Drucksache 18 / 15 077 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 08. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2018) zum Thema: Dürfen Muslime im Westen leben? und Antwort vom 29. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Jun. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 3 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15077 vom 08. Mai 2018 über Dürfen Muslime im Westen leben? ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Der Berliner Verfassungsschutzbericht 2016 vermerkt die Durchführung der Gründungsveranstaltung des „Fatwa-Ausschusses Deutschland“ FAD in der „Neuköllner Begegnungsstätte“ NBS am 11. und 12. März 2016 (Vgl.: Senatsverwaltung für Inneres (Hg.): Berliner Verfassungsschutzbericht 2016. S. 78). Laut Auskunft auf seiner Webseite „www.fatawa.de“ hat sich der FAD zum Ziel gesetzt, durch eigenen Iǧtihād d.h. „selbständige Rechtsfindung“ einen Ausgleich zwischen religiösem Extremismus auf der einen, „gesellschaftlicher Degeneration und Auflösung“ auf der anderen Seite zu finden. Auf den arabischsprachigen Webseiten des DAD finden sich Fatāwā, sing. Fatwā d.h. „Rechtsgutachten“ zu den folgenden Themen: 1.) „Wie lauten die religiösen Gebote zum Aufenthalt in Europa?“ 2.) „Ist jemand, der den Propheten verspottet, zu töten?“ 3.) „Zum Verbot, das Blut von Nichtmuslimen zu vergießen und zum Gebot, Bündnisse und Abmachungen mit ihnen einzuhalten.“ Zu 1: Der Muftī Khaled Hanafy antwortet dazu: Da Extremisten die Muslime dazu aufriefen, entweder den Westen für den Islam zu gewinnen oder aber aus den Ländern des „Unglaubens“ d.h. Kufr auszuwandern, sei es Aufgabe der Rechtsgelehrten, zu klären, ob der Aufenthalt im Westen den Muslimen generell gestattet sei. Grundsatzstreitigkeiten darüber habe es schon unter den Gefährten des Propheten gegeben; die „Schule der Hauptziele der Schar‘ia“ d.h. Madrasa maqāsidiyya suche stets das Essentielle der göttlichen Rechtsvorschriften; die Schule der „Äußerlichkeit“ d.h. Madrasa ẓāhiriyya hingegen arbeite sich bis heute an unwesentlichen Fragen ab, so etwa, ob Männer Frauen die Hand geben dürften; nach der Barttracht, der Beschneidung, der Länge des Kleidersaumes, dem niqāb, Musikstilen, islamischer Namensgebung, der Zeitdauer des Ramaḏan. Diese Themen seien aber bloß die „Zweige“ d.h. Furūʿ der islamischen Rechtsfindung, des Fiqh, im Gegensatz zu deren „Wurzeln“ oder Usūl al-fiqh. Die Fülle der Schriften der „Übertreibung“ d.h. Laġw, welche zum Verlassen des Westens aufforderten, sei zwar erdrückend; auch stifteten diese zu gesellschaftlichem Fehlverhalten an, etwa Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit und Sozialbetrug durch die fälschliche Behauptung, mehrere Gattinnen zu haben – dies alles aber stünde im Gegensatz zur Schari‘a. Denn man genieße im Westen völlige Glaubensfreiheit, ja man sei bisweilen religiöser als in den Ursprungsländern und damit zugleich den Ungläubigen ein Beispiel; somit gäbe es keinen Grund zur „Auswanderung“ d.h. Hiǧra. Der Koran berichte, daß Joseph zwei Heimatländer gehabt hätte; das erste in seiner frühen Kindheit, danach in Ägypten, wo er es trotz Verleumdung und Gefängnis zum Seite 2 von 3 Finanz- Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister gebracht habe; seine Vita sei zugleich ein Vorbild für die Muslime im Westen. Zu 2: Anlaß für dieses Fatwā ist der Einleitung zufolge der Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“. Das grundsätzliche Gebot, Jenen zu töten, der sich über Allāh, den Propheten oder dessen Gefährten lustiggemacht habe und dies auch nicht bereue, wird dahingehend eingeschränkt, daß der Prophet zwar Männer, aber nie Frauen habe umbringen lassen; auch sei dies nie aus persönlicher Rache geschehen, sondern um damit ein Schwerverbrechen zu ahnden, einen Angriff auf die Gemeinschaft der Gläubigen nämlich; nur Muslime seien für ihren Spott mit dem Tode zu bestrafen und auch dann nur in islamischen Ländern, wo mit dieser Bestrafung vorab zu rechnen sei. Denn der den Propheten lästernde Muslim begehe damit das todeswürdige Verbrechen des „Abfalls vom Glauben“, d.h. Ridda. Zu 3. Dieses Fatwā wurde dem anonymen Verfasser zufolge wenige Tage nach den Pariser Anschlägen vom 13. November 2015 abgefaßt. Wie jede Offenbarung bestätige der Islam die „Unverletzlichkeit“ d.h. Ḥurma des Gutes und Blutes einer jeden Person, unabhängig von Geschlecht, Farbe, Glaube oder Herkunft. Die Muslime dürften sich nicht damit begnügen, solche Terrorakte zu verleugnen oder bloß verbal zu verurteilen, sondern sollten danach streben, sie zu verhindern; dies schuldeten sie den Ländern, in denen sie gegenwärtig lebten. Denn durch ihren Aufenthalt dort hätten sie mit diesen einen „Vertrag“ d.h. ʿAhd geschlossen; Verträge seien aber sogar dann einzuhalten, wenn sie den Muslimen zum Nachteil gereichten. Der Koran bestätige dies in zwei Versen: 5:1: „Ihr Gläubigen! Erfüllt die Verpflichtungen (die Gott euch auferlegt hat) !“ 17:34: „Und erfüllt die Verpflichtung (die ihr eingeht) ! Nach der Verpflichtung wird (dereinst) gefragt.“ Die europäischen Regierungen und Staatsmänner allerdings wären ihrerseits dazu aufgerufen, sich der Pauschalurteile über die Muslime zu enthalten, sich nicht auf die bloße Suche nach Sicherheitslösungen zu beschränken, vielmehr die Ursachen des Extremismus in Europa auf politische, psychologische und gesellschaftliche Ursachen hin zu untersuchen, diese zu bekämpfen, ferner einzugestehen, daß der Westen für Tod, Unterdrückung und Menschenrechtsverstöße in der Arabischen Welt mitverantwortlich sei. Eine Begriffsexplikation des Terminus „Islamismus“ umreißt die diesem zugrundeliegenden Denkansätze wie folgt: I.) Der Koran und das sonstige islamische Schrifttum sind unverfälscht überliefert, die Bedeutung der darin getroffenen Aussagen ist klar erkennbar. II.) Der Koran ist frei von inhärenten Widersprüchen, also logisch konsistent. III.) Die im Koran enthaltenen Normensätze sind in ihrer Intention deutlich bestimmt und lassen die Ableitung weiterer Normensätze zu. IV.) Das hieraus entwickelte Normensystem ist universal, umfaßt also sowohl individuelle (ʿIbādāt) als auch kollektive (Muʿāmalāt) Regularien in der Weise, daß dem Interdiktionsprinzip gemäß alle Handlungen als verboten zu gelten haben, solange deren Erlaubtsein nicht aus dem Koran ableitbar ist; aus dem Konzessionalen Prinzip abgeleitete Normensysteme sind entweder Teilmengen hiervon oder aber obsolet. V.) Der einzelne Gläubige ist verpflichtet, diesem Normensystem auch Nichtgläubigen gegenüber Geltung zu verschaffen. 1.) Beurteilt der Senat den Inhalt der einleitend paraphrasierten Rechtsgutachten im Sinne der oben aufgeführten Kriterien als „islamistisch“? Zu 1.: Der Senat verweist auf die Definition von Islamismus im Verfassungsschutzbericht Berlin 2016, S. 28f. 2.) Das Fatwā Nr. 1 zur Problematik des Aufenthaltes in Europa gebraucht an vier Stellen den Schlüsselbegriff der Wasaṭiyya, des „Zentrismus“. (Vgl: Akademie des Verfassungsschutzes (Hg.): Yusuf al-Qaradawi und das Konzept der Wasatiya. Heinerzheim 2015.) Nach der Taktik des „Good Cop, bad Cop“ verschafft die ostentative Ablehnung des Terrorismus dem Zentrismus Legitimationsgewinne zur Durchsetzung der Schari‘a als des alleinigen sozialen Referenzrahmens. So führte das in Frankfurt angesiedelte „Europäische Institut für Humanwissenschaften in Deutschland e.V.“ EIHW am 9. Februar 2014 in der Frankfurter Abū Bakr aṣ-Ṣiddīq Moschee ein Seminar zu den sogenannten Maqāsid aš-šarīʾa, den „Hauptzielen der Scharia“ durch. Wie die Facebookseiten des Seite 3 von 3 EIWH zeigen, nahm dabei u.a. Taha Sabri, der Imām der „Neuköllner Begegnungsstätte“ NBS eine Teilnehmerurkunde entgegen. Ist davon auszugehen, daß die Führung des NBS das Konzept der Wasaṭiyya vertritt? Zu 2.: Hinsichtlich der Bewertung der ideologischen Ausrichtung des Vereins „Neuköllner Begegnungsstätte e.V.“ (NBS) verweist der Senat auf den Verfassungsschutzbericht Berlin 2016, S 74ff. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass diese Ausführungen Gegenstand eines laufenden Gerichtsverfahrens sind. 3.) Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran sieht in Buch 5 Kapitel 2 Artikel 513 die Todesstrafe für Gotteslästerung vor: „Anyone who insults the sacred values of Islam or any of the Great Prophets or [twelve] Shi’ite Imams or the Holy Fatima, if considered as Saab ul-nabi [as having committed actions warranting the hadd punishment for insulting the Prophet], shall be executed; otherwise, they shall be sentenced to one to five years’ imprisonment.“ Hält der Senat es vor dem Hintergrund dieser Tatsache für angemessen, mit der regierungsnahen „Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e. V.“ IGS eine Vereinbarung über die Beteiligung der IGS am „Beirat für Islamische Theologie und Religionspädagogik“ abzuschließen, welcher über die Besetzung der an der Humboldt-Universität geplanten Professuren für Islamische Theologie entscheiden soll? Zu 3.: Der Senat hält es für angemessen, dass ein Verband in den Beirat für Islamische Theologie und Religionspädagogik einbezogen wird, der die schiitische Richtung des muslimischen Bekenntnisses repräsentiert. Dem Senat liegen im Übrigen keine Anhaltspunkte für unzulässige Einflussnahmen auf die Verhandlungen über die Einrichtung des Beirats vor. Berlin, den 29. Mai 2018 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport S18-15077 S18-15077