Drucksache 18 / 13 471 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten June Tomiak (GRÜNE) vom 12. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Februar 2018) zum Thema: Zeugenschutz in Berlin und Antwort vom 27. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Mrz. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete June Tomiak (Grüne) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13471 vom 12. Februar 2018 über Zeugenschutz in Berlin ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: Der Schutz von aussagewilligen Personen, die durch ihre Aussage vor Gericht sich einer Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt sehen, kann unter bestimmten Voraussetzungen gemäß Zeugenschutz- Harmonisierungsgesetz (ZSHG) Zeugenschutz gewährt werden. Über die genauen Abläufe der Maßnahmen ist sehr wenig bekannt. Dies schützt zwar einerseits die Zielpersonen, führt andererseits durch undurchsichtige Kontrollmechanismen möglicherweise zu Willkür seitens der an den Maßnahmen beteiligten Beamten. Deshalb ist es um so wichtiger, Klarheit über zumindest Bruchstücke der Arbeit zu bekommen, um politische Entscheidungen wie Mittelaufstockungen oder - kürzungen informiert treffen zu können. 1. Bewertet der Senat Zeugenschutzmaßnahmen als hoheitliche Pflicht oder als optionale Maßnahme? Zu 1.: Die Durchführung von Zeugenschutzmaßnahmen basiert auf der Grundlage des Gesetzes zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (ZSHG). Demnach können Personen unter den dort genannten Voraussetzungen Zeugenschutzmaßnahmen erhalten, sofern sie dafür geeignet sind und sie zur Durchführung der Maßnahmen ihr Einverständnis erklärt haben. Der Senat betrachtet es hierbei als hoheitliche Pflicht, die Rechtsgüter der betroffenen Person zu schützen, insbesondere im Hinblick auf die Unversehrtheit von Leib, Leben, Freiheit oder wesentlichen Vermögenswerten. Die jeweils dafür erforderlichen Maßnahmen sind wiederum optional zu wählen und erfolgen nach pflichtgemäßem Ermessen einzelfallabhängig. Unter die Bezeichnung Zeugenschutzmaßnahmen fallen dabei sämtliche rechtlich zulässigen polizeilichen Maßnahmen, die geeignet sind, eine Zeugenaussage als Beweismittel in einem Strafermittlungsverfahren von herausragender Bedeutung sicherzustellen. Sofern eine Person nicht für die Maßnahmen des Zeugenschutzes in Frage kommt oder ihre Zustimmung zu den erforderlichen Maßnahmen verwehrt, Seite 2 von 5 ist die Polizei Berlin dennoch nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG-Bln) dazu verpflichtet, sämtliche erforderlichen Maßnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr bezüglich der betroffenen Person zu treffen. Auch hier erfolgen die Auswahl und Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen optional im Einzelfall. Die hierbei getroffenen Maßnahmen unterliegen jedoch nicht der Begrifflichkeit der Zeugenschutzmaßnahme. Hierbei wird weder undurchsichtig noch willkürlich agiert. Aufgrund der spezifischen Anforderungen kann es aber im Einzelfall zu nicht für jede oder jeden nachvollziehbaren Vorgehensweisen kommen. 2. Wie vielen Personen wurden in den Jahren 2009-2016 im Land Berlin Maßnahmen des Zeugenschutzes nach dem ZSHG gewährt? Bitte aufschlüsseln nach Jahren. 3. Welche Kosten fielen für Maßnahmen nach dem ZSHG im Land Berlin in den Jahren 2009-2016 an? Bitte aufschlüsseln nach Jahren. Zu 2. und 3.: Die dargelegten Zahlenangaben beziehen sich auf Zeugenschutzmaßnahmen der Polizei Berlin und beinhalten keine Aussagen zu Zeugenschutzmaßnahmen anderer Sicherheitsbehörden des Bundes oder der Länder in Berlin. Jahr Anzahl der nach ZSHG geschützten Personen Kosten für Maßnahmen nach dem ZSHG in Euro 2009 19 2.825,23 2010 20 26.193,11 2011 20 62.020,91 2012 21 20.400,00 2013 18 22.376,37 2014 26 95.192,21 2015 17 74.870,08 2016 23 80.823,50 4. Welche der im ZSHG aufgeführten Maßnahmen fallen nicht in den Tätigkeitsbereich des LKA bzw. wurden in der Vergangenheit in einem oder mehreren Fällen an die Zeugenschutzdienstelle des BKA oder andere Referate bzw. Abteilungen des BKA delegiert? Zu 4.: Da keine gesonderten Statistiken über einzelne Zeugenschutzmaßnahmen sowie die Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt (BKA) oder sonstigen Behörden geführt werden, ist dem Senat keine Antwort im Sinne der Fragestellung möglich. Die Zuständigkeit für die Durchführung von Maßnahmen nach dem ZSHG obliegt grundsätzlich den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Polizeien oder sonstigen Behörden. Die zuständige Fachdienststelle der Berliner Polizei beim Landeskriminalamt (LKA) Berlin trifft sämtliche für den Einzelfall notwendigen Maßnahmen. 5. Gibt es im Land Berlin Geschäftsanweisungen oder andere Regelungen, die die Dokumentationspflichten gemäß § 2 Satz 3 ZSHG präzisieren? Zu 5.: Die Gemeinsamen Richtlinien der Innenminister/-senatoren und der Justizministerinnen und –minister des Bundes und der Länder zum Schutz gefährdeter Zeugen sind Grundlage auch für das Verwaltungshandeln in Berlin. Seite 3 von 5 6. Nach welchem Verteilungsschlüssel wird durch welche Dienstelle die Entscheidung über die Entschädigung gemäß § 8 ZSHG entschieden? a) Wenn durch Zeugenschutzmaßnahmen ein Wechsel des Wohnortes erforderlich ist, werden die Umzugskosten durch das Land Berlin finanziert oder cofinanziert? Wenn ja, in welcher Höhe, wenn nein, warum nicht? b) Wenn durch Zeugenschutzmaßnahmen die zeitnahe Veräußerung von Wohneigentum oder Besitztümern verbunden ist, die insbesondere in schlechten Marktphasen mit massiven Verlusten führen kann, übernimmt das Land Berlin etwaige Verluste? Wenn ja, in welcher Höhe und nach welchen Kriterien? Wenn nein, warum nicht? Zu 6.: Zuwendungen werden gemäß § 8 ZSHG in dem Umfang gewährt, der für den individuellen Zeugenschutzfall erforderlich ist. Die Entscheidung hierüber obliegt dem zuständigen Kommissariat der Polizei Berlin nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall. Aus polizeitaktischen Gründen sind weitere Angaben nicht möglich. 7. Durch welche Behörde/n erfolgt im Land Berlin die Ausstellung von Tarnidentitäten bzw. Tarndokumenten? a) Wie kann sichergestellt werden, dass Personen, die Tarnidentitäten nutzen, bei Wahlen keine doppelte Stimmabgabe vollziehen? Zu 7.: Aus polizeitaktischen Gründen ist dem Senat hierzu keine Antwort möglich. 8. Gibt es besondere Vorkehrungen zum Schutz von Opfern und Zeugen von Hassverbrechen, die durch die Beamten am Tatort sowie die Staatsanwaltschaft automatisch getroffen werden? Darunter zählt bspw. das Sicherstellen, dass Täter die Adresse der Opfer bei der Anzeigenaufnahme am Tatort nicht mitlesen können. Zu 8. Nach den Qualitätsstandards für die Sofortbearbeitung von (Gewalt-)Straftaten der PMK – rechts ist die räumliche und/oder zeitliche Trennung der Verfahrensbeteiligten bei der Erhebung ihrer personenbezogenen Daten vorgesehen. Darüber hinaus sind die bei der Erstbearbeitung eingesetzten Dienstkräfte angehalten zu prüfen, ob gemäß § 68 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) den Betroffenen die Möglichkeit zusteht, statt ihrer Meldeanschrift den Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift, zum Beispiel einer beigezogenen Opferschutzorganisation, anzugeben. Zur weiteren Unterstützung werden Betroffenen Informationsbroschüren an die Hand gegeben, die Kontaktstellen von Polizei, Verfassungsschutz und Opferhilfeeinrichtungen in Berlin beinhalten und über die weitere Informationen und/oder individuelle Beratungen und Hilfen vereinbart werden können. 9. Welche Kriterien sind für die Bewilligung eines Sperrvermerkes im Melderegister bzw. einer bedingten Auskunftssperre nach § 51 BMG entscheidend? Zu 9. Unterschieden wird zwischen bedingten Sperrvermerken nach § 52 Bundesmeldegesetz (BMG) und Auskunftssperren nach § 51 BMG. Ein bedingter Sperrvermerk nach § 52 BMG wird nach Kenntnisnahme der Meldebehörde für Personen eingerichtet, die dauerhaft oder vorübergehend wohnhaft gemeldet sind in einer Justizvollzugsanstalt, einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber oder sonstige ausländische Flüchtlinge, Einrichtungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt oder Einrichtungen zur Behandlung von Suchterkrankungen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder sonstigen Einrichtungen, die der Betreuung pflegebedürftiger Seite 4 von 5 oder behinderter Menschen oder der Heimerziehung dienen. Die Eintragung einer Auskunftssperre setzt gemäß § 51 Abs. 1 BMG voraus, dass Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass dem Betroffenen oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann. a) Wer entscheidet über die Genehmigung des Antrages auf Sperrvermerke im Melderegister? Zu 9.a.: Im Land Berlin sind sowohl die Bürgerämter als auch das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) für die Eintragung bedingter Sperrvermerke gemäß § 52 BMG zuständig, sobald sie Kenntnis davon erlangt haben, dass die betroffene Person in einer der in der Antwort zur Frage 9. genannten Einrichtungen wohnhaft gemeldet ist. Liegen die Voraussetzungen für eine Auskunftssperre nach § 51 BMG vor, hat die Meldebehörde auf Antrag oder von Amts wegen eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen. Zuständig für die Errichtung, Überwachung und Ablehnung von Auskunftssperren ist das Landesamt für Bürgerund Ordnungsangelegenheiten. b) Gibt es eine Konkretisierung der erforderlichen Tatsachen für eine Bewilligung des Antrages, die über § 51 Satz 1 und/oder das pflichtgemäße Ermessen des/der zuständigen Sachbearbeiters/Sachbearbeiterin hinausgehen? Zu 9.b.: Nein, maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls nach Anhörung des Betroffenen. Ein Ermessen ist nicht eröffnet. 10. Wie viele Auskunftssperren nach §51 BMG liegen derzeit im Land Berlin vor? Wie hat sich dies nach Einführung des BMG entwickelt? Zu 10.: Im Berliner Melderegister waren mit Datum vom 20. Februar 2018 insgesamt 13.541 Auskunftssperren auf der Grundlage des § 51 BMG erfasst. Mit Inkrafttreten des BMG zum 1. November 2015 hat sich die tatsächliche Anzahl der bewilligten Auskunftssperren nicht signifikant verändert. 11. Gibt es im Land Berlin Geschäftsanweisungen oder andere Regelungen, die dazu führen, dass Zeuginnen und Zeugen oder anderweitig gefährdeten Personen die Möglichkeit des Ersuchens einer Auskunftssperre nach § 51 BMG erläutert wird? Zu 11.: Nein. 12. Sind dem Senat Fälle seit 2006 bekannt, in denen Polizeibeamte Beschuldigten und/oder Zeugen vermittelt haben, dass sie kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO in Anspruch nehmen können? a) Falls ja, welche Disziplinarmaßnahmen wurden ergriffen? Seite 5 von 5 Zu 12. und 12.a.: Dem Senat liegen dazu keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen regelt § 55 StPO das Auskunftsverweigerungsrecht eindeutig. Berlin, den 27. Februar 2018 In Vertretung Christian Gaebler Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-13471 S18-13471