Drucksache 18 / 13 537 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sibylle Meister (FDP) vom 20. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Februar 2018) zum Thema: Vorkaufsrechte und das Allgemeinwohl und Antwort vom 05. März 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Mrz. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Frau Abgeordnete Sibylle Meister (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13 537 vom 20. Februar 2018 über Vorkaufsrechte und das Allgemeinwohl Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie definiert der Senat Zusammensetzung der Wohnbevölkerung? Ist damit die Bevölkerungsstruktur im gesamten Erhaltungsgebiet gemeint? Oder liegt eine kleinteiligere Struktur (Straße, Immobilie) zugrunde? Antwort zu 1: Soziale Erhaltungsverordnungen sollen den in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen den Bestand der Umgebung sichern. Ziel ist es, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung eines Gebiets vor unerwünschten Veränderungen zu schützen. Die Wirksamkeit einer Erhaltungsverordnung setzt nicht voraus, dass im Geltungsbereich der Verordnung eine Bevölkerungsstruktur besteht, die im Vergleich zu anderen Gebieten Besonderheiten aufweist. Schutzwürdig ist daher ein Gebiet mit grundsätzlich jeder Art von Wohnbevölkerung, soweit deren Zusammensetzung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll. Gemeint ist demgemäß die Bevölkerungsstruktur im gesamten Erhaltungsgebiet, nicht die Bevölkerungsstruktur eines Straßenzuges oder einer Immobilie. Frage 2: Worauf stützt der Senat seine Vermutung, dass bei einem potentiellen Mieterwechsel (nach erfolgtem Verkauf) die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sich vor dem Hintergrund der Mietpreisbremse grundlegend ändern wird? Frage 3: Worauf stützt sich die Annahme, dass eine Änderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zwangsläufig dem Allgemeinwohl zuwiderläuft? 2 Frage 4: Was sind die Kriterien, die im Zuge des Ermessensspielraums der Bezirksämter herangezogen werden, um zu beurteilen, ob das Verhalten des Käufers zu einer Änderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung führen wird? Antworten zu 2, 3 und 4: Angesichts sehr hoher und weiter steigender Immobilienpreise ist es naheliegend, dass zur Refinanzierung eines Kaufs alle Möglichkeiten der wirtschaftlichen Verwertung genutzt werden. Dies schließt das Ausschöpfen aller Mietsteigerungsmöglichkeiten - auch über Modernisierungen - ebenso ein, wie die Begründung von Wohnungseigentum und den anschließenden Verkauf der Wohnungen. Dies erzeugt Druck, der auch im Rahmen des gesetzlichen Mieterschutzes Veränderungen der Zusammensetzung der Wohnbevölkerungen stimuliert. Die Ausübung eines Vorkaufsrechts in sozialen Erhaltungsgebieten liegt im Ermessen des jeweiligen Bezirks und ist vom Einzelfall abhängig. Der Bezirk hat aufgrund einer Gesamtwürdigung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen, ob der Kauf und die mit ihm verfolgten Absichten eine Beeinträchtigung der Belange der Erhaltungsverordnung zur Folge haben können. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt den Vorkauf, wenn er das Erhaltungsziel der Verordnung fördert, insbesondere wenn er dazu beitragen kann, erhaltungswidrigen Entwicklungen vorzubeugen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann dabei zum Wohl der Allgemeinheit aus unterschiedlichen Gründen gerechtfertigt sein. Relevante Tatsachen können sich z.B. aus dem Kaufvertrag selbst, aus bauaufsichtlichen Anträgen des Käufers, sonstigen Verwendungsabsichten des Käufers oder aus anderen Umständen ergeben. Anhaltspunkt im Kaufvertrag kann ein Kaufpreis sein, der wegen seiner Höhe wirtschaftlich nur zu rechtfertigen ist, wenn das gekaufte Grundstück anders als bisher genutzt werden soll. Auch ein Antrag auf Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung nach dem WEG kann auf Absichten des Erwerbers hindeuten, die mit den Zielen der Erhaltungsverordnung nicht übereinstimmen. Ferner kann die Äußerung des Käufers, eine Abwendungserklärung bzw. –vereinbarung nicht abgeben zu wollen, den Vorkauf rechtfertigen. Frage 5: Liegt der Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur eine Stichtagserhebung zugrunde? Wie wird über einen mehrjährigen Zeitraum sichergestellt, dass die Bevölkerungsstruktur, die sich auf Grund normalen Umzugsverhaltens ändert, Beachtung findet? Antwort zu 5: Ja. Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung eines Gebiets wird zu einem bestimmten Stichtag erhoben und bestimmt. Die Angaben sind in den Untersuchungen zur Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen für eine soziale Erhaltungsverordnung dargestellt. Die Untersuchungen werden von den Bezirken regelmäßig fortgeschrieben und die Anwendungsvoraussetzungen geprüft. In diesem Zusammenhang werden auch die Angaben zur Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aktualisiert. Nach Auskunft der Bezirke orientiert die Mehrzahl auf einen Fünf-Jahres-Rhythmus bei der Prüfung, wobei eine Spanne von drei bis sieben Jahren anzutreffen ist. 3 Frage 6: Welche Rolle spielen die Einkommenssituation der Haushalte der entsprechenden Objekte? Welche Rolle spielen soziokulturelle Merkmale der Bewohner bei der Auswahl? Inwiefern ist die bisherige Mietdauer der Bewohner entscheidend für die Ausübung eines Vorkaufsrechts? Bitte zu allen vorgenannten Kriterien genaue Kennzahlen angeben soweit dies möglich ist. Antwort zu 6: Bei der Prüfung für die Ausübung des Vorkaufsrechts spielen die wirtschaftliche Situation der Haushalte, demographische und soziostrukturelle Merkmale der Haushaltsmitglieder sowie die Mietdauer der Haushalte in den entsprechenden Objekten keine Rolle. Diese Angaben werden im Rahmen der Prüfung auch nicht erhoben und sind auch nicht als Prüfkriterien im Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in Berlin (Juli 2017) dargestellt. Frage 7: Welchen rechtlichen Schutz genießen die Mieter von Häusern, die durch Ausübung von Vorkaufsrechten von der öffentlichen Hand oder landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften erworben wurden? Gelten für diese Mieter Regelungen bezüglich Mietsteigerungen die über mietrechtliche Regelungen hinausgehen? Welcher Kündigungsschutz gilt für die Mieter? Welche Regelungen gelten bezüglich Modernisierungsumlagen für die Mieter? Antwort zu 7: Es gilt der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“. Der Erwerber der Immobilie tritt in alle Rechte und Pflichten der bestehenden Mietverhältnisse ein. Grundsätzlich gelten bei einem Vorkauf zugungsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft die Regelungen insbesondere zum Erhalt sozialverträglicher Mieten aus der zwischen dem Senat und den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften geschlossenen Kooperationsvereinbarung „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung “. Frage 8: Wie stellt der Senat sicher, dass alle Berliner Mieter, deren Mietshäuser verkauft werden, die gleiche Chance haben, dass ihr Objekt von der öffentlichen Hand aufgekauft wird? Frage 9: Gibt es Kriterien, nach denen ein Vorkaufsrecht in einem Erhaltungsgebiet ausgeübt werden muss? Antworten zu 8 und 9: Primäres Ziel bei jedem Vorkaufsfall ist es, mit dem Käufer eine Abwendungsvereinbarung abzuschließen, um auf diesem Wege die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im jeweiligen Gebiet zu schützen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sollte erfolgen, wenn der Käufer nicht bereit ist, eine Abwendungserklärung bzw. -vereinbarung abzugeben und die Ziele der jeweiligen Erhaltungsverordnung auch nicht auf anderem Wege geschützt werden können. 4 Darüber hinaus ist die Prüfung und ggf. die Ausübung eines Vorkaufsrechts eine Einzelfallentscheidung und von den jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten abhängig. Berlin, den 05.03.18 In Vertretung Sebastian Scheel ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen S18-13537 S18-13537