Drucksache 18 / 13 672 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vom 28. Februar 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. März 2018) zum Thema: Fragen zur Kita-Broschüre zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Antwort vom 20. März 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Mrz. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13 672 vom 28. Februar 2018 über Fragen zur Kita-Broschüre zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: In der Broschüre wird darauf verwiesen, dass der Erarbeitung ein Beschluss des Abgeordnetenhauses zugrunde liegt und demnach „Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt aktiv in die frühkindliche pädagogische Arbeit einzubringen” sind. Aber weder im Abgeordnetenhausbeschluss aus dem Jahr 2009 noch in den darauf folgenden Mitteilungen zur Kenntnisnahme gibt es einen derart konkreten politischen Auftrag. Daraus ergeben sich insbesondere folgende Fragen: 1. Wie und in wessen Auftrag kam es dazu, eine solche Broschüre heraus zu geben? Gab es für die Notwendigkeit dieser Herausgabe vorher ein Monitoring zur Situation in den Berliner Kitas, wie zum Beispiel für den Bereich Schule, wo eine Studie mit dem Titel „Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen” erstellt wurde? Zu 1.: Die pädagogische Handreichung „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ wurde von der „Bildungsinitiative Queerformat“ erarbeitet und von Queerformat in Verbindung mit dem Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin- Brandenburg (SFBB) herausgegeben. Die Herausgabe einer Broschüre zu Fortbildungszwecken gründet auf den Anregungen und den Erfahrungen, sowie der Evaluation der Fort- und Weiterbildungsarbeit im Rahmen der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ (ISV). Die Broschüre ist als „Handreichung“ für Pädagoginnen und Pädagogen konzipiert, es sind didaktische und pädagogische Materialien zu Themen zusammengestellt, die im Rahmen der ISV in der Praxis entstanden sind. 2. Wurden, wie im Abgeordnetenhausbeschluss aus 2009 festgelegt, für die denkbaren Bildungs-Aktivitäten zum Thema sexuelle Vielfalt mit freien Trägern – in diesem Fall mit den Kita-Trägern – Maßnahmen besprochen und abgestimmt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, hat der Senat selbst die Gespräche geführt oder dies allein dem Bildungsträger „Queerformat” überlassen? Welche Ergebnisse gab es? - - 2 Zu 2.: Die Angebote der Bildungsaktivitäten zum Thema sexuelle Vielfalt sind seit 2010 den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe über den Landesjugendhilfeausschuss, die Jugendämter , die Jugendhilfeausschüsse der Bezirke, über fachlich und regional zuständige Gremien und Schlüsselpersonen, über Multiplikatoren und Einrichtungen bekannt gemacht worden . Die Inhalte der Informationsveranstaltungen, der Basis-und Tagesseminare und der Kurzzeitfortbildungen werden mit dem jeweilig nachfragenden Träger bzw. der Einrichtung nach Zielgruppe und Fragestellung abgestimmt. Die Abstimmung des grundsätzlichen Konzepts und der Jahresplanung erfolgt zwischen dem zuständigen SFBB und der Bildungsinitiative Queerformat, die dann die Umsetzung übernimmt. 3. Wurden entsprechende Kontakte zur Bearbeitung der Thematik mit dem Landeselternausschuss Kita (LEAK) gesucht? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, durch wen und mit welchem Ergebnis? Zu 3.: Queerformat hat den LEAK am 10.02.2014 über das ISV Fortbildungsprogramm informiert. Der LEAK hat in einer Presseerklärung vom 21.02.2018 die Broschüre sehr positiv bewertet . 4. Gab es vor der Herausgabe der Broschüre bereits Weiterbildungsangebote für das Kitapersonal zum Thema „sexuelle Vielfalt in der Kita”? Seit wann gibt es diese Angebote, auf welches Interesse trafen sie und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kitas nahmen daran teil? Zu 4.: Mit Beginn der Umsetzung der ISV im Jahr 2010 werden Fort- und Weiterbildungen für Fachkräfte der Kindertagesbetreuung zum Thema „sexuelle Vielfalt in der Kita“ angeboten. Einrichtungen und Träger entscheiden in eigener Verantwortung über die Wahrnehmung der Angebote und stimmen die Inhalte zielgruppenspezifisch ab. Jährlich waren seit 2010 im Durchschnitt zwischen 800 und 900 Fachkräfte beteiligt; im Jahr 2017 nahmen an 42 Veranstaltungen und 32 Fortbildungsberatungen insgesamt 673 Beschäftigte teil. 5. Ist der Senat mit uns einer Auffassung, dass die Kita-Broschüre nicht allein stehen darf, sondern nur als Teil einer verpflichtenden Weiterbildung für das Erzieherpersonal seine fachliche Wirkung entfalten kann? Wenn ja, welche Maßnahmen wird der Senat für die Etablierung einer verpflichtenden Weiterbildung ergreifen ? Zu 5.: Die Fort- und Weiterbildung für das pädagogische Personal in Kindertageseinrichtungen ist regelhaft eingebettet in die fachlichen Entwicklungsprozesse der Kindertagesbetreuung. Leitlinie für die Angebotsplanung sind die Umsetzung des Berliner Bildungsprogramms und die Qualitätsvorgaben für die pädagogische Arbeit in den Einrichtungen. Kriterien der internen Evaluation sind: Respekt vor den Rechten des Kindes (Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention), Achtung der Eigenständigkeit des Kindes und seiner Individualität, Entgegenwirkung gegen alle Formen der Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung , Gerechtigkeit, Gleichheit, Akzeptanz, Fairness. - - 3 Eine Vielzahl von Fortbildungsanbietern unterstützt die Träger der Kindertageseinrichtungen bei der bedarfsgerechten Personalentwicklung der Fachkräfte. Die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen gehört zu den arbeitsrechtlichen Pflichten von Beschäftigten und spiegelt sich letztendlich in der Qualität der Einrichtung. Arbeitgeber können ihren Beschäftigten Auflagen zur verpflichtenden Weiterbildungen erteilen. 6. Hält es der Senat für ausreichend, wenn eine Kita sich über die vorgeschlagene Checkliste der Broschüre „selbst bescheinigt”, zu einer „aufgeschlossenen und vorurteilsfreien” Kita zu gehören? Welche weiteren Kontrollmechanismen müssen eingebaut werden, damit eine Einrichtung nachhaltig und langfristig sich den damit verbundenen Fragen mit dem notwendigen Fachwissen stellt? Zu 6.: Die in der Broschüre verwendete Checkliste ist ein Instrument für Beschäftigte zur Bestandsaufnahme , ob oder wie Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in den Einrichtungen analysiert werden können. Die Ergebnisse können als Grundlage für weitere Diskussionen und die Ermittlung von möglichen Handlungsstrategien zur nachhaltigen und langfristigen Beschäftigung mit der Thematik verwendet werden. Die Broschüre vermittelt dafür benötigtes Fachwissen. Im Sinne von „Kontrollmechanismen“ verlangt die interne und externe Evaluation der Arbeit der Kindertageseinrichtungen: Eine reflektierte Haltung der Pädagoginnen und Pädagogen bzgl. Geschlechterrollen Klare und situationsbezogene Antworten auf Fragen zu Körper, Geschlecht und Sexualität Die Beobachtung der individuellen geschlechtlichen Identitätsentwicklung der Kinder Den Einsatz von Medien mit vielfältigen Rollenbildern und einem breiten Spektrum an Lebensformen. 7. Geht der Senat konform mit der konkreten Handlungsempfehlung der Broschüre, bei der die „Sichtbarmachung von vielfältigen Lebensweisen bei allen Angeboten und Aktivitäten” sowie das „Einüben alternativer Perspektiven” gefordert wird? Wie will der Senat verhindern, dass es dadurch zu unzulässigen Überbetonungen kommt, die Kinder und Erzieher überfordern? Wie will der Senat verhindern, dass damit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in einer Kita „zwanghaft” werden? 8. Wie bewertet der Senat in diesem Zusammenhang kritische Äußerungen von Kita-Leiterinnen, nachzulesen in der Berliner Presse, dass sie diese Forderung aus der Broschüre für völlig überzogen halten, weil dann durchaus die Gefahr einer Sexualisierung des Kita-Alltags bestehe? 10. Warum misst der Senat dem Thema der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt gerade in der Kita eine so hohe politische Bedeutung bei, wenn selbst in der Broschüre eingeräumt wird, dass Kindern „die sexuelle Orientierung frühestens ab einem Alter von 10 Jahren bewusst wird”? Müsste demzufolge nicht größerer Wert auf die Aufklärung in der Schule und in den Jugendeinrichtungen gelegt werden? Welche vergleichbaren Infomaterialien gibt es hier für Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen? Zu 7., 8. und 10.: Diese Handreichung beinhaltet keinen sexualpädagogischen Zugang zu Themen der Aufklärung von Kindern, vielmehr greift sie fachliche Vorgaben, ebenso wie das Kita- Förderungsgesetz (KitaFöG) und das Berliner Bildungsprogramm (BBP) auf, sexuelle Identität und Geschlecht zu thematisieren. Hier konkretisiert sich der unmittelbare Auftrag des Bildungsprogramms, das schon seit 2014 den Gleichheitsanspruch in Bezug auf geschlechtlich -kulturelle Vielfalt als Aufgabe inklusiver Bildung bezeichnet. Im Mittelpunkt - - 4 steht der Zusammenhang von Vielfalt, Inklusion und Inklusionspädagogik. In der Handreichung wird – im Sinne des Berliner Bildungsprogramms – ein erweitertes Inklusionsverständnis vertreten, das sich nicht nur auf das Thema Behinderung und Beeinträchtigung, sondern auf alle relevanten Diversity-Dimensionen bezieht. Für Schulen gibt es verschiedenste Materialien, die pädagogische Fachkräfte aber auch Schülerinnen und Schüler ansprechen. 9. Wie will der Senat sicherstellen, dass die Angemessenheit im praktischen Handeln – auch bezogen auf die unterschiedlichen Altersstufen in einer Kita – gewahrt bleibt? Wer soll diese Angemessenheit überprüfen und mit dem Kitapersonal auswerten? Zu 9.: Die entwicklungsgerechte Vermittlung und Umsetzung von Bildungsinhalten bedarf der Reflektion und Anleitung in Teambesprechungen, Einzelgesprächen, Fachtagungen und vergleichbaren Formalen. Träger und Kitaleitung sind für die qualitative Ausgestaltung des Qualitätsprozesses verantwortlich. In Konfliktfällen wird die Einrichtungsaufsicht eingeschaltet . 11. Wie viel Geld hat die zuständige Senatsverwaltung für die Erstellung und den Druck der Broschüre bereitgestellt ? Wie hoch war die Auflage und wird es eine Nachauflage geben? 12. Wie viel Personal war in welchem Zeitraum mit der Erstellung der Broschüre befasst? Zu 11. und 12.: Für die Entwicklung von didaktischem, pädagogischen Material für die Fortbildungsarbeit, zu dem auch diese „Handreichung“ gehört, standen der Bildungsinitiative Queerformat im Jahr 2017 insgesamt ca. 8.000 € zur Deckung von Personalkosten zur Verfügung. Die Grafik- und Druckkosten belaufen sich auf 7.500 € bei einer Erstauflage von 2000 Stück. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat entschieden, für die eigenen Kitas einen zusätzlichen Druck von 1000 Stück zu veranlassen. Bis auf weiteres steht die Broschüre zusätzlich zum Download zur Verfügung. 13. Wer erhält diese Broschüre (bitte Aufschlüsselung des Verteilers im Land Berlin und im Land Brandenburg )? Zu 13.: Die Broschüre kann von den Berliner Kindertageseinrichtungen bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie angefordert werden. Alle Einrichtungen wurden über die Existenz der Broschüre informiert. Zusätzlich steht die Broschüre als Download im Internet zur Verfügung. 14. Trifft es zu, dass es zur aktuellen Broschüre bereits eine „Vorläufer-Version” gegeben haben soll? Wenn ja, wie hoch war deren Auflage? Welche gravierenden inhaltlichen Änderungen wurden dazu im Vergleich in der „Neuauflage” vorgenommen? - - 5 Zu 14.: Ja. Die Tagungsdokumentation „Vielfalt fördern von klein auf“ vom 14. Oktober 2013 war mit einer Auflage von 1000 Exemplaren und als Download erhältlich. Die Neuauflage unter dem Titel „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ enthält ergänzend die seitdem in die Fortbildungsarbeit aufgenommenen Entwicklungen zum Thema. 15. Welche finanziellen Mittel sind im Haushalt 2018/2019 für die Fortbildung von Erzieherinnen und Erzieher im Kitabereich für folgende Themen vorgesehen: - sexuelle Entwicklung von Kindern und kindliche Sexualität, - sexuelle Übergriffe unter Kindern sowie - Erkennen einer Kindeswohlgefährdung? Zu 15.: Im SFBB nehmen zwei hauptamtliche Fortbildungsreferentinnen mit Stundenanteilen die Konzipierung und Angebotsplanung für die genannten Themen wahr. An der Durchführung der Veranstaltungen zu diesen Themen im Bereich Kindertagesbetreuung sind Honorardozent innen und Honorardozenten beteiligt, für die ca. 30.000 € jährlich eingeplant sind. 16. Ist der Senat bereit, in Abstimmung mit den Kita-Trägern ein Monitoring über die Ergebnisse der praktischen Umsetzung der Handlungsempfehlungen der Broschüre zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in den Berliner Kitas zu veranlassen bzw. eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wer käme nach Auffassung des Senats dafür infrage? Zu 16.: Die Handreichung bietet eine Materialsammlung zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und einen Beitrag zur Inklusionspädagogik. Als Arbeitshilfen sind in der Praxis erprobte Grundlagentexte, Praxishilfen, didaktische Materialien und Literatur zusammengestellt . Die Vergabe einer wissenschaftlichen Studie ist nicht geplant, vielmehr ist die Umsetzung des Berliner Bildungsprogramms zum Thema Vielfalt und inklusive Bildung Teil der vom Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BeKi) koordinierten Evaluationsprozesse der Kitaträger. Berlin, den 20. März 2018 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie S18-13672 S18-13672