Drucksache 18 / 15 381 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gabriele Gottwald (LINKE) vom 20. Juni 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Juni 2018) zum Thema: Ausübung des Vorkaufsrechts und Antwort vom 06. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Jul. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Frau Abgeordnete Gabriele Gottwald (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18 / 15381 vom 20.06.2018 über Ausübung des Vorkaufsrechts Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft auch Sachverhalte, die der Senat nicht nur aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher das landeseigene Wohnungsunternehmen WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin- Mitte mbH (WBM) und den Bezirk Friedrichshain- Kreuzberg um Stellungnahme gebeten zu den Aspekten, die diese betreffen. Die Stellungnahmen wurde von dem Wohnungsunternehmen und dem Bezirk in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt. Sie werden nachfolgend wiedergegeben. Frage 1: Treffen die Informationen der Berliner Zeitung vom 8.6.2018 zu, nach denen die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH (WBM) nach Kauf des Hauses Zossener Straße 18 (Ausübung des Vorkaufsrechts) Mieterhöhungsverlangen von bis zu 15 Prozent geltend macht sowie Staffelmieten verlangt, und wie hoch sind jeweils die verlangten Nettokaltmieten, wie hoch ist der jeweilige prozentuale Anstieg durch die Staffelmiete? Antwort zu 1: Es wurden Mieterhöhungsverlangen im gesetzlich zulässigen Rahmen ausgesprochen. Für einzelne Mietverhältnisse, deren Miete sich deutlich unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete gemäß Mietspiegel bewegte, betrugen diese Mieterhöhungsverlangen 15%. Es bestehen mit einigen Mieterinnen und Mietern Staffelmietvereinbarungen, die wirksam zwischen Mieter/innen und Voreigentümer/innen vereinbart wurden und daher weiterhin Anwendung finden. 2 Frage 2: Was war Inhalt der Vereinbarung zwischen dem Bezirk, der WBM und den MieterInnen vor Ankauf des Hauses? Haben sich die Beteiligten an diese Vereinbarung gehalten? Wenn nein, wo liegen die Abweichungen? Antwort zu 2: Es besteht keine dreiseitige Vereinbarung zwischen der WBM, dem Bezirk und den Mieter/innen. Im Zuge der Vorkaufsrechtsausübung haben das Land Berlin, vertreten durch den Bezirk, und die WBM eine „Vereinbarung über die Verpflichtung des vorkaufsbegünstigten Dritten“ abgeschlossen. In dieser verpflichtet sich die WBM im Wesentlichen zum Verzicht auf die Aufteilung des Objektes in Wohneigentum, zum Verzicht diverser baulicher Maßnahmen, wie z.B. energetischer Sanierungen, und zur Bewirtschaftung unter Maßgabe des WoVG Berlin. Frage 3: Wurde den MieterInnen vor dem Hausankauf nahegelegt bzw. haben sie selbst angeboten, Mieterhöhungen auf freiwilliger Basis zuzustimmen? Wenn ja, wer hat freiwillige Mieterhöhungen ins Gespräch gebracht? Antwort zu 3: Die Mieter/innen haben Mieterhöhungen auf freiwilliger Basis zugestimmt. Ins Gespräch gebracht wurden sie von Bezirksstadtrat Florian Schmidt. Frage 4: Haben alle MieterInnen im Haus eine freiwillige Erklärung über Mieterhöhungen abgegeben und über welche Höhe? Welche Absprachen gab es über die Beibehaltung bzw. Abschaffung der Staffelmiete? Antwort zu 4: Von zwanzig Mietparteien haben elf eine freiwillige Erklärung über Mieterhöhungen in Höhe von insgesamt 830,87 €/Monat abgegeben. Die Erhöhungsbeträge schwanken dabei zwischen 0,10 € und 2,55 €/qm*Monat. Frage 5: Wie bewertet der Senat die weit verbreitete Praxis, dass bei Ausübung des Vorkaufsrechts vor Ankauf eines Objektes die MieterInnen zu freiwilligen Mieterhöhungen aufgefordert werden, damit ein wirtschaftlicher Anreiz für den Ankauf geschaffen werde? Antwort zu 5: Wie in anderen deutschen Großstädten mit einem angespannten Wohnungsmarkt steigen auch in Berlin die Immobilienpreise stetig. Bei mehreren Verkaufsobjekten in den sozialen Erhaltungsgebieten zeigte sich, dass die Kaufpreise eine nachhaltige, kostendeckende Bewirtschaftung nicht ermöglichten. Um die Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Handeln der städtischen Wohnungsbaugesellschaften bei der Ausübung des Vorkaufsrechtsfalls dennoch zu sichern, hat sich der Senat zu einer bedarfsbezogenen Eigenkapitalzuführung für das wohnungs- und mietenpolitisch gewünschte und mietenstrategische Handeln der Vorkaufsrechtsausübung entschlossen. So konnte das Delta zwischen den Bewirtschaftungserträgen und dem Verkaufspreis angemessen geschlossen werden. 3 In wenigen Einzelfällen wurde der Vorkauf und eine wirtschaftliche Darstellbarkeit im Wege freiwillige Mieterhöhungen der Mieter/innen ermöglicht. Frage 6: Ist die WBM im Fall der Zossener Straße 18 an die Kooperationsvereinbarung mit dem Senat gebunden? Wenn ja, welche Mieterhöhungen darf sie nach dem Objektankauf erheben, wenn nein, welchem Spielraum für Mieterhöhungen unterliegt sie? Frage 7: Findet bei der Zossener Straße 18 folgende Regelung Anwendung, die sich auch als Ausnahmeregelung zur Festsetzung der Miethöhe im Kooperationsvertrag findet: „In den Fällen, in denen die Wohnungsmiete unterhalb von 75 % der Durchschnittsmiete der jeweiligen Gesellschaft liegt, kann von den Regelungen abgewichen werden. Dabei wird gewährleistet, dass entsprechend Ziffer 4.4 die Mietbelastung des jeweiligen Haushalts nicht mehr als 30 % des Nettohaushaltseinkommens beträgt“? Wenn ja, wie hoch ist die Durchschnittsmiete der WBM und berechnet sich der Vergleich auf die Mieteinnahmen im Objekt oder auf Einzelwohnungen? Antwort zu 6 und 7: Die gesellschaftsrechtliche Legitimation zur Ausübung des Vorkaufsrechts erhält die WBM im Rahmen des Aufsichtsratsbeschlusses, der eine Ausnahme zu den Regelungen der KoopV. vorsieht. Die Ausnahmen von der KoopV beziehen sich auf die mietpreisbegrenzenden Regelungen der Kooperationsvereinbarung. An die Regelungen zu den sozialverträglichen Mieten (Pkt. 4.3 und 4.4 der Kooperationsvereinbarung.), wie z.B an die Härtefallregelung, ist die WBM gebunden. Frage 8: Nach welchen Kriterien entscheidet der Senat bei unwirtschaftlichen Ankäufen, das Delta zwischen Verkaufspreis und Bewirtschaftungserträgen über eine bedarfsbezogene Eigenkapitalaufstockung zu schließen, da der Ankauf wohnungs- und mietenpolitisch gewünscht ist? Frage 9: In welcher Höhe hat der Senat im Fall des Ankaufs der Zossener Straße 18 einen Kapitalzuschuss bewilligt, und auf welcher Grundlage geschah dies in Bezug auf die zukünftige Mietentwicklung? Antwort zu 8 und 9: Der Senat hat für den Ankauf der Zossener Straße 18 einen Kapitalzuschuss in Höhe von 90.000 € bewilligt. Dieser Zuschussbedarf ergab sich aus der Wirtschaftlichkeitsberechnung der WBM, in der die zukünftige Mietenentwicklung entsprechend Berücksichtigung fand. Frage 10: Wie beurteilt der Senat die rechtliche Perspektive zur Ausübung des Vorkaufsrechts, die das öffentliche Interesses über die Unterstützung der Erhaltungssatzung vertritt, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten, wenn in der Praxis a) nach Ankauf durch eine Wohnungsbaugesellschaft deutliche Mieterhöhungen ausgesprochen werden, nachdem zuvor der Verkauf des Objektes an einen Käufer am Markt deswegen nicht zustande kam, da dieser eine sozialverträgliche Bewirtschaftung über eine Abwendungsvereinbarung verweigerte, und b) bereits vor Ankauf durch eine Wohnungsbaugesellschaft den MieterInnen im Objekt eine freiwillige Mieterhöhung nahegelegt wird, damit der Ankauf wirtschaftlich darstellbar sei? 4 Antwort zu 10: Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben sich zur Einhaltung der Regelungen der Kooperationsvereinbarung „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“ verpflichtet. Der Senat sieht pauschale Abweichungen von der Kooperationsvereinbarung aus verschiedenen Gründen kritisch. Im Einzelfall kann es allerdings erforderlich sein, dass freiwillige Zustimmungen leistungsfähiger Mieterinnen und Mieter im Rahmen ihres bestehenden Mietvertragsverhältnisses zu Mieterhöhungen innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens erfolgen. Die freiwillige Zustimmung der Mieter/innen zu einer maßvollen Mieterhöhung wird grundsätzlich noch für vertretbar gehalten, sofern die Entscheidung hierzu schriftlich vor Ausübung des Vorkaufsrechts und im Dialog mit den Mietern/innen zustande kommt, verbindlich festgelegt ist und zur Deckung einer Wirtschaftlichkeitslücke notwendig ist. Die Zustimmung zur Mieterhöhung darf aber nicht dazu führen, dass die Mieten auf lange Sicht ein Niveau erreichen, das dazu führt, dass die Mietpreise für die derzeitigen Mieter/innen unerschwinglich werden und eine Verdrängung stattfindet. Denn die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit, die auf Wirtschaftlichkeit ausgelegt ist, die Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum für die Bewohnerinnen und Bewohner Berlins zur Verfügung zu stellen. Dies darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften durch Mieterhöhungen die Ziele zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung konterkarieren. Frage 11: Welche Möglichkeiten sieht der Senat, um zu einem Verfahren zur Verkehrswertermittlung zu gelangen, das einen größeren Abstand zur Dynamik der Marktpreisentwicklung wahrt, und welchen Spielraum misst er der Ausübung des preislimitierten Verfahrens bei? Antwort zu Frage 11: Gemäß der Legaldefinition in § 194 BauGB wird der Verkehrswert (Marktwert) durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Die Situation auf dem Berliner Immobilienmarkt ist zur Zeit geprägt durch eine hohe Nachfrage nach Immobilien bei nur geringem Angebot. Dieser Umstand führt naturgemäß zu steigenden Preisen. Bei der Verkehrswertermittlung ist aber genau diese Marktsituation abzubilden, denn es handelt sich um einen Wert, der gegen jeden Dritten gilt und somit den gewöhnlichen Geschäftsverkehr abbildet. Die in der Immobilienwertermittlungsverordnung geregelten Wertermittlungsverfahren führen zum Verkehrswert. Limitierende Vorgaben bei der Ermittlung führen nicht zum Verkehrswert. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) kann im Falle der Ausübung des Vorkaufsrechts der zu zahlende Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks (§ 194 BauGB) im Zeitpunkt des Kaufes bestimmt werden, wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet. Der Bezirk kann in diesem Fall im Rahmen der Ermessensentscheidung das Grundstück aber auch zum ursprünglichen (überhöhten) Kaufpreis erwerben. Da dem Verkäufer gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 BauGB für den Fall der Kaufpreisherabsetzung ein Rücktrittsrecht zusteht, kann dies z.B. beim Erwerb eines „Schlüsselgrundstücks“ im Einzelfall vorzugswürdig sein, um das Rücktrittsrecht nicht entstehen zu lassen und das Grundstück 5 so in jedem Falle erwerben zu können. Da ein deutliches Überschreiten des Verkehrswerts jedoch erst bei 20-30 % angenommen wird, ist der Anwendungsbereich eher gering. Nach Ansicht des Senats wird der Kaufpreis von den Vertragsparteien darüber hinaus in den meisten Fällen so vereinbart, dass ein deutliches Überschreiten des Verkehrswertes nicht gegeben ist. Berlin, den 6. Juli 2018 In Vertretung Sebastian Scheel ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen