Drucksache 18 / 15 543 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Danny Freymark (CDU) vom 03. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Juli 2018) zum Thema: Entwicklung der Vorkommen geschützter Tierarten im Stadtgebiet von Berlin und Antwort vom 17. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Jul. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Danny Freymark (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15543 vom 3. Juli 2018 über Entwicklung der Vorkommen geschützter Tierarten im Stadtgebiet von Berlin Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Für welche streng bzw. besonders geschützten Arten führt die Senatsverwaltung in Erfüllung der Berichtspflichten entsprechend den Vorgaben der FFH- bzw. der Vogelschutzrichtlinie jeweils Monitoringprogramme durch? Frage 2: Bei welchen Amphibien-, Säugetier- bzw. Vogelarten zeigt dieses Monitoring eine positive und bei welchen Arten eine negative Entwicklung der Vorkommen im Stadtgebiet auf? Antwort zu 1 und 2: Im Rahmen des Artikel 17 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) hat das Land Berlin alle sechs Jahre über den Erhaltungszustand bestimmter auch in Berlin vorkommender Arten der Anhänge I, II, IV und V der FFH-RL gegenüber der EU zu berichten, im Rahmen des Artikels 12 der Vogelschutzrichtlinie alle drei Jahre über den Erhaltungszustand bestimmter auch in Berlin vorkommender Vogelarten. Zur Erfüllung dieser Berichtspflichten ist die Erhebung und Auswertung bestimmter Daten erforderlich. Gesicherte Aussagen zu Entwicklungstrends lassen sich aus dieser Art von Daten jedoch nur bei ausreichender Untersuchungsdichte, mehrfachen Kartierdurchgängen und Abklärung weiterer Faktoren ableiten. Säugetiere Alle Fledermausarten fallen unter den besonderen Schutz der FFH-RL und die Berichtspflicht. Daher finden seit vielen Jahren jedem Winter Erfassungen in den großen Winterquartieren in Berlin statt. Dies sind neben den gemeldeten Natura-2000-Gebieten auch weitere Quartiere in ehemaligen Bunkern, Kelleranlagen oder sonstigen geeigneten 2 Örtlichkeiten. Die Überwinterungsbestände sind überwiegend stabil bzw. weisen zum Teil sogar eine positive Entwicklung auf. Reptilien, Amphibien Die Populationen der Zauneidechse werden bisher anlassbezogen, z.B. im Rahmen der Eingriffsregelung, erfasst. Ein Monitoring erfolgt in Form einer Erfolgskontrolle nach Kompensationsmaßnahmen. Zukünftig ist ein Monitoring für die Art Zauneidechse im Land Berlin erforderlich, auf dessen Grundlage dann erst eine Gesamtbewertung möglich ist. Zur Erfüllung der nächsten FFH-Berichtspflicht für 2019 wurde im Jahr 2016 über die Stiftung Naturschutz, Koordinierungsstelle Fauna, ein Programm zur Grunderfassung der Amphibienverbreitung aufgelegt. Die Ergebnisse waren im Vergleich zu bis dahin bekannten Daten alarmierend rückläufig und machen deutlich, dass ein exemplarisches Monitoring ausgewählter Arten an ausgewählten Gewässern erforderlich ist. Fische Die Fischarten Rapfen, Steinbeisser, Bitterling und Schlammpeitzger werden im Rahmen des Monitorings der Zusammensetzung der Fischfauna zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie erfasst. Ziel dieser Untersuchung ist jedoch nicht die Entwicklung der einzelnen Arten, sondern die Fischartenzönose als Indikator der Habitatqualität. Ergänzend wird daher an ausgewählten Gewässerabschnitten mit spezieller Methodik ein Kleinfischmonitoring durchgeführt. Insekten Für die gemäß FFH-RL besonders geschützten Holzkäferarten Eremit, Eichen-Heldbock und Hirschkäfer wurden Kartierung und Bewertung besiedelter Park- und Waldbereiche vorgenommen, ein Entwicklungstrend ist daraus bisher nicht ablesbar. Die Libellenarten Grüne Mosaikjungfer, Östliche Moosjungfer und Große Moosjungfer sowie die Schmetterlingsart Großer Feuerfalter werden ehrenamtlich bzw. anlassbezogen erfasst. Auch aus diesen Daten lässt sich aus methodischen Gründen kein Entwicklungstrend ablesen. Weichtiere Für schmale und bauchige Windelschnecken