Drucksache 18 / 13 263 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anja Kofbinger und Sebastian Walter (GRÜNE) vom 22. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Januar 2018) zum Thema: Entzug des Sorgerechts von lesbischen und bisexuellen Müttern in Berlin und Antwort vom 08. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Feb. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Frau Abgeordnete Anja Kofbinger (Bündnis 90/Die Grünen) und Herrn Abgeordneten Sebastian Walter (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei – G Sen – A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13263 vom 22. Januar 2018 über Entzug des Sorgerechts von lesbischen und bisexuellen Müttern in Berlin ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Ist dem Senat der Forschungsauftrag des Familienministeriums Rheinland-Pfalz an das Institut für Zeitgeschichte und die Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld bekannt, der das historische Unrecht an lesbischen Müttern (Entzug des Sorgerechts aufgrund der sexuellen Orientierung) zwischen 1950 bis Mitte der 1990er Jahre untersuchen soll? Zu 1.: Der Forschungsauftrag ist dem Senat bekannt. Laut Presseerklärung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld vom 15.12.2017 soll die Diskriminierung und Verfolgung weiblicher Homosexualität im jungen Bundesland Rheinland-Pfalz erforscht werden. So konnten Mütter, deren lesbisches Leben bekannt wurde, bis in die 1980erJahre das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren. Nach der Verschärfung des Scheidungsrechts 1961 mit dem neu eingeführten „Schuldprinzip“ war es ausgesprochen schwierig, eine Ehe gegen den Widerstand des Gatten scheiden zu lassen. „Schuldig“ geschiedene Frauen verloren ihren Anspruch auf Unterhalt und das Sorgerecht für die Kinder. http://mh-stiftung.de/pressemitteilungen/ 2. Welche Kenntnis hat der Berliner Senat über den Entzug des Sorgerechts von lesbischen und bisexuellen Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Ost- und West-Berlin vor 1990 bzw. im wiedervereinigten Berlin nach 1990? Zu 2.: Zu dieser Fragestellung liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 3. Welche Aktenbestände zwischen 1950 und 2000 liegen bei Gerichten, Jugendämtern, in der Verwaltung und im Landesarchiv vor, die bei einer möglichen Aufarbeitung relevant wären bzw. dafür erschlossen werden müssten? Zu 3.: Bezogen auf Aktenbestände beim Kammergericht und den Amtsgerichten gilt Folgendes : Die Aufbewahrungspflicht und damit auch die Möglichkeit zur rechtlich zulässigen Aufbewahrung von Akten der Justiz, betreffend den Entzug des Sorgerechts, richtet sich nach den Regelungen zur Schriftgutaufbewahrung. 2 Die Aufbewahrungspflicht beginnt gemäß §§ 1, 2 des Gesetzes zur Aufbewahrung von Schriftgut der Justiz des Landes Berlin vom 24. November 2008 (bzw. ab 1. Januar 2018 nach dem Gesetz zur Aufbewahrung und Speicherung von Akten der Gerichte und Staatsanwaltschaften nach Beendigung des Verfahrens) in Verbindung mit § 4 Absatz 6 der Verordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaften, der Amtsanwaltschaft, der Justizvollzugsbehörden sowie der Sozialen Dienste der Justiz vom 16. April 2010 (Schriftgutaufbewahrungsverordnung - SchrAV- ) mit dem Jahr, das auf das Jahr folgt, in dem die betroffene Person das 21. Lebensjahr vollendet hat. Nach § 1 Absatz 1 i. V. m. Nr. 93 der Anlage SchrAV endet die Aufbewahrung bei Akten über Vormundschaften, Pflegschaften, Beistandschaften und Kindschaftssachen nach § 151 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach zehn Jahren. Von der Vernichtung auszunehmen sind allerdings unter anderem Anhörungsprotokolle, Anhörungsvermerke gemäß § 28 Absatz 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Berichte der Jugendämter, ärztliche Gutachten, familiengerichtliche Genehmigung der Unterbringung (bis zum 31. August 2009: vormundschaftsgerichtliche Genehmigung) sowie die zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel. Für jene gilt wiederum eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren (Nr. 93 a, Nr. 104 der Anlage SchrAV). Damit sind entsprechend der vorstehenden Maßgaben bei den Gerichten nur noch teilweise Akten aus den Jahren 1950 bis 2000 vorhanden. Bezogen auf die Aktenbestände im Landesarchiv Berlin liegen dem Senat folgende Erkenntnisse vor: 1. Erschlossene Bestände: In verschiedenen Beständen der jeweils für Soziales, Jugend und Familie zuständigen Senats- und Magistratsverwaltungen sowie des Abgeordnetenhauses von Berlin (Ausschuss für Jugend und Familie, vereinzelte Petitionen) und der Bezirksämter finden sich einzelne Aktenbände zu den Stichworten „Sorgerecht“ oder „Vormundschaft“. Die entsprechenden Bände können in der Archivdatenbank ermittelt werden. Insgesamt gibt es ca. 250 Fundstellen. Besonders erwähnenswert ist eine Aktengruppe von 25 Bänden im Bestand der Abteilung Volksbildung des ehemaligen Magistrats von Berlin (Ost), die Eingaben und Rechtsmittelbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gegen Entscheidungen in Sorgerechts- und Adoptionsfragen aus den Jahren 1963 bis 1979 enthalten (LAB C Rep. 120. Nrn. 3784 bis 3787, 3795 bis 3804, 3807 bis 3812, 3896 bis 3900). 2. Unerschlossene Bestände: B Rep. 206: Bezirksverwaltung Kreuzberg – Einzelfallakten soziale Familienbetreuung, 1990er Jahre – ca. 0,3 laufende Meter (lfm); B Rep. 207: Bezirksverwaltung Charlottenburg – Einzelfallakten der Familienfürsorge und des Jugendamtes (1964-2002) – ca. 0,9 lfm/ im Bestand nach 1990 (D Rep. 051- 01 – ca. 0,45 lfm (1986-2005); 3 B Rep. 220: Bezirksverwaltung Reinickendorf – Vormundschaftsakten, Buchstabe D (1932-1969) – ca. 1,5 lfm; D Rep. 059: Bezirksverwaltung Lichtenberg - Vormundschafts- und Pflegschaftsakten, ausgewählte Buchstabengruppen (1998-2011) – ca. 0,8 lfm; B Rep. 042: Amtsgericht Charlottenburg - ca. 100 Bände Vormundschaftsakten 1945 bis in die 1960er Jahre; C Rep. 301: Stadtgericht Berlin (Ost) – ca. 90 Bände Beschlusssammlungen der Zivilkammer ; C Rep. 333: Stadtbezirksgericht Prenzlauer Berg – ca. 0,1 lfm Familiensachen; 1,7 lfm Scheidungen; C Rep. 334: Stadtbezirksgericht Treptow – ca. 0,1 lfm Familiensachen; C Rep. 341: Stadtbezirksgericht Mitte und Friedrichshain – ca. 36 lfm Familiensachen, Vormundschaften und Scheidungen. 3. Anmerkungen zur Überlieferung: Akten der Jugendämter sowie der Gerichte über Vormundschaften, Pflegschaften und Beistandschaften sind im Allgemeinen nicht bzw. nur in sehr geringer Auswahl archivwürdig . Generell werden sexuelle Orientierungen - nach dem Persönlichkeitsrecht ein Aspekt der Intimsphäre - bei Verzeichnungsarbeiten im Landesarchiv Berlin nur sehr vereinzelt erfasst, um die öffentliche Verfügbarkeit von archivischen Findangaben nicht zu blockieren. Hinsichtlich des Sorgerechtsentzugs gibt es daher in den Erschließungsdaten keine Hinweise auf lesbische, homosexuelle oder bisexuelle Hintergründe. Alle in Frage kommenden Archivalien müssten durchgesehen werden, ohne dass eine Vermutung zu den Erfolgsaussichten geäußert werden kann. Hilfreich für diesen Prozess kann ein Leitfaden zur Identifizierung relevanter Quellenbestände sein, der von der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung veröffentlicht wurde (Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung: LSBTI- Geschichte entdecken! Leitfaden für Archive und Bibliotheken zur Geschichte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen, Dezember 2016; http://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/lsbti/materialien/ ). Weiterhin ist für die Erschließung und Auswertung zu beachten, dass personenbezogene Akten zwischen 1950 und 2000 nach dem Archivgesetz des Landes Berlin (ArchGB) und der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) überwiegend noch geschützt sind. Berlin, den 8. Februar 2018 In Vertretung Margit Gottstein Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung S18-13263 S18-13263