Drucksache 18 / 13 379 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) vom 31. Januar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Februar 2018) zum Thema: Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs und Antwort vom 22. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Feb. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13379 vom 31.01.2018 über Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1.) Wie viele Personen nahmen in Berlin die Hilfsangebote des Projektes „Kein Täter werden“ (2005 gegründet als „Präventionsprojekt Dunkelfeld“) in Anspruch? (Bitte nach Jahr aufschlüsseln) 2.) Wie ist die Altersstruktur der Personen, die das Hilfeangebot „Kein Täter werden“ in Anspruch nehmen? Zu 1. und 2.: Das Projekt „Kein Täter werden“ wurde im Jahr 2017 durch die Senatsverwaltung für Justiz , Verbraucherschutz und Antidiskriminierung durch Zuwendungen gefördert. Zuvor erfolgte die Förderung durch das Bundeministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Dem Senat sind demzufolge lediglich die Zahlen bekannt, die sich aus den seinerzeit überlassenen Unterlagen ergeben. Ab Gründung des Projekts im Jahr 2005 bis zum 13. Mai 2016 erfolgten 2360 Erstkontakte . Davon stellten sich 974 Interessenten am Berliner Standort vor. 225 Personen nahmen (Stand 31. Mai 2016) das Therapieangebot an. Eine Aufschlüsselung nach Jahren ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen nicht. 3.) Welche privat organisierten Initiativen und welche öffentlichen Institutionen widmen sich in Berlin der Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs? Zu 3.: Berlin hat mit der Umsetzung des im Februar 2007 vom Senat beschlossenen „Konzept für ein Netzwerk Kinderschutz“ (MzK Drs. 16/0285) und das „Berliner Gesetz zum Schutz und - - 2 Wohl des Kindes „ (Kinderschutz-Gesetz) vielfältige Maßnahmen zur Verbesserung des Kinderschutzes im Bereich der Prävention und Intervention und Versorgung ergriffen sowie verbindliche Strukturen in der Zusammenarbeit im „Netzwerk Kinderschutz“ aufgebaut. Das Problemfeld des sexuellen Kindesmissbrauchs als Tatbestandsmerkmal der Kindeswohlgefährdung sind unmittelbarer Bestandteil von Kinderschutz und entsprechend in der Senatskonzeption „Netzwerk Kinderschutz“ verankert. Präventive Arbeit, insbesondere für Kinder und Familien, ist ein Schwerpunkt der Jugendhilfe. Um den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Gefährdungssituationen zu gewährleisten und Familien bei der Verhinderung von Gewalt zu unterstützen, hat der Senat mit den öffentlichen und freien Trägern ein enges Netzwerk von Beratungs- und Betreuungsangeboten entwickelt. Einrichtungen in freier Trägerschaft halten differenzierte Hilfen in Form von Beratung, Früherkennung und Krisenintervention vor und geben entsprechendes Informationsmaterial heraus. Im Rahmen des bestehenden „Netzwerk Kinderschutz“ arbeiten verschiedene spezialisierte Einrichtungen eng zusammen. Im Einzelnen sind dies: - HILFE-FÜR-JUNGS e.V. : a) Projekt „subway“ und b) Projekt „berliner jungs“ zur Prävention und Beratung in Bezug auf (pädo)sexuelle Gewalt an Jungen mit dem Schwerpunkt der außerfamiliären Gewalt, - Kind im Zentrum - Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) gAG - Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Kinder und ihre Familien, - Wildwasser e.V. - zwei Beratungsstellen für sexuell missbrauchte Mädchen, - Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. - zwei Beratungsstellen für telefonische Beratung, Prävention, Krisenintervention, Familienberatung, Therapien für Kinder und Jugendliche sowie Eltern-Kind-Gruppen, - Deutscher Kinderschutzbund - Landesverband Berlin e.V. - Beratungsstelle zu Maßnahmen der Prävention und Hilfen bei Gewalt in der Familie, - Strohhalm e.V. - Beratungsstelle zur Durchführung eines Präventionsprogramms in Schulen und Kindertagesbetreuungseinrichtungen, - PAPAPTYA - Türkisch-Deutscher Frauenverein e.V. - anonyme Schutz- und Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen. Darüber hinaus finanzieren die Berliner Jugendämter Projekte im Rahmen der Prävention sexueller Gewalt. Da privat organisierte Initiativen keiner Betriebserlaubnis bedürfen und somit nicht der Einrichtungsaufsicht unterliegen, kann der Senat keine verbindliche Auskunft über diese Initiativen geben. 4.) In welcher Form wird in Berliner Bildungseinrichtungen (Schule und Kita) präventiv gegen sexuellen Kindesmissbrauch vorgegangen? Nehmen Berliner Schulen an der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ des UBSKM, die die Schulen darin unterstützt Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt (weiter) zu entwickeln , teil? Wenn ja: welche Schulen? Wenn nein: wann beginnt die Initiative in Berlin? Zu 4.: In Bezug auf das präventive Vorgehen gegen sexuellen Kindesmissbrauch in Kindertageseinrichtungen ist in der Rahmenvereinbarung über die Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen (RV TAG) § 3 Abs. 7 Folgendes geregelt: - - 3 „In Umsetzung der Verpflichtung nach § 72a Abs. 2 SGB VIII müssen die Leistungsanbieter sicherstellen, dass sie keine Personen beschäftigen, die wegen einer in § 72a SGB VIII aufgeführten Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind und dies dem Leistungsanbieter bekannt ist. Zu diesem Zweck sind die Leistungsanbieter verpflichtet, sich bei Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sinne des § 72a SGB VIII ein Führungszeugnis im Sinne des § 30a des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen zu lassen. Daneben soll auch von anderen Personen (z.B. ehrenamtlich tätigen Personen, Praktikanten), die mit Kindern in der Kita in Kontakt kommen und bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch außerhalb einer ständigen Anleitung und Aufsicht Kinder beaufsichtigen, betreuen, erziehen oder einen vergleichbaren Kontakt haben, vor Aufnahme der Beschäftigung ein entsprechendes erweitertes Führungszeugnis vorlegt werden. Soweit diese wegen einer Straftat im Sinne von § 72a SGB VIII verurteilt sind, kommt eine Mitarbeit dieser Personen nicht in Betracht. Es ist sicherzustellen, dass von sämtlichen o.g. Personen in regelmäßigen Abständen (in der Regel längstens 5 Jahre) ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt wird. Bei kurzfristigen, unerwarteten Vertretungssituationen kann hierauf verzichtet werden, soweit die gleiche Person nicht wiederholt für diese Zwecke eingesetzt wird; die Person soll eine Erklärung abgeben, wonach gegen sie kein Strafverfahren wegen einer in § 72 a Abs. 1 SGB VIII genannten Straftat anhängig ist bzw. sie nicht wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. Im Übrigen soll das Rundschreiben der für Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung zum erweiterten Führungszeugnis in der jeweils geltenden Fassung beachtet werden.“ Des Weiteren sind alle Träger verpflichtet, der Einrichtungsaufsicht für jede ihrer Einrichtungen Kinderschutzkonzepte vorzulegen. Die Prävention sexuellen Missbrauchs in der Schule bezieht alle am Schulleben beteiligten Personen ein und umfasst insbesondere die Sensibilisierung des pädagogischen Personals, Handlungsstrategien wie die Anwendung der „Notfallpläne für die Berliner Schulen“ , hier speziell zu „Sexuellen Übergriffen“, Beratungsangebote der Schulpsychologie sowie Fortbildungsveranstaltungen für das pädagogische Personal. Schülerinnen und Schüler werden im Unterricht und in Kooperation mit außerschulischen Partnern aufgeklärt und gestärkt. Vertrauenslehrkräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind neben den unterrichtenden Lehrkräften wichtige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Die Schulen werden bei ihrer Arbeit von Kooperationspartnern aus dem Netzwerk Kinderschutz unterstützt. An der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ beteiligt sich das Land Berlin. Das Konzept für die Umsetzung befindet sich gerade in der Abstimmung. 5.) Sind Sozialpädagogen und Erzieher in Berlin geschult worden, das verbindliche Bewertungs- und Dokumentationsverfahren bei Verdacht einer Kindeswohlgefährdung (Jugend-Rundschreiben Nr. 5 / 2008) anzuwenden ? Zu 5.: Alle Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und Erzieherinnen und Erzieher sind verpflichtend geschult worden, das verbindliche Bewertungs- und Dokumentationsverfahren bei Verdacht einer Kindeswohlgefährdung anzuwenden. - - 4 6.) Kann der Senat beruflichen Akteuren und Eltern das „Handbuch Sexueller Missbrauch“ (Reinbek 1999), herausgegeben von Katharina Rutschky und Reinhart Wolff, vorbehaltlos zur Präventionsarbeit gegen sexuellen Kindesmissbrauch empfehlen? Wenn nein: Warum nicht? Zu 6.: Die Abgabe von Einzelempfehlungen zur Bewertung von Fachbüchern und Fachliteratur gehört nicht zu den Obliegenheiten des Senats. Ein breiter Querschnitt an Literatur, Arbeitsmaterialien und Filmen bezüglich der Präventionsarbeit findet sich z.B. auf der Homepage des Unabhängig Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). 7.) Im Januar 2018 wurde der Erzieher Dennis L. am Amtsgericht Tiergarten wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt. Wie war es Dennis L. möglich, weiter mit Kindern zu arbeiten, obwohl gegen ihn ein Verfahren lief? Warum wusste die Schule nichts von den Vorwürfen? 8.) Die Anklage gegen Dennis L. lag bereits seit September 2014 bei der Staatsanwaltschaft. Warum dauerte das Verfahren so lange? Prüft die Berliner Justiz eigene Versäumnisse? Zu 7. und 8.: Der Angeklagte Dennis L. ist bei einem freien Träger angestellt. Der Träger hat den Erzieher nach der Probezeit im Dezember 2014 fest eingestellt. Das vorliegende gültige Führungszeugnis (Auszug aus dem Bundeszentralregister des Bundesamtes für Justiz), sowie das Arbeitszeugnis des letzten Arbeitgebers ergeben keinerlei Anhaltspunkte, die den Träger veranlasst hätten, die Qualifikation oder Eignung des Mitarbeiters in Frage zu stellen . Im Rahmen seiner Tätigkeit gab es nach Auskunft des Trägers keinerlei Anzeichen für ähnliche Vorfälle. Das in der Frage angesprochene Verfahren, dessen erstinstanzlicher Abschluss Gegenstand der medialen Berichterstattung im Januar 2018 war, basiert auf einer Anzeige bei der Polizei vom 24. November 2013. Die polizeilichen Ermittlungen wurden am 26. März 2014 abgeschlossen, die Erfassung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft erfolgte am 1. April 2014. In der Folge wurden Akteneinsichten gewährt und Fristen zur Stellungnahme eingeräumt. Eine Priorisierung der Verfahrensbearbeitung erschien nicht geboten, zumal der Angeklagte von seiner bisherigen Tätigkeit unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorfälle entbunden worden war. Einer Förderung des Verfahrens stand, nachdem es im Dezember 2014 in ein neu eröffnetes Dezernat übernommen wurde, die Vielzahl der dort vorrangig zu bearbeitenden Verfahren entgegen, insbesondere solchen, in denen Untersuchungshaft angeordnet worden war. Infolge eines Dezernentenwechsels zum 1. Februar 2017 bestand im Rahmen der Einarbeitung in das neue Dezernat angesichts des bis dahin entstandenen Zeitablaufs ebenfalls keine Notwendigkeit, den Verfahrensabschluss nunmehr zu priorisieren, so dass die Anklage erst im September 2017 erhoben wurde. 9.) Nach dem Strafgesetzbuch ist ein Berufsverbot möglich. In der Praxis jedoch wird es jedoch selten verhängt , bei Ersttätern fast gar nicht. Wird Dennis L. in Zukunft wieder mit Kindern arbeiten dürfen? Wird in seinem Führungszeugnis der sexuelle Missbrauch vermerkt sein? 10.) In Deutschland ist ein lebenslanges Berufsverbot für pädosexuelle Straftäter möglich, aber ins Ermessen der Richter gestellt. In der Schweiz war ein Volksbegehren erfolgreich, das sich dafür einsetzte, dass Personen, die verurteilt wurden, weil sie die sexuelle Unversehrtheit eines Kindes oder einer abhängigen Person beeinträchtigt haben, endgültig das Recht verlieren, eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben. Würde der Senat eine solche Regelung für Deutschland be- - - 5 grüßen? Wenn nein: warum nicht? Wenn ja: wird sich der Senat aktiv über den Bundesrat für eine solche Regelung einsetzen? Zu 9. und 10.: Soweit die Verurteilung rechtskräftig wird, wird sich dies aus dem Führungszeugnis und dem Bundeszentralregisterauszug ergeben. Gemäß § 72 a SGB VIII ist dann eine Tätigkeit mit Kindern ausgeschlossen. Bei einem Berufsverbot handelt es sich gemäß § 61 Nr. 6 Strafgesetzbuch (StGB) um eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Sie kann unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB für die Dauer von einem bis zu fünf Jahren angeordnet werden. Reicht diese Frist nicht zur Abwehr der von dem Verurteilten drohenden Gefahr aus, kann die Maßregel gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 für immer angeordnet werden. Stellt sich nach Anordnung der Maßregel heraus, dass die angenommene Gefahr nicht mehr besteht, kann das Berufsverbot zur Bewährung ausgesetzt werden, § 70a StGB. Die Aussetzung zur Bewährung kann wiederum widerrufen werden, wenn sich zeigt, dass der Verurteilte sich pflichtwidrig verhält und die Fortsetzung der Maßregel erforderlich ist oder wenn sich herausstellt , dass die Gründe, die zur Aussetzung der Maßregel geführt haben, tatsächlich nicht vorlagen (§ 70b StGB). Das Regelwerk ist damit geeignet, die unterschiedlichen Tatvarianten einzelfallgerecht beurteilen zu können und die Maßregel durch richterliche Entscheidung unter Würdigung der begangenen Tat und dem Grad der von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr entsprechend auszugestalten, § 62 StGB. Es ist nicht ersichtlich, dass eine starre Regelung der geltenden Einzelfallentscheidung vorzugswürdig ist. 11.) Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes- Wilhelm Rörig, schlug im Oktober 2017 ein Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz vor und erneuerte diese Forderung im Januar 2018. Unterstützt der Senat dieses Anliegen und wie bewertet der Senat die einzelnen Forderungen? Zu 11.: Der Senat begrüßt die Initiative des UBSKM zur Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und deren Folgen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt jedoch noch nicht vor. Berlin, den 22. Februar 2018 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie S18-13379 S18-13379