Drucksache 18 / 13 378 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) vom 31. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Februar 2018) zum Thema: Pädophile Pflegeeltern und das Kentler-Experiment III und Antwort vom 20. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Feb. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13378 vom 31. Januar 2018 über Pädophile Pflegeeltern und das Kentler-Experiment III ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1.) Im Frühjahr 2017 hatte ein Betroffener laut Spiegel (Ausgabe vom 30.12.2017) einen Brief an die Senatsverwaltung gerichtet. Statt der erbetenen konkreten Hilfe und Unterstützung hat der Betroffene laut Spiegel vom Senat nur Adressen von Beratungsstellen erhalten und klagt, der Senat wolle die Sache „aussitzen “. Betroffene erklärten gegenüber dem Spiegel (Ausgabe vom 30.12.2017), sie seien „enttäuscht davon , wie wenig der Senat für sie tut“. Wie erklärt sich der Senat diese Aussage der Betroffenen, die sich offensichtlich im Stich gelassen fühlen? Zu 1.: Dem Senat sind die Äußerungen der Betroffenen aus dem „Spiegel“ bekannt, in denen ausgeführt wurde, dass sie sich durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zu wenig unterstützt fühlen und sich konkret mehr Hilfe gewünscht hätten. Der Senat ist daraufhin erneut auf die Betroffenen zugegangen, um Verbesserungen in der Zusammenarbeit abzustimmen. Seit April 2017 hatten im Verlauf des Jahres mehrere Gespräche mit den Betroffenen stattgefunden, in denen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten besprochen wurden. In einem weiteren Gespräch Anfang Januar 2018 mit den beiden Betroffenen wurden ihnen die Möglichkeit zum Erhalt von Leistungen zur Linderung erlittenen Unrechts und Leids analog zum „Fonds sexueller Missbrauch“ im Detail erläutert und ein sachkundiger Berater zur Seite gestellt, mit dem sie sich sehr einverstanden zeigten. Dabei unterstützt der ehemalige Leiter der Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder die Betroffenen bei der Beantragung der Leistungen. Die abschließende Bearbeitung der vorliegenden Anträge und der Leistungsbeginn stehen unmittelbar bevor. 2. Sieht die heutige Senatsverwaltung ein Versagen und eine Schuld bei der damaligen Senatsverwaltung? - - 2 Zu 2.: Ende der Sechziger/Anfang der Siebziger Jahre wurde ein sog. „Experiment“ durch die damals für Jugend zuständige Senatsverwaltung scheinbar „genehmigt“, in dem Jugendliche auf Trebegang an pädophile Pflegeväter mit dem „Ziel der Resozialisierung“ vermittelt wurden. Diese Vorgänge waren und sind als sexueller Missbrauch zu werten und waren auch damals strafbar. Der Senat hat bereits in 2016 zur Aufklärung des Komplexes des sog. „Kentler- Experiments“ zur Unterbringung von Pflegekindern bei pädophilen Pflegepersonen in den Siebziger Jahren das Institut für Demokratieforschung der Georg-August-Universität Göttingen mit einem ersten Forschungsbericht beauftragt. Das Gutachten ist unter www.berlin.de/sen/bjf/aktuelles2/artikel.537776.php veröffentlicht. Der Senat hatte in diesem Zusammenhang etwaige Betroffene gebeten, sich bei der Senatsverwaltung für Bildung , Jugend und Familie zu melden und eine Ansprechstelle benannt. Insgesamt gab es Kontaktaufnahmen von insgesamt drei Personen. Im Zuge der Veröffentlichung des ersten Forschungsberichts hat die für Jugend zuständige Senatorin die bekannt gewordenen Vorgänge bereits als „Verbrechen an den Betroffenen“ bewertet. Auch in 2017 hat der Senat die Aufklärung des Komplexes weiter vorangetrieben, um gemäß den Empfehlungen des Göttinger Instituts - dazu insbesondere ein weiteres Forschungsvorhaben zu den damaligen Geschehnissen der Vermittlung von Pflegekindern und evtl. Vermittlungen an die Odenwaldschule - zu beauftragen. Darüber hinaus hat der Senat aufgrund konkreter Schilderungen eines Betroffenen Strafanzeige zur Ermittlung in einem konkreten Einzelfall gestellt. 