Drucksache 18 / 13 389 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten June Tomiak (GRÜNE) vom 02. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Februar 2018) zum Thema: Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete und Antwort vom 20. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Feb. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete June Tomiak (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13389 vom 02. Februar 2018 über Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er hat daher jeweils das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf und das Netzwerk Vormundschaft um Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat mit nachfolgenden Aussagen übermittelt wurde. Vorbemerkung der Fragestellerin: Unbegleitete minderjährige Geflüchtete zählen zu den schutzbedürftigsten Personengruppen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Das Recht, einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen, wird Personen erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres zuteil. Sollten Personen dieses Alter noch nicht erreicht haben, kann dieser Antrag jedoch von einem gesetzlichen Vormund gestellt werden, in der Regel durch Eltern oder Verwandte. Die Vormundschaft kann, falls keine bevollmächtigte Begleitperson auffindbar ist, als Ehrenamt von Privatpersonen oder Vereinen übernommen werden. Sollte sich niemand finden, der eine Vormundschaft übernimmt, obliegt diese dem zuständigen Jugendamt. Diese Praxis führt dazu, dass oft - entgegen des ausdrücklichen Wunsches von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten - kein Asylantrag gestellt wird. Zur Vorbemerkung: Das Recht, einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen, steht selbstverständlich auch Minderjährigen zu, da der Antrag immer namens des Minderjährigen gestellt wird. Sie müssen sich hierbei – wie Minderjährige grundsätzlich in Rechtsgeschäften – von einem gesetzlichen Vertreter vertreten lassen, weil sie nur beschränkt geschäftsfähig sind. Eltern sind keine Vormünder, sondern gesetzliche Vertreter kraft Gesetzes. Sonstige Verwandte können Minderjährige im Asylverfahren nur dann vertreten, wenn sie über eine hierfür gültige Vollmacht der Eltern verfügen oder von einem Gericht zum gesetzlichen Vertreter bestellt wurden. - - 2 Grundsätzlich genießt nur der ehrenamtliche Einzelvormund gesetzlich Vorrang vor dem Amtsvormund; alle anderen Formen der Vormundschaft (berufsmäßig geführte Einzelvormundschaft , Vereinsvormundschaft, Amtsvormundschaft) stehen gleichwertig nebeneinander . In der Praxis bestellt das zuständige Familiengericht in der Regel im Wege der einstweiligen Anordnung zunächst das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf – welches gemäß § 1 Nr 4 b der Verordnung über die Zuständigkeit für einzelne Bezirksaufgaben berlinweit für die Führung von Vormundschaften und Pflegschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständig ist – zum Amtsvormund bzw. -pfleger, weil noch kein Einzelvormund zur Verfügung steht und vor der Bestellung die persönliche Eignung der Bewerberin / des Bewerbers durch das Gericht festgestellt werden muss. Ehrenamtliche Einzelvormünder kommen in der Regel erst zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht, da die Auswahl und Vermittlung eines passenden Vormundes Zeit braucht und Vormund und Mündel die Möglichkeit gegeben werden soll, sich zunächst kennen zu lernen und eine Vertrauensbasis herzustellen, bevor sie gemeinsam den Antrag auf einen Vormundwechsel stellen. Die hier gezogene Schlussfolgerung, aus diesem Grunde würden –entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Jugendlichen – oftmals keine Asylanträge gestellt, trifft nicht zu, da auch Amtsvormünder für ihre Mündel Asylanträge stellen. 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind in den Jahren 2015, 2016 und 2017 in Berlin registriert gewesen? a) Wie viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind im jeweiligen Kalenderjahr eingereist? b) Wie viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete verloren in den Kalenderjahren 2015, 2016 und 2017 diesen Status durch die Vollendung des 18. Lebensjahres? Zu 1.: Zu den Stichtagen 30.06. und 31.12. eines Kalenderjahres übermitteln die Jugendämter der Bezirke, gemäß der derzeit gültigen Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer (AV-JAMA) vom 21.05.2013, dem Landesjugendamt (LJA) die Anzahl der von ihnen betreuten Fälle. Unter Ergänzung der vom Landesjugendamt zu diesen Stichtagen betreuten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ergeben sich für die Jahre 2015, 2016 und 2017 die in Tabelle 1 aufgeführten Zahlen: Tabelle 1: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Betreuung des LJA und der Bezirke zum jeweiligen Stichtag: in Obhut von: Gesamt Stichtag Landesjugendamt Bezirke 31.12.2014 150 534 684 30.06.2015 376 586 962 31.12.2015 1.944 786 2.730 30.06.2016 1.165 1.064 2.229 31.12.2016 719 1.359 2.078 30.06.2017 223 1.393 1.616 31.12.2017 175 1.341 1516 Quellen: ISBJ, eigene Erhebungen LJA. - - 3 Zu 1. a): Die Einreisezahlen lagen jeweils insgesamt für die Jahre 2015, 2016 und 2017 bei 4.252, 1.381 und 912 unbegleiteten minderjährige Flüchtlinge. Zu 1. b): Für alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die während der Inobhutnahme durch das Landesjugendamt das 18. Lebensjahr vollenden, wird der Bedarf gemäß AV-JAMA auf erweiterte Jugendhilfe geprüft. Gem. § 41 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) wird einer jungen volljährigen Person Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt, wenn und solange die Hilfe auf Grund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. In den Jahren 2015, 2016 und 2017 wurden jeweils 26, 210 und 52 Jugendliche aus der Obhut des Landesjugendamtes nach Erreichen der Volljährigkeit entlassen und erhielten keine Leistungen der Jugendhilfe mehr. Ist ein volljährig werdender Minderjähriger bereits in bezirklicher Zuständigkeit, so wird der Bedarf an Hilfen über das 18. Lebensjahr hinaus im Rahmen der Hilfeplanung gemäß § 36 Abs. 2 SGB VIII durch das zuständige bezirkliche Jugendamt geprüft. 2. Welche Stellen innerhalb des Landes Berlin und welche Abteilungen innerhalb der Berliner Verwaltungsgerichte prüfen vor Bestallung die Eignung von Bewerber*innen auf eine ehrenamtliche Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete im Sinne des Kindeswohls gemäß §§ 1779 ff. BGB? a) Bestehen Ausschlusskriterien wie bspw. Eintragungen im erweiterten Führungszeugnis nach § 30 a BZRG ? Falls ja, bitte ausweisen. b) Laut Bericht der Bundesregierung aus dem März 2017 besteht Bedarf zur Weiterqualifizierung von Vormündern . Welche Maßnahmen zur Qualifizierung von Vormündern aller Art, inkl. Amtsvormünder, wurden vom Land Berlin seit März 2013 angeboten, durchgeführt oder konzipiert? c) Müssen Bewerber*innen auf eine Vormundschaft an Schulungen teilnehmen? Wenn ja: welche thematischen Schwerpunkte bestehen hier? Wie häufig werden diese Schulungen durchgeführt, wer ist für die Durchführung zuständig, wie häufig finden diese statt und welche Teilnehmerzahlen waren in den Kalenderjahren 2015, 2016 und 2017 zu verzeichnen? d) Falls Daten erhoben werden: Wie lange dauert der Prozess von Signalisierung der Bereitschaft zur Übernahme einer ehrenamtlichen Vormundschaft bis zur Bestallung im Land Berlin durchschnittlich? Gibt es hier signifikante Unterschiede innerhalb der Bezirke? Wenn ja, worauf sind diese