Drucksache 18 / 13 479 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Gottfried Ludewig (CDU) vom 13. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Februar 2018) zum Thema: Integrierte Maßnahmenplanung gegen sexualisierte Gewalt: „Wir setzen den IMP um…“ - wie steht es damit im Bereich Gesundheit (1) und Antwort vom 27. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Mrz. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Dr. Gottfried Ludewig (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13479 vom 13. Februar 2018 über Integrierte Maßnahmenplanung gegen sexualisierte Gewalt: ,,Wir setzen den IMP um …“- wie steht es damit im Bereich Gesundheit (1) ________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Seit wann und mit welchen Maßnahmen hat der Senat mit der Umsetzung der IMP -Forderung 1.1.1 b) begonnen und Schutzkonzepte in Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Kinderärztliche Praxen, Kinderkliniken , Institutsambulanzen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen / Jugendlichenpsychotherapeuten und andere relevanten Einrichtungen bzw. Heilberufe eingeführt und abgefordert? Wie viele Schutzkonzepte liegen bereits vor Zu 1.: Im Jahr 2016 wurden in Berlin fünf regionale Kinderschutzambulanzen an den Standorten Charité-Campus Virchow Mitte, Vivantes-Klinikum Neukölln, HELIOS-Klinikum Buch, DRK- Klinikum Charlottenburg und dem St. Joseph Krankenhaus Tempelhof eingerichtet, die die Einrichtungen des Gesundheitswesens und den Kinderschutz in Berlin besser vernetzen. Die Kinderschutzambulanzen (KSA) richten sich an Fachkräfte, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt stehen. Das sind z. B. niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte für Pädiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Familienhelferinnen und -helfer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kinder- und Jugendpsychiatrien , Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten, Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten, Jugendämtern sowie in Kinderschutzprojekten und andere Kontaktpersonen. Als kompetente Ansprechpersonen stehen die Ärztinnen und Ärzte der Kinderschutzambulanz zur Klärung von Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung (akute und chronische Formen von körperlicher oder seelischer Misshandlung, Vernachlässigung und/oder sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche) zur Verfügung. - 2 - 2 Die Kinderschutzambulanzen erfüllen folgende Aufgaben: - Erkennen und Einschätzen aller Formen von Kindesmisshandlungen - Planen eines koordinierten Vorgehens bezüglich Diagnostik und Sicherung der Ergebnisse - Durchführung von Elterngesprächen - Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt und dem Jugendamt - Abstimmung mit dem Jugendamt zur Übergabe in das entsprechende Hilfesystem zur Sicherung des Kinderschutzes - Regionale Zusammenarbeit und Kontakt mit dem „Netzwerk Kinderschutz / Frühe Hilfen“ Ziel ist es, in Berlin eine optimale Vernetzung mit den bereits vorhandenen Strukturen und Kompetenzen sowohl in den Gesundheits- und Jugendämtern als auch in Krankenhäusern und Arztpraxen zu gewährleisten. 2. Welche Maßnahmen hat der Senat eingeleitet, um gemäß IMP-Forderung 1.2.1 a) die Etablierung von Schutzkonzepten zur Vermeidung sexualisierter Gewalt durch das Personal in allen Berliner Krankenhäusern sicherzustellen? Zu 2.: Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung fördert die "Koordinierungs - und Interventionsstelle zur Förderung der Intervention und Prävention in der Gesundheitsversorgung bei häuslicher und sexualisierter Gewalt" in der Trägerschaft des S.I.G.N.A.L. e.V. Grundlegende Ziele sind u.a. der Erhalt, Ausbau und die systematische Verankerung von Interventions- und Präventionskonzepten in der Gesundheitsversorgung. Die Koordinierungsstelle arbeitet mit allen Akteurinnen und Akteuren der Interventionskette gegen häusliche und sexualisierte Gewalt zusammen, so auch mit Berliner Krankenhäusern . Das S.I.G.N.A.L.-Interventionsprogramm wird u.a. in der Charité Berlin, im Sankt Gertrauden-Krankenhaus Berlin sowie im Ev. Waldkrankenhaus Spandau umgesetzt. Im Übrigen haben die Krankenhäuser ein hohes Interesse an der Gewährleistung der Sicherheit und des Schutzes der Patientinnen und Patienten. Ihre Interventions- und Präventionsregelungen erstellen sie in eigener Zuständigkeit. 