3.) Laut Beantwortung meiner Anfrage vom 2. Januar 2018 (Drucksache 18/13018) hat der Senat sein Unverständnis und seine tiefe Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. Gefragt wurde nach einer Entschuldigung gegenüber den Opfern. Wie genau lautete die Entschuldigung (Wortlaut), die an die Opfer gerichtet wurde? Zu 3.: Vgl. dazu die Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13329. Dem Text kann der Wortlaut der an die Öffentlichkeit und die Betroffenen in gleicher Weise gerichteten Unrechtsbekundung entnommen werden. 4.) Was stand bzw. steht dem Abschluss eines Vertrages über ein anschließendes Forschungsprojekt im Wege? Über welche Aspekte einer erneuten Beauftragung bestand Uneinigkeit? Zu 4.: Das im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens zur Durchführung eines weiteren Forschungsprojektes ermittelte Forschungsinstitut der Universität Göttingen hat am 29.01.2018 sein Interesse an einer zeitnahen Übernahme eines Auftrages überraschend aufgrund anderer Schwerpunksetzungen zurückgezogen, wenngleich die Vertragsverhandlungen zur Forschungsförderung kurz vor dem Abschluss standen. Der Senat muss und wird nun die Interessenbekundung wiederaufnehmen, um eine möglichst zügige Auftragsvergabe zu ermöglichen. 5.) Auch die Leibniz-Universität Hannover verlautbarte, man wolle den Fall Kentler aufarbeiten. Gab es eine Kontaktaufnahme zwischen dem Senat und der Leibniz-Universität? Ist bezüglich der Aufarbeitung eine Kooperation angestrebt? Wenn ja: in welcher Form? - - 3 Zu 5.: Eine Kooperation ist grundsätzlich vorgesehen und wird im Zuge der beabsichtigten vertiefenden Forschung angestrebt. 6.) Helmut Kentler war bei annähernd 30 Gerichtsverfahren als Sachverständiger bestellt und rühmte sich, dass die von ihm begutachteten Missbrauchsfälle mit Freispruch oder Einstellung des Verfahrens endeten (Vgl. Helmut Kentler, in: taz, 09.08.1997. Dies ist ein zusätzlicher Justiz-Skandal, der der Aufklärung bedarf. Wird dies auch Gegenstand der Untersuchung sein? Zu 6.: Nein. 7.) Bitte um Beantwortung der Frage 28 der Anfrage vom 2. Januar 2018 (Drucksache 18/13018): Wird die „Akte B Rep. 020 (Bestand: Der Polizeipräsident in Berlin), Nr. 7848“, die „unter anderem Materialien zum Pflegekinderschutz und zur Fürsorgeerziehung von Minderjährigen die Jahre 1954 bis 1970“ betreffen, den Göttinger Forschern zur Verfügung gestellt? Zu 7.: In den vorbereitenden Gesprächen zur Übernahme des weiteren Forschungsauftrages, in die auch das Landesarchiv Berlin einbezogen war, wurde der Bedarf an Akteneinsicht zur fraglichen Akte mit der Vertreterin des Göttinger Institutes erörtert und im Ergebnis von ihr verneint. 8.) Der Spiegel berichtete am 30.12.2017 über das Kentler-Experiment und einen Fall, der sich von 1989 über zehn Jahre hinzog. Der Senat sprach in der Sitzung des Bildungsausschusses am 18. Januar 2018, in der Beantwortung der Anfrage vom 2. Januar 2018 (Drucksache 18/13018) und im Internet (https://www.berlin.de/sen/bjf/aktuelles2/artikel.537776.php) von Ereignissen aus den 1960er bzw. 1970er Jahren. Über welchen Zeitraum erstreckte sich nach heutiger Kenntnis des Senats das Kentler-Experiment? Zu 8.: Nach Erkenntnissen des bekannt gewordenen Einzelfalles werden Auswirkungen des sog. „Experiments“ und die Einflussnahme Kentlers bis zum Beginn der Zweitausender Jahre angenommen. 9.) Bitte um Beantwortung der Frage 16 der Anfrage vom 2. Januar 2018 (Drucksache 18/13018): Hat der Senat – wie in der Göttinger Studie „Die Unterstützung pädosexueller bzw. päderastischer Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung“ empfohlen – darüber nachgedacht, einen Hilfsfond einzurichten? Wenn ja, zu welchem Ergebnis ist der Senat gekommen und welche Maßnahmen wurden in die Wege geleitet? Wenn nein, warum nicht? Zu 9.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie unterstützt Betroffene des sog. Kentler-Experiments durch Leistungen zur Linderung erlittenen Unrechts und Leids analog zum „Fonds sexueller Missbrauch“. Zusätzlich wurde der ehemalige Leiter der „Anlaufund Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder“ beauftragt, die Betroffenen bei der Erlan- - - 4 gung von Hilfe- und Leistungsbedarfen zu begleiten und bei der Beantragung von möglichen Ansprüchen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) zu unterstützen. Berlin, den 20. Februar 2018 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie S18-13378 S18-13378