Drucksache 18 / 13 449 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz, Fadime Topaç, Catherina Pieroth- Manelli (GRÜNE) vom 01. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Februar 2018) zum Thema: Rechtskreisübergreifende Versorgung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung und Antwort vom 01. März 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Mrz. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz, Frau Abgeordnete Fadime Topaç und Frau Abgeordnete Catherina Pieroth-Manelli (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13 449 vom 01. Februar 2018 über Rechtskreisübergreifende Versorgung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Kinder und Jugendliche mit intellektueller Beeinträchtigung leiden überdurchschnittlich häufig an psychischen Störungen und/oder erheblichen Verhaltensauffälligkeiten. Gibt es spezielle psychiatrischpsychotherapeutische Versorgungsangebote für die Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung und zusätzlicher psychischer Störung und/oder Verhaltensauffälligkeit in Berlin? Wenn ja, welche? Zu 1.: Aus der Forschung ist bekannt, dass Kinder und Jugendliche mit intellektuellen Beeinträchtigungen ein hohes Risiko haben, zusätzliche Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen (alle nach ICD-10 definierten seelischen Störungen) zu entwickeln. Alle Auffälligkeiten und Störungen sind das Ergebnis eines hochkomplexen individuellen Entwicklungsprozesses , in dem sich risikoerhöhende Bedingungen (Belastungen, Risikofaktoren , Vulnerabilität) und risikovermindernde Bedingungen (Ressourcen, Schutzfaktoren, Resilienz) in ständiger Wechselwirkung befinden, unabhängig des Intelligenzniveaus. Kinder und Jugendliche „gestalten“ ihre Störungen, daher sollten diese Auffälligkeiten in Verbindung mit der Untersuchung ihrer jeweiligen Kontexte (Familie, Kita, Schule etc.) genau untersucht werden. Intellektuelle Entwicklung ist ein wesentlicher Risikofaktor für abweichende Entwicklungsverläufe.1 Eine angemessene Versorgung verlangt komplexe interdisziplinäre und rechtskreisübergreifende Lösungsstrategien in den Handlungsfeldern Gesundheit (5. Sozialgesetzbuch - SGB V), Eingliederungshilfe/Jugendhilfe (8., 9. und 12. Sozialgesetzbuch - SGB XII/SGB IX, SGB VIII) und Schule. 1 Fachgespräch der SenIAS am 11.01.2018, Vortrag von Prof. Dr. Klaus Hennicke zum Thema: Häufigkeit und Entstehungsbedingungen von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung - - 2 Im Jahr 2017 wurde von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) zur Verbesserung der Versorgung des o.a. Klientel (sog. System-Überforderer) eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe initiiert und zwei ganztägige Fachgespräche zur Versorgungslage durchgeführt. Am 11.02.2018 stand insbesondere die psychiatrischepsychotherapeutische Versorgung u.a. unter Teilnahme des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (KJPD), der Berufsverbände, Träger der Behindertenhilfe und der Psychotherapeutenkammer im Mittelpunkt der Veranstaltung. Von den 80 niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (KJPP) im Land Berlin haben sich nach Hinweis des Berufsverbandes der Fachärzte für KJPP 15 Praxen für eine zielgruppenspezifischen Diagnostik und Behandlung bereit erklärt. Konsens bestand darin, dass nur eine über die beteiligten Rechtskreise hinaus gemeinsame und verbindlich gestaltete Hilfeplanung zur Optimierung der Versorgung führen würde . Darüber hinaus wurden aufgrund der fehlenden spezifischen Kenntnisse zu den Störungsbildern in den Regelversorgungssystemen spezialisierte Angebote zur Diagnostik und Behandlung für zwingend notwendig erachtet. Im neuen Krankenhausplan 2016 wird die Etablierung eines überregionalen Kompetenzzentrums (stationäres/teilstationäres/ambulantes Angebot) für Kinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung und schweren psychischen Störungen am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge ausgewiesen. Grundlage hierfür ist eine Expertise einer Unterarbeitsgruppe (UAG) KJPP des Landespsychiatriebeirates in der letzten Legislaturperiode . Ein entsprechendes überregionales Diagnose- und Behandlungsangebot im Sinne eines Kompetenzzentrums besteht seit Jahren für erwachsene Betroffene am Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH). Dem Senat ist bekannt, dass sich der Arbeitskreis „Psychotherapie vom Menschen mit geistiger Behinderung/Lernschwierigkeiten“ der Psychotherapeutenkammer weiter mit der Aus- und Fortbildung von Psychologinnen und Psychologen auseinandersetzt (z.B. im Rahmen der Entwicklung eines Curriculums). (http://www.psychotherapeutenkammerberlin .de/themen/pt_menschen_behinderung/index.html). Ziel ist auch weiterhin, das Interesse bei den Niedergelassenen für diese Zielgruppe zu wecken, sie zu befähigen und zur psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung des Klientel zu gewinnen. 2. Inwieweit stehen Familien niedrigschwellige Angebote für diese spezielle psychiatrischpsychotherapeutische Versorgung in Berlin zur Verfügung? Gibt es mehrsprachige Angebote? Bestehen Kooperationen mit Migrantenselbstorganisationen? Wenn ja, welche und wie stark werden diese frequentiert (bitte Auflistung der Angebote, Träger und sprachlichen Angebote)? Wenn nein, warum nicht? 3. Welche dieser Versorgungsangebote sind für betroffene Schüler*innen erst zugänglich, nachdem eine Befreiung der Schulbesuchspflicht nach § 41 Abs. 3 SchulG erfolgt ist? Welche Auswirkungen hat die Befreiung der Schulbesuchspflicht auf die Inanspruchnahme von den unter Nr. 1 betroffenen Versorgungsangeboten ? 4. Sind diese Angebote aus Sicht des Senats ausreichend? Inwieweit entspricht dieses Angebot aus Sicht des Senats den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention? Was unternimmt der Senat, um das bestehende Angebot zu sichern und auszuweiten? 6. Die psychotherapeutische Versorgung dieser Kinder und Jugendlichen wird oft als nicht ausreichend geschildert . Teilt der Senat diese Auffassung? Wenn ja, was unternimmt er, um diese Versorgungslücke zu schließen? - - 3 Zu 2. bis 4. und 6.: Als der Neufassung des Rehabilitationsrechts (SGB IX) im Jahr 2001 und damit der interdisziplinären Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder ein besonderer Stellenwert eingeräumt wurde und Weiteres zur Ausgestaltung und Finanzierung im Jahr 2003 mit der Frühförderungsverordnung geregelt wurde, war in Berlin bereits ein dem Ziel des SGB IX entsprechendes sozialpädiatrisches Versorgungsangebot etabliert. Berlin hat auf dieser Grundlage bereits im Jahre 2005, als eines der ersten Bundesländer eine „Rahmenvereinbarung zur Sozialpädiatrischen Versorgung und Frühförderung“ in gemeinsamer Verantwortung mit den Berliner Krankenkassenverbänden , der damaligen Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz und der damaligen Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport geschlossen. Den sozialpädiatrischen Zentren an Berliner Krankenhäusern obliegt im Schwerpunkt die besonders spezialisierte Behandlung, während die ebenfalls als sozialpädiatrische Zentren ermächtigten Kinder- und Jugendambulanzen die wohnort- und familiennahe Versorgung leisten, einschließlich mobiler therapeutischer Komplexleistungen im Rahmen der Kindertagesbetreuung . Im Kern entspricht dieses Angebot der Komplexversorgung als „Hilfen aus einer Hand“ der UN- Behindertenrechtskonvention, wenngleich zusätzliche materielle Ressourcen und die konzeptionelle Weiterentwicklung des Angebots noch Optimierungen, insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt und der Veränderung der Lebensbedingungen und Belastungssituationen von Familien, ermöglichen würde. Im Rahmen des von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales kofinanzierten Interkulturellen Kompetenzzentrum für Migrantenorganisationen Berlin (IKMO) ist ein Netzwerk eingerichtet worden über Seelische Gesundheit von vietnamesischen Migrantinnen und Migranten (vgl. http://ikmo-berlin.de/vernetzen/netzwerk-seelische-gesundheit/) zwischen Migrantenorganisationen und Fachverwaltungen sowie Fachdiensten (Jugendund Familienhilfe, Sozialpsychiatrischer Dienst) und mit den beiden muttersprachlichen Spezialambulanzen bei der Charité und im Königin Elisabeth Herzberge-Krankenhaus Lichtenberg. Im Rahmen dieses Netzwerkes werden auch Aufklärung in den Communities zum Verständnis von psychischen Erkrankungen im interkulturellen Kontext sowie Orientierungshilfen im Versorgungssystem angeboten. Zudem finden regelmäßige Multiplikatoren -Treffen statt. Seit 2018 (Förderperiode 2018/2019) wird das Projekt „Stark im Leben“ von MINA - Leben in Vielfalt e.V. ebenfalls durch das Partizipations- und Integrationsprogramm der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales gefördert. Das Projekt richtet sich direkt an Väter und Männer mit Fluchterfahrungen und Kinder und Angehörige mit Behinderungen. Mit dem Projekt werden die Betroffenen unterstützt, sich in der Berliner Gesellschaft zu Recht zu finden. Hauptsächlich werden Informationen zu den Behindertenhilfesystemen vermittelt und adäquate Fördermöglichkeiten aufgezeigt. Zusätzlich wird eine Unterstützung bei fehlenden Sprachkenntnissen gewährleistet. Die Beratungen finden auf Deutsch, Türkisch und Arabisch statt. Im Projektverlauf soll eine Anlaufstelle für Geflüchtete mit Behinderungen aufgebaut werden, die als Begegnungsstätte und Informationszentrum für die Zielgruppe fungieren soll. Angaben zur Nutzung und Annahme des Angebotes liegen noch nicht vor. Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung verfügt über keine Gesamtübersicht zu den niedrigschwelligen psychiatrischen und psychotherapeutischen Angeboten , Trägern und sprachlichen Angeboten für die Familien mit betroffenen Kindern und Jugendlichen. Im Rahmen der Regelversorgung stehen den Familien von Kindern und - - 4 Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung und psychischen Verhaltensauffälligkeiten die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste (KJPD) des Landes Berlin, die niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten , die Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie die spezialisierten Kinder- und Jugendambulanzen /Sozialpädiatrischen Zentren zur Verfügung. Die Adressenlisten der KJPDs sind auf der Homepage des Landesbeauftragten für Psychiatrie zu finden (vgl. https://www.berlin.de/lb/psychiatrie/hilfe-in-krisen/hilfen-fuer-kinder-und-jugendliche/) Zur Befreiung der Schulbesuchspflicht nach § 41 Abs. 3 SchulG für die genannten Angebote liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 5. Welche kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken (einschl. psychiatrische Institutsambulanzen) und welche niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie halten für diese Kinder und Jugendliche ein spezielles Diagnostik- und Behandlungsangebot vor? Zu 5.: Grundsätzlich können in jeder Fachabteilung bzw. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie im Land Berlin Kinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung und psychischer Beeinträchtigung diagnostiziert und psychiatrisch-psychotherapeutisch behandelt werden. Bezüglich der spezialisierten Angebote wird auf die Antwort zur Frage 1 verwiesen. Die Versorgungslandschaft im Land Berlin bezüglich der niedergelassenen Praxen (Ärztinnen /Ärzte, Therapeutinnen/Therapeuten) ist heterogen und die Hilfesysteme häufig nicht ausreichend. 7. Familien mit einem Kind mit intellektueller Beeinträchtigung sind mit Betreuungs- und Erziehungsaufgaben erheblich belastet und herausgefordert. Welche speziellen Hilfen und Beratungsangebote gibt es für diese Familien, insbesondere mit Blick auf die Unterstützung von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben? Zu 7.: In Familien mit einem Kind mit intellektueller Beeinträchtigung können vielfältige Alltagsprobleme und Konflikte auftreten. Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung gemäß des Kinderund Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) erhalten die Eltern und Kinder Förderung und Unterstützung , sofern ein entsprechender Hilfebedarf im Rahmen der Hilfeplanung festgestellt wird und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung unterstützt und entlastet Familien vorübergehend oder auf Dauer. Die Formen dieser Hilfe sind vielfältig. Kinder und Jugendliche, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, haben gemäß § 35 a SGB VIII einen eigenständigen Anspruch auf Eingliederungshilfe , also unabhängig vom Erziehungshilfebedarf ihrer Eltern. Im Einzelfall können Hilfen zu einer angemessenen Schul- oder Berufsausbildung oder auch Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes hinzukommen. Eingliederungshilfen sollen nach Möglichkeit im normalen Alltag der Betreuung, Förderung und Erziehung stattfinden und nahe an der Lebenswelt des jungen Menschen orientiert sein. Die gemeinsame Betreuung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher hat deshalb vor allem in Einrichtungen Vorrang (vgl.: https://www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/hilfe-zur-erziehung/). - - 5 Unabhängig von der Art und Schwere ihrer Behinderung haben Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung (§ 6 Kindertagesförderungsgesetz). Kinder mit Behinderung oder mit erhöhtem bzw. wesentlich erhöhtem Förderbedarf werden in der Regel gemeinsam mit anderen Kindern in integrativ arbeitenden Gruppen gefördert und betreut. Dafür steht zusätzliches pädagogisches Fachpersonal (staatl. anerkannte Heilpädagoginnen/Heilpädagogen oder so genannte Facherzieherinnen /Facherzieher für Integration)zur Verfügung, deren Aufgabe auch darin besteht, Familien / Eltern in der Bewältigung ihrer Erziehungsaufgaben zu beraten und zu unterstützen. Komplementär wird mobile therapeutische und heilpädagogische Komplexleistung in den Kindertageseinrichtungen und darüber hinaus ambulante sozialpädiatrische Komplexversorgung für Kinder und Jugendliche im Schulalter bis 18 Jahren von Kinder- und Jugendambulanzen Sozialpädiatrische Zentren (KJA/SPZ) angeboten. In den KJA/SPZ steht Kindern und Familien ein multiprofessionelles Team zu Verfügung. Unter anderem wird bei Bedarf der Familien eine enge Fallbegleitung zur Beratung und Unterstützung rund um das Thema Krankheit und Behinderung inklusive rechtliche Beratung, Hilfe bei Antragstellungen und Durchsetzung von Rechtsansprüchen, Beratung zu Kita und Schule, bei Erziehungsschwierigkeiten , psychosoziale Unterstützung, Versorgung mit Hilfsmitteln etc. durch sozialpädagogische bzw. heilpädagogische und therapeutische Fachkräfte geleistet. Die KJA/SPZ arbeiten sozialraumorientiert. 8. Wie lange dauert im Durchschnitt eine Genehmigung der unter Nr. 5 genannten Hilfen? Wie beurteilt der Senat Aufwand und Dauer des Verfahrens zur Genehmigung der Hilfen, insbesondere der Hilfen zur Erziehung nach dem SGBVIII? Zu 8.: Zur Dauer der unter 5 genannten Diagnosen bzw. zur psychiatrisch-psychotherapeutisch Behandlung der beschriebenen Zielgruppe liegen keine Erkenntnisse vor. Zur Dauer der Bearbeitung von Anträgen auf Hilfe zur Erziehung bzw. zur Dauer der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII liegen keine Erkenntnisse vor. 9. Welche Mittel erhalten Regelschulen zur Betreuung von Schüler*innen mit psychischer Störung und/oder Verhaltensauffälligkeit? Welche Unterstützung erhalten diese Schulen von den Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) und den bezirklichen psychiatrischen Versorgungsangeboten? Zu 9.: Unter dem umgangssprachlichen Begriff Regelschulen werden meist die allgemeinbildenden Schulen verstanden, dazu zählen die Grundschulen, Integrierten Sekundarschulen, Gymnasien sowie Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt. Bei Schülerinnen und Schülern mit sogenannten Verhaltensauffälligkeiten kann gegebenenfalls der sonderpädagogische Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung festgestellt werden. In den regionalen Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs - und Unterstützungszentren (SIBUZ) sind zusätzlich Beratungslehrkräfte für psychisch erkrankte Schülerinnen und Schüler tätig. Die Schulpsychologie leistet individuelle Unterstützung, die in der Ausgestaltung stets abhängig vom Einzelfall ist. Für die sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf Emotionale und soziale Entwicklung erhalten die Schulen 2,5 Lehrkräftewochenstunden in der Grundschule bzw. 3 Stunden an Integrierten Sekundarschulen oder Gymnasien. - - 6 Seit dem Schuljahr 2017/2018 wird schrittweise die verlässliche Grundausstattung eingeführt , die sich an den genannten Ressourcen orientiert. 10. Welche Mittel erhalten Förderschulen für geistige Entwicklung zur Betreuung von Schüler*innen mit psychischer Störung und/oder Verhaltensauffälligkeit? Welche Unterstützung erhalten diese Schulen von den SIBUZen und den bezirklichen psychiatrischen Versorgungsangeboten? Zu 10.: Die Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung werden nach der Verwaltungsvorschrift für die Zumessung von Lehrkräften an öffentlichen Berliner Schulen (vgl. Verwaltungsvorschrift (VV) Schule Nr. 8/2017, 07.09.2017) sowie für weiteres pädagogisches Personal nach den Verwaltungsvorschriften für die Zumessung der Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Pädagogische Unterrichtshilfen sowie Betreuerinnen und Betreuer (weiteres pädagogisches Personal) an öffentlichen allgemein bildenden Schulen und Internaten (VV Schule Nr. 9/2017, 07.09.2017; mit erklärenden Berechnungsbeispielen) ausgestattet. Die Ausstattung der Schulen richtet sich bei sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung nach den festgestellten Förderstufen (0, I und II). Auch bei gravierenden Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Erkrankungen können die Förderstufen I oder II vergeben werden. Die Zumessung von Lehrkräftewochenstunden erfolgt schülerbezogen. An den Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung erfolgt diese Zumessung wie folgt: - Förderstufe 0 3,25 Stunden pro Schülerin/Schüler - Förderstufe I 4,34 Stunden pro Schülerin/Schüler - Förderstufe II 5,20 Stunden pro Schülerin/Schüler Die Zumessung von Vollzeiteinheiten (VZÄ) für Erzieherinnen und Erziehern erfolgt schülerbezogen und basiert auf den in der Berliner Verwaltung verwendeten Jahresarbeitsminuten (JAM) als unmittelbare pädagogische Arbeit. Für Lerngruppen, die nach dem Rahmenlehrplan Geistige Entwicklung unterrichtet werden, gilt der in § 28 Abs. 5 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung (SopädVO) genannte Zeitraum von 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr für eine gebundene Ganztagsbetreuung ohne Zumessung von Erzieherinnen und Erziehern. An den Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung erfolgt die Zumessung für Erzieherinnen und Erzieher und einer Gruppenfrequenz von 8 Schülerinnen und Schülern ohne Förderstufe, von 6 Schülerinnen und Schülern mit Förderstufe I und 5 Schülerinnen und Schülern mit Förderstufe II wie folgt: Betreuungszeit Schulzeit: 6:00 Uhr bis 8:00 Uhr 0,26 Faktor 15:00 Uhr bis 16:00 Uhr 0,13 Faktor 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr 0,39 Faktor 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr 0,26 Faktor - - 7 Betreuungszeit Ferien: 6:00 Uhr bis 8:00 Uhr 0,0547 Faktor 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr 0,1916 Faktor 15:00 Uhr bis 16:00 Uhr 0,0274 Faktor 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr 0,0821 Faktor Dies betrifft die Eingangs- und Unterstufe bzw. die Jahrgangsstufen 1 - 4. 6:00 Uhr bis 7:30 Uhr 0,0410 Faktor 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr 0,0547 Faktor 7:30 Uhr bis 13:30 Uhr 0,1642 Faktor 7:30 Uhr bis 16:00 Uhr 0,2326 Faktor Dies betrifft die Mittelstufe bzw. die Jahrgangsstufe 5 - 6 sowie die Ober- und Abschlussstufe bzw. Jahrgangsstufen 7 - 10. Die Zumessung für den Einsatz von Pädagogischen Unterrichtshilfen für den Unterricht nach dem Rahmenlehrplan Geistige Entwicklung wird wie folgt bemessen: Geistige Entwicklung ohne Förderstufe Gruppenfrequenz 8 1 VZE pro Lerngruppe Geistige Entwicklung mit Förderstufe I Gruppenfrequenz 6 1 VZE pro Lerngruppe Geistige Entwicklung mit Förderstufe II Gruppenfrequenz 5 1 VZE pro Lerngruppe Die Zumessung für den Einsatz von Betreuerinnen und Betreuern für den Unterricht nach dem Rahmenlehrplan Geistige Entwicklung wird wie folgt zugemessen: Geistige Entwicklung mit Förderstufe I Gruppenfrequenz 6 0,5 VZE pro Lerngruppe Geistige Entwicklung mit Förderstufe II Gruppenfrequenz 5 1 VZE pro Lerngruppe Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung werden in der Ober- bzw. Abschlussstufe an Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung der Einsatz von Betreuerinnen und Betreuern und einer Gruppenfrequenz von 8 Schülerinnen und Schülern ohne Förderstufe, von 6 Schülerinnen und Schülern mit Förderstufe I und 5 Schülerinnen und Schülern mit Förderstufe II wie folgt zugemessen: Betreuungszeit Schulzeit: 6:00 Uhr bis 8:00 Uhr: 0,26 Faktor pro Gruppe 15:00 Uhr bis 16:00 Uhr: 0,13 Faktor pro Gruppe 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr: 0,39 Faktor pro Gruppe 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr: 0,26 Faktor pro Gruppe Betreuungszeit Ferien: 6:00 Uhr bis 7:30 Uhr 0,0410 Faktor pro Gruppe 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr 0,0547 Faktor pro Gruppe 7:30 Uhr bis 13:30 Uhr 0,1642 Faktor pro Gruppe 7:30 Uhr bis 16:00 Uhr 0,2326 Faktor pro Gruppe - - 8 11. Durch welche Maßnahmen wird sichergestellt, dass in jedem individuellen Fall ein Austausch zwischen den betreuenden Jugendämtern, Kitas und den darüber hinaus zuständigen Stellen stattfindet? 12. Durch welche Maßnahmen wird sichergestellt, dass in jedem individuellen Fall ein Austausch zwischen den betreuenden Jugendämtern, Schulen und den darüber hinaus zuständigen Stellen stattfindet. 13. Durch welche Maßnahmen wird sichergestellt, dass beim Wechsel dieser Kinder von Kita in Schule eine Begleitung und ein Austausch der zuständigen Stellen, insbesondere zwischen Kita und Schule, stattfinden? Zu 11. bis 13.: Die Sicherstellung des Austausches erfolgt durch die gesetzlich vorgeschriebene Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII. In den Helferkonferenzen bzw. Hilfekonferenzen sind in der Regel alle für den Hilfeprozess des Kindes/Jugendlichen relevanten Instanzen und Akteure beteiligt. Die Beratung im Vorfeld, die Entscheidung über die Gewährung sowie die Durchführung einer Hilfe zur Erziehung orientieren sich am Fachkonzept Sozialraumorientierung , d.h.: der Ressourcen- und Lebensweltorientierung der Aktivierung, Mobilisierung der Selbsthilfekräfte, und am Anknüpfen am Willen der Betroffenen sowie am Zusammenwirken der Fachkräfte im Sozialraum. Sozialraumorientierung als Strukturprinzip der Hilfe zur Erziehung in fachlicher, methodischer, organisatorischer und finanzieller Hinsicht bezieht die Ressourcen aus der Lebenswelt der Familien in Beratung und Hilfeplanung mit ein, um die Hilfen zur Erziehung flexibler, bedarfsgerechter, lebensnaher und alltagstauglicher zu gestalten. Daraus folgt, dass Regelangebote innerhalb und außerhalb der Jugendhilfe, insbesondere Kindertagesstätten, Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen, in die Unterstützungsüberlegung einbezogen werden müssen (vgl. Ausführungsvorschriften für Planung und Durchführung von Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie Hilfe für junge Volljährige (AV-Hilfeplanung)). Als schulische Maßnahme für die Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischen Institutionen ist vor allem die Schulhilfekonferenz zu nennen. Zur Schulhilfekonferenz werden gegebenenfalls die zuständigen Vertretungen aus Jugend und Gesundheit eingeladen, um ein fachübergreifendes Arbeiten zu sichern. In der Kindertagesbetreuung findet darüber hinaus für Kinder mit wesentlich erhöhtem Förderbedarf ein Förderausschuss analog des Hilfeplanverfahrens nach § 36 SGB VIII statt. Voraussetzung für die Sicherstellung eines fachlichen Austausches zwischen Kita und Grundschule ist die Zustimmung der Eltern bzw. Personensorgeberechtigten des Kindes. Bei Vorliegen dieser Voraussetzung wird ein Übergangsmanagement zwischen Kita und Grundschule gestaltet. Das in der Qualitätsvereinbarung Tag (QVTag) dazu formulierte Verfahren ist optimierbar und wird derzeit durch die LIGA und SenBJF überarbeitet. Die Behandlung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie erfordert meist eine enge Kooperation mit dem Schulbereich und der Jugendhilfe. Verschiedene UAG des Landespsychiatriebeirates haben sich mit den bekannten Schnittstellenthemen zwischen den Ressorts Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe, Schule, Soziales, Behindertenhilfe etc.) auseinandergesetzt, Empfehlungen erarbeitet, den politisch Verantwortlichen und der Fachöffentlichkeit zur Umsetzung empfohlen. Die im Jahr 2017 gegründete fachbereichsübergreifende Arbeitsgruppe unter Federführung der der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wird sich in enger Zusammenarbeit mit den für diese Zielgruppe zuständigen Senatsverwaltungen weiterhin gemeinsam mit der Verbesserung der Versorgungssituation für diesen speziellen Personenkreis auseinandersetzen und Empfehlungen sowie Lösungsstrategien erarbeiten. Ebenso wird sich eine vom Landesbeirat für psychische Gesundheit eingesetzte Unterar- - - 9 beitsgruppe (UAG) Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie auch dieser Thematik widmen. 14. Die Angebote der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in Berlin verfügen nicht über speziell ausgewiesene ambulante und teil-/vollstationäre Betreuungssettings wie die Jugendhilfe im Kontext des §35a SGB VIII (Hilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche). Wie bewertet der Senat diese Situation? Liegen Anträge vor, die ein entsprechendes Angebot in Berlin ermöglichen würden? Plant der Senat ein entsprechendes Angebot in Berlin einzurichten oder zu unterstützen? Wenn ja, wie ist dies geplant ? Zu 14.: Für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung werden ambulante und stationäre Hilfen nach dem SGB XII angeboten. Die vorhandenen stationären Angebote im Rahmen des SGB XII konzentrieren sich gemäß der Leistungsbeschreibung des Berliner Rahmenvertrages (BRV) auf Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung. Für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung werden ambulante und stationäre Angebote der Jugendhilfe gemäß den Bestimmungen des SGB VIII angeboten. Für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und erheblichen Verhaltensauffälligkeiten hat sich in den letzten Jahren ein zusätzlicher Leistungsbedarf herauskristallisiert, da der Personenkreis nicht eindeutig einem der genannten Rechtskreise zuzuordnen ist. In Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII führen die, mit der seelischen Behinderung einhergehenden, Verhaltensauffälligkeiten teils zur Überforderung der Einrichtungen und zum möglichen Ausschluss der betroffenen Kinder und Jugendlichen, während Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe nach dem SGB VIII rechtlich und fachlich nicht dem zusätzlichen Bedarf, der sich aus der Schwere der geistigen Behinderung ergibt, gerecht werden können. Eine gutachterliche bzw. rechtliche Zuordnung der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu einem der Rechtskreise, führt häufig zu den geschilderten Problemen. Im stationären Bereich werden für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und erheblichen Verhaltensauffälligkeiten (bzw. seelischer Behinderung) bisher keine rechtskreisübergreifenden Hilfen angeboten. Aufgrund der multiplen Erkrankungen bzw. Behinderungen , bedarf es Hilfen aus den Rechtsgebieten des SGB V, SGB VIII und SGB XII (bzw. SGB IX neu). Der Senat erarbeitet ressortübergreifend und in fachlicher Abstimmung mit den Leistungsbietern ein passgenaues stationäres Angebot für den betroffenen Personenkreis. Das gemeinsame Ziel, die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, wird durch diese Kooperation sichergestellt. Der Senat strebt im Rahmen des BRV § 79 SGB XII an, ein Leistungsangebot im Laufe des Jahres zu etablieren. 15. Inwieweit arbeitet das Land Berlin in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung und psychischer Störung und/oder Verhaltensauffälligkeit mit dem Land Brandenburg zusammen ? Gibt es gemeinsame Angebote bzw. bestehen Planungen für gemeinsame Versorgungsangebote ? - - 10 Zu 15.: Für die beschriebene Zielgruppe wird ein Bedarf für eine länderübergreifende Zusammenarbeit nicht gesehen. Berlin, den 01. März 2018 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie S18-13449 S18-13449