liegen ausschließlich Ersterfassungen vor. Die Weinbergschnecke wurde im Rahmen eines Projektes des „Citizen Science“ erfasst. Vögel In den FFH- und Vogelschutzgebieten finden alle sechs Jahre Erfassungen der Brutvögel statt. Aussagen zu den Entwicklungen sind aber auf dieser Grundlage noch nicht möglich, da bisher pro Gebiet erst ein oder zwei Kontrollen vorliegen. Die häufigen Vogelarten werden jährlich bundesweit in einem sog. „Monitoring der häufigen Vogelarten“ erfasst. Für Berlin werden hierfür seit drei Jahren 30 aus statistischen Gründen ausgewählte Probeflächen untersucht. Aussagen zu Bestandsentwicklungen sind erst nach vieljähriger Durchführung belastbar möglich. Frage 3: Für welche der gemäß Frage 1 überwachten Arten wird ein Totfundmonitoring durchgeführt? 3 Antwort zu 3: Ein Totfundmonitoring für besonders oder streng geschützte Tierarten führt der Senat nicht durch. Für die Arten Biber und Fischotter werden alle verfügbaren Angaben zu den im Land Berlin tot aufgefundenen Tieren vollständig dokumentiert. Der Naturschutzbund Berlin (NABU Berlin) hat eine Dokumentation der Verlustursachen für die Greifvogelart Habicht vorgelegt (siehe hierzu auch die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/15567). Frage 4: Bei welchen der streng bzw. besonders geschützten Amphibien-, Säugetier- bzw. Vogelarten ergibt sich aus dem Totfundmonitoring eine erhebliche Gefährdung der jeweiligen Arten durch den Straßenverkehr und welche weiteren Gefährdungsursachen wurden jeweils festgestellt? Bitte für die jeweiligen Arten die Totfunde seit 1990 nach den jeweiligen Todesursachen für die jeweiligen Arten jährlich aufschlüsseln. Antwort zu 4: Ob durch die festgestellten Mortalitätsfaktoren eine erhebliche Gefährdung der Population vorliegt, kann nicht abgeschätzt werden. Zumindest Biber und Habicht haben weitgehend sichere Bestände in Berlin. Gleichwohl sollten menschlich bedingte Mortalitätsfaktoren minimiert werden. Für die unter zu 3 genannten streng geschützten Arten Fischotter, Biber und Habicht liegen folgende Angaben vor: Fischotter: 1990: 1: ertrunken in Fischreuse (Niederneuendorfer See) 1996: 1: offenbar verhungert (Tegeler Fließ, Eichwerder Steg) 2001: 1: Todesursache unbekannt (Anlegestelle Pfaueninsel) 2004: 1: Verkehrsopfer (Gosener Landstraße) 2015: 1: Todesursache unbekannt (Hobrechtsfelde, Teich 13) 2016: 1: Verkehrsopfer (B109, Autobahnzufahrt Pankow) Biber: Berlin wurde erst 1994 von Hennigsdorf aus besiedelt, es liegen erst ab 1999 Totfunde vor. 1999: 1: Verkehrsopfer (Rhenaniastraße) 2000: 1: Verkehrsopfer (Rhenaniastraße) 2001: 4: 2 ertrunken in Fischreuse (nördl. Pionierinsel, südl. Valentinswerder), 2 Todesursache unbekannt (Eiswerder, Kleine Eiswerderbrücke) 2002: 1: Verkehrsopfer (Rhenaniastraße) 2003: 2: 1 Verkehrsopfer (Rhenaniastraße), 1 ertrunken in Fischreuse (Schleuse Spandau) 2004: 3: 3 Verkehrsopfer (2x Haselhorster Damm Höhe Lünette = Verlängerung Rhenaniastraße, 1x Spandau ohne Angabe) 2005: 1: Verkehrsopfer (Saatwinkler Damm 93) 2006: 2: 1 natürlicher Tod (Tegeler See), 1 Verkehrsopfer (Rhenaniastraße) 2007: 2: 2 Verkehrsopfer (Rhenaniastraße, Saatwinkler Damm 93) 2008: 1: natürlicher Tod (Zitadellengraben) 2009: 2: Todesursache unbekannt (Hohenzollernkanal nahe Halligweg), 1 Verkehrsopfer (Saatwinkler Damm 93) 2010: 2: 1 Verkehrsopfer (Rhenaniastraße), 1 Todesursache unbekannt (Spandau ohne genaue Angabe) 4 2011: 2: 1 Verletzungen, Ursache unklar (Tiergarten nahe Bellevueallee), 1 vermutlich mit Drahtschlinge gefangen und erschlagen (angetrieben Schleuse Spandau) 2012: 3: Todesursache unbekannt (Tegeler See, Oberhavel, Charlottenburger Brücke) 2013: 4: 3 Verkehrsopfer (Niederneuendorfer Allee, Rhenaniastraße und Saatwinkler Damm 299), 1 Todesursache unbekannt 2014: 2: 1 Verkehrsopfer (Rhenaniastraße), 1 Todesursache unbekannt (Hubertussee Rahnsdorf) 2015: 7: 2 Verkehrsopfer (Straße des 17. Juni), 5 Todesursache unbekannt (Großer Tiergarten, Stößensee, Plötzensee, Pichelsdorf, Kuhlake) 2016: 2: 1 Verkehrsopfer (Wilhelmsruher Damm 61), 1 ertrunken in Fischreuse (Spree Höhe Plänterwald) 2017: 4: 1 Verkehrsopfer (Rhenaniastraße), 3 Todesursache unbekannt (2x Niederneuendorfer See, 1x Müggelspree Höhe Rialtoring) 2018: 2: 2 Todesursache unbekannt (Tegeler Fließ, Treptower Park) Habicht: Es wurden 266 dokumentierte Verluste selbständiger Habichte in den Jahren 1996 - 2005 ausgewertet. Die wichtigsten Ursachen hierbei waren: 50,4 % Anflug an Hindernisse (fast ausschließlich Glas) 11,7 % Einflug in Gebäude (meist Gewerbehallen; Vögel konnten z.T. gerettet werden) 7,9 % Verhungern (ausgeflogene Jungvögel, die das Jagen noch lernen müssen) 7,1 % Trichomoniasis (Erkrankung durch Geißeltierchen) 4,1 % sonstige Erkrankungen Beim Habicht gibt es eine Dunkelziffer an illegal verfolgten Tieren, die erfahrungsgemäß nur in wenigen Fällen dokumentiert werden können. Frage 5: Welche Maßnahmen wurden bzw. werden ergriffen, um die erheblichen Gefährdungen durch den Straßenverkehr und ggf. andere Ursachen zu minimieren? Bitte jeweils für die entsprechend Frage 3 zu nennenden Arten darlegen. Antwort zu 5: Als wesentlicher Mortalitätsfaktor für Biber und Fischotter in Berlin haben sich der Straßenverkehr (23 Opfer ab 1990) und Fischreusen (5 Opfer ab 1990) erwiesen. Hierbei ist zu beachten, dass Opfer in Fischreusen nur zufällig bekannt werden, es also eine höhere Dunkelziffer geben kann. Zur Abwendung dieser Verlustursache wird derzeit eine Änderung der Landesfischereiordnung vorbereitet, nach der ein Ertrinken von Säugetieren und Vögeln in Fischreusen verhindert werden soll. Bei den Verkehrsopfern sind bisher folgende Straßen mit mehr als einem Opfer festgestellt worden: Rhenaniastraße (13x, einschließlich Haselhorster Damm Höhe Lünette), Saatwinkler Damm (4x), Straße des 17. Juni (2x). Da drei der vier Biber am Saatwinkler Damm im gleichen Bereich nördlich der Schleuse Plötzensee überfahren wurden, hat das Bezirksamt an der Stelle einen Schutzzaun errichtet, der bisher offenbar weitere Todesfälle verhindert hat. Wegen der hohen Verluste im Straßenzug Rhenaniastraße- Haselhorster Damm wurde als erstes eine Untertunnelung geprüft. Aufgrund vieler unter der Straße verlaufenden Leitungen und des hohen Grundwasserstandes ist die Anlage 5 einer solchen jedoch nicht möglich. Daher hat sich der Senat dafür eingesetzt, eine Aufhebung der Durchgangsfunktion der Straße und zumindest eine nächtliche Durchfahrtsprerre zu erwirken - beides hat der Bezirk Spandau jedoch aus verkehrlichen Gründen abgelehnt. Bei den Amphibien gehören zusätzlich zu dem Verlust an Laichgewässern und Landlebensräumen, schlechter Wasserqualität in Kleingewässern und reduziertem Futterangebot (Insektensterben) sowie dem hohen Verlust beim Queren von Straßen und Radwegen während der Laichzeit, zu den Ursachen des dramatischen Rückgangs aller in Berlin vorkommender Arten. Eine systematische Erfassung überfahrener Amphibien erfolgt nicht, jedoch sind einige insoweit kritische Straßenabschnitte bekannt. An einzelnen Straßenabschnitten wurden Amphibienleitsysteme oder Krötentunnel zur Reduzierung der Verlustquote eingebaut. An weiteren Abschnitten erfolgt eine saisonale Abzäunung und Transport zu den Laichgewässern durch den Naturschutzbund Deutschland und andere ehrenamtliche Helfer. Diese Maßnahmen sind allerdings auf Dauer nicht ausreichend. Für eine tatsächliche Verbesserung der Situation wären entsprechende Maßnahmen jeweils beim Ausbau von Verkehrswegen mit einzuplanen. Die beim Habicht festgestellte hohe Verlustrate an Glas trifft auch auf andere Vogelarten zu. Nach neueren Erkenntnissen verunglücken in Deutschland vermutlich 5 - 10 % aller vorkommenden Vögel an Glas. Um diese erhebliche Verlustrate deutlich zu senken bemüht sich der Senat sowohl im Verfahren zu einzelnen Bauwerken im Land Berlin als auch in bundesweiter Initiative um wirksame Vermeidungsmaßnahmen. Berlin, den 17.07.2018 In Vertretung Stefan Tidow Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz