129 115 Pankow 66 82 Reinickendorf 104 87 Spandau 99 109 Steglitz-Zehlendorf 69 93 Tempelhof-Schöneberg 117 107 Treptow-Köpenick 53 56 (nicht zuzuordnen) 6 7 Berlin insgesamt 1.242 1.167 Quelle: POLIKS Den eingesetzten Polizeikräften obliegt es, nach Maßgabe einer durchgeführten Gefährdungseinschätzung die Dauer der Wegweisung festzulegen. Diese kann nach der derzeitigen Gesetzeslage für maximal 14 Tage durch die Polizei ausgesprochen werden. Die Dauer der jeweils ausgesprochenen Wegweisung wird durch die Polizei Berlin statistisch nicht erfasst. Zahlen anderer Bundesländer liegen nicht vor. Verhandlungen in Gewaltschutzsachen 15.) Welche Rechtsmittel können gegen den einstweiligen Anordnungsbeschluss eingelegt werden? Zu 15.: Einstweilige Anordnungen in Gewaltschutzsachen sind, wenn sie aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen sind, mit der Beschwerde anfechtbar, § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG. Ist die einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung ergangen, ist zunächst der Antrag nach § 54 Absatz 2 FamFG zu stellen. Eine Beschwerde ist innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 63 Absatz 2 Nr. 1 FamFG zu erheben. 16.) Wird ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt, binnen welcher Frist muss das Gericht einen Termin zur Verhandlung bestimmen und wie sieht die übliche Rechtspraxis bezüglich der Terminsetzung an Berliner Gerichten aus? 9 Zu 16.: Eine Frist, innerhalb der das Gericht auf Antrag nach § 54 Absatz 2 FamFG einen Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen hat, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Generell hat die Terminierung im Eilverfahren unverzüglich zu erfolgen. 17.) Werden die Zeugen in der Verhandlung in Gewaltschutzsachen vereidigt? Welche mögliche Konsequenz hat die Falschaussage eines Zeugen? Zu 17.: Die förmliche Einvernahme von Zeuginnen und Zeugen erfolgt nach §§ 373 bis 401 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Vereidigung der Zeugin/des Zeugen steht im Ermessen des Gerichts. Eine falsche uneidliche Aussage eines Zeugen oder einer Zeugin vor Gericht ist gemäß § 153 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren strafbewehrt. Wurde die falsch aussagende Zeugin oder der Zeuge vereidigt, sieht § 154 Abs. 1 StGB eine Strafandrohung von nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe vor. 18.) Wie viele Verhandlungen in Gewaltschutzsachen enden mit einem Vergleich? Zu 18.: Ausweislich der Auswertung der Aktenverwaltungssysteme der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurde die folgende Anzahl an Verfahren mit einem Vergleich beendet: 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anzahl der Vergleiche - - 49 95 110 142 144 192 202 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Anzahl der Vergleiche 215 198 247 208 181 157 149 19.) In wie vielen Fällen wurden für die Verhandlungen in Gewaltschutzsachen von Gericht Dolmetscher bestellt, in wie vielen Fällen haben Beratungsstellen einen Dolmetscher organisiert? Zu 19.: Ausweislich der Auswertung der Aktenverwaltungssysteme der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurde in der folgenden Anzahl der Fälle in Gewaltschutzsachen eine Dolmetscherin /ein Dolmetscher bestellt: 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Bestellte Dolmetscher/-in - 0 3 12 24 29 20 54 115 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bestellte Dolmetscher/-in 94 105 141 117 153 160 112 In wie vielen Fällen Beratungsstellen eine Dolmetscherin/einen Dolmetscher organisiert haben, ist dem Senat nicht bekannt. Verstoß gegen ein Unterlassungsgebot nach dem GewSchG 20.) In wie vielen Fällen wurde wegen Verstoßes gegen eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz ein Ordnungsgeld verhängt? (Bitte nach Jahren und Bezirken aufschlüsseln) 21.) In wie vielen Fällen wurde wegen Verstoßes gegen eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz eine Ordnungshaft verhängt? (Bitte nach Jahren und Bezirken aufschlüsseln) 10 Zu 20. und 21.: Eine Differenzierung zwischen Ordnungsgeld und -haft liegt nicht vor. Die Anzahl der Fälle, in denen wegen Verstoßes gegen eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz ein Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft angeordnet wurde, stellt sich wie folgt dar: 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Amtsgericht Charlottenburg - - 1 2 2 5 6 13 - Amtsgericht Köpenick - - - - - - - - - Amtsgericht Lichtenberg - - - 3 4 7 12 5 - Amtsgericht Mitte - - - - - - - 1 - Amtsgericht Neukölln - - 1 6 2 2 9 4 - Amtsgericht Pankow/Weißensee - - 2 4 1 4 8 - 6 Amtsgericht Schöneberg - - - - 7 6 2 2 15 Amtsgericht Spandau - - - - - - - - - Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg - - 1 5 3 10 7 9 28 Amtsgericht Wedding - - - - - - - - - 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Amtsgericht Charlottenburg - - - - - - - Amtsgericht Köpenick - - - - - - 3 Amtsgericht Lichtenberg - - - - - - - Amtsgericht Mitte - - - - - - - Amtsgericht Neukölln - - - - - - - Amtsgericht Pankow/Weißensee 16 13 18 11 2 2 2 Amtsgericht Schöneberg 5 9 10 1 16 18 6 Amtsgericht Spandau - - - - - - - Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg 41 45 53 32 47 49 34 Amtsgericht Wedding - - - - - - - 22.) Ist für die Verhängung eines Ordnungsgelds bei Zuwiderhandlungen gegen ein Unterlassungsgebot nach dem GewSchG in jedem Fall ein Vollbeweis für die schuldhafte Zuwiderhandlung zu erbringen oder ist die Glaubhaftmachung ausreichend? Zu 22.: Hierzu werden in der Rechtsprechung verschiedene Ansichten vertreten. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass die schuldhafte Zuwiderhandlung gegen die Anordnung die antragstellende Partei, jedenfalls wenn der Antragsgegner den Verstoß bestreitet , nach den Regeln der ZPO im Wege des Vollbeweises nachweisen müsse, dazu genüge die Glaubhaftmachung nicht. Es wird aber auch vertreten, dass § 890 ZPO nicht vorschreibe, auf welche Weise ein Verstoß gegen eine Unterlassungsverfügung festgestellt werden müsse, so dass allein nach dem Gesetzeswortlaut auch die Glaubhaftmachung ausreichend sei. Praxis 23.) Welchen Zustellproblemen sahen und \ oder sehen sich Richter und Rechtspfleger ausgesetzt, wenn die Anschrift des Antragsgegners, beispielsweise nach einer polizeilichen Wegweisung, nicht mehr aktuell ist und wie wird dem Problem begegnet? Zu 23.: Mit der Zustellung wird in der Regel die Gerichtsvollzieherin/der Gerichtsvollzieher betraut, die/der versucht, auf den ihr/ihm bekannten Wegen die Zustellung zu bewirken . 11 24.) Wie werden Wegweisungen wegen häuslicher Gewalt kontrolliert und durchgesetzt? Was droht bei Zuwiderhandlung? Zu 24.: Die für den Schutz gefährdeter Personen bei häuslicher Gewalt zuständigen Dienststellen der Polizei Berlin treffen entsprechend der jeweiligen Gefährdungseinschätzungen geeignete Maßnahmen zur Durchsetzung einer polizeilichen Wegweisung. Die Kontrolle erfolgt beispielsweise durch regelmäßige oder sporadische Streifentätigkeit oder durch Personen– und Objektschutzmaßnahmen an den Konfliktorten. Bei Zuwiderhandlungen gegen eine polizeilich ausgesprochene Wegweisung mit entsprechender Gefahrenprognose besteht die Möglichkeit der Freiheitsentziehung zur Gefahrenabwehr . 25.) Durch welche Formen der Öffentlichkeitsarbeit wurden und werden das Gewaltschutzgesetz und die damit verbundenen Möglichkeiten, Schutz vor einem Täter oder einer Täterin zu erlangen, in Berlin bekannter gemacht? Zu 25.: Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.), die von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziell gefördert wird, leistet mit der BIG-Koordinierung eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen häusliche Gewalt und Rechtschutz nach dem Gewaltschutzgesetz. Die Öffentlichkeitsarbeit beinhaltet das Erstellen von Informationsbroschüren für Betroffene und Fachkräfte, wie z. B. „Ihr Recht bei häuslicher Gewalt“, die in 16 Sprachen übersetzt wurde, „10 Jahre Gewaltschutzgesetz “ oder die Broschüre in Leichter Sprache für Menschen mit Lernbehinderungen „Häusliche Gewalt ist nie in Ordnung“. Diese Broschüren wurden großflächig in Berlin verteilt und sind auch zum Download bei BIG erhältlich, unter www.big-berlin.info, www.gewalt-ist-nie-okay.de. Hinzu kommen Informationsveranstaltungen und Fortbildungen für die potentiell in Fälle häuslicher Gewalt involvierten Berufsgruppen aus den Bereichen Polizei, Justiz, Jobcenter , Jugendämter, Träger sozialer Einrichtungen und Unterkünften für geflüchtete Menschen , Kirchengemeinden und Kindertageseinrichtungen. Auch Bürgerinnen und Bürger wurden zum Thema häusliche Gewalt und Gewaltschutzgesetz direkt informiert, wie zum Beispiel beim „Tag der offenen Tür des Kriminalgerichts Moabit“ oder bei der jährlich am 14. Februar vor dem Brandenburger Tor stattfindenden Veranstaltung „One Billion Rising“. Darüber hinaus informiert die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung auf den Internetseiten: https://www.berlin.de/sen/frauen/keine-gewalt/haeusliche-gewalt/artikel.20187.php und https://www.berlin.de/sen/frauen/keine-gewalt/haeusliche-gewalt/beratung-undunterstuetzung /artikel.31606.php zu dem Thema „Häusliche Gewalt“ und bietet Hilfesuchenden Kontakte zu Beratungsstellen an. In den Familiengerichten liegen teilweise Merkblätter der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zum Schutz gegen Gewalt aus. Weitere Öffentlichkeitsarbeit wird von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu diesem Thema nicht geleistet, denn ihre zur Neutralität verpflichtete Stellung schließt die Werbung für einzelne Verfahrensarten aus. 12 Hiervon unberührt bleibt im Rahmen zulässiger Rechtsberatung jedoch die Hinweismöglichkeit insbesondere der Abteilungsleitungen und Dezernentinnen und Dezernenten der Abteilungen der Häuslichen Gewalt bei der Amtsanwaltschaft an Verfahrensbeteiligte in Vernehmungen, Gesprächen oder Bescheiden, Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz bei dem zuständigen Familiengericht stellen zu können. Im Übrigen erfolgt der am unmittelbaren Bedarf orientierte Hinweis auf das Gewaltschutzgesetz und dessen Verfahren sowie der Herausgabe von diversen Flyern durch die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vor Ort. 26.) Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn nach einer Wohnungszuweisung nach §2 Gewaltschutzgesetz für den Fall, dass der Täter oder die Täterin als Alleinmieter das Mietverhältnis kündigt? Wer kommt in diesem Fall für die Miete auf? Wann kann der Vermieter bei ausbleibender Miete die Wohnung räumen lassen? Zu 26.: In die Rechtsbeziehungen zu Dritten, wie etwa zur Vermieterin/zum Vermieter, wird durch die Wohnungszuweisung nicht eingegriffen. Die Täterin/der Täter bleibt also ungeachtet des Umstandes, dass sie/er die Wohnung nicht nutzen darf, im Obligo in Bezug auf Haupt- und Nebenpflichten aus dem Mietvertrag. Die Rechte der Vermieterin/des Vermieters bei ausbleibender Mietzahlung richten sich nach dem allgemeinen Mietrecht. Die Räumung einer Wohnung setzt einen entsprechenden vollstreckbaren Titel voraus. 27.) Wie häufig kommt es im Jahr zu Räumungsvollstreckungen, die aufgrund von einstweiligen Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz oder § 1361 b BGB erlassen worden sind? (Bitte nach Bezirken aufschlüsseln ) Zu 27.: Hierzu liegen dem Senat keine statistischen Informationen vor. Konsequenzen der Wohnungszuweisung für den Antragsgegner 28.) Welche Folgen kann nach Kenntnis des Senats eine Wohnungszuweisung nach §2 für den Antragsgegner haben? Wie viele Fälle sind dem Senat bekannt, in denen der Antragsgegner obdachlos wurden? Zu 28.: Die Wohnungszuweisung nach § 2 GewSchG führt dazu, dass von der Antragsgegnerin /dem Antragsgegner verlangt werden kann, die gemeinsam genutzte Wohnung der Antragstellerin/dem Antragsteller zur alleinigen Benutzung zu überlassen. In wie vielen Fällen dies zur Obdachlosigkeit der Antragsgegnerin oder dem Antragsgegner führt, ist dem Senat nicht bekannt. 29.) Welche finanziellen Konsequenzen hat eine Wohnungszuweisung in der Praxis für den Antragsgegner, in wie viel Prozent der Fälle erhält der weiterhin zur Mietzahlung verpflichtete Antragsgegner der Billigkeit entsprechend eine Nutzungsvergütung? Zu 29.: Die Antragsgegnerin/der Antragsgegner kann von der verletzten Person eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht (§ 2 Abs. 5 Gew SchG). Statistische Informationen über die Anzahl der Fälle, in denen der Antragsgegnerin oder dem Antragsgegner eine Nutzungsentschädigung zugesprochen worden ist, liegen dem Senat nicht vor. 30.) Welche Fälle gelten nach gängiger Rechtsprechung als „besonders schwerwiegende Belange des Täters“, die die Wohnungsüberlassung an das Opfer verhindern? In welchen Fällen sind Krankheit und Behinderung darunter zu subsumieren? Sind die Interessenlagen von Kindern des Antragsgegners immer höher zu bewerten? Wie verhält es sich mit Interessenlagen von weiteren Familienangehörigen des Antragsgegners ? 13 Zu 30.: Hierbei handelt es sich jeweils um Einzelfälle, die in richterlicher Unabhängigkeit entschieden werden und der Bewertung des Senats entzogen sind. Kinder 31.) In wie viel Prozent der Fälle wird bei Vorhandensein gemeinsamer Kinder zusammen mit dem Antrag auf Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz auch ein Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge und des Umgangs gestellt? Zu 31.: Hierzu liegen dem Senat keine statistischen Daten vor. 32.) Welche Gefahr des Missbrauchs des Gewaltschutzgesetzes sieht der Senat allgemein und insbesondere bezüglich der Streite um Sorge- und Umgangsrecht? 33.) Wie wird in der Rechtspraxis mit dem Problem umgegangen, dass der Schutzanspruch des Opfers und das Recht des Täters bzw. der Täterin auf Umgang mit den gemeinsamen Kindern oftmals kollidieren? Durch welche Lösungsmöglichkeiten, wie beispielsweise der Anordnung eines begleiteten Umgangs oder eines befristeten Umgangsausschlusses, wird dem Problem begegnet? 34.) Sind nach Auffassung des Senats Hinweise auf häusliche Gewalt gegen ein Elternteil automatisch auch als Gefährdung des Kindeswohls zu betrachten? Zu 32. - 34: Von häuslicher Gewalt betroffen sind vielfach auch Kinder. Sie werden selbst misshandelt oder sie erleben Misshandlungen anderer Familienmitglieder (Elternteil, Geschwister ) mit. Beide Gewalterfahrungen haben schädigende Folgen. Vor diesem Hintergrund ist das Miterleben von häuslicher Gewalt durch Mädchen und Jungen als eine spezifische Form von Kindeswohlgefährdung anzusehen. Für den Schutz von Kindern und Jugendlichen gelten die speziellen Vorschriften des Kindschafts- und Vormundschaftsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), die Maßnahmen des Familiengerichts unter Beteiligung des Jugendamtes vorsehen. Kinder können durch Maßnahmen des zuständigen Familiengerichts von Amts wegen geschützt werden, wenn ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl gefährdet ist und die Eltern zur Abwendung dieser Gefahr nicht gewillt oder in der Lage sind (vgl. § 1666 BGB). In dringenden Fällen können vorläufige Maßnahmen aufgrund einer einstweiligen Anordnung getroffen werden (vgl. §§ 49 ff FamFG). Bei großer Gefahr können diese ohne vorherige Anhörung der Beteiligten ergehen. Auch Personen, Gruppen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Einrichtungen, die von der Gefährdung von Kindern durch häusliche Gewalt wissen, können ein solches gerichtliches Verfahren anregen, auch das betroffene Kind selbst, ggf. mit der Hilfe einer dritten Person (vgl. § 8a, 8b Sozialgesetzbuch (SGB) VIII). Im gerichtlichen Verfahren hat das Familiengericht die zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das Spektrum möglicher Maßnahmen reicht dabei von Ermahnungen, Ge- und Verboten, z. B. dem Erlass einer sog. „Go- Order “ oder eines Kontaktverbots, bis hin zur Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder der elterlichen Sorge insgesamt. Auch die Wegweisung eines gewalttätigen Elternteils oder eines Dritten, z. B. eines Partners der Mutter aus der Wohnung ist möglich , wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann (§ 1666a Abs. 1 BGB). Auch ein nicht sorgeberechtigter Elternteil hat grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Beim Umgangsrecht ist jedoch stets das Kindeswohl zu beachten. Zudem muss sichergestellt werden, dass es bei der Ausübung des Umgangs nicht zu weiteren Misshandlungen und Verletzungen gegenüber dem gefährdeten Elternteil kommt. Kann 14 eine einvernehmliche Lösung zwischen den Elternteilen nicht hergestellt werden, entscheidet das Familiengericht über den Umfang und die Ausübung des Umgangsrechts. Es kann z. B. das Holen und Bringen des Kindes so regeln, dass sich Mutter und Vater nicht treffen und eine neue Adresse der Mutter unbekannt bleibt. Das Gericht kann das Umgangsrecht einschränken, zeitweilig aussetzen oder auf Dauer ausschließen, soweit dies für das Wohl des Kindes erforderlich ist. Wenn nach Auffassung des Familiengerichts ansonsten eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben wäre, kann das Gericht in Abstimmung mit dem zuständigen Jugendamt anordnen, dass der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist (§ 1684 Abs. 4 Sätze 3 und 4 BGB). Die Betreuung des „begleiteten Umgangs“ (§ 18 Abs. 3 SGB VIII) wird von anerkannten Trägern der Jugendhilfe vorgenommen, die dann jeweils bestimmen, welche Einzelperson diese Aufgaben wahrnimmt. Das Familiengericht kann auf diesem Wege erreichen, dass Besuche der Kinder an einem neutralen Ort im Beisein einer Fachkraft stattfinden. Der begleitete Umgang dient dem Kind und seinen Eltern als Hilfestellung zur Findung einer geeigneten Umgangsregelung, die ggf. auch in einen Gerichtsbeschluss einfließen kann. Die den Umgang betreuende Stelle beurteilt den Umgang und gibt Auskunft an das Jugendamt, das ggf. dem Familiengericht berichtet. Darüber hinaus kommt z. B. eine familiengerichtliche Auflage an den gewalttätigen Elternteil in Betracht, an einem Antigewalttraining teilzunehmen, damit dieser Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Ziel eines Trainingsprogramms ist es, eine konkret überprüfbare Verhaltensänderung des gewalttätigen Elternteils zu erreichen, damit zukünftig ein gefahrloser, gewaltfreier Umgang möglich wird. Kooperation mit der Polizei 35.) Auf welche Weise arbeitet die Polizei Berlin zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt mit Opferschutzeinrichtungen und Justiz zusammen? Zu 35.: Die Themen Opferschutz und häusliche Gewalt werden von der Polizei Berlin sehr ernst genommen. Dabei kommt der Zusammenarbeit der Polizei Berlin mit den Einrichtungen der Opferhilfe und spezialisierten Beratungsstellen sowie den beiden Spezialabteilungen der Amtsanwaltschaft Berlin für häusliche Gewalt eine besonders hohe Bedeutung zu. Entsprechend des mit der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen e. V. (BIG) vereinbarten proaktiven Ansatzes besteht bei Einwilligung der/des Geschädigten die Möglichkeit einer Vor-Ort-Beratung bzw. einer Kontaktaufnahme der BIG-Hotline. Ebenso ist der proaktive Ansatz im Falle einer Kindeswohlgefährdung mit den Berliner Jugendämtern geregelt. Diese erhalten durch die Polizei Berlin immer dann eine Information , wenn im Rahmen einer häuslichen Gewalt Kinder im Haushalt der Betroffenen leben oder eine erkennbar schwangere Frau beteiligt ist. Weitere Formen der Zusammenarbeit finden sowohl auf Landesebene als auch auf bezirklicher Ebene statt, beispielsweise durch die Mitwirkung und Teilnahme an gemeinsamen Arbeitskreisen und Veranstaltungen, den Informationsaustausch im Rahmen von Arbeitstreffen zwischen den polizeilichen Themenverantwortlichen für häusliche Gewalt/Opferschutz und den externen Akteuren der Opferhilfe, der spezialisierten Beratungsstellen und der Justiz, die Gremienarbeit des Arbeitsgebietes Opferschutz/häusliche Gewalt der Zentralstelle für Prävention der Polizei Berlin, interdisziplinäre Fallbesprechungen und Schutzgespräche mit den Geschädigten, ggf. unter Beteiligung der Zentralstelle für Individualgefährdung beim Landeskriminalamt Berlin und 15 die Einbindung von externen Akteuren zu den Themen häusliche Gewalt/Opferschutz in die Aus- und Fortbildung an der Polizeiakademie Berlin. 36.) Auf welcher Grundlage weisen die eingesetzten Polizeikräfte Betroffene bei Einsätzen in Fällen häuslicher Gewalt auf das Hilfe- und Beratungsangebot hin? Gibt es dazu eine gesetzliche Grundlage, eine Dienstanweisung oder ist dies einfach guter Brauch? Zu 36.: Seit 2006 arbeitet die Polizei Berlin mit einem fortlaufend aktualisierten „Qualitätsstandard in Fällen häuslicher Gewalt“, aus dem sich u. a. die Verpflichtung ergibt, Betroffene häuslicher Gewalt auf spezialisierte Beratungsstellen der Opferhilfe hinzuweisen und ggf. dorthin zu vermitteln. Die gesetzliche Verpflichtung ergibt sich insbesondere aus dem Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren, dem 2015 durch den Bundestag beschlossenen 3. Opferrechtsreformgesetz (3. OpferRRG) und den §§ 406 j, 406 k Strafprozessordnung (StPO). 37.) Welche der Berliner Frauenschutzeinrichtungen arbeiten auch proaktiv, d.h. kontaktieren von sich aus die Betroffenen und offerieren Unterstützung, nachdem sie von der Polizei nach einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt informiert wurden? Zu 37.: Der proaktive Ansatz wird seit 2005 durch die BIG Hotline und die fünf Berliner Fachberatungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt (Bora, Frauenraum, TA- RA, der Frauentreffpunkt sowie die Interkulturelle Initiative) umgesetzt. Das Konzept für den proaktiven Ansatz wurde im Jahr 2004 im Rahmen eines Fachgremiums bei BIG- Koordinierung in Zusammenarbeit mit den Berliner Schutz- und Hilfeeinrichtungen bei Gewalt gegen Frauen und Vertreterinnen und Vertretern der Berliner Polizeibehörde entwickelt. 38.) Erfolgt im Zusammenhang mit der Glaubhaftmachung des Sachverhalts eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Gerichten, so dass nach einem polizeilichen Eingriff umgehend das zuständige Gericht von dem polizeilichen Einsatz unterrichtet wird? Zu 38.: Eine generelle Information über eine erfolgte Wegweisung an eines der Berliner Familiengerichte erfolgt durch die Polizei Berlin nicht. In Strafsachen erhält das zuständige Gericht über die Wegweisung hingegen durch den zugrunde liegenden polizeilichen Ermittlungsvorgang Kenntnis. Berlin, den 25. Januar 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung S18-13084 S18-13084