zurückzuführen? e) Nach Bestallung: Wie, in welchen zeitlichen Intervallen und durch wen wird die Kooperationsbereitschaft und Zusammenarbeit zwischen Vormund und Mündel evaluiert? f) Wie kann ausgeschlossen werden, dass sich Rechtsextreme oder Islamist*innen erfolgreich als Vormund für eine*n unbegleitete*n minderjährige*n Geflüchtete*n registrieren lassen? Werden entsprechende Bitten um Datenbankabfragen an LKA/BKA/LfV/BfV gesandt? Zu 2.: Zuständig für die Bestallung eines ehrenamtlichen Vormundes sind ausschließlich die Abteilungen für Familienrecht der Amtsgerichte bzw. das Kammergericht als 2. Instanz. Innerhalb der Familiengerichte obliegt die Aufgabe in der Regel den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern. Diese haben nach § 1779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nach Anhörung des Jugendamtes den Vormund auszuwählen und die Eignung zu beurteilen. Darüber hinaus hat das Jugendamt dem Gericht gemäß § 53 Abs. 1 SGB VIII Personen und Vereine vorzuschlagen, die sich im Einzelfall zum Pfleger oder Vormund eignen. Grundsätzlich kann sich jede Bürgerin und jeder Bürger mit einem formlosen Antrag an das Gericht wenden und die Übertragung einer Vormundschaft beantragen. In derartigen - - 4 Fällen bittet das Gericht i.d.R. das Jugendamt des örtlich zuständigen Bezirkes zu dem Antrag Stellung zu nehmen. In welcher Weise sich das Gericht von der Eignung der Bewerberin oder des Bewerbers überzeugt, obliegt grundsätzlich der Rechtspflegerin / dem Rechtspfleger. In Ausgestaltung des § 53 Abs. 1 SGB VIII hat das Land Berlin die Aufgaben der Werbung , Schulung und Begleitung ehrenamtlicher Vormünder sowie der Vermittlung von ehrenamtlichen Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf das Netzwerk Vormundschaft übertragen, das diese Aufgabe in enger Kooperation mit dem Senat und dem Jugendamt Steglitz-Zehlendorf wahrnimmt. In dem Netzwerk Vormundschaft haben sich folgende drei Träger zusammengeschlossen: Vormundschaftsverein des Caritasverbands für das Erzbistum Berlin XENION Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. mit dem Projekt Akinda - Netzwerk Einzelvormundschaften Cura-Vormundschaftsverein des Nachbarschaftsheims Schöneberg e.V. Die Träger des Netzwerks Vormundschaft prüfen mittels eines sozialpädagogischen Eignungsgespräches die Eignung von Bewerberinnen und Bewerber auf eine ehrenamtliche Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Das Gespräch wird schriftlich dokumentiert und über das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf an das Familiengericht weitergeleitet . Zu 2. a): Ausschlusskriterien sind in den §§ 1780 - 1784 BGB geregelt. Eintragungen im erweiterten Führungszeugnis gemäß § 5 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) prüft das Familiengericht umfassend im Rahmen der Eignung nach § 1779 Abs. 1 und 2 BGB. Gemäß § 72a SGB VIII dürfen Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Wahrnehmung der Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe keine Person vermitteln, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs verurteilt worden ist. Zu diesem Zweck sollen sie sich bei der Vermittlung und in regelmäßigen Abständen von den betroffenen Personen ein Führungszeugnis nach § 30 Absatz 5 und § 30a Absatz 1 des BZRG vorlegen lassen. Zu 2. b) und 2. c): Das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) bietet bereits seit vielen Jahren Fortbildungen in diesem Bereich an. Aufgrund einer 2014 erfolgten Umstellung der Seminarsoftware ist eine zahlenmäßige Aufschlüsselung des Angebotes und der Teilnehmer (TN) erst ab 2015 möglich. Die Themen der Tagungs- und Seminarangebote sind der Anlage zu entnehmen. Die Teilnahme an diesen Angeboten ist freiwillig. Darüber hinaus