Drucksache 18 / 15 598 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Michail Nelken (LINKE) vom 10. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Juli 2018) zum Thema: Schönhauser Allee 90 - ohnmächtiges Bezirksamt? und Antwort vom 27. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Aug. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Herrn Abgeordneten Dr. Michail Nelken (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15 598 vom 10. Juli 2018 über Schönhauser Allee 90 - ohnmächtiges Bezirksamt? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet der Senat die aus Presseberichten bekannt gewordenen Zustände im Wohnhaus Schönhauser Allee 90 / Wisbyer Str. 1 (10437 Berlin) und das Vorgehen des Hauseigentümers Herrn K. gegen die Mieter? Frage 2: Welche Unterstützung hat der Senat dem Bezirksamt angeboten angesichts der Tatsache, dass das Bezirksamt Pankow nicht in der Lage ist, wirksam gegen Leerstand, gravierende Instandhaltungsmängel und eine jahrelangen Gerüststellung ohne Bauarbeiten ordnungsrechtlich vorzugehen? Frage 3: Hat das Bezirksamt Pankow beim Senat um personelle oder juristische Unterstützung in dieser Sache nachgesucht? Frage 5: Wird der Senat den Bezirken einen Leitfaden an die Hand geben, wie man bei derartigem Vermieterverhalten (wie im Falle der Schönhauser Allee 90) wirksame ordnungsrechtliche Sanktionen verhängen kann? Antwort zu 1, 2, 3 und 5: Der Senat von Berlin geht davon aus, dass das zuständige Bezirksamt Pankow alle möglichen rechtsstaatlichen Mittel, vor allem im Rahmen des Zweckentfremdungsverbot- Gesetzes und des Wohnungsaufsichtsgesetzes, nutzt, um gegen Missstände in den betreffenden Wohnhäusern vorzugehen. Der Senat von Berlin unterstützt die Bezirke soweit möglich bei der gesetzeskonformen Umsetzung. 2 Zur Klärung etwaiger Fragen zur Umsetzung des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes und des Wohnungsaufsichtsgesetzes können sich die zuständigen bezirklichen Stellen an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen wenden. In dem konkreten Fall liegt ein Gesuch nach personeller oder juristischer Unterstützung durch den Bezirk nicht vor. Die Oberste Bauaufsicht hat bereits im Jahr 2016 einen Arbeitskreis Problemimmobilien eingerichtet, der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bezirklichen Wohnungsaufsichtsämter die Möglichkeit bietet, nach Bedarf auch solche Einzelfälle aus dem Tagesgeschäft der Wohnungsaufsicht auf Fachebene zu erörtern, in denen die Schwelle zur Problemimmobilie nicht überschritten ist. Nach derzeitigem Kenntnisstand der Obersten Bauaufsicht veranlasst der Verfügungsberechtigte des betroffenen Grundstücks in der Schönhauser Allee Maßnahmen zur Beseitigung des Instandhaltungsrückstaus. Die Wohnungsaufsicht des Bezirksamts Pankow steht mit den zuständigen Personen in Kontakt. Die Voraussetzungen für behördliche Anordnungen oder Zwangsmaßnahmen seitens der Wohnungsaufsicht lagen nach Auskunft des Bezirks bisher nicht vor, da der Instandsetzungsprozess fortschreitet, wenn auch langsam. Bei der Bearbeitung von Fällen reiner Instandhaltungsrückstände, wie sie im Fall der Schönhauser Allee vorzuherrschen scheinen, sind die bezirklichen Wohnungsaufsichtsämter in der Anwendung des Wohnungsaufsichtsgesetzes, soweit dessen Anwendungsbereich überhaupt eröffnet ist, nach dem Erkenntnisstand der Obersten Bauaufsicht in der Regel sehr erprobt. Folglich bedarf es diesbezüglich keines Leitfadens. Unabhängig davon ist im Mai 2018 die Erstellung einer Expertise zum Umgang mit Problemimmobilien in Berlin in Auftrag gegeben worden. Im Rahmen dieses Auftrags soll unter anderem ein Handlungsleitfaden erstellt werden, der die in Zusammenhang mit Problemimmobilien erforderlichen Schritte des Verwaltungsverfahrens und -vollzugs praxisnah darstellt. So sollen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bezirksämter in ihrem Vorgehen gegen Missstände in den Extremfällen der Problemimmobilien unterstützt werden. Frage 4: Sind dem Senat weitere Fälle in anderen Bezirken bekannt, bei denen es ähnliche Probleme mit den Vermietungspraktiken des Herrn K. gibt? Antwort zu 4: Weitere Fälle des Herrn K. sind dem Senat von Berlin aktuell nicht bekannt. Frage 6: Sieht der Senat im Zweckentfremdungsverbotsgesetz und im Wohnungsaufsichtsgesetz hinreichende Instrumente gegeben, um seitens der Bezirksämter derartige Vermieterpraktiken zu unterbinden? Antwort zu 6: Die Oberste Bauaufsicht beschäftigt sich seit längerem intensiv mit dem Thema der Wohnungsaufsicht und insbesondere der Problemimmobilien. Sämtliche Erhebungen, 3 Umfragen und Diskussionen zu diesem Thema haben ergeben, dass die im Wohnungsaufsichtsgesetz verankerten Instrumente grundsätzlich ausreichend sind, um gegen Missstände und mangelhafte Wohnverhältnisse vorzugehen. Schwierigkeiten bereitet angesichts der multiplen Problemlagen in diesen Gebäuden und der Vielzahl von zuständigen Stellen der Vollzug der einschlägigen Gesetze, der sehr zeit- und personalintensiv ist. Für einen effektiven Umfang mit Problemimmobilien benötigen die Bezirke aus Sicht der Obersten Bauaufsicht vor allem mehr Personal und finanzielle Mittel, um z.B. Ersatzvornahmen vorzufinanzieren. Ergänzend arbeitet die Oberste Bauaufsicht derzeit auch daran, das Wohnungsaufsichtsgesetz zu überarbeiten und die bestehenden Instrumente zu schärfen. Da dies jedoch nichts daran ändert, dass in einem Rechtsstaat das Verwaltungsverfahren bei repressiven Eingriffen aus guten Gründen mehrstufig ausgestaltet ist, wird die Überarbeitung des Wohnungsaufsichtsgesetzes den Umgang mit Problemimmobilien zwar an einigen Stellen erleichtern, er wird aber nach wie vor zeit- und personalintensiv bleiben, so dass nur eine Aufstockung des Personals und der finanziellen Mittel zu einer echten Wende im Umgang mit Problemimmobilien führen kann. Auch das durch die Gesetzesnovelle verschärfte Zweckentfremdungsverbot-Gesetz sieht hinreichende Instrumente gegen die zweckfremde Nutzung von Wohnraum, hierzu gehört auch längerfristiger Leerstand, vor. Frage 7: Welche Voraussetzungen müssen nach Auffassung des Senats erfüllt sein, um ein Wohngebäude mit Bewirtschaftungs- und Vermietungsmissständen in treuhänderische öffentliche Verwaltung zu überführen? Antwort zu 7: Gemäß § 1 Absatz 3 Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ZwVbG) finden das Zweckentfremdungsverbot und damit auch die Normen zur Einsetzung eines Treuhänders oder einer Treuhänderin nach derzeitiger Gesetzeslage dann Anwendung, wenn der in Frage stehende Wohnraum (noch) „zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet“ ist. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies in einem bestimmten Einzelfall nicht der Fall sein könnte, ist diese Prüfung auf Ersuchen des Wohnungsamtes zunächst durch die Wohnungsaufsicht des jeweiligen Bezirks durchzuführen. Wenn die Prüfung ergibt, dass der in Frage stehende Wohnraum nicht mehr zu Wohnzwecken geeignet ist, muss zunächst die Wohnungsaufsicht entsprechende Maßnahmen ergreifen. Erst dann können die nächsten Schritte angegangen werden. Der Treuhänder oder die Treuhänderin kann ferner nur eingesetzt werden, sofern die Verfügungsberechtigten nicht nachweisen, dass sie selbst innerhalb der von der zuständigen Behörde gesetzten Fristen die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und durchgeführt haben. Vor der Einsetzung eines Treuhänders oder einer Treuhänderin sind sämtliche andere mildere Zwangsmaßnahmen, insbesondere das Zwangsgeld, anzuwenden. Erst wenn andere Zwangsmaßnahmen nicht zur Durchsetzung des Wohnnutzungsgebots geführt haben, kommt die Einsetzung eines Treuhänders oder einer Treuhänderin in Betracht. Frage 8: Ist der Senat bereit und in der Lage, die Bezirke im Falle von Ordnungsmaßnahmen gegen Hauseigentümer wegen rechtswidriger Vermietungspraktiken gegen die damit verbundenen finanziellen Risiken abzuschirmen, wenn der Eingriff in Abstimmung mit dem Senat erfolgte? 4 Antwort zu 8: Die Umsetzung des Zweckentfremdungsverbot-Gesetz und des Wohnungsaufsichtsgesetzes in den Bezirken ist im Rahmen der im Haushalt zur Verfügung gestellten Mittel umzusetzen. Nachweisliche Mehrausgaben sind beim Senat von Berlin anzumelden. Frage 9: Antwort zu 9: Ist im Falle von Ersatzvornahmen seitens der Bezirke eine erstrangige grundbuchliche Sicherung dieser Aufwendungen möglich und werden diese Ausgaben vom Land für den Bezirk bis zum Ausgleich durch den Eigentümer „erstattet“? Eine grundbuchliche Sicherung in der Rangklasse des § 10 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) (sog. Rangklasse 1) ist Zwangsverwaltungsvorschüssen des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers vorbehalten. Insofern können Kostenerstattungsansprüche der Bezirke bei Ersatzvornahmen im Bereich der Wohnungsaufsicht in dieser Rangklasse nicht befriedigt werden. Nach derzeitiger Rechtslage kann jedoch auf Grundlage eines rechtskräftigen Leistungsbescheids zur Beitreibung von Kosten von Ersatzvornahmen im Wohnungsaufsichtsrecht eine Sicherungshypothek in dem Grundbuch des betroffenen Grundstücks eingetragen werden. Die Befriedigung aus dieser Sicherungshypothek erfolgt im Fall einer Zwangsversteigerung des Grundstücks in der Rangklasse des § 10 Absatz 1 Nummer 4 ZVG (sog. Rangklasse 4). Im Zweckentfremdungsrecht stellen sowohl die Kosten für die Vergütung der Treuhänderinnnen und Treuhänder, als auch die Kosten für Ersatzvornahmen nach § 4 Absatz 2 Satz 6, § 4a Absatz 2 Satz 5 und 6 ZwVbG öffentliche Lasten im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 3 ZVG dar. Eine öffentliche Grundstückslast ist nach § 54 Grundbuchordnung von der Eintragung in das Grundbuch ausgeschlossen, soweit nicht ihre Eintragung gesetzlich besonders zugelassen oder angeordnet ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Die öffentliche Last sichert also der zuständigen Stelle im Falle der Zwangsversteigerung ein Recht auf vorrangige Befriedigung, sie ist aus dem Grundbuch aber nicht ersichtlich und muss daher im Zwangsversteigerungsverfahren stets angemeldet werden. Derzeit gibt es keine Vorkehrungen dafür, dass das Land Berlin die Kosten der Bezirke für Ersatzvornahmen bis zur Erstattung durch die Verpflichtete oder den Verpflichteten vorfinanziert. Berlin, den 27. Juli 2018 Lompscher ................................ Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen