Drucksache 18 / 15 366 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) vom 18. Juni 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Juni 2018) zum Thema: Feinstaub und Antwort vom 02. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Jul. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15366 vom 18. Juni 2018 über Feinstaub Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Was genau bedeutet der Begriff "Feinstaub" und auf welcher Grundlage ist dieser aktuell definiert? Hat sich diese Definition seit Verwendung des Begriffs in Deutschland geändert? Wenn ja, wann und auf welcher Grundlage? Antwort zu 1: Nach Definition der Europäischen Umweltagentur sowie des Umweltbundesamtes versteht man unter Feinstaub luftgetragene Partikel, die aus anorganischen und organischen Substanzen bestehen, Durchmesser von ca. 10 Nanometern (nm) bis 10 Mikrometer (µm) aufweisen und eine gewisse Zeit in der Atmosphäre verweilen. Unterschieden werden PM10 (PM, „particulate matter“) mit einem maximalen Durchmesser von 10 µm, PM2,5 mit einem maximalen Durchmesser von 2,5 µm und ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 µm. Als Bestandteile werden vorwiegend folgende Substanzen identifiziert: - Salze wie Sulfate, Nitrate, Chloride, Ammonium u.a. - Elementarer Kohlenstoff als Ruß aus unvollständigen Verbrennungsprozessen - Organische Kohlenstoff-Verbindungen (u.a. polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) - Metalle wie Arsen, Blei, Cadmium, Nickel, Natrium, Magnesium - Verschiedene Mineralien. Die Begriffe PM10 und PM2,5 werden in der 39. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV), §1, Satz 28 und 29, wie folgt bestimmt: „PM10“ sind Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 10 Mikrometern einen Abscheidegrad von 50 Prozent aufweist; 2 „PM2,5“ sind Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 2,5 Mikrometern einen Abscheidegrad von 50 Prozent aufweist; In der EU-Rahmenrichtlinie 96/62/EG des Rates der Europäischen Union vom 27.09.1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität wurde der in der Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15.07.1980 verwendete Begriff „Schwebstaub“ in Anhang I unterteilt in „Feinpartikel wie Ruß (einschließlich PM10)“ und in Schwebstaub. Darauf aufbauend wurden in der EU-Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22.04.1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft sowie in der sich derzeit in Kraft befindlichen Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa nur noch die Begriffe PM10 und PM2,5 als Synonyme für Feinstaub verwendet. Die Umsetzung der EU-Richtlinie 96/62/EG in deutsches Recht erfolgte mit dem Erlass der 22. BImSchV, die der EU-Richtlinie 2008/50/EG mit der 39. BImSchV. Der Begriff „Feinstaub“ hat sich demzufolge in Deutschland nicht grundlegend geändert, er wurde vielmehr über die Jahre immer weiter präzisiert. Frage 2: Aus welchen natürlichen und anthropogenen Quellen (bei mehreren Quellen bitte deren Anteil in Prozent angeben) stammt aktuell jeweils der an Berliner Messstationen gemessene Feinstaub? Sollte es sich um mehr als zehn Stationen handeln, nur die in den Bezirken Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf gelegenen Stationen angeben. Antwort zu 2: Im Berliner Luftgütemessnetz werden an 11 Messstationen stündliche PM10-Messungen sowie an 5 Messstationen PM2,5-Messungen als Tagesmittel durchgeführt. Eine vollständige Feinstaub-Inhaltsstoffanalyse wird jedoch nur für jeden dritten Tag an den 2 Messstellen Frankfurter Allee 86b (MC174) sowie Nansenstraße 10 (MC042) durchgeführt. Für diese beiden Messstationen liegen auch Ergebnisse mehrerer Sondermessprogramme vor, wobei das vom Leibnitz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig (TROPOS) im Jahr 2017 durchgeführte Projekt zur Quantifizierung der Quellbeiträge der Feinstaubbelastung in Ostdeutschland und in Berlin die neueste Studie darstellt. Die vom TROPOS-Institut durchgeführte PM10-Ursachenanalyse für den Zeitraum September 2016 bis März 2017 hat ergeben, dass an der Frankfurter Allee 86b der Straßenverkehr die vorherrschende Feinstaubquelle darstellt, wobei verkehrsbedingte Aufwirbelungsprozesse (20 %) sowie verkehrsbedingte Abriebprozesse (8,6 %) etwa 29 % der PM10-Gesamtkonzentration ausmachen. Biomasseverbrennung trägt 11 %, andere nicht verkehrsbedingte Verbrennungsprozesse 9 % zur PM10-Belastung bei. Lokale Kohleverbrennung ist an diesem Standort mit einem Beitrag von weniger als 2 % zum PM10 vernachlässigbar. Zum Teil außerhalb Berlins gelegene Quellen, vornehmlich Industrie und nicht-Berliner Heizungen sowie biogene Quellen, tragen über das sekundär, durch luftchemische Reaktionen gebildete Sulfat und über sekundären organischen Kohlenstoff (zusammen 18 %), über sekundäres Nitrat (16%) und gealtertes und frisches Meer- bzw. Streusalz (15 %) zur PM10-Belastung an der Frankfurter Allee bei. An der Station Nansenstraße stellen sekundäres Sulfat, sekundärer organischer Kohlenstoff sowie sekundäres Nitrat, die etwa 45 % des PM10 erklären, die Hauptquellen dar, wobei diese jedoch vornehmlich außerhalb Berlins liegen. Biomasseverbrennung (16 %), lokale verkehrsbedingte Aufwirbelungsprozesse (15 %), Verbrennungsprozesse (11 %) sowie gealtertes Meer- bzw. Streusalz (10 %) sind weitere signifikante Quellen. 3 Ähnlich wie an der Frankfurter Allee ist der Beitrag von Kohleverbennung zur PM10-Masse sehr gering (< 3 %). Die TROPOS-Studie bestätigt frühere Analysen, wonach mehr als die Hälfte der Quellen außerhalb Berlins zu suchen sind und die Berliner Quellen vornehmlich im Verkehrssektor und im Heizungssektor, zunehmend aus Biomasseverbrennung, zu finden sind. Frühere Studien haben gezeigt, dass die über ein Jahr gemittelten PM10-Belastungen in Berlin zu ca. 65 % auf Quellen außerhalb Berlins zurückzuführen sind, dass ca.15 % durch verkehrsbedingte Aufwirbelungs- und Abriebprozesse, 4 % durch Auspuffemissionen und 8 % durch den stadtweiten Kfz-Verkehr erklärt werden können. Sonstige Quellen, beispielsweise Baustellen und mobile Maschinen, tragen im Jahresmittel zu ca. 7 % zur Berliner PM10-Belastung bei. Ein Vergleich mit der TROPOS-Studie, die für die kalte Jahreszeit durchgeführt worden ist, zeigt, dass lokale Quellen im Winterhalbjahr stärker zur PM10-Belastung beitragen während Ferntransport im Sommer einen größeren Einfluss hat. Frage 3: Spielt das Vorhandensein unbebauter Grünflächen in der Nähe der Messstationen eine Rolle bei der Bindung von Feinstaub und damit den gemessenen Werten? Wenn ja, inwiefern und in welchem Abstand? Antwort zu 3: Unbebaute (Grün-) Flächen können sehr stark zur Verringerung der Feinstaubbelastung beitragen, wenn diese Flächen einen engen Straßenschluchtcharakter aufbrechen. Dadurch werden die Austauschbedingungen für Schadstoffe wesentlich verbessert. Der Einflussradius solcher unbebauter Flächen hängt sehr stark von der Entfernung der Quelle zum Messpunkt ab. Nicht jede Grünstruktur an beliebiger Stelle hat jedoch einen positiven Effekt auf die Luftqualität. Zudem können Pflanzen Sporen und Pollen freisetzen, die zum Teil kleiner als 10 µm sind und somit zur Feinstaubbelastung beitragen. Frage 4: Spielt das Vorhandensein von Baustellen in der Nähe der Messstationen eine Rolle bei dem Aufkommen von Feinstaub und damit den gemessenen Werten? Wenn ja, inwiefern und in welchem Abstand? Antwort zu 4: Auf Baustellen können je nach Art der Tätigkeiten hohe Feinstaubemissionen auftreten. Der Einfluss ist jedoch in der Regel lokal begrenzt, da es sich überwiegend um gröbere Staubpartikel handelt, die in der Atmosphäre nicht über weite Strecken transportiert werden. Dies gilt allerdings nicht für die Motoremissionen von Baumaschinen, die aus einer vergleichsweise hohe Anzahl ultra-feiner Dieselrußpartikel bestehen, die aufgrund ihrer sehr kleinen Größe jedoch verhältnismäßig wenig zur Gesamtmasse an PM10 beitragen. Der Einfluss von Baustellen an Messstationen lässt sich anhand der typischen Verläufe zeitlich hoch aufgelöster PM10-Konzentrationen der kontinuierlichen PM10-Messgeräte erkennen. Bei direktem Baustelleneinfluss treten kurzzeitige hohe Konzentrationsspitzen und höhere Konzentrationen während der Arbeitszeit auf, die deutlich über den Konzentrationen von vergleichbaren anderen Messstationen liegen. Dies wurde beispielsweise an der Messstation Mariendorfer Damm 148 (MC124) deutlich. 4 Während des Jahres 2009 erstreckte sich der Zeitraum der Bauarbeiten von Anfang März bis Ende Juli. In dieser Zeit traten aufgrund der Baustelle an 44 Tagen Tagesmittelwerte von mehr als 50 µg/m³ auf, was eine Überschreitung des PM10-Kurzzeitgrenzwertes von erlaubten 35 Überschreitungstagen bedeutet. Im Jahr 2006 konnten an der Messstation am Spreeufer östlich der Jannowitzbrücke (MC171) allein 17 Überschreitungstage auf Bauarbeiten an der Jannowitzbrücke (z.B. Sandstrahlarbeiten) zurückgeführt werden. Je nach Ausbreitungsbedingungen können Baustellentätigkeiten bis zu einem Abstand von ca. 100 Metern zu erhöhten PM10-Konzentrationen führen. Frage 5: Spielt das Vorhandensein von Schienenverkehr in der Nähe der Messstationen eine Rolle bei dem Aufkommen von Feinstaub und damit den gemessenen Werten? Wenn ja, inwiefern und in welchem Abstand? Antwort zu 5: Es liegen keine Hinweise vor, dass der Schienenverkehr zu erhöhten Feinstaub (PM10)- Werten in der Nähe von Messstationen beiträgt. Frage 6: Spielen Art der Durchführung (e.g. Nass- oder Trockenreinigung) und Frequenz der Straßenreinigung in der Nähe der Messstationen eine Rolle bei dem Aufkommen von Feinstaub und damit den gemessenen Werten? Wenn ja, inwiefern und in welchem Umfang? Sind dem Senat dazu Studien bekannt? Falls der Senat über eigene Studien ab dem Jahr 2004 verfügt, bitte anfügen bzw. Internetlink angeben. Antwort zu 6: Eine 2004 von der damaligen Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass die Art und die Frequenz der Straßenreinigung durch Abspülung mit Wasser in der Nähe der Messstation an der Frankfurter Allee 86b zu keiner signifikanten Reduzierung der PM10-Konzentration geführt hat. Die Studie ist unter folgendem Internetlink einsehbar: http://www.berlin.de/senuvk/umwelt/luftqualitaet/de/download/endbericht_spuelung_FFA_7 0095-04-10.pdf. Dies wurde durch eine ähnliche Studie in Bremen aus dem Jahr 2005 (http://www.berlin.de/senuvk/umwelt/luftqualitaet/de/werkstatt_feinstaub/download/abg/Sp uelversucheBremen_Bericht.pdf) bestätigt. Eine weitere vom Senat durchgeführte Studie aus dem Jahr 2007 hat die Wirkung einer verbesserten Straßenreinigung an derselben Stelle in der Frankfurter Allee mit einer damals neuen Kehrmaschine untersucht, die mit einem sehr effizienten Kehrverfahren arbeitete, das mittels Unterdruck den Schmutz und Staub von der Straße absaugte und die mit einem Abluftfilter ausgestattetet war, der auch die feineren Partikel PM10 wirksam zurückhielt. Auch aus dieser Untersuchung ließ sich nur ein geringer, statistisch nicht signifikanter Minderungseffekt von höchstens 5 % der durch den Straßenverkehr verursachten Feinstaubbelastung ableiten. Der Bericht ist unter der folgenden Internetadresse abrufbar: http://www.berlin.de/senuvk/umwelt/luftqualitaet/de/werkstatt_feinstaub/download/abg/kehr versuch_bericht.pdf Ein Straßenreinigungsversuch zur Feinstaubbekämpfung am Neckartor in Stuttgart vom 1. März bis zum 6. April 2017 hat ergeben, dass es Indizien für einen positiven Effekt gibt. 5 Nach Aussagen der Forscher ist jedoch für eine abschließende Bewertung eine weitere Projektphase notwendig. Frage 7: Spielt der Einsatz sogenannter "Laubbläser" durch die BSR in der Nähe der Messstationen eine Rolle bei dem Aufkommen von Feinstaub und damit den gemessenen Werten? Wenn ja, inwiefern und in welchem Abstand? Antwort zu 7: Laubbläser werden in der Regel in unmittelbarer Nähe von Messstationen zeitlich nur sehr begrenzt eingesetzt. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne, die sich auf wenige Minuten begrenzen dürfte, kann es zu stark erhöhten PM10-Werten kommen. Direkte Messungen bzw. nachweisliche Erfahrungen hierzu liegen jedoch nicht vor. Eine Überschreitung des zum Schutz der menschlichen Gesundheit vorgeschriebenen Kurzzeitgrenzwertes von 50 µg/m³ im Tagesmittel wird vermutlich nicht durch den Einsatz von Laubbläsern verursacht. Frage 8: Wo liegt die Wirkungsschwelle - im toxikologischen Sinne - für die Gesamtbelastung mit Feinstaub nach gegenwärtigem - etwa vom Bundesumweltamt anerkanntem - Stand der Wissenschaft? Antwort zu 8: Negative Effekte von Kurzzeitexpositionen erhöhter PM2,5-Konzentrationen auf das Herz- Kreislauf-System, auf die Atemwege und auf die tägliche Sterberate werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als gesichert angesehen. Die Beweiskraft für Effekte der Langzeitexposition auf die Mortalität (Gesamtsterblichkeit) sowie auf Herz-Kreislaufund Atemwegserkrankungen wird ebenfalls als hoch angesehen. Für grobe Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser größer 2,5 µm und kleiner 10 µm sowie für ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser kleiner 0,1 µm gibt es aus Sicht der WHO wegen der begrenzten Datenlage derzeit lediglich Hinweise auf Effekte aufgrund kurzzeitiger Exposition. Nach derzeitigem Wissensstand steigt die Mortalität mit zunehmender Belastung durch PM2,5 an. Entsprechend ist von einem Rückgang der Mortalität bei einer Reduktion der Feinstaubbelastung auszugehen. Studien haben ergeben, dass Dieselruß als Bestandteil des Feinstaubs krebserregend ist. Rußpartikel fungieren als Sublimationsflächen für eine Vielzahl von leicht- und schwerflüchtigen Kohlenwasserstoffen sowie für Metalle. Die Bewertungen stützen sich auf die Einschätzung ausgewiesener Experten aus der Expositionsforschung, Toxikologie und Epidemiologie sowie der Risikoabschätzung. Für Feinstaub wird von einem linearen Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung ohne Schwellenwert ausgegangen, d.h. auch geringe Feinstaub-Konzentrationen führen zu gesundheitlichen Einschränkungen. Die von der WHO herausgegebenen Richtlinien nennen deshalb Schwellenwerte für PM10 von nur 20 µg/m³ im Jahresmittel, während der EU-weite Grenzwert mit 40 µg/m³ doppelt so hoch liegt. Bei den feineren Partikel PM2,5 liegt der WHO-Richtwert sogar nur bei 10 µg/m³ im Jahresmittel (der EU-Grenzwert bei 25 µg/m³). Selbst dort, wo die Richtwerte eingehalten werden, erwartet die WHO aufgrund der verfügbaren, vorwiegend epidemiologischen Wirkungsstudien eine Verkürzung der durchschnittlichen 6 Lebenserwartung um 8,6 Monate aufgrund der durch anthropogene Feinstaubemissionen verursachten Exposition. Berlin, den 02.07.2018 In Vertretung Stefan Tidow Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz