Drucksache 18 / 14 814 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Evers (CDU) vom 23. April 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. April 2018) zum Thema: Alter Wein in neuen Schläuchen – welche Pläne hat der Senat für die Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors in Berlin? und Antwort vom 08. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Mai 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei Herrn Abgeordneten Stefan Evers (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen – A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/14814 vom 23. April 2018 über Alter Wein in neuen Schläuchen – welche Pläne hat der Senat für die Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors in Berlin? __________________________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Erörterungen haben bisher im Senat zur Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors in Berlin stattgefunden? Zu 1.: Im Senat selbst haben dazu bisher keine Erörterungen stattgefunden. 2. Aus welchen Gründen bezeichnet der Regierende Bürgermeister einen neuen Öffentlichen Beschäftigungssektor regelmäßig als „Solidarisches Grundeinkommen“, obwohl das Konzept weder neu ist, noch etwas mit der Idee eines „Grundeinkommens“ zu tun hat? Zu 2.: Der Regierende Bürgermeister hat am Ende Oktober 2017 zu Beginn seiner Bundesratspräsidentschaft im Tagesspiegel einen Namensbeitrag unter dem Titel „Digital und Sozial“ veröffentlicht und darin angekündigt, dass er sich als Bundesratspräsident verstärkt bundespolitisch mit diesem Thema auseinandersetzen wird. In dem Diskurs zu den Herausforderungen der Digitalisierung und Automatisierung tauchte erstmals der Gedanke und Begriff eines „Solidarischen Grundeinkommens“ (SGE) auf, um dem durch die Digitalisierung zu befürchtenden Arbeitsplatzabbau durch neue sozial- und arbeitspolitische Maßnahmen entgegenzuwirken. Diese Diskussion adressierte ganz klar die gesamte bundesdeutsche Politik und Gesellschaft und ist somit nicht auf die Berliner Ebene beschränkt. 2 Die Idee des Solidarischen Grundeinkommens ist ein neuer Ansatz, da sie gekoppelt ist mit einem neuen Recht auf Arbeit, das perspektivisch ein wie unten beschriebenes Arbeitsangebot für Menschen an der Schwelle zum ALG II oder im ALG II in der gesamten Bundesrepublik Deutschland vorsieht. Es handelt sich dabei um im öffentlichen Sektor angebotene Tätigkeiten in zusätzlichen, unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen und mindestens zum Mindestlohn vergüteten Arbeitsverhältnissen, deren Annahme freiwillig ist. Der Regierende Bürgermeister hat diese Arbeit im weiteren Diskurs auch als „erweiterte Daseinsvorsorge“ bezeichnet. Mit dem Solidarischen Grundeinkommen entsteht eine neue Form der Solidarität und des Zusammenhalts zwischen den Arbeitsuchenden und der Gesellschaft. Die Gesellschaft gibt über die Öffentliche Hand Arbeit, von der die Gemeinschaft profitiert und die den Arbeitsuchenden wieder gesellschaftliche Teilhabe und soziale Anerkennung bietet. 3. Welche Erfahrungen haben dazu geführt, dass der Öffentliche Beschäftigungssektor in Berlin abgewickelt wurde? Zu 3.: Maßgeblich für die Entscheidung, den Öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) in der 17. Wahlperiode nicht mehr in der bewährten Form fortzuführen, war die von der damaligen Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, verantwortete spürbare Reduzierung des Titels für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit in Verbindung mit der 2011 beschlossenen Reform des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums. 4. Wie plant der Regierende Bürgermeisters bei der Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors die daraus erfahrungsgemäß entstehenden Probleme (hohe Kosten bei geringem Wirkungsgrad , Abgrenzung zu tariflich entlohnten Tätigkeiten, Verdrängungseffekte) zu lösen? Zu 4.: Der Senat plant derzeit keine „Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors “. Er beteiligt sich an der Diskussion um die Ausgestaltung des von der Bundesregierung angekündigten Regelinstruments im SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“ und des Passiv-Aktiv-Transfers. 5. In welchen Bereichen bzw. für welche Tätigkeiten plant der Regierende Bürgermeister, Stellen zur Beschäftigung arbeitsloser Berlinerinnen und Berliner zum Mindestlohn zu schaffen und warum wurden für diese Aufgaben nicht längst tariflich entlohnte Stellen geschaffen? Zu 5.: Der gesellschaftliche Diskurs zu dem Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters für ein Solidarisches Grundeinkommen als mögliche neue Säule des Sozialstaats in Ergänzung des derzeitigen „Hartz IV“-Systems steht erst am Anfang. Wichtig ist dem Regierenden Bürgermeister eine breite gesellschaftliche Akzeptanz des Modells. Deswegen werden zurzeit Gespräche mit verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Akteuren geführt, in denen es auch um die mögliche Palette von neuen, der Gemeinschaft zugutekommenden SGE-Tätigkeiten geht. Ziel ist es, für das Konzept bundesweit Unterstützung zu generieren und damit einhergehend angesichts der grundlegenden Neuausrichtung unseres Sozialsystems eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Gerade der Diskurs mit den Tarifpartnern wird unter ande- 3 rem dazu führen, dass es zu keiner Verdrängung von vorhandener Arbeit kommen kann. 6. Welche Möglichkeiten sehen die landeseigenen Unternehmen, insbesondere Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zum Mindestlohn zu übernehmen bzw. ist mit ihnen je über dieses Vorhaben gesprochen worden? 7. Welche Stellen kommen aus Sicht der landeseigenen Unternehmen für die Beschäftigung der o.a. Personengruppe in Betracht, in welchem Umfang sollen sie geschaffen werden und welche Kosten sind damit verbunden (Aufstellung gegliedert nach Unternehmen)? 8. Welche Möglichkeiten sehen die Bezirksverwaltungen, insbesondere Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zum Mindestlohn zu übernehmen bzw. ist mit ihnen je über dieses Vorhaben gesprochen worden? 9. Welche Stellen kommen aus Sicht der Bezirksverwaltungen für die Beschäftigung der o.a. Personengruppe in Betracht, in welchem Umfang sollen sie geschaffen werden und welche Kosten sind damit verbunden (Aufstellung gegliedert nach Bezirken)? 10. Welche Möglichkeiten sehen die Senatsverwaltungen, insbesondere Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zum Mindestlohn zu übernehmen bzw. ist mit ihnen je über dieses Vorhaben gesprochen worden? 11. Welche Stellen kommen aus Sicht der Senatsverwaltungen für die Beschäftigung der. o.a. Personengruppe in Betracht, in welchem Umfang sollen sie geschaffen werden und welche Kosten sind damit verbunden (Aufstellung gegliedert nach Senatsverwaltungen)? 12. Mit welchen dauerhaften Gesamtkosten für die öffentliche Hand rechnet der Regierende Bürgermeister im Fall der Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors, in welcher Weise und in welchem Umfang plant der Bund sich zu beteiligen und ist die Kostenbeteiligung des Bundes auf Dauer gesichert? Zu 6.-12.: Konkrete Aussagen dazu können erst gemacht werden, wenn die Eckpunkte für ein Solidarisches Grundeinkommen wie unter 5. beschrieben erarbeitet und abschließend zwischen den Fachressorts und der Bundesebene abgestimmt sind. Da der Grundgedanke des Solidarischen Grundeinkommens ist, dass die Mittel aus ALG II zukünftig mindestens in Ergänzung zum sogenannten „Hartz-IV-System“ für die Schaffung neuer Arbeit genutzt werden statt zur Verwaltung von Arbeitslosigkeit, kommt der Verständigung mit den im Bund zuständigen Stellen – hier besonders dem Bundesarbeitsministerium – große Bedeutung zu. 13. Welche Senatsverwaltung ist für die Umsetzung eines neuen Öffentlichen Beschäftigungssektors in Berlin zuständig, welche konzeptionellen Vorarbeiten haben dort dazu stattgefunden und wie hat der Regierende Bürgermeister sie im Vorfeld der öffentlichen Vermarktung dieser alten Idee einbezogen? 14. Wer war ansonsten noch in welcher Weise in die konzeptionellen Vorarbeiten für die Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors in Berlin einbezogen? 15. Gab es überhaupt konzeptionelle Vorarbeiten im Senat? Zu 13. – 15.: S. Antwort zu 4. 4 16. Wie konnte es passieren, dass das Konzept eines Öffentlichen Beschäftigungssektors in der Darstellung des Regierenden Bürgermeisters mit dem Begriff eines „Grundeinkommens“ vermengt wurde und handelt es sich dabei womöglich um ein Versehen oder eine Verwechslung? Zu 16.: S. Antwort zu 2. 17. Plant der Regierende Bürgermeister, das Ziel der Vermittlung arbeitsloser Menschen in den ersten Arbeitsmarkt aufzugeben und wenn nein, wie hat man sich die Vermittlungsbemühungen für Personen vorzustellen, die sich in einem unbefristeten öffentlichen Beschäftigungsverhältnis zum Mindestlohn befinden? Zu 17.: Die Vermittlung Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt durch die Arbeitsagenturen und die Jobcenter ist immer vorrangig. SGE-Arbeit soll angeboten werden, wenn die Arbeitsvermittlung bzw. Qualifizierungen während des ALG I-Bezugs erfolglos waren und Langzeitarbeitslosigkeit droht oder bereits vorliegt. Die mit dem Solidarischen Grundeinkommen verbundenen öffentlichen Tätigkeiten sind zusätzliche, unbefristete , sozialversicherungspflichtige und mindestens zum Mindestlohn vergütete Arbeitsverhältnisse , deren Annahme freiwillig ist. Die Tätigkeiten unterscheiden sich damit vorrangig durch ihre soziale Ausrichtung von Tätigkeiten im sogenannten ersten Arbeitsmarkt oder der staatlichen Daseinsvorsorge. Das bedeutet auch, dass es aus diesen Tätigkeiten heraus jederzeit berufliche Veränderungen in den Privatsektor geben kann oder den beruflichen Aufstieg in andere Tätigkeiten bei einem zum Beispiel kommunalen Arbeitgebenden. Wie bei jedem Arbeitnehmenden werden zudem Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote eine große Rolle spielen. Denn gerade angesichts der Digitalisierung und Automatisierung wird das so genannte „lebenslange Lernen“ und seine Organisation und Finanzierung zukünftig in jedem Arbeitsleben eine zunehmende Rolle spielen. Dies zu gewährleisten wird für Politik, Gemeinschaft und Wirtschaft eine der großen Herausforderungen der Zukunft. 18. Wie wird sich die Wiederauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektors in Berlin auf die Bemühungen zur Weiterbildung und Qualifizierung arbeitsloser Berlinerinnen und Berliner und ihre Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt auswirken? 19. Warum hält es der Senat nicht für sinnvoller, die offensichtlich für die Neuauflage eines Öffentlichen Beschäftigungssektor verfügbaren erheblichen zusätzlichen Mittel für eine Ausweitung der Anstrengungen zur Weiterbildung und Qualifizierung arbeitsloser Berlinerinnen und Berliner zu verwenden und so zielgerichtet die Aussichten für eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt zu verbessern? Zu 18. + 19.: S. Antwort zu 4.. Berlin, den 08.05.2018 Der Regierende Bürgermeister In Vertretung Christian Gaebler Chef der Senatskanzlei S18-14814 S18-14814