Drucksache 18 / 14 914 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (LINKE) vom 03. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Mai 2018) zum Thema: Entwicklungen im Maßregelvollzug nach der Gesetzesänderung und Antwort vom 17. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Mai 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/14914 vom 03. Mai 2018 über Entwicklungen im Maßregelvollzug nach der Gesetzesänderung ________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Personen wurden zwischen dem 1.1.2012 und dem 1.8.2016 sowie seit dem 1.8.2016 aus dem Maßregelvollzug in Berlin entlassen? Zu 1.: Im Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 01.08.2016 wurden einschließlich der gem. § 126a der Strafprozessordnung (StPO) untergebrachten Personen insgesamt 836 Patientinnen und Patienten entlassen, davon 311 Patientinnen und Patienten, die gem. § 63 des Strafgesetzbuches (StGB) im Krankenhaus des Maßregelvollzugs Berlin (KMV) untergebracht waren. Im Zeitraum vom 01.08.2016 bis 07.05.2018 wurden einschließlich der gem. § 126a StPO untergebrachten Personen insgesamt 389 Patientinnen und Patienten entlassen; davon 126 Patientinnen und Patienten, die gem. § 63 StGB im KMV untergebracht waren. 2. Wie hat sich der durchschnittliche Aufenthalt im Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB zwischen dem 1.1.2012 und dem 1.8.2016 sowie seit der Gesetzesänderung in Berlin dargestellt? Ist es seit der Gesetzesänderung zu einer Verkürzung gekommen? Wenn ja, in welchem Maße? Zu 2.: Seit 2012 ist die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der in diesen Zeitraum entlassenen gem. § 63 StGB untergebrachten Patientinnen und Patienten von 112,4 Monate auf 118,7 Monate in 2015 angestiegen. In 2016 betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer 113,1 Monate, in 2017 waren es 119,4 Monate und in 2018 bis zum 07.05.2018: 89,7 Monate. - 2 - 2 Die zeitlichen Differenzen von wenigen Monaten für den Zeitraum von 2012 bis 2017 sind als solche und isoliert betrachtet, sicherlich nicht aussagekräftig. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 08.07.2016 (BGBl. I S. 1610), am 01.08.2016 in Kraft trat. Die bis zu diesem Datum anberaumten jährlichen Überprüfungszeiten wirken noch in den Berichtszeitraum des Jahres 2017 zeitversetzt hinein. Die Rechtsänderung könnte allerdings durchaus eine Ursache für die auffällig verkürzte Aufenthaltsdauer seit 2018 sein. Hiermit korrespondieren auch die seit einigen Monaten von den Strafvollstreckungskammern verfügten kürzeren Überprüfungsfristen. Es ist nämlich festzustellen, dass die in der Vergangenheit üblichen 12 Monate festgelegten Überprüfungsfristen auf 3, 9 und überwiegend sechs Monate verkürzt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die zur Antwort auf die Frage 4. erhobenen Zahlen zur sinkenden Belegungszahl zu sehen. Anzumerken ist ferner, dass mit dem Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB und zur Änderung anderer in diesem Kontext stehenden Vorschriften der Gesetzgeber durch das Gesetz unter anderem auch die Frequenz für externe Sachverständigengutachten veränderte. Solche Gutachten sollen nicht mehr alle fünf Jahre, sondern zunächst alle drei Jahre und - angepasst an die gesteigerten Voraussetzungen des § 67 d Abs. 6 StGB n.F. - ab einer Unterbringungsdauer von sechs Jahren sogar alle zwei Jahre eingeholt werden (§ 463 Abs. 4 S. 2 StPO). Zudem besteht eine Verpflichtung der Strafvollstreckungskammern zum Wechsel der externen Gutachterinnen und Gutachter (§ 463 Abs. 4 S. 3 und S. 4 StPO). Um diesen Prozess auszusteuern, bestimmt § 13 S. 1 Hs. 1 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung (EGStPO), dass die Regelung des § 463 Abs. 4 S. 2 StPO (also die erhöhte Frequenz für externe Gutachten) bei Vollstreckungsverfahren, die am 01.08.2016 schon anhängig waren, erst ab dem 01.08.2018 wirksam wird. Die hierdurch eintretende Verkürzung der Taktfolge im Überprüfungszeitraum dürfte sich wohl nochmals senkend auf die Verweildauern und auf die Belegungsstruktur auswirken. 3. In wie vielen Fällen kam es zwischen dem 1.1.2012 und dem 1.8.2016 sowie seit dem 1.8.2016 zu einer Entlassung, die die Klinik nicht befürwortet hat? Zu 3.: 2012 0 Entlassungen, die das KMV nicht befürwortet hat; 2013 0 Entlassungen, die das KMV nicht befürwortet hat; 2014 1 Entlassung, die das KMV nicht befürwortet hat; 2015 1 Entlassung, die das KMV nicht befürwortet hat; 01-07 2016 1 Entlassung, die das KMV nicht befürwortet hat; 08-12 2016 1 Entlassung, die das KMV nicht befürwortet hat; 2017 2 Entlassungen, die das KMV nicht befürwortet hat; 2018 1 Entlassung, die das KMV nicht befürwortet hat; - 3 - 3 4. Wie viele Personen haben sich in Berlin im Juli 2016 im Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB befunden, wie viele befinden sich aktuell in der entsprechenden Unterbringung (jeweils inklusive der Beurlaubten)? Zu 4.: Am 01.08.2016 waren 465 Patientinnen und Patienten gem. § 63 StGB im KMV untergebracht , aktuell sind 422 Patientinnen und Patienten gem. § 63 StGB im KMV untergebracht . 5. Wie viele von diesen Personen befinden sich seit mehr als zehn Jahren in der Unterbringung nach § 63 StGB – einmal Stichtag 1.08.2016, einmal heute bzw. 31.12.17? Zu 5.: Am 01.08.2016 befanden sich 188 Patientinnen und Patienten länger als 10 Jahre in der Unterbringung gem. § 63 StGB. Am 31.12.2017 befanden sich 119 Patientinnen und Patienten länger als 10 Jahre in der Unterbringung gem. § 63 StGB. Die festzustellende fallende Anzahl von Untergebrachten erklärt sich aus der Reform des § 63 StGB und der im Zuge dessen veränderten Spruchpraxis der Strafvollstreckungskammern bei dem Landgericht und des Kammergerichts Berlin. Wird die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seit zehn Jahren vollzogen, ist die Fortdauerentscheidung nach § 67 d Abs. 6 Satz 2 und 3 StGB an erhöhte Voraussetzungen geknüpft. Die Fortdauer der Unterbringung ist dann nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte in Folge seines Zustandes erhebliche Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die Erheblichkeitsschwelle von Taten, die eine Fortdauer der Maßregel rechtfertigen, ist regelmäßig bei Verbrechen überschritten sowie bei Vergehen aus dem Bereich der mittleren Kriminalität, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass die Erledigung der Maßregel im Fall des § 67 d Abs. 6 Satz 3 StGB nicht etwa von einer positiven Prognose abhängig ist, sondern ihre Fortdauer von einer negativen Prognose. Dabei reicht die bloße Möglichkeit oder eine lediglich „latente“ Gefahr einer prognoserelevanten Tat nicht aus; erforderlich ist vielmehr eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“. Eine negative Prognose ist dabei gerechtfertigt , wenn es konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte für eine fortbestehende Gefährlichkeit der/des Untergebrachten gibt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass bei langandauernden Unterbringungen die Strafvollstreckungsgerichte in besonderem Maße gehalten sind, auf der Grundlage ausreichend geklärter Tatsachen hinsichtlich Diagnose und Prognose eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, in der die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit zur Dauer des Freiheitsentzuges in Beziehung zu setzen ist. Die Dauer der Freiheitsentziehung ist mit den Anlasstaten und mit möglicherweise anderen im Falle einer Freilassung zu erwartenden Taten abzuwägen, wobei jeweils das Gewicht der bedrohten Rechtsgüter zu berücksichtigen ist. - 4 - 4 Mit in die Abwägung einzustellen ist auch der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung , dem je nach Wertigkeit des gefährdeten Rechtsgutes unterschiedliches Gewicht zukommt und bei dessen Bestimmung auch Möglichkeiten zur Risikoreduzierung außerhalb des Maßregelvollzugs mitbedacht werden müssen. Berlin, den 17. Mai 2018 In Vertretung Boris Velter Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung S18-14914 S18-14914