bietet die SFBB bei Bedarf Inhouse-Schulungen für die Amtsvormundschaft und den Regionalen Sozialen Dienst (RSD) an. Weitere Fortbildungsangebote wurden von den Vormündern beim Kommunalen Bildungswerk oder dem Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht sowie dem Fachverband Berliner Stadtvormünder e.V. wahrgenommen. An einer ehrenamtlichen Vormundschaft interessierte Bürgerinnen und Bürger, die vom Netzwerk Vormundschaft begleitet und beraten werden wollen, verpflichten sich an vier - - 5 Schulungen zu den Themen Vormundschaftsrecht, Jugendhilfe, Aufenthalts- und Asylrecht sowie Interkulturelle Kompetenz teilzunehmen. Jedes Schulungsmodul hat einen Zeitumfang von 3 Stunden. Das Netzwerk Vormundschaft hat hierzu folgende Schulungsreihen durchgeführt: 2016: 11 Schulungsreihen mit den drei Modulen Vormundschaftsrecht, Jugendhilfe, Aufenthalts- und Asylrecht / TN 470 2017: 9 Schulungsreihen mit den vier Modulen Vormundschaftsrecht, Jugendhilfe, Aufenthalts- und Asylrecht, Interkulturelle Kompetenz / TN 411 Zu 2. d): Nach den Erfahrungen des Netzwerks Vormundschaft dauert es vom Signal der Bereitschaft bis zur Bestallung einschließlich aller erforderlichen Schritte (Eignungsgespräch, Schulung, Matching, Antragstellung beim Familiengericht, Bestallung) durchschnittlich zwischen 2 - 4 Monaten mit einer Schwankungsspanne von 2 Wochen bis 9 Monaten. Zu 2. e): Die Überwachung der Tätigkeit des Vormundes obliegt dem Familiengericht; diesem gegenüber ist der Vormund rechenschaftspflichtig und hat mindestens einmal jährlich schriftlich Bericht zu erstatten. Darüber hinaus sind sowohl die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der fallführenden Jugendämter als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtungen auf die Kooperation und Zusammenarbeit mit dem Vormund angewiesen und können Probleme ansprechen oder sich bei gravierenden Problemen an das Familiengericht wenden. Das Angebot von Beratung und Unterstützung innerhalb des Netzwerks Vormundschaft dient dazu, die Qualität von ehrenamtlichen Vormundschaften zu sichern und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, die die Weiterführung der Vormundschaft oder sogar das Wohl des Mündels gefährden könnten. Nach der Bestallung zum Vormund werden die ehrenamtlichen Vormünder durch die Träger im Netzwerk Vormundschaft beraten und begleitet, um ihnen Sicherheit zu vermitteln, den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zum Mündel sowie die Vormundschaft in Krisensituationen zu unterstützen. So gelingt es häufig , Anträge auf Entlassung aus der Vormundstätigkeit bzw. eine sogenannte „innere Kündigung “ (Rückzug auf die notwendigste rein rechtliche Vertretung) zu vermeiden. Innerhalb des Netzwerks Vormundschaft wird darauf geachtet, dass der Kontakt zum Jugendhilfeträger nicht abbricht. Berichten ehrenamtliche Vormünder nach Ablauf eines Vierteljahres nicht über den Verlauf ihrer Vormundschaft, nimmt der Träger Kontakt zu ihnen auf. Zu 2. f): Innerhalb des Netzwerks Vormundschaft bietet das sozialpädagogische Eignungsgespräch die Möglichkeit, Motivation und Eignung von Ehrenamtlichen zu überprüfen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Netzwerks sind nach dem Aufruf der Identitären Bewegung „Jetzt Flüchtlingsvormund werden!“ sensibilisiert. Während der Vormundschaft haben die zuständigen bezirklichen Jugendämter, die Familiengerichte und die Betreuerinnen und Betreuer in den Jugendhilfeeinrichtungen und das Netzwerk Vormundschaft durch ihren kontinuierlichen Kontakt mit den Einzelvormündern neben einer unterstützenden auch eine kontrollierende Funktion. - - 6 Liegen konkrete Anhaltspunkte auf eine rechtsextreme oder islamistische Gesinnung bei Personen vor, werden diese im Rahmen der persönlichen Anhörungen beim jeweils fallzuständigen Jugendamt und Familiengericht erfasst und dokumentiert. Systematische Abfragen der genannten Datenbanken erfolgen nicht. 3. Wie viele Vormundschaften wurden in den Jahren 2015, 2016 und 2017 in Berlin übernommen? Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl Privatpersonen/Vereine/Träger/Jugendämter. Falls möglich, bitte jeweils aufschlüsseln nach Bezirken. Zu 3.: Daten für familiengerichtliche Verfahren betreffend minderjährige Geflüchtete werden erst seit dem 1. April 2017 vom Senat systematisch erfasst. Darüber hinaus haben die Amtsgerichte Pankow/Weißensee und Tempelhof-Kreuzberg für ihre Zuständigkeitsbereiche für das Jahr 2016 eine Erfassung von Hand durchgeführt, nicht aber die anderen beiden mit Familiensachen betrauten Amtsgerichte (Köpenick und Schöneberg). Vollständige Zahlen für ganz Berlin liegen für das Jahr 2016 daher nicht vor. Datenerfassungen für das Jahr 2015 und die Monate Januar bis März 2017 liegen ebenfalls nicht vor. Eine Erfassung nach Anzahl von Privatpersonen / Vereinen / Trägern / Jugendämtern erfolgt nicht. Die Erfassung erfolgt nach Gerichtsbezirken und nicht nach (Wohn-)Bezirken: Anzahl der Vormundschaften im Jahr 2016: Amtsgericht Pankow/Weißensee 2016: 1.249 Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg 2016: 1.565 Anzahl der Vormundschaften im Jahr 2017: Amtsgericht Köpenick 1. April bis 31. Dezember 2017: 335 Amtsgericht Pankow/Weißensee 1. April bis 31. Dezember 2017: 34 Amtsgericht Schöneberg 1. April bis 31. Dezember 2017: 72 Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg 1. April bis 31. Dezember 2017: 45 4. Wie viele Asylanträge wurden in den Jahren 2015, 2016 und 2017 im Namen unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter gestellt? In wie vielen Fällen wurde hier der Vormund durch Privatpersonen /Vereine/Träger/Ämter verkörpert? Lassen sich im Verhältnis Anzahl Vormunder eines best. Typus zu Anzahl Asylanträge statistische Diskrepanzen bestimmen? Zu 4.: Dem Senat liegen hierzu keine statistischen Angaben vor. 5. Nach § 42a Abs. 3 Satz 4 SGB VIII sind Jugendämter nach Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Vertretung der Minderjährigen auch in Rechtssachen zu übernehmen. Welche Möglichkeiten der Mitbestimmung wird den Mündeln in Amtsvormundschaft bezüglich der Veränderungen im Status ihres Asylverfahrens gegeben? 6. Wie gestalten sich Abstimmungsprozesse und die Weitergabe von Informationen an die Jugendlichen im Sinne des Kindeswohles? - - 7 Zu 5. und 6.: § 42a Abs. 3 Satz 4 SGB VIII bezieht sich auf die vorläufige Inobhutnahme. Dies ist der Zeitraum, in dem grundsätzliche Fragen im Sinne des § 42a Abs. 2 SGB VIII geklärt werden müssen. Erst nach Beendigung dieser Maßnahme wird darüber entschieden, ob das Kind überhaupt eines gesetzlichen Vertreters in Form eines Vormundes bedarf und der Fall beim zuständigen Familiengericht angezeigt und die Anordnung einer Vormundschaft angeregt wird. Bis zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters verbleibt es bei einer Inobhutnahme , da nur der gesetzliche Vertreter einen Antrag auf eine reguläre Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27ff SGB VIII stellen kann. Sofern Jugendämter unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach § 42 SGB VIII in Obhut nehmen und mangels eines gesetzlichen Vertreters selbst rechtlich vertreten, erfolgt diese Vertretung gesetzessystematisch deshalb gerade nicht durch einen Amtsvormund, sondern aus speziellem (hoheitlichen) Recht nach § 42a SGB VIII. Mit der Bestellung eines Vormundes ist das Kind nicht mehr ohne gesetzlichen Vertreter, die Inobhutnahme wird beendet und in der Regel in eine reguläre Jugendhilfe nach SGB VIII überführt. Die vorläufige Inobhutnahme erfolgt in Berlin durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in ihrer Funktion als Landesjugendamt. Die rechtliche Vertretung nehmen die dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahr, die jedoch keine Amtsvormünder sind. Insbesondere aufenthaltsrechtliche Weichenstellungen sollten während der Inobhutnahme im Regelfall allerdings nicht getroffen werden, da gerade Kinder und Jugendliche erfahrungsgemäß erst einmal hier „ankommen“ müssen, um sich gegenüber ihrem rechtlichen Vertreter öffnen und die notwendigen Informationen liefern zu können, auf deren Grundlage über das aufenthaltsrechtliche Vorgehen entschieden werden kann. Nach der Bestallung durch die Familiengerichte führen die Amtsvormünder, der Intention des § 1626 Abs. 2 BGB folgend, zur Klärung der Aufenthaltsperspektive mit den Mündeln regelmäßig folgende Gespräche: Vorgespräch zur Entscheidung, ob ein Asylantrag der sachgerechte aufenthaltsrechtliche Antrag ist oder ggf. ein anderer Antrag zu stellen ist. Hier werden u.a. sich aus der EU-DVO 118/214 ergebenden Inhalte vermittelt, bspw. Information gem. Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 für unbegleitete Kinder, die internationalen Schutz suchen. Perspektivklärung in Abhängigkeit vom voraussichtlichen Verfahrensausgang ggf. Anhörungsvorbereitung bzw. schriftliche Begründung bei anderweitigen aufenthaltsrechtlichen Anträgen (z.B. Erteilung einer Duldung) Entscheidungsbesprechung, nach deren Ergebnis ggf. Rechtsmittel eingelegt wird Die Mündel werden i.S.v. § 1626 Abs. 2 BGB an der Entscheidungsfindung beteiligt. Sie haben die Möglichkeit, sich auch bei unabhängigen Beratungsstellen beraten zu lassen. Im Zweifel wird dem Wunsch des Mündels folgend Asylantrag gestellt und ggf. auch Klage erhoben. - - 8 7. Gibt es eine Limitierung der Anzahl an Vormundschaftsübernahmen durch a) Privatpersonen b) Vereine c) Amtsvormünder bzw. Jugendämter? Zu 7. a) bis c): Bei der Übernahme von ehrenamtlichen Vormundschaften durch Privatpersonen wird empfohlen, dass diese maximal bis zu 2 Mündel betreuen sollten. Eine Ausnahme bildet hier z.B. die Übernahme einer Vormundschaft für Geschwister. Es existiert jedoch keine gesetzliche Limitierung. Bei Vereins- und Amtsvormündern (die zum Personalkörper eines Jugendamtes gehören) liegt die gesetzliche Obergrenze gemäß § 55 SGB VIII bei 50 Mündeln pro Vollzeitäquivalent . 8. Wie kann sichergestellt werden, dass Mündel nach Vollendung des 18. Lebensjahres einen nahtlosen Übergang der Betreuung und Beratung in die nachfolgenden Strukturen erhalten? Zu 8.: Eine Vormundschaft endet Kraft Gesetz mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Jugendämter erörtern im Rahmen der Hilfeplanung mit dem volljährig werdenden Flüchtling und seinem Vormund, welche Unterstützungsbedarfe noch vorliegen und wie diesen Rechnung getragen werden kann. Dabei erfolgt sowohl eine gemeinsame Abwägung, ob Voraussetzungen für Hilfen für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII vorliegen, als auch welche weiteren Vernetzungs- und Beratungsmöglichkeiten z.B. für sogenannte Careleaver existieren. Nach Beendigung der Vormundschaft können ehemalige Vormünder eine Mentorenschaft /Patenschaft übernehmen, wenn beide Seiten sich aktiv dafür aussprechen. Durch die Umwandlung einer Vormundschaft in eine Patenschaft kann eine Betreuungskontinuität gewährleistet werden. Auf Wunsch eines jungen Volljährigen kann der ehemalige Vormund diesen dann als Mentor/Pate auch zu Gesprächen mit dem fallführenden Jugendamt begleiten sowie bei der Suche nach geeignetem Wohnraum, einem Ausbildungs-/ Arbeitsplatz und der Sicherung ihres Aufenthaltsstatus unterstützen. Das Netzwerk Vormundschaft fördert das weiterführende ehrenamtliche Engagement auch über die Volljährigkeit hinaus. Berlin, den 20. Februar 2018 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Anlage zur Schriftlichen Anfrage Nr. 18/13389 zur Frage 2b) und 2c) Fortbildungsangebote des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin- Brandenburg: 2013/2014: • Einführung in die Rechtsgrundlagen und rechtliche Neuerungen • Einführung in das materielle Unterhaltsrecht und Verfahrensrecht • Kindschaftsrechtliche Beratung und Vertretung • Zwangsvollstreckung und Zusammenarbeit mit dem Gerichtsvollzieher • Beurkundungsrecht • Sozialpädagogische Handlungskompetenz von Amtsvormündern/innen • Rolle des Vormundes für die Entwicklung eines „gelingenden Lebens“ des Mündels • Zusammenarbeit von Amtsvormündern und RSD 2015: Tagungen zu Asyl und Migrationsrecht: • Tagung: Aktuelle Rechtslage und Herausforderungen in der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in der Berliner Jugendhilfe / TN: 103 • Tagung: Kinder- und Jugendhilfebedarfe von Flüchtlingsfamilien / TN: 88 Seminare: • Aktuelles zum Verfahrensrecht (FamFG) und zum Materiellen Unterhaltsrecht (BGB) TN: 23 • Die Rolle des Vormundes für die Entwicklung eines „gelingenden Lebens“ des Mündels / TN: 11 • Die Zusammenarbeit von Amtsvormündern und Regionalen Sozialpädagogischen Diensten / TN: 20 • Vormundschaften/Pflegschaften/Beistandschaften - Einführungslehrgang für neue Fachkräfte / TN: 17 2016: Tagungen zum Thema Asyl und Migrationsrecht: • Migrationsrecht an der Schnittstelle zum SGB VIII / TN: 233 • Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - junge volljährige Flüchtlinge / TN: 92 Seminare: • Schnittstelle: Migrationsrecht/Kinder- und Jugendhilfegesetz - Dem Anspruch gerecht werden / TN: 98 • Asyl u Migrationsrecht für Vormünder / TN:34 • Familienrechtliche und Aufenthaltsrechtliche Grundlagen für (Amts) VormünderInnen und RechtspflegerInnen / TN: 38 • Asylbewerberleistungsgesetz und Aufenthaltsgesetz für Vormünder / TN: 22 • Asyl- Migrations- und Sozialrecht für geflüchtete Kinder, Jugendliche und Eltern / TN:19 • Kinder im Asylverfahren – Worauf muss man als Vormund achten? / TN: 63 • Perspektiven entwickeln - Die Anforderungen des § 37 SGB VIII Gelingende Kooperation für und mit fremduntergebrachten Mündeln / TN: 16 — 2 — • Erbrecht - Staatsangehörigkeitsrecht – Namensrecht / TN: 14 Tagungen: • Vormundschaftsfachtag 2016 / TN: 80 2017: Tagungen zum Thema Asyl und Migrationsrecht: • Migrationsrecht an der Schnittstelle zum SGBVIII / TN: 111 Seminare: • Kinder im Asylverfahren/ TN: 27 • Schnittstelle: Migrationsrecht / Kinder- und Jugendhilfegesetz Dem Anspruch gerecht werden / TN: 53 • Familienrechtliche und aufenthaltsrechtliche Grundlagen für (Amts-)Vormünder/- innen und Rechtspfleger/-innen / TN: 30 • Asyl- und Migrationsrecht für Vormünder und RSD / TN: 18 • Änderungen an dem Asylgesetz (AsylG) / TN: 46 • Grundlagenreihe für Vormundschaft / TN: 27 • Perspektiven entwickeln - die Anforderungen des § 37 SGB VIII / TN: 14 Das Netzwerk Vormundschaft bot für seine betreuten ehrenamtlichen Vormünder folgende Qualifizierungsangebote in den vergangenen zwei Jahren an: • 2016: 25 Veranstaltungen zum Austausch / Reflexion / Weiterbildungen (Themen: Trauma u. Flucht, Bildung und Ausbildung, Asylrecht, Nähe u. Distanz) / TN 391 • 2017: 56 Veranstaltungen zum Austausch / Reflexion / Weiterbildungen (Themen: Trauma u. Flucht, Bildung und Ausbildung, Asylrecht, Nähe u. Distanz, Übergang in die Volljährigkeit, Kinderschutz, Handlungssicherheit mit muslimischen Werten) / TN 475 Die Teilnahme an den Veranstaltungen zum Austausch / Reflexion/ Weiterbildung des Netzwerkes Vormundschaft ist fakultativ. S18-13389 S18-13389 S1813389 Anlage