3. Mit welchem Ergebnis hat der Senat mit der Verbesserung der therapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen bei sexualisierter Gewalt begonnen und wie will er das Ziel, das psychotherapeutische Angebot für Kinder und Jugendliche in Berlin zu erweitern, erreichen (IMP-Forderung 2.3 a)? Zu 3.: In denen uns zur Verfügung stehenden Statistiken der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste werden keine Informationen erhoben, die für die Beantwortung verwendbar sind. 4. Welche Maßnahmen hat der Senat zur bedarfsorientierten Optimierung des Versorgungsangebots in den Rettungsstellen und der Gewaltschutzambulanz eingeleitet, um damit die bedarfsgerechte medizinische und therapeutische Versorgung von erwachsenen Betroffenen sexualisierter Gewalt sicherzustellen (IMP- Forderung 3.1)? - 3 - 3 Zu 4.: In Zusammenarbeit mit den Bezirken wurden auch Gewaltschutzambulanzen für Kinder ausgewählt, wo es der Versorgungsauftrag möglich macht. Im Krankenhausplan 2016 des Landes ist erstmals festgelegt, dass die Berliner Krankenhäuser, die an der Notfallversorgung teilnehmen, Konzepte zur adäquaten Versorgung von Erwachsenen und Kindern, die von häuslicher und/oder sexueller Gewalt betroffen sind, haben müssen. Von S.I.G.N.A.L. e.V. – Intervention im Gesundheitsbereich gegen häusliche und sexualisierte Gewalt – wurden in Fortbildungsveranstaltungen zum Umgang mit Opfern häuslicher und sexualisierter Gewalt bereits viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Notaufnahmen geschult. 5. Mit welchen Maßnahmen hat der Senat mit der Einrichtung eines Lotsensystems für Betroffene sexualisierter Gewalt im Gesundheitswesen begonnen, um sicherzustellen, dass Betroffene sexualisierter Gewalt mit einem entsprechend spezialisierten Beratungs- und Unterstützungsangebot adäquat versorgt werden können? (IMP Maßnahme 3.3) Zu 5.: Die Überlegungen des Senats zur Einrichtung eines Lotsensystems für Betroffene sexualisierter Gewalt im Gesundheitswesen sind bislang nicht abgeschlossen. 6. Welche Ergebnisse hat der Senat bis jetzt beim Ausbau von therapeutischen Behandlungs- und Unterstützungsangeboten , insbesondere bei der ambulanten traumatherapeutischen Versorgung für Betroffene sexualisierter Gewalt mit Migrationshintergrund und/oder mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen erreicht (IMP -Forderung 3.4 a)? Was bleibt noch offen Zu 6.: Die Sicherstellung der allgemeinen psychotherapeutischen Versorgung der Berliner Bevölkerung ist Aufgabe der Krankenkassen in Verbindung mit der Kassenärztlichen Vereinigung . Die einzelnen Vorschriften zur Umsetzung (beispielsweise die Zulassung von Therapeuten, Vergabe von Praxissitzen) sind grundsätzlich bundesgesetzlich geregelt. Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung Berlin beschreiben wiederholt die allgemeine ambulante psychiatrische Versorgung als sehr gut. Das Land Berlin muss in allen Arztgruppen im Vergleich zu anderen Regionen als weit überversorgt betrachtet werden. Dies gilt auch für die Gruppe der Psychotherapeuten. Die ambulante psychotherapeutische Versorgung mit ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten belegt im Bundesvergleich jeweils einen Spitzenplatz. Der Senat hat keine direkte Einflussmöglichkeit auf die Zulassung von Psychotherapeuten. Die Senatsverwaltung hat zwar gem. § 97 Absatz 5 SGB V die Aufsicht über die Geschäftsführung des Zulassungsausschusses, das bedeutet jedoch nicht, dass inhaltlich auf die Entscheidung des Zulassungsausschusses Einfluss genommen werden kann. Die Zulassung von Psychotherapeuten erfolgt gemäß § 95 Absatz 10 -13 SGB V. Die psychotherapeutische Versorgung wird nicht alleine durch die niedergelassenen Psychotherapeuten sichergestellt. Bei einer Einschätzung der Versorgungslage muss das ganze Feld der Akteure in den Blick genommen werden. - 4 - 4 Darunter fallen die stationären und teilstationären Angebote an den Berliner Krankenhäusern und insbesondere die 28 psychiatrischen Institutsambulanzen für Erwachsene und sechs psychiatrische Institutsambulanzen für Kinder und Jugendliche, die große Zahl von Arztpraxen mit zum Teil speziellen Angeboten für bestimmte Personenkreise und die Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung. Darüber hinaus sind spezialisierte Einrichtungen für Menschen mit einem Flucht- und Migrationshintergrund zu benennen, wie beispielsweise das Zentrum Überleben (vormals Behandlungszentrum für Folteropfer e.V.) und der Träger Xenion, Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. Seit 2016 steht ferner die Zentrale Clearingstelle der Charité mit interkulturellem fachärztlichem Personal zur Verfügung. 7. Welche finanziellen Mittel hat der Senat im Haushalt 2018/2019 für den Ausbau teilstationärer und stationärer traumatherapeutischer Behandlungsplätze für Betroffene sexualisierter Gewalt und Einrichtung von regionalen Traumatherapiestationen für Frauen in den Berliner Krankenhäusern vorgesehen? Wie viele Plätze sollen insgesamt errichtet werden und wie hoch ist das Platzangebot zurzeit? Zu 7.: Die Krankenhausförderung im Land Berlin erfolgt seit 01.07.2015 im Rahmen der Investitionspauschale nach § 10 Landeskrankenhausgesetz (LKG) unter weitestgehender Pauschalierung aller investiven Fördertatbestände, d.h. einschl. der Förderung von Baumaßnahmen (§ 10 Absatz 1 LKG). Entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des § 10 LKG wird die Investitionspauschale jährlich auf der Grundlage der jeweiligen Leistungsdaten an die Krankenhäuser ausgereicht. Die Krankenhäuser können mit diesen Mitteln eigenverantwortlich im Rahmen der Zweckbindung der Fördermittel frei wirtschaften. Konkrete Einzelmaßnahmen können daher nicht benannt werden. Nach derzeitigem Stand sind drei Standorte mit je 10 stationären und fünf teilstationären Kapazitäten, die regional ausgerichtet sind (je vier Bezirke), geplant . 8. Was hat der Senat bis jetzt unternommen, um niedrigschwellige Zugänge in das Gesundheits- und Sozialsystem zu ebnen, damit bestimmte Betroffene von sexualisierter Gewalt (z.B. aus dem Bereich Menschenhandel und besonders gefährdete junge Erwachsene mit ungesichertem Aufenthaltsstatus) Leistungen aus dem Gesundheits- und Sozialsystem in Anspruch nehmen können (IMP Maßnahme 3.4 c)? Zu 8.: Angesprochen sind in diesem Abschnitt unterschiedliche Zielgruppen, für die unterschiedliche Rechtsgrundlagen greifen (z.B. Opferentschädigungsgesetz - OEG, Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG). Ein wesentliches Problem des OEG ist, dass Leistungen der Trauma-Ambulanz nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn weiterhin Täterkontakt besteht, hier wäre eine Gesetzesänderung erforderlich, die in der Zuständigkeit des Bundes liegt. Für Opfer von Menschenhandel gibt es bereits Beratungsstellen, die - soweit noch nicht geschehen - für den Aspekt sexualisierter Gewalt qualifiziert werden sollen. Gerade im Hinblick auf Personen im Leistungsbereich des AsylbLG existiert mit dem Berliner Netzwerk besonders schutzbedürftiger Personen eine Struktur, die sich den besonderen Bedarfen dieser Personengruppe annimmt. - 5 - 5 9. Welchen Stand hat der Senat bei der Entwicklung eines Rahmenkonzeptes zur Verschränkung bestehender Therapie-, Trainings- und Beratungsangebote für Erwachsene erreicht, die sich gegenüber Minderjährigen sexuell grenzverletzend, übergriffig oder missbräuchlich verhalten, erreicht? Welche Umsetzungsschritte sind geplant? (IMP Maßnahme 1.1.2 a) Welche Therapien für erwachsene Täter(innen) zur Vermeidung von Rückfällen werden derzeit dazu gesamtstädtisch zielgruppen- und bedarfsorientiert konkret ausgebaut? Zu 9.: In der Frage 9. wird ein bereits straffällig gewordener Täterkreis beschrieben, nämlich der, der sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen betreibt/betrieben hat. Sexualstraftaten sind zunächst Gegenstand von Polizei, Justiz und Psychiatrie. Ein Beratungsund Therapieangebot erfolgt also im Rahmen von Strafvollzug und Maßregel bzw. der anschließenden Bewährungszeit und Führungsaufsicht der Täter. Diese Maßnahmen - Bewährung und Führungsaufsicht - sind staatliche Pflichtaufgaben, die in den §§ 68 und 68ag Strafgesetzbuch - StGB beschrieben werden. Im Land Berlin werden gefährliche Sexualstraftäter aus dem Justizvollzug und dem Krankenhaus des Maßregelvollzugs, beispielsweise in der forensischen Ambulanz (§ 68a StGB), betreut und behandelt. Auch innerhalb des Vollzugs der Maßregel werden, sofern die untergebrachte Person freiwillig teilnimmt, umfangreiche psychiatrische Behandlungsangebote gemacht. In der Maßregelvollzugseinrichtung des Landes Berlin besteht ein spezielles zweijähriges Therapieprogramm. Dieses umfasst psychotherapeutische Einzelund Gruppengespräche, Trainingsprogramme und die medikamentöse Behandlung. Eine Entlassung aus der Maßregel für Sexualstraftäter ist ohne dieses Behandlungsprogramm in der Regel nicht möglich. Ziel der Therapie ist stets, sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche zu verhindern. Die Behandlung von potenziellen Tätern, also Personen die noch nicht straffällig geworden sind, steht im Fokus des Präventionsprojektes Dunkelfeld, das seit 2005 am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité etabliert wurde. Das Forschungs- und Therapieprojekt hat das Ziel der Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und richtet sich an Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und verhindern wollen, dass aus ihren Phantasien Taten werden. Die ehemalige Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz hat für dieses Projekt „Kein Täter werden“ für 2017 insgesamt rund 570.000 € zur Verfügung gestellt. Seit Januar 2018 wird die Therapie im Netzwerk „Kein Täter werden“, die für Teilnehmer schon immer kostenlos war, eine von der gesetzlichen Krankenkasse finanzierte Leistung. Damit endet die Förderung durch Landes- und Bundesministerien, die das Projekt mit seinen zwölf Anlaufstellen in Deutschland bislang finanziert hatte. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Finanzierung als Leistung der GKV auf die Inanspruchnahme auswirken wird. Berlin, den 27. Februar 2018 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung S18-13479 S18-13479