Drucksache 18 / 15 205 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hanno Bachmann (AfD) vom 30. Mai 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Mai 2018) zum Thema: Betrügerische Aufenthaltserschleichung und Antwort vom 13. Juni 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Jun. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 6 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Hanno Bachmann (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15205 vom 30. Mai 2018 über Betrügerische Aufenthaltserschleichung ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die Fragen Nr. 2 - 11 beziehen sich auf die von der nigerianisch/portugiesische Schleuser- und Fälscherbanden, gegen welche am 24.05.2018 vor dem LG Berlin die strafprozessuale Hauptverhandlung eröffnet wurde, organisierten Aufenthaltserschleichungen. 1. Von wie vielen Personen insgesamt, die sich auf Grundlage falscher Angaben und / oder gefälschter Dokumente einen Aufenthaltstitel erschlichen haben und sich derzeit in Berlin aufhalten, hat der Senat Kenntnis? Zu 1.: Hierzu liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. 2. Wie viele Personen haben infolge des kriminellen Handelns der Schleuserbande, gegen welche die Hauptverhandlung vor dem LG Berlin am 24.05.2018 begonnen hat, seitens der Ausländerbehörde Berlin einen Aufenthaltstitel erlangt? Welche Nationalität haben diese Personen? Wie viele von ihnen halten sich derzeit noch in Berlin auf? Was ist bekannt über den Aufenthalt der übrigen, die sich nicht mehr in Berlin aufhalten? 3. Welche ausländerrechtlichen Maßnahmen hat der Senat ergriffen bzw. gedenkt er zu ergreifen, um den erschlichenen Aufenthalt der in Frage 2 genannten Personen möglichst zeitnah zu beenden und diese in ihre Herkunftsländer zurückzuführen? Sollen erst die Strafverfahren gegen diese Personen mit erschlichenen Aufenthaltstitel durchgeführt oder soll gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 Aufenthalt G vorgegangen werden? 7. Wie viele Aufenthaltstitel, hinsichtlich derer heute der Verdacht besteht, sie seien erschlichen wor- den, wurden in den Jahren 2015 – 2017 jeweils ausgestellt? Zu 2., 3. und 7.: Im Fall der international agierenden Schleuserbande sind der Ausländerbehörde Berlin derzeit 173 Personen bekannt, die zumindest versucht haben, missbräuchlich als freizügigkeitsberechtigt angesehen zu werden. Davon haben nach derzeitigem Kenntnisstand 120 Personen missbräuchlich eine Aufenthaltskarte erhalten. Hierbei handelt es sich um 103 nigerianische und 17 ghanaische Staatsangehörige. Von diesen sind 103 weiterhin in Berlin gemeldet, 15 sind verzogen, einer ist freiwillig ausgereist und einer wurde nach Nigeria abgeschoben. Seite 2 von 6 Nach derzeitigem Kenntnisstand wurde in 14 dieser Fälle die Aufenthaltskarte vor 2015 ausgestellt. In den Jahren 2015 bis 2017 wurden vermutlich 106 Aufenthaltskarten missbräuchlich erschlichen: Jahr Anzahl Aufenthaltskarten 2015 45 2016 47 2017 14 Alle Vorgänge werden jetzt zeitnah und auf der Basis der im Strafermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse durch das für besondere Ordnungsaufgaben zuständige Referat und das Rückführungsreferat der Ausländerbehörde Berlin geprüft. Mit Stand 29.5.2018 wurden in 66 Fällen bereits Maßnahmen zur Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit eingeleitet (Anhörungen, Passeinzug veranlasst). 10 Bescheide sind bereits zugestellt worden. Soweit für eine Abschiebung ein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft gemäß § 72 Absatz 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (Aufenth G) erforderlich ist, wird die zuständige Staatsanwaltschaft wie gesetzlich vorgegeben einzelfallbezogen angefragt. 4. Seit wann war der Ausländerbehörde intern die Tatsache bzw. der Verdacht bekannt, dass die zur Erlangung des Aufenthaltstitels vorgelegten Dokumente gefälscht sind? Welche Meldungen und Warnungen von Mitarbeitern der Ausländerbehörde erreichten zu welchem Zeitpunkt die Referatsleitung und die Behördenleitung? Wann und auf welche Weise erfuhr das Referat I B (oder andere Referate) der Senatsverwaltung für Inneres erstmalig von der Problematik? Wann wurde die politische Leitungsebene informiert? 5. Wann erlangte die Ausländerbehörde Kenntnis von den polizeilichen Ermittlungen gegen die mutmaßliche Fälscherbande? Welche Informationen erhielt die Behörde genau und an wen innerhalb der gesamten Senatsverwaltung für Inneres wurden diese Informationen wann weitergegeben ? 10. Welche Maßnahmen wurden ab Kenntnis der Fälschungen bzw. des diesbezüglichen Verdachts wann von wem ergriffen, um weitere Aufenthaltserschleichungen zu vermeiden? Zu 4., 5. und 10.: Im Oktober 2015 wurde die Thematik aufgrund erster Auffälligkeiten in der Ausländerbehörde Berlin in einem Gespräch zwischen Referatsleitung und Sachgebietsleitung erörtert und beschlossen, die Fälle zu sammeln und im Einzelfall ggf. aussagekräftigere Nachweise zu verlangen. Wann die Ausländerbehörde erstmals Kenntnis von den polizeilichen Ermittlungen erlangt hat, kann nicht nachvollzogen werden. Im Sommer 2016 verdichteten sich die Anhaltspunkte auch aufgrund der Anforderung einzelner Ausländerakten durch das Landeskriminalamt, das einen Teil der Ermittlungen gegen die bundesweit und international agierende Schleuserbande aus München übernommen hatte. Der Austausch der Ausländerbehörde Berlin mit den Strafverfolgungsbehörden wurde schrittweise intensiviert. Auf Leitungsebene wurden im August 2016 weitere Maßnahmen ergriffen, um diese Verdachtsmomente zu erhärten . Zum Beispiel wurden Anträge, die eine bestimmte Rechtsanwaltskanzlei zugunsten von nigerianischen Staatsangehörigen gestellt hat, besonders intensiv geprüft , nachdem ein bestimmter Modus erkennbar wurde. So wurden weitere Nachweise gefordert, die vorgelegten Dokumente noch gründlicher auf das Vorliegen von Fälschungsmerkmalen untersucht und bei Zweifeln an der Echtheit von nigerianischen Unterlagen besondere Anhörungen durchgeführt. Seite 3 von 6 Die von der Ausländerbehörde Berlin eingeleiteten Gegenmaßnahmen haben dazu geführt, dass die Tatverdächtigen, gegen die Staatsanwaltschaft und Polizei über Monate verdeckt ermittelt hatten, misstrauisch wurden, was dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft im März 2017 mit der Bitte um vertrauliche Kooperation auf die Ausländerbehörde Berlin zukam. Die Ausländerbehörde Berlin hat die Staatsanwaltschaft bei den verdeckten Ermittlungen unterstützt und maßgeblich zur Zerschlagung des Schleuserrings und Festnahme der Verantwortlichen im Herbst 2017 beigetragen. Eine umfassende ausländerrechtliche Verwertung der behördlichen Erkenntnisse war erst möglich, nachdem das zunächst verdeckt gegen die Verdächtigen geführte Ermittlungsverfahren im Herbst 2017 zu Festnahmen geführt hatte und die Ermittlungen daraufhin offen geführt wurden. Im November 2017 wurde der Vorgang im Zusammenhang mit der routinemäßigen Übersendung eines Leitungsrundenprotokolls der Ausländerbehörde erstmals im Fachaufsichtsreferat aktenkundig. Im März 2018 wurden Fach- und Dienstaufsicht durch die Ausländerbehörde Berlin über die Schaffung eines neuen Sachgebiets zur Aufarbeitung der Vorgänge im Zusammenhang mit dem Schleuserring informiert. Die politische Leitungsebene wurde im Mai 2018 über den Vorgang unterrichtet. 6. Weshalb wurden auf Basis gefälschter Dokumente Nigerianern zahlreiche Aufenthaltstitel erteilt, obwohl seit vielen Jahren die fehlende Urkundensicherheit bezüglich dieses Landes amtlich bekannt ist und das Legalisationsverfahren nicht gilt? 8. Auf welche Weise und mit welchen technischen Mitteln wurde die Echtheit der Dokumente geprüft ? Waren die Mittel zur Echtheitsprüfung von Dokumenten auf dem technisch neuesten Stand? Zu 6. und 8.: Im Jahr 2016 wurden in der Ausländerbehörde Berlin ausgewählte Mitarbeiter jedes Sachgebiets (insgesamt 24) durch die Bundespolizei zum Thema Pass- und Dokumentenprüfung geschult. Ihre Arbeitsplätze wurden mit Dokumentenprüfern sowie UV-Geräten ausgestattet. Diese besonders geschulten Mitarbeiter tauschten sich regelmäßig untereinander aus und machten alle Mitarbeiter ihres Sachgebiets fortlaufend mit Sicherheitsmerkmalen und den Basisschritten zur Prüfung von Dokumenten vertraut. Die zuständigen Sachbearbeiter prüften daraufhin die ihnen vorgelegten Dokumente auf Fälschungsmerkmale (erste Sichtungslinie). Wenn bei dieser Prüfung Auffälligkeiten festgestellt wurden, wurden die besonders geschulten Mitarbeiter hinzugezogen (zweite Sichtungslinie). Die Beschaffung einer ausreichenden Zahl moderner Passprüfgeräte der Bundesdruckerei wird zurzeit geprüft. Problematisch war, dass die Fälschungen eine sehr gute Qualität hatten und zum Teil nicht Fälschungen, sondern durch Bestechung erlangte echte und bloß inhaltlich unrichtige Dokumente genutzt wurden. Hinzu kam, dass es der Ausländerbehörde Berlin durch die Aussetzung der Legalisierungsverfahren für nigerianische Urkunden erheblich erschwert wurde, die Echtheit der vorgelegten Dokumente innerhalb der von § 5 Absatz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) vorgeschriebenen Frist von 6 Monaten mit einem hinreichend belastbaren Ergebnis zu prüfen. Weiter erschwert wurde die Missbrauchsbekämpfung insoweit, als nach § 5 Absatz 2 FreizügG/EU keine Beweispflicht des Antragstellers besteht, sondern eine Glaubhaftmachung aus- Seite 4 von 6 reicht. Außerdem werden die Pflichten zur Vorlage von Dokumenten zum Zwecke der Ausstellung von Aufenthaltskarten durch § 5 a Absatz 2 FreizügG/EU erheblich eingeschränkt . 9. In wie vielen Fällen wurde von vornherein die Fälschung erkannt und die Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt? Zu 9.: Eine belastbare Zahl kann mangels statistischer Erfassung nicht angegeben werden. 11. Kann der Senat ausschließen, dass sich derartige Fälle von Aufenthaltserschleichungen wiederholen ? Welche dauerhaften Vorkehrungen sind insoweit getroffen worden? Zu 11.: Zukünftige Aufenthaltserschleichungen können trotz aller Anstrengungen nicht zu 100% ausgeschlossen werden. Ob und gegebenenfalls welche weiteren, über die derzeit bestehenden Vorkehrungen hinausgehenden Gegenmaßnahmen ergriffen werden, wird derzeit noch geprüft. 12. Wie hat sich die Zahl der sich auf Grundlage einer EU-Aufenthaltskarte in Berlin aufhaltenden Drittstaatenangehörigen seit 2014 entwickelt (bitte Angabe für jedes Jahr von 2014 – 2018 und Angabe der fünf häufigsten Nationalitäten)? Gibt es neben den Nigerianern noch einen signifikanten Anstieg anderer Nationalitäten? Zu 12.: Die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf eine Auswertung des Ausländerzentralregisters . Zum Stichtag 31.12.2014: Aufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Daueraufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Insgesamt 2.911 Insgesamt 775 Top 5 Herkunftsländer Vereinigte Staaten von Amerika 295 Top 5 Herkunftsländer Türkei 62 Serbien 191 Russische Föderation 54 Russische Föderation 186 Vereinigte Staaten von Amerika 49 Brasilien 172 Ukraine 40 Türkei 144 Brasilien 34 Zum Stichtag 31.12.2015: Aufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Daueraufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Insgesamt 3.635 Insgesamt 825 Top 5 Herkunftsländer Vereinigte Staaten von Amerika 321 Top 5 Herkunftsländer Türkei 68 Serbien 272 Russische Föderation 58 Seite 5 von 6 Russische Föderation 218 Vereinigte Staaten von Amerika 56 Brasilien 207 Ukraine 42 Türkei 180 Brasilien 37 Zum Stichtag 31.12.2016: Aufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Daueraufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Insgesamt 4.649 Insgesamt 946 Top 5 Herkunftsländer Serbien 416 Top 5 Herkunftsländer Türkei 81 Vereinigte Staaten von Amerika 396 Russische Föderation 62 Russische Föderation 258 Vereinigte Staaten von Amerika 62 Brasilien 243 Ukraine 49 Nigeria 229 Brasilien 40 Zum Stichtag 31.12.2017: Aufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Daueraufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Insgesamt 5.593 Insgesamt 1.051 Top 5 Herkunftsländer Serbien 515 Top 5 Herkunftsländer Türkei 86 Vereinigte Staaten von Amerika 429 Vereinigte Staaten von Amerika 80 Russische Föderation 300 Russische Föderation 67 Brasilien 293 Ukraine 56 Türkei 267 Brasilien 42 Zum Stichtag 30.04.2018: Aufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Daueraufenthaltskarten (Angehörige von EU-/EWR- Bürgern) Anzahl der Inhaber Insgesamt 6.026 Insgesamt 1.091 Top 5 Herkunftsländer Serbien 563 Top 5 Herkunftsländer Türkei 87 Vereinigte Staaten von Amerika 447 Vereinigte Staaten von Amerika 84 Brasilien 321 Russische Föderation 74 Russische Föderation 310 Ukraine 55 Mazedonien 298 Brasilien 40 Seite 6 von 6 13. Welche sind die fünf häufigsten Nationalitäten der EU-Bürger, deren Ehegatten aus einem Drittstaat sich auf Grundlage einer EU-Aufenthaltskarte in Berlin aufhalten? Zu 13.: Das wird statistisch nicht erfasst, so dass hierzu keine belastbare Aussage möglich ist. Berlin, den 13. Juni 2018 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport