Drucksache 18 / 14 915 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg und Tobias Schulze (LINKE) vom 03. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Mai 2018) zum Thema: Rechtswidrige Fahrscheinkontrollen bei Minderjährigen – gilt der Minderjährigenschutz des BGB auch in der BVG? und Antwort vom 23. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mai 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe Herrn Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Die Linke) und Herrn Abgeordneten Tobias Schulze (Die Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/14 915 vom 03. Mai 2018 über „Rechtswidrige Fahrscheinkontrollen bei Minderjährigen – gilt der Minderjährigenschutz des BGB auch in der BVG?“ ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nur zum Teil in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt öffentlichen Rechts um eine Stellungnahme gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurde. Sie wird nachfolgend wiedergegeben. 1. Wie und auf welcher Rechtsgrundlage und ggf. welcher gefestigten Rechtsprechung stellt sich der Vertragsschluss über Beförderungsleistungen zwischen der BVG und Minderjährigen dar? (Wir bitten insbesondere um Darstellung des Zustandekommens eines Beförderungsvertrages mit Minderjährgen , um Darstellung der Vertragsart nach § 631 I BGB.) Zu 1.: Mit Betreten der Verkehrsmittel kommt ein Beförderungsvertrag (ein sog. Werkvertrag gemäß § 631 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) zwischen der BVG und dem Minderjährigen wie bei allen anderen Fahrgästen auch zustande (vgl. § 1 Abs. 2 der Beförderungsbedingungen der Verkehrsverbund Berlin Brandenburg GmbH - VBB -). Hierbei geht die BVG davon aus, dass die Eltern damit einverstanden sind bzw. die erforderliche Einwilligung gemäß § 107 BGB erteilt haben, dass ihre Kinder die BVG nutzen, weshalb diese in den meisten Fällen mit den entsprechenden Fahrausweisen ausgestattet sind. - 2 - 2. Wie und auf welcher Rechtsgrundlage und ggf. welcher gefestigten Rechtsprechung (z.B. AG Jena NJW-RR 2001, 1469) wirkt sich der Minderjährigenschutz des BGB mit welchen Rechtsfolgen auf Fälle aus, bei denen Minderjährige bei Fahrscheinkontrollen keinen gültigen Fahrausweis vorzeigen können ? Zu 2.: Die BVG geht zunächst davon aus, dass ihre Fahrgäste sich vertragsgerecht verhalten und für die entgegengenommene Beförderungsleistung den entsprechenden Fahrpreis gezahlt haben und zwar unabhängig von ihrem Lebensalter. Wird eine Minderjährige bzw. ein Minderjähriger ohne Fahrausweis angetroffen, wird zunächst in üblicher Weise ein erhöhtes Beförderungsentgelt geltend gemacht, weil davon auszugehen ist, dass die Eltern der Nutzung der Verkehrsmittel zugestimmt haben. 3. Wie stellt sich die Rechtslage insbesondere dann dar, wenn keine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters der Minderjährigen gem. §§ 107, 108 Abs. 1 BGB vorliegt bzw. zu unterstellen ist, dass der gesetzliche Vertreter lediglich eine bedingte Einwilligung dahingehend erteilt, dass dessen Kind einen gültigen Fahrausweis erwirbt bzw. besitzt? 4. Trifft es insbesondere zu, dass in den Fällen, in denen das Kind keinen gültigen Fahrausweis besitzt oder erwirbt, die aufschiebende Bedingung (§ 158 I BGB) für die Einwilligung der Eltern nicht eintritt und mangels Einwilligung in der Rechtsfolge auch kein Vertrag des Minderjährigen mit der BVG zustande kommt? Zu 3. und 4.: Ob die für den Abschluss des Beförderungsvertrages grundsätzlich erforderliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreter vorliegt, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Wenn die Eltern im Einzelfall keine Zustimmung erteilt haben bzw. sich dies aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, kommt der Beförderungsvertrag nicht zustande, so dass kein erhöhtes Beförderungsentgelt zu zahlen ist. Allerdings kann der Einwand, die Eltern hätten die Einwilligung nur unter der aufschiebenden Bedingung erteilt, dass das Kind einen gültigen Fahrausweis erwirbt, im Einzelfall als bloße Schutzbehauptung zu bewerten sein. Darüber hinaus kann nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812ff BGB) der Fahrpreis für die in Anspruch genommene Beförderungsleistung verlangt werden. 5. Inwieweit ist es vor dem Hintergrund der herrschenden Rechtslage überhaupt rechtlich zulässig und überdies auch zweckmäßig, allein reisende Minderjährige „wie die anderen Fahrgäste zu behandeln“ und Fahrscheinkontrollen bei ihnen durchzuführen (vgl. Antwort auf Frage 2 auf Drs.: 18/13875)? Zu 5.: In den Tarifbestimmungen des VBB ist geregelt, dass auch Minderjährige ab 6 Jahren einen gültigen Fahrschein bei sich zu führen haben. 6. Um welche „zu treffenden Maßnahmen“ (vgl. Antwort auf Frage 2 auf Drs.: 18/13875) handelt es sich bisher konkret, wenn Minderjährige bei einer Kontrolle ohne gültigen Fahrausweis angetroffen werden? Handelt es sich dabei insbesondere um Identitätsfeststellungen, Zwang zur Lösung eines Fahrausweises, Erhebung eines erhöhten Beförderungsentgelts, Aufforderung zum Ausstieg oder Verlassen des BVG-Geländes o.ä.? (Wir bitten um Aufschlüsselung aller Maßnahmen, die bei den in der Drs. 18/13875 aufgeführten kontrollierten Minderjährigen zur Anwendung kamen.) Zu 6.: Werden Minderjährige ohne gültigen Fahrausweis angetroffen, wird zunächst deren Identität überprüft. Dies geschieht durch Vorlage geeigneter Dokumente (z.B. Personalausweis, Schülerausweis, Berlin Pass usw.). Führt die oder der Minderjährige keine solchen Dokumente bei sich, hat sich, soweit die oder der Minderjährige von einem Erziehungsberechtigten begleitet wird, dieser auszuweisen und es wird eine LABO-Anfrage zur Überprüfung der Angaben der oder des Minderjährigen durchgeführt , soweit der Erziehungsberechtigte hierzu seine Einwilligung erteilt und die oder der Minderjährige mindestens 14 Jahre alt ist. - 3 - Werden Minderjährige ohne gültigen Fahrausweis im Rahmen einer Schwerpunktkontrolle , d.h. im Beisein der Berliner Polizei alleine angetroffen, wird ggf. eine Identitätsüberprüfung durch die Polizeibeamten durchgeführt. Der oder dem Minderjährigen ohne gültigen Fahrausweis bzw. dem Erziehungsberechtigten wird anschließend, wie anderen Fahrgästen auch, eine Zahlungsaufforderung für das erhöhte Beförderungsentgelt überreicht. Ein Zwang zur Nachlösung eines Fahrausweises besteht nicht, d.h. die oder der Minderjährige kann die Fahrt fortsetzen. Die angetroffenen Minderjährigen werden nicht zum Verlassen der Verkehrsmittel bzw. der Betriebsanlagen der BVG aufgefordert . 7. Wurden aufgrund von Fahrausweiskontrollen bei Minderjährigen durch die BVG seit 2012 erhöhte Beförderungsentgelte eingezogen und wenn ja, wie oft und in welcher kassenwirksamen Höhe (bitte aufschlüsseln nach Jahren)? Zu 7.: Feststellungen der Jahre 2016-2018: 2016 27.031 (9,5% der Gesamtfeststellungen) 2017 24.347 (9,9% der Gesamtfeststellungen) 2018 (Stand 15.05.2018) 7.436 (8,0% der Gesamtfeststellungen) Die Frage nach der kassenwirksamen Höhe kann derzeit nicht beantwortet werden. 8. Wie bewertet der Senat vor dem Hintergrund der herrschenden Rechtslage und unter besonderer Würdigung des Minderjährigenschutzes die aktuelle Kontrollpraxis der BVG bei Kindern? Zu 8.: Das Kontrollpersonal ist durch die BVG angewiesen, Minderjährige mit der größtmöglichen Schonung zu behandeln. Der Senat erwartet, dass die Anweisungen beachtet werden. 9. Wie wird der Senat künftig gewährleisten, dass der Minderjährigenschutz in der BVG lückenlos gewahrt wird? Zu 9.: Der Minderjährigenschutz wird bei der BVG gewahrt. 10. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten stehen den Betroffenen gegenüber der BVG zur Verfügung und welche Verjährungsfristen gelten für ggf. ohne Rechtsgrund erhobene erhöhte Beförderungsentgelte ? Zu 10.: Kommen die Betroffenen der Zahlungsaufforderung nicht nach, muss die BVG ihre Ansprüche – wie andere Forderungen auch – gerichtlich geltend machen. Sie tut dies in der Regel durch Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens. Den Betroffenen stehen die allgemeinen Rechtsbehelfe, d.h. Widerspruch gegen den Mahnbescheid bzw. Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zur Verfügung. Es gilt die regelmäßige Verjährungsfrist: drei Jahre ab Ende des Jahres, in dem der jeweilige Vorfall erfolgte (Beispiel: Fahrausweiskontrolle am 01.04.2017, Verjährungsbeginn 01.01.2018, Zeitraum 3 Jahre, Verjährung eingetreten mit Ablauf des 31.12.2020). - 4 - 11. Zu wie vielen Anzeigen bei der Polizei mit welchem Ergebnis ist es seit 2012 im Zusammenhang von Minderjährigen ohne gültigen Fahrausweis ggf. gekommen? Zu 11.: Im Jahr 2016 wurden insgesamt 589 Strafanzeigen gegen Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren gestellt. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 643 Strafanzeigen gegen Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren gestellt. Im Jahr 2018 (Stand 15.05.2018) wurden insgesamt 149 Strafanzeigen gegen Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren gestellt. Die Staats-/Amtsanwaltschaft ist nicht verpflichtet, der BVG zu den gestellten Strafanzeigen den Verfahrensausgang mitzuteilen, weshalb die BVG keine Information über die Verfahrensausgänge geben kann. Aufgrund der vorliegenden Informationen erscheint es aus Sicht der BVG aber wahrscheinlich , dass der überwiegende Teil nach §§ 45 und 47 des Jugendgerichtsgesetzes eingestellt wird. Berlin, den 23. Mai 2018 In Vertretung Henner B u n d e ........................................................... Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe S18-14915 S